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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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eignung aufgehoben werden können. Zweitens haftet das betreffende
Organ dafür, daß das Unterlassen des Enteignungsverfahrens wirklich
durch die Noth und nicht durch Willkür geschehen ist; es darf stets
nur so viel von dem erstern bei Seite gelassen werden, als nach Art
und Größe der Gefahr nicht zur Anwendung gelangen konnte. Drittens
findet gegen jedes solches Verfahren allerdings auch Beschwerde statt;
allein dieselbe kann natürlich keinen Suspensiveffekt haben. Es ist dabei
viertens Sache der Behörde, die zum öffentlichen Gebrauch in Anspruch
genommenen Güter zu bestimmen, ohne daß vorher ein Plan vorgelegt
wäre (man denke nur an Niederreißen von Häusern beim Feuer, bei
Gefechten u. s. w.), allein sie hat zugleich die Verpflichtung, wo mög-
lich vorher oder gleichzeitig, jedenfalls aber nachher ein genaues Ver-
zeichniß der enteigneten Güter aufzustellen, und bei diesem Verzeichniß
muß der Enteignete das Recht haben, in zweifelhaften Fällen gericht-
lichen Beweis herzustellen. Was die Militärverwaltung dabei weiter
zu thun hätte, ist uns trotz Thiel nicht einleuchtend geworden. Ueber
das Organ, welches die (Gebrauchs-) Enteignung verfügt, läßt sich gar
nichts weiter sagen; es ist nur festzuhalten, daß das militärische Recht
hier keine besondere Bestimmungen fordert. Eben so wenig sehen wir
einen wesentlichen Unterschied in den beiden von Thiel (S. 176) auf-
gestellten Gruppen. Daß der französische Gedanke eines gerichtlichen
Urtheils in allen Nothfällen ohnehin gänzlich unpraktisch ist, liegt auf
der Hand. Im Gegentheil muß man sagen, daß allenthalben, wo ein
solches noch möglich ist, der Beweis geliefert ist, daß für das regel-
mäßige Verfahren Zeit genug, und also keine Noth, mithin auch kein
Staatsnothrecht vorhanden war.

2) Die Entschädigung des Staatsnothrechts.

Das Eigenthümliche für das Entschädigungsverfahren des Staats-
nothrechts besteht nun einfach darin, daß dasselbe nicht auf einer
Schätzung des Gutes beruht, sondern in einer Schätzung auf Grund-
lage eines, von dem Enteigneten zu führenden Beweises über die
Güter oder Nutzungen, welche durch die Nothenteignung entzogen wer-
den, bestehen muß. Es ist nämlich gar kein Grund vorhanden,
andere Grundsätze für das Entschädigungsverfahren beim Staatsnoth-
recht als bei der eigentlichen Enteignung zu fordern; nur auf dem
einzigen Punkte ist die Gleichheit nicht möglich, und das ist der, daß
die Schätzleute das Gut nicht vor der Enteignung zu schätzen Zeit
finden. Im Staatsnothrecht tritt daher die Nothwendigkeit ein, die
Identität und etwa die Eigenschaften des enteigneten Gutes nach-

eignung aufgehoben werden können. Zweitens haftet das betreffende
Organ dafür, daß das Unterlaſſen des Enteignungsverfahrens wirklich
durch die Noth und nicht durch Willkür geſchehen iſt; es darf ſtets
nur ſo viel von dem erſtern bei Seite gelaſſen werden, als nach Art
und Größe der Gefahr nicht zur Anwendung gelangen konnte. Drittens
findet gegen jedes ſolches Verfahren allerdings auch Beſchwerde ſtatt;
allein dieſelbe kann natürlich keinen Suſpenſiveffekt haben. Es iſt dabei
viertens Sache der Behörde, die zum öffentlichen Gebrauch in Anſpruch
genommenen Güter zu beſtimmen, ohne daß vorher ein Plan vorgelegt
wäre (man denke nur an Niederreißen von Häuſern beim Feuer, bei
Gefechten u. ſ. w.), allein ſie hat zugleich die Verpflichtung, wo mög-
lich vorher oder gleichzeitig, jedenfalls aber nachher ein genaues Ver-
zeichniß der enteigneten Güter aufzuſtellen, und bei dieſem Verzeichniß
muß der Enteignete das Recht haben, in zweifelhaften Fällen gericht-
lichen Beweis herzuſtellen. Was die Militärverwaltung dabei weiter
zu thun hätte, iſt uns trotz Thiel nicht einleuchtend geworden. Ueber
das Organ, welches die (Gebrauchs-) Enteignung verfügt, läßt ſich gar
nichts weiter ſagen; es iſt nur feſtzuhalten, daß das militäriſche Recht
hier keine beſondere Beſtimmungen fordert. Eben ſo wenig ſehen wir
einen weſentlichen Unterſchied in den beiden von Thiel (S. 176) auf-
geſtellten Gruppen. Daß der franzöſiſche Gedanke eines gerichtlichen
Urtheils in allen Nothfällen ohnehin gänzlich unpraktiſch iſt, liegt auf
der Hand. Im Gegentheil muß man ſagen, daß allenthalben, wo ein
ſolches noch möglich iſt, der Beweis geliefert iſt, daß für das regel-
mäßige Verfahren Zeit genug, und alſo keine Noth, mithin auch kein
Staatsnothrecht vorhanden war.

