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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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aveugles admirateurs des faux produits de l'industrie! Avant de
crier miracle, ouvrez les yeux et voyez combien sont pauvres,
du moins malaises, ces memes ouvriers qui ont l'art de changer
vingt sous en une valeur de mille ecus. Au profit de qui passe
donc cette multiplication enorme des valