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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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das wir somit das bürgerliche nennen. Die Grundlagen dieses Systems
sind wie fast allenthalben in England, die Vereine und die Privat-
unternehmung
. Die Unterstützung des Staats, damit aber auch seine
Oberaufsicht, sind grundsätzlich ausgeschlossen. Forderungen mit Leistun-
gen an jenes Bildungssystem gehen daher rein aus den Anforderungen
des gesellschaftlichen Lebens hervor; und das, was auf diese Weise hier
entstanden ist, ist daher um so interessanter, als es uns zeigt, was
auch ohne Zuthun einer rationellen amtlichen Schulverwaltung die
freie Gesellschaft zu schaffen vermag.

Die beiden charakteristischen Elemente dieses Schulsystems sind nun
einerseits die Verbindung der wirthschaftlichen Vorbildung mit der
wissenschaftlichen und das Auftreten des Gewerbeschulwesens, worin
das freie englische Bildungswesen sich dem kontinentalen fast gleichstellt,
und der gänzliche Mangel der wirthschaftlichen Fachschulen, so wie der
eines öffentlichen Prüfungssystems, wodurch es sich von dem letzteren
unterscheidet. Eine genaue Kenntniß dessen, was hier geschieht,
fehlt, weil die Regierung nichts mit dem Ganzen zu thun hat, und
die Statistik eine sehr unvollständige ist. Daher ist es auch ganz unthunlich,
zu bestimmen, wie weit die allgemeinen Sätze im Einzelnen zutreffen.
Jede Schule ist ein Unternehmen für sich und bestimmt ihren eigenen
Lehrgang. Von einer öffentlichen Lehrerbildung ist keine Rede, keine
Rede von einer gesetzlichen Gymnasialordnung, oder von irgend einer
Verpflichtung der Gemeinden, oder von einer gemeinschaftlichen Leitung.
Wir stehen auf einem Gebiete, wo rein die Natur der Sache wirkt;
und um so interessanter wäre es zu sehen, was sie für und durch sich
selber zu regieren vermag.

Wir können nun dieß Bildungswesen in drei große Gruppen eintheilen.

Die erste ist die freie Form der ständischen Colleges, die durch
Vereine gegründet und nach dem Muster der letzteren eingerichtet sind.
Sie sind daher eigentliche Gymnasien und die großen Rivalen der alten
Colleges; daß sie mit ihnen den gleichen Namen führen, beruht auf
dem gleichen Bildungssystem. In der That werden Eintheilung und
Thätigkeit beider Arten immer gleichförmiger, und es ist kein Zweifel,
daß sich hier ein vollständiges Gymnasialsystem ganz in der Weise
herausbildet, wie es in Deutschland besteht. Diese neueren Colleges
theilen sich in zwei Gruppen, die Kings Colleges, die von der high
church
gegründet sind, und die University Colleges, die von den
Dissenters ausgehen, indem sie das kirchliche Element bei Seite lassen.

Der Angabe nach sollen mehrere dieser Colleges auch in ähnlicher
Weise wie unsere Realgymnasien organisirt sein. Doch selbst Schöll
hat nichts Näheres darüber.

das wir ſomit das bürgerliche nennen. Die Grundlagen dieſes Syſtems
ſind wie faſt allenthalben in England, die Vereine und die Privat-
unternehmung
. Die Unterſtützung des Staats, damit aber auch ſeine
Oberaufſicht, ſind grundſätzlich ausgeſchloſſen. Forderungen mit Leiſtun-
gen an jenes Bildungsſyſtem gehen daher rein aus den Anforderungen
des geſellſchaftlichen Lebens hervor; und das, was auf dieſe Weiſe hier
entſtanden iſt, iſt daher um ſo intereſſanter, als es uns zeigt, was
auch ohne Zuthun einer rationellen amtlichen Schulverwaltung die
freie Geſellſchaft zu ſchaffen vermag.

Die beiden charakteriſtiſchen Elemente dieſes Schulſyſtems ſind nun
einerſeits die Verbindung der wirthſchaftlichen Vorbildung mit der
wiſſenſchaftlichen und das Auftreten des Gewerbeſchulweſens, worin
das freie engliſche Bildungsweſen ſich dem kontinentalen faſt gleichſtellt,
und der gänzliche Mangel der wirthſchaftlichen Fachſchulen, ſo wie der
eines öffentlichen Prüfungsſyſtems, wodurch es ſich von dem letzteren
unterſcheidet. Eine genaue Kenntniß deſſen, was hier geſchieht,
fehlt, weil die Regierung nichts mit dem Ganzen zu thun hat, und
die Statiſtik eine ſehr unvollſtändige iſt. Daher iſt es auch ganz unthunlich,
zu beſtimmen, wie weit die allgemeinen Sätze im Einzelnen zutreffen.
Jede Schule iſt ein Unternehmen für ſich und beſtimmt ihren eigenen
Lehrgang. Von einer öffentlichen Lehrerbildung iſt keine Rede, keine
Rede von einer geſetzlichen Gymnaſialordnung, oder von irgend einer
Verpflichtung der Gemeinden, oder von einer gemeinſchaftlichen Leitung.
Wir ſtehen auf einem Gebiete, wo rein die Natur der Sache wirkt;
und um ſo intereſſanter wäre es zu ſehen, was ſie für und durch ſich
ſelber zu regieren vermag.

