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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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wahrlich bis jetzt auch noch an einer selbständig wirkenden und mehr
als formell daseienden Behörde fehlt. Die Grundzüge des ganzen
Systems ist die Unterscheidung in den Volks-, den mittelbaren und
den höheren Unterricht, die entweder öffentlich oder privatim abgehalten
werden können. Der Volksunterricht beruht auf den Elementar-
schulen in Stadt und Land, mit (beabsichtigten) besonderen Mädchen-
schulen; Schulpflicht unter Verantwortlichkeit der Eltern und Vormünder
von 8--12 Jahren; Lehrmittel gibt der Staat, Schulhaus und Heizung
die Gemeinde; jede Gemeinde hat die Pflicht, wenigstens eine Schule
zu haben; Prüfungen öffentlich und halbjährlich. Der mittlere
Unterricht ist in das System der Gymnasien und Lyceen einerseits
und das der Realschulwesen andererseits geschieden. Die Gymnasien
haben 4, die Lyceen 7 Klassen, mit Inspection nach französischem
Muster, und Abgangszeugnissen ("Diplomen"), Semestralprüfungen,
und sehr vielen Lehrgegenständen; neben den alten Sprachen auch
deutsch, italienisch, französisch und sogar Nationalökonomie, so daß
sie den Charakter von Vorbildungsanstalten nur noch in geringem
Maße haben und vielfach als Berufsbildungsanstalten gelten dürfen.
Das Realschulsystem ist daneben nicht recht klar geworden; die
Realschulen erscheinen vorzugsweise als Privatunternehmungen mit staat-
licher Unterstützung. Sie gehen mindestens direkt in wirthschaftliche Be-
rufsbildungsanstalten über als Agrikultur-, Industrie- und Handels-
schulen, ohne bestimmte Gränze. Für die Lehrerbildung sind eigene
Seminarien errichtet, werden vom Staate unterhalten und haben für
die Volksschullehrer 4, für die Mittelschulen 7 Klassen, mit Abgangs-
prüfungen. Die wissenschaftliche Berufsbildung beruht auf den vier
Fakultäten, die aber selbständig stehen und Diplome verleihen; neben
ihnen ist die wirthschaftliche Berufsbildung in den Ingenieur- und
Forstschulen vertreten. Das Gesetz ordnet dann im II. Abschnitt die Ver-
waltung
, an deren Spitze der Unterrichtsminister steht, dem ein Unter-
richtsrath in doppelter Form beigegeben ist, ein dauernder, und der
jährlich nur einmal zusammentretende General-Unterrichtsrath. Jeder
Theil des Unterrichtswesens hat dann wieder seine Specialverwaltung;
Grundsatz für die Volksschule ist die Verwaltung durch die Gemeinde,
unter Aufsicht des Staats, für die Mittelschule und die Fakultäten die
Verwaltung durch den Lehrkörper. Bei allen Mängeln ist dieß Gesetz
im Ganzen als ein höchst bedeutsamer Fortschritt zu betrachten, und
wenn es nur unter den gegebenen Bestimmungen auch wirklich ins
Leben treten kann, so wird es gewiß höchst heilsam wirken. Aber frei-
lich wird eben die Ausführung die wahre Schwierigkeit enthalten.


wahrlich bis jetzt auch noch an einer ſelbſtändig wirkenden und mehr
als formell daſeienden Behörde fehlt. Die Grundzüge des ganzen
Syſtems iſt die Unterſcheidung in den Volks-, den mittelbaren und
den höheren Unterricht, die entweder öffentlich oder privatim abgehalten
werden können. Der Volksunterricht beruht auf den Elementar-
ſchulen in Stadt und Land, mit (beabſichtigten) beſonderen Mädchen-
ſchulen; Schulpflicht unter Verantwortlichkeit der Eltern und Vormünder
von 8—12 Jahren; Lehrmittel gibt der Staat, Schulhaus und Heizung
die Gemeinde; jede Gemeinde hat die Pflicht, wenigſtens eine Schule
zu haben; Prüfungen öffentlich und halbjährlich. Der mittlere
Unterricht iſt in das Syſtem der Gymnaſien und Lyceen einerſeits
und das der Realſchulweſen andererſeits geſchieden. Die Gymnaſien
haben 4, die Lyceen 7 Klaſſen, mit Inſpection nach franzöſiſchem
Muſter, und Abgangszeugniſſen („Diplomen“), Semeſtralprüfungen,
und ſehr vielen Lehrgegenſtänden; neben den alten Sprachen auch
deutſch, italieniſch, franzöſiſch und ſogar Nationalökonomie, ſo daß
ſie den Charakter von Vorbildungsanſtalten nur noch in geringem
Maße haben und vielfach als Berufsbildungsanſtalten gelten dürfen.
