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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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wollte: "Die Erlaubniß, über alles Oeffentliche seine Meinung zu
sagen und die Mängel der Staatsverfassung und der Gesetzgebung
ins hellste Licht zu setzen" (Jacob, Polizeiwissenschaft Bd. I. S. 322).
Die Auffassung der Preßfreiheit war daher auch jetzt noch mannigfach
beschränkt; man dachte sich dieselbe hauptsächlich als Mittel gegen "Miß-
bräuche" (Mohl, Polizeiwissenschaft Bd. I. S. 126). Wie lächerlich die
Censur werden kann, zeigte in concretester Weise Wiesner a. a. O.;
ja es wurden sogar Möbelstoffe und Cattune der Censur unterzogen
(S. 382). Es war aber das Ganze bereits im Absterben begriffen.

d) Das Repressivsystem.

Man kann im Allgemeinen sagen, daß das Verständniß des-
jenigen Systems, welches man nicht ohne Grund das Repressivsystem
genannt hat, das Kriterium für die Klarheit über das ganze Preßrecht
bildet. Auch hier aber zeigt es sich, daß überhaupt das Preßrecht ohne
sein natürliches Corollarium, die Volksvertretung und ihr Recht, gar
nicht erklärt werden kann. Eben in diesem Sinne bildet das Preßrecht
auch hier einen so wesentlichen Theil der inneren Geschichte der Staaten.

Als die Revolutionen des Jahres 1848 eintraten, schien auf den
ersten Blick eine große Thatsache festgestellt. Es war die des Rechts
der Volksvertretungen im weitesten Sinne des Wortes. War durch
seine Vertreter das Volk einmal in voller Ausübung seiner Rechte,
so war es natürlich, daß seine politischen Anschauungen, Wünsche und
Kämpfe wie auch eben durch diese Vertretungen zur Geltung kommen
mußten. Geschah das, so folgte der entscheidende Satz, daß nunmehr
auch die Presse gegenüber dem in der Gesammtheit seiner Vertreter
auftretenden Volke erst in zweiter Reihe zur Geltung kommen könnte.
Daraus aber folgte, daß es gar keinen vernünftigen Grund mehr haben
konnte, auf das eigentlich wirkende Element der Presse, den Geist oder
die Tendenz derselben, einen bestimmenden Einfluß zu nehmen; ja ein
solcher wäre geradezu ein Widerspruch mit dem großen Grundprincip
der Verfassungsmäßigkeit gewesen. Dazu kam dann der Haß, ja die
Verachtung gegen das Präventivsystem. Beides zusammenwirkend er-
zeugte daher in Frankreich wie in Deutschland im ersten Augenblick die
Forderung der unbedingten Preßfreiheit. Der Sinn derselben war
die Beiseitigung nicht bloß der Maßregeln der Polizei gegen den Geist
der Presse, sondern der preßpolizeilichen Maßregeln überhaupt: "Die
Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch
vorbeugende Maßregeln, namentlich Censur, Concessionen, Sicherheits-
bestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des

wollte: „Die Erlaubniß, über alles Oeffentliche ſeine Meinung zu
ſagen und die Mängel der Staatsverfaſſung und der Geſetzgebung
ins hellſte Licht zu ſetzen“ (Jacob, Polizeiwiſſenſchaft Bd. I. S. 322).
Die Auffaſſung der Preßfreiheit war daher auch jetzt noch mannigfach
beſchränkt; man dachte ſich dieſelbe hauptſächlich als Mittel gegen „Miß-
bräuche“ (Mohl, Polizeiwiſſenſchaft Bd. I. S. 126). Wie lächerlich die
Cenſur werden kann, zeigte in concreteſter Weiſe Wiesner a. a. O.;
ja es wurden ſogar Möbelſtoffe und Cattune der Cenſur unterzogen
(S. 382). Es war aber das Ganze bereits im Abſterben begriffen.

d) Das Repreſſivſyſtem.

Man kann im Allgemeinen ſagen, daß das Verſtändniß des-
jenigen Syſtems, welches man nicht ohne Grund das Repreſſivſyſtem
genannt hat, das Kriterium für die Klarheit über das ganze Preßrecht
bildet. Auch hier aber zeigt es ſich, daß überhaupt das Preßrecht ohne
ſein natürliches Corollarium, die Volksvertretung und ihr Recht, gar
nicht erklärt werden kann. Eben in dieſem Sinne bildet das Preßrecht
auch hier einen ſo weſentlichen Theil der inneren Geſchichte der Staaten.