Wir können nun dieß Bildungsweſen in drei große Gruppen eintheilen.

Die erſte iſt die freie Form der ſtändiſchen Colleges, die durch
Vereine gegründet und nach dem Muſter der letzteren eingerichtet ſind.
Sie ſind daher eigentliche Gymnaſien und die großen Rivalen der alten
Colleges; daß ſie mit ihnen den gleichen Namen führen, beruht auf
dem gleichen Bildungsſyſtem. In der That werden Eintheilung und
Thätigkeit beider Arten immer gleichförmiger, und es iſt kein Zweifel,
daß ſich hier ein vollſtändiges Gymnaſialſyſtem ganz in der Weiſe
herausbildet, wie es in Deutſchland beſteht. Dieſe neueren Colleges
theilen ſich in zwei Gruppen, die Kings Colleges, die von der high
church
gegründet ſind, und die University Colleges, die von den
Diſſenters ausgehen, indem ſie das kirchliche Element bei Seite laſſen.

Der Angabe nach ſollen mehrere dieſer Colleges auch in ähnlicher
Weiſe wie unſere Realgymnaſien organiſirt ſein. Doch ſelbſt Schöll
hat nichts Näheres darüber.

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[332/0360] das wir ſomit das bürgerliche nennen. Die Grundlagen dieſes Syſtems ſind wie faſt allenthalben in England, die Vereine und die Privat- unternehmung. Die Unterſtützung des Staats, damit aber auch ſeine Oberaufſicht, ſind grundſätzlich ausgeſchloſſen. Forderungen mit Leiſtun- gen an jenes Bildungsſyſtem gehen daher rein aus den Anforderungen des geſellſchaftlichen Lebens hervor; und das, was auf dieſe Weiſe hier entſtanden iſt, iſt daher um ſo intereſſanter, als es uns zeigt, was auch ohne Zuthun einer rationellen amtlichen Schulverwaltung die freie Geſellſchaft zu ſchaffen vermag. Die beiden charakteriſtiſchen Elemente dieſes Schulſyſtems ſind nun einerſeits die Verbindung der wirthſchaftlichen Vorbildung mit der wiſſenſchaftlichen und das Auftreten des Gewerbeſchulweſens, worin das freie engliſche Bildungsweſen ſich dem kontinentalen faſt gleichſtellt, und der gänzliche Mangel der wirthſchaftlichen Fachſchulen, ſo wie der eines öffentlichen Prüfungsſyſtems, wodurch es ſich von dem letzteren unterſcheidet. Eine genaue Kenntniß deſſen, was hier geſchieht, fehlt, weil die Regierung nichts mit dem Ganzen zu thun hat, und die Statiſtik eine ſehr unvollſtändige iſt. Daher iſt es auch ganz unthunlich, zu beſtimmen, wie weit die allgemeinen Sätze im Einzelnen zutreffen. Jede Schule iſt ein Unternehmen für ſich und beſtimmt ihren eigenen Lehrgang. Von einer öffentlichen Lehrerbildung iſt keine Rede, keine Rede von einer geſetzlichen Gymnaſialordnung, oder von irgend einer Verpflichtung der Gemeinden, oder von einer gemeinſchaftlichen Leitung. Wir ſtehen auf einem Gebiete, wo rein die Natur der Sache wirkt; und um ſo intereſſanter wäre es zu ſehen, was ſie für und durch ſich ſelber zu regieren vermag. Wir können nun dieß Bildungsweſen in drei große Gruppen eintheilen. Die erſte iſt die freie Form der ſtändiſchen Colleges, die durch Vereine gegründet und nach dem Muſter der letzteren eingerichtet ſind. Sie ſind daher eigentliche Gymnaſien und die großen Rivalen der alten Colleges; daß ſie mit ihnen den gleichen Namen führen, beruht auf dem gleichen Bildungsſyſtem. In der That werden Eintheilung und Thätigkeit beider Arten immer gleichförmiger, und es iſt kein Zweifel, daß ſich hier ein vollſtändiges Gymnaſialſyſtem ganz in der Weiſe herausbildet, wie es in Deutſchland beſteht. Dieſe neueren Colleges theilen ſich in zwei Gruppen, die Kings Colleges, die von der high church gegründet ſind, und die University Colleges, die von den Diſſenters ausgehen, indem ſie das kirchliche Element bei Seite laſſen. Der Angabe nach ſollen mehrere dieſer Colleges auch in ähnlicher Weiſe wie unſere Realgymnaſien organiſirt ſein. Doch ſelbſt Schöll hat nichts Näheres darüber.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/360>, abgerufen am 26.04.2024.