Das Realſchulſyſtem iſt daneben nicht recht klar geworden; die
Realſchulen erſcheinen vorzugsweiſe als Privatunternehmungen mit ſtaat-
licher Unterſtützung. Sie gehen mindeſtens direkt in wirthſchaftliche Be-
rufsbildungsanſtalten über als Agrikultur-, Induſtrie- und Handels-
ſchulen, ohne beſtimmte Gränze. Für die Lehrerbildung ſind eigene
Seminarien errichtet, werden vom Staate unterhalten und haben für
die Volksſchullehrer 4, für die Mittelſchulen 7 Klaſſen, mit Abgangs-
prüfungen. Die wiſſenſchaftliche Berufsbildung beruht auf den vier
Fakultäten, die aber ſelbſtändig ſtehen und Diplome verleihen; neben
ihnen iſt die wirthſchaftliche Berufsbildung in den Ingenieur- und
Forſtſchulen vertreten. Das Geſetz ordnet dann im II. Abſchnitt die Ver-
waltung
, an deren Spitze der Unterrichtsminiſter ſteht, dem ein Unter-
richtsrath in doppelter Form beigegeben iſt, ein dauernder, und der
jährlich nur einmal zuſammentretende General-Unterrichtsrath. Jeder
Theil des Unterrichtsweſens hat dann wieder ſeine Specialverwaltung;
Grundſatz für die Volksſchule iſt die Verwaltung durch die Gemeinde,
unter Aufſicht des Staats, für die Mittelſchule und die Fakultäten die
Verwaltung durch den Lehrkörper. Bei allen Mängeln iſt dieß Geſetz
im Ganzen als ein höchſt bedeutſamer Fortſchritt zu betrachten, und
wenn es nur unter den gegebenen Beſtimmungen auch wirklich ins
Leben treten kann, ſo wird es gewiß höchſt heilſam wirken. Aber frei-
lich wird eben die Ausführung die wahre Schwierigkeit enthalten.


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[66/0094] wahrlich bis jetzt auch noch an einer ſelbſtändig wirkenden und mehr als formell daſeienden Behörde fehlt. Die Grundzüge des ganzen Syſtems iſt die Unterſcheidung in den Volks-, den mittelbaren und den höheren Unterricht, die entweder öffentlich oder privatim abgehalten werden können. Der Volksunterricht beruht auf den Elementar- ſchulen in Stadt und Land, mit (beabſichtigten) beſonderen Mädchen- ſchulen; Schulpflicht unter Verantwortlichkeit der Eltern und Vormünder von 8—12 Jahren; Lehrmittel gibt der Staat, Schulhaus und Heizung die Gemeinde; jede Gemeinde hat die Pflicht, wenigſtens eine Schule zu haben; Prüfungen öffentlich und halbjährlich. Der mittlere Unterricht iſt in das Syſtem der Gymnaſien und Lyceen einerſeits und das der Realſchulweſen andererſeits geſchieden. Die Gymnaſien haben 4, die Lyceen 7 Klaſſen, mit Inſpection nach franzöſiſchem Muſter, und Abgangszeugniſſen („Diplomen“), Semeſtralprüfungen, und ſehr vielen Lehrgegenſtänden; neben den alten Sprachen auch deutſch, italieniſch, franzöſiſch und ſogar Nationalökonomie, ſo daß ſie den Charakter von Vorbildungsanſtalten nur noch in geringem Maße haben und vielfach als Berufsbildungsanſtalten gelten dürfen. Das Realſchulſyſtem iſt daneben nicht recht klar geworden; die Realſchulen erſcheinen vorzugsweiſe als Privatunternehmungen mit ſtaat- licher Unterſtützung. Sie gehen mindeſtens direkt in wirthſchaftliche Be- rufsbildungsanſtalten über als Agrikultur-, Induſtrie- und Handels- ſchulen, ohne beſtimmte Gränze. Für die Lehrerbildung ſind eigene Seminarien errichtet, werden vom Staate unterhalten und haben für die Volksſchullehrer 4, für die Mittelſchulen 7 Klaſſen, mit Abgangs- prüfungen. Die wiſſenſchaftliche Berufsbildung beruht auf den vier Fakultäten, die aber ſelbſtändig ſtehen und Diplome verleihen; neben ihnen iſt die wirthſchaftliche Berufsbildung in den Ingenieur- und Forſtſchulen vertreten. Das Geſetz ordnet dann im II. Abſchnitt die Ver- waltung, an deren Spitze der Unterrichtsminiſter ſteht, dem ein Unter- richtsrath in doppelter Form beigegeben iſt, ein dauernder, und der jährlich nur einmal zuſammentretende General-Unterrichtsrath. Jeder Theil des Unterrichtsweſens hat dann wieder ſeine Specialverwaltung; Grundſatz für die Volksſchule iſt die Verwaltung durch die Gemeinde, unter Aufſicht des Staats, für die Mittelſchule und die Fakultäten die Verwaltung durch den Lehrkörper. Bei allen Mängeln iſt dieß Geſetz im Ganzen als ein höchſt bedeutſamer Fortſchritt zu betrachten, und wenn es nur unter den gegebenen Beſtimmungen auch wirklich ins Leben treten kann, ſo wird es gewiß höchſt heilſam wirken. Aber frei- lich wird eben die Ausführung die wahre Schwierigkeit enthalten.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/94>, abgerufen am 26.04.2024.