2) Die Entſchädigung des Staatsnothrechts.

Das Eigenthümliche für das Entſchädigungsverfahren des Staats-
nothrechts beſteht nun einfach darin, daß daſſelbe nicht auf einer
Schätzung des Gutes beruht, ſondern in einer Schätzung auf Grund-
lage eines, von dem Enteigneten zu führenden Beweiſes über die
Güter oder Nutzungen, welche durch die Nothenteignung entzogen wer-
den, beſtehen muß. Es iſt nämlich gar kein Grund vorhanden,
andere Grundſätze für das Entſchädigungsverfahren beim Staatsnoth-
recht als bei der eigentlichen Enteignung zu fordern; nur auf dem
einzigen Punkte iſt die Gleichheit nicht möglich, und das iſt der, daß
die Schätzleute das Gut nicht vor der Enteignung zu ſchätzen Zeit
finden. Im Staatsnothrecht tritt daher die Nothwendigkeit ein, die
Identität und etwa die Eigenſchaften des enteigneten Gutes nach-

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[347/0365] eignung aufgehoben werden können. Zweitens haftet das betreffende Organ dafür, daß das Unterlaſſen des Enteignungsverfahrens wirklich durch die Noth und nicht durch Willkür geſchehen iſt; es darf ſtets nur ſo viel von dem erſtern bei Seite gelaſſen werden, als nach Art und Größe der Gefahr nicht zur Anwendung gelangen konnte. Drittens findet gegen jedes ſolches Verfahren allerdings auch Beſchwerde ſtatt; allein dieſelbe kann natürlich keinen Suſpenſiveffekt haben. Es iſt dabei viertens Sache der Behörde, die zum öffentlichen Gebrauch in Anſpruch genommenen Güter zu beſtimmen, ohne daß vorher ein Plan vorgelegt wäre (man denke nur an Niederreißen von Häuſern beim Feuer, bei Gefechten u. ſ. w.), allein ſie hat zugleich die Verpflichtung, wo mög- lich vorher oder gleichzeitig, jedenfalls aber nachher ein genaues Ver- zeichniß der enteigneten Güter aufzuſtellen, und bei dieſem Verzeichniß muß der Enteignete das Recht haben, in zweifelhaften Fällen gericht- lichen Beweis herzuſtellen. Was die Militärverwaltung dabei weiter zu thun hätte, iſt uns trotz Thiel nicht einleuchtend geworden. Ueber das Organ, welches die (Gebrauchs-) Enteignung verfügt, läßt ſich gar nichts weiter ſagen; es iſt nur feſtzuhalten, daß das militäriſche Recht hier keine beſondere Beſtimmungen fordert. Eben ſo wenig ſehen wir einen weſentlichen Unterſchied in den beiden von Thiel (S. 176) auf- geſtellten Gruppen. Daß der franzöſiſche Gedanke eines gerichtlichen Urtheils in allen Nothfällen ohnehin gänzlich unpraktiſch iſt, liegt auf der Hand. Im Gegentheil muß man ſagen, daß allenthalben, wo ein ſolches noch möglich iſt, der Beweis geliefert iſt, daß für das regel- mäßige Verfahren Zeit genug, und alſo keine Noth, mithin auch kein Staatsnothrecht vorhanden war. 2) Die Entſchädigung des Staatsnothrechts. Das Eigenthümliche für das Entſchädigungsverfahren des Staats- nothrechts beſteht nun einfach darin, daß daſſelbe nicht auf einer Schätzung des Gutes beruht, ſondern in einer Schätzung auf Grund- lage eines, von dem Enteigneten zu führenden Beweiſes über die Güter oder Nutzungen, welche durch die Nothenteignung entzogen wer- den, beſtehen muß. Es iſt nämlich gar kein Grund vorhanden, andere Grundſätze für das Entſchädigungsverfahren beim Staatsnoth- recht als bei der eigentlichen Enteignung zu fordern; nur auf dem einzigen Punkte iſt die Gleichheit nicht möglich, und das iſt der, daß die Schätzleute das Gut nicht vor der Enteignung zu ſchätzen Zeit finden. Im Staatsnothrecht tritt daher die Nothwendigkeit ein, die Identität und etwa die Eigenſchaften des enteigneten Gutes nach-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/365>, abgerufen am 26.04.2024.