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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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letzteren, die letzteren aber hatten neben ihrer Vorbildung für die Uni-
versität zugleich die allgemeine Bildung zur Aufgabe, jedoch wie noch
jetzt in England mit wesentlicher Beschränkung auf die classische Bil-
dung. Mit der Eroberung Hollands durch die Franzosen wurde nun
das französische System, wenn auch nicht für die Fachbildung, so doch
für die Vorbildung eingeführt, trotz der Abneigung der Bevölkerung.
Kaum war nun die französische Herrschaft gestürzt, so griff das hollän-
dische Volk sofort wieder auf die germanische Grundform seines Bil-
dungswesens zurück. "Die gesetzlichen Bestimmungen, unter denen die
höhere Bildung in unserem Vaterland litt, so lange der Kaiser der
Franzosen das Land beherrschte, konnten unter der Regierung unseres
Königs nicht lange geduldet werden. Ein neues Gesetz für den höheren
Unterricht mit dem Geiste unserer niederländischen Volksthümlichkeit
(land aard), dessen Ueberlieferungen (gehedstheid) und alten Gewohn-
heiten übereinstimmend, schien nothwendig und wird in den nördlichen
Provinzen am 2. August 1815 ins Werk gesetzt" (Vorrede zur Samm-
lung der Gesetze und Verordnungen über den höheren Unterricht, mehr-
fach aufgelegt seit 1834). Die Auffassung ist in diesem Gesetz vom
2. August 1815, das gegenwärtig in voller Kraft besteht, höchst be-
zeichnend. Art. 1 lautet: "Unter dem Namen des höheren Unterrichts
(hooger onderwijs) wird derjenige Unterricht verstanden, der zum Zweck
hat, den Schüler nach Ablauf des niederen und mittleren Unterrichts
zu einem gelehrten Stand in der Gesellschaft vorzubereiten."
Die gelehrte Vorbildung selbst zerfällt in zwei große Abtheilungen, die
lateinischen Schulen und die Athenäen. Wir müssen dieß hier besonders
hervorheben, weil unsres Wissens nirgends der Charakter der Athe-
näen gegenüber den Gymnasien so deutlich ausgesprochen ist als in
Holland; denn die lateinischen Schulen sind nicht Untergymnasien,
sondern wahre Gymnasien, indem der Abgang von ihnen zum unmittel-
baren Eintritt in die Universität befähigt (Art. 148 u. 149). Der Lehr-
plan der lateinischen Schulen ist durch ein eigenes, übrigens viel zu
engherziges Reglement vom 20. April 1816 festgestellt, welches sogar
die Lehr- und Lesebücher gesetzlich vorschreibt. Die Athenäen dagegen
(11 Hauptst.) werden in so klarer Weise in ihrer ganzen Stellung
bezeichnet, daß wir uns zur näheren Erklärung unserer oben ausge-
sprochenen Ansicht nicht versagen können, die gesetzliche Bestimmung hier
wörtlich wiederzugeben. Die Aufgabe der Athenäen ist nach Art. 36:
1) "so viel als möglich die allgemeine Verbreitung von Geschmack
und geistiger Bildung (beschauing geleerdheid); 2) die wenigstens
theilweise Vertretung der hohen Schulen und des akademischen Unter-
richts für diejenigen jungen Leute, welche durch die Umstände

letzteren, die letzteren aber hatten neben ihrer Vorbildung für die Uni-
verſität zugleich die allgemeine Bildung zur Aufgabe, jedoch wie noch
jetzt in England mit weſentlicher Beſchränkung auf die claſſiſche Bil-
dung. Mit der Eroberung Hollands durch die Franzoſen wurde nun
das franzöſiſche Syſtem, wenn auch nicht für die Fachbildung, ſo doch
für die Vorbildung eingeführt, trotz der Abneigung der Bevölkerung.
Kaum war nun die franzöſiſche Herrſchaft geſtürzt, ſo griff das hollän-
diſche Volk ſofort wieder auf die germaniſche Grundform ſeines Bil-
dungsweſens zurück. „Die geſetzlichen Beſtimmungen, unter denen die
höhere Bildung in unſerem Vaterland litt, ſo lange der Kaiſer der
Franzoſen das Land beherrſchte, konnten unter der Regierung unſeres
Königs nicht lange geduldet werden. Ein neues Geſetz für den höheren
Unterricht mit dem Geiſte unſerer niederländiſchen Volksthümlichkeit
(land aard), deſſen Ueberlieferungen (gehedstheid) und alten Gewohn-
heiten übereinſtimmend, ſchien nothwendig und wird in den nördlichen
Provinzen am 2. Auguſt 1815 ins Werk geſetzt“ (Vorrede zur Samm-
lung der Geſetze und Verordnungen über den höheren Unterricht, mehr-
fach aufgelegt ſeit 1834). Die Auffaſſung iſt in dieſem Geſetz vom
2. Auguſt 1815, das gegenwärtig in voller Kraft beſteht, höchſt be-
zeichnend. Art. 1 lautet: „Unter dem Namen des höheren Unterrichts
(hooger onderwijs) wird derjenige Unterricht verſtanden, der zum Zweck
hat, den Schüler nach Ablauf des niederen und mittleren Unterrichts
zu einem gelehrten Stand in der Geſellſchaft vorzubereiten.“
Die gelehrte Vorbildung ſelbſt zerfällt in zwei große Abtheilungen, die
lateiniſchen Schulen und die Athenäen. Wir müſſen dieß hier beſonders
hervorheben, weil unſres Wiſſens nirgends der Charakter der Athe-
näen gegenüber den Gymnaſien ſo deutlich ausgeſprochen iſt als in
Holland; denn die lateiniſchen Schulen ſind nicht Untergymnaſien,
ſondern wahre Gymnaſien, indem der Abgang von ihnen zum unmittel-
baren Eintritt in die Univerſität befähigt (Art. 148 u. 149). Der Lehr-
plan der lateiniſchen Schulen iſt durch ein eigenes, übrigens viel zu
engherziges Reglement vom 20. April 1816 feſtgeſtellt, welches ſogar
die Lehr- und Leſebücher geſetzlich vorſchreibt. Die Athenäen dagegen
(11 Hauptſt.) werden in ſo klarer Weiſe in ihrer ganzen Stellung
bezeichnet, daß wir uns zur näheren Erklärung unſerer oben ausge-
ſprochenen Anſicht nicht verſagen können, die geſetzliche Beſtimmung hier
wörtlich wiederzugeben. Die Aufgabe der Athenäen iſt nach Art. 36:
1) „ſo viel als möglich die allgemeine Verbreitung von Geſchmack
und geiſtiger Bildung (beschauing geleerdheid); 2) die wenigſtens
theilweiſe Vertretung der hohen Schulen und des akademiſchen Unter-
richts für diejenigen jungen Leute, welche durch die Umſtände