Als die Revolutionen des Jahres 1848 eintraten, ſchien auf den
erſten Blick eine große Thatſache feſtgeſtellt. Es war die des Rechts
der Volksvertretungen im weiteſten Sinne des Wortes. War durch
ſeine Vertreter das Volk einmal in voller Ausübung ſeiner Rechte,
ſo war es natürlich, daß ſeine politiſchen Anſchauungen, Wünſche und
Kämpfe wie auch eben durch dieſe Vertretungen zur Geltung kommen
mußten. Geſchah das, ſo folgte der entſcheidende Satz, daß nunmehr
auch die Preſſe gegenüber dem in der Geſammtheit ſeiner Vertreter
auftretenden Volke erſt in zweiter Reihe zur Geltung kommen könnte.
Daraus aber folgte, daß es gar keinen vernünftigen Grund mehr haben
konnte, auf das eigentlich wirkende Element der Preſſe, den Geiſt oder
die Tendenz derſelben, einen beſtimmenden Einfluß zu nehmen; ja ein
ſolcher wäre geradezu ein Widerſpruch mit dem großen Grundprincip
der Verfaſſungsmäßigkeit geweſen. Dazu kam dann der Haß, ja die
Verachtung gegen das Präventivſyſtem. Beides zuſammenwirkend er-
zeugte daher in Frankreich wie in Deutſchland im erſten Augenblick die
Forderung der unbedingten Preßfreiheit. Der Sinn derſelben war
die Beiſeitigung nicht bloß der Maßregeln der Polizei gegen den Geiſt
der Preſſe, ſondern der preßpolizeilichen Maßregeln überhaupt: „Die
Preßfreiheit darf unter keinen Umſtänden und in keiner Weiſe durch
vorbeugende Maßregeln, namentlich Cenſur, Conceſſionen, Sicherheits-
beſtellungen, Staatsauflagen, Beſchränkungen der Druckereien oder des

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[109/0125] wollte: „Die Erlaubniß, über alles Oeffentliche ſeine Meinung zu ſagen und die Mängel der Staatsverfaſſung und der Geſetzgebung ins hellſte Licht zu ſetzen“ (Jacob, Polizeiwiſſenſchaft Bd. I. S. 322). Die Auffaſſung der Preßfreiheit war daher auch jetzt noch mannigfach beſchränkt; man dachte ſich dieſelbe hauptſächlich als Mittel gegen „Miß- bräuche“ (Mohl, Polizeiwiſſenſchaft Bd. I. S. 126). Wie lächerlich die Cenſur werden kann, zeigte in concreteſter Weiſe Wiesner a. a. O.; ja es wurden ſogar Möbelſtoffe und Cattune der Cenſur unterzogen (S. 382). Es war aber das Ganze bereits im Abſterben begriffen. d) Das Repreſſivſyſtem. Man kann im Allgemeinen ſagen, daß das Verſtändniß des- jenigen Syſtems, welches man nicht ohne Grund das Repreſſivſyſtem genannt hat, das Kriterium für die Klarheit über das ganze Preßrecht bildet. Auch hier aber zeigt es ſich, daß überhaupt das Preßrecht ohne ſein natürliches Corollarium, die Volksvertretung und ihr Recht, gar nicht erklärt werden kann. Eben in dieſem Sinne bildet das Preßrecht auch hier einen ſo weſentlichen Theil der inneren Geſchichte der Staaten. Als die Revolutionen des Jahres 1848 eintraten, ſchien auf den erſten Blick eine große Thatſache feſtgeſtellt. Es war die des Rechts der Volksvertretungen im weiteſten Sinne des Wortes. War durch ſeine Vertreter das Volk einmal in voller Ausübung ſeiner Rechte, ſo war es natürlich, daß ſeine politiſchen Anſchauungen, Wünſche und Kämpfe wie auch eben durch dieſe Vertretungen zur Geltung kommen mußten. Geſchah das, ſo folgte der entſcheidende Satz, daß nunmehr auch die Preſſe gegenüber dem in der Geſammtheit ſeiner Vertreter auftretenden Volke erſt in zweiter Reihe zur Geltung kommen könnte. Daraus aber folgte, daß es gar keinen vernünftigen Grund mehr haben konnte, auf das eigentlich wirkende Element der Preſſe, den Geiſt oder die Tendenz derſelben, einen beſtimmenden Einfluß zu nehmen; ja ein ſolcher wäre geradezu ein Widerſpruch mit dem großen Grundprincip der Verfaſſungsmäßigkeit geweſen. Dazu kam dann der Haß, ja die Verachtung gegen das Präventivſyſtem. Beides zuſammenwirkend er- zeugte daher in Frankreich wie in Deutſchland im erſten Augenblick die Forderung der unbedingten Preßfreiheit. Der Sinn derſelben war die Beiſeitigung nicht bloß der Maßregeln der Polizei gegen den Geiſt der Preſſe, ſondern der preßpolizeilichen Maßregeln überhaupt: „Die Preßfreiheit darf unter keinen Umſtänden und in keiner Weiſe durch vorbeugende Maßregeln, namentlich Cenſur, Conceſſionen, Sicherheits- beſtellungen, Staatsauflagen, Beſchränkungen der Druckereien oder des

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/125>, abgerufen am 26.04.2024.