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[217/0245] letzteren, die letzteren aber hatten neben ihrer Vorbildung für die Uni- verſität zugleich die allgemeine Bildung zur Aufgabe, jedoch wie noch jetzt in England mit weſentlicher Beſchränkung auf die claſſiſche Bil- dung. Mit der Eroberung Hollands durch die Franzoſen wurde nun das franzöſiſche Syſtem, wenn auch nicht für die Fachbildung, ſo doch für die Vorbildung eingeführt, trotz der Abneigung der Bevölkerung. Kaum war nun die franzöſiſche Herrſchaft geſtürzt, ſo griff das hollän- diſche Volk ſofort wieder auf die germaniſche Grundform ſeines Bil- dungsweſens zurück. „Die geſetzlichen Beſtimmungen, unter denen die höhere Bildung in unſerem Vaterland litt, ſo lange der Kaiſer der Franzoſen das Land beherrſchte, konnten unter der Regierung unſeres Königs nicht lange geduldet werden. Ein neues Geſetz für den höheren Unterricht mit dem Geiſte unſerer niederländiſchen Volksthümlichkeit (land aard), deſſen Ueberlieferungen (gehedstheid) und alten Gewohn- heiten übereinſtimmend, ſchien nothwendig und wird in den nördlichen Provinzen am 2. Auguſt 1815 ins Werk geſetzt“ (Vorrede zur Samm- lung der Geſetze und Verordnungen über den höheren Unterricht, mehr- fach aufgelegt ſeit 1834). Die Auffaſſung iſt in dieſem Geſetz vom 2. Auguſt 1815, das gegenwärtig in voller Kraft beſteht, höchſt be- zeichnend. Art. 1 lautet: „Unter dem Namen des höheren Unterrichts (hooger onderwijs) wird derjenige Unterricht verſtanden, der zum Zweck hat, den Schüler nach Ablauf des niederen und mittleren Unterrichts zu einem gelehrten Stand in der Geſellſchaft vorzubereiten.“ Die gelehrte Vorbildung ſelbſt zerfällt in zwei große Abtheilungen, die lateiniſchen Schulen und die Athenäen. Wir müſſen dieß hier beſonders hervorheben, weil unſres Wiſſens nirgends der Charakter der Athe- näen gegenüber den Gymnaſien ſo deutlich ausgeſprochen iſt als in Holland; denn die lateiniſchen Schulen ſind nicht Untergymnaſien, ſondern wahre Gymnaſien, indem der Abgang von ihnen zum unmittel- baren Eintritt in die Univerſität befähigt (Art. 148 u. 149). Der Lehr- plan der lateiniſchen Schulen iſt durch ein eigenes, übrigens viel zu engherziges Reglement vom 20. April 1816 feſtgeſtellt, welches ſogar die Lehr- und Leſebücher geſetzlich vorſchreibt. Die Athenäen dagegen (11 Hauptſt.) werden in ſo klarer Weiſe in ihrer ganzen Stellung bezeichnet, daß wir uns zur näheren Erklärung unſerer oben ausge- ſprochenen Anſicht nicht verſagen können, die geſetzliche Beſtimmung hier wörtlich wiederzugeben. Die Aufgabe der Athenäen iſt nach Art. 36: 1) „ſo viel als möglich die allgemeine Verbreitung von Geſchmack und geiſtiger Bildung (beschauing geleerdheid); 2) die wenigſtens theilweiſe Vertretung der hohen Schulen und des akademiſchen Unter- richts für diejenigen jungen Leute, welche durch die Umſtände

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/245>, abgerufen am 26.04.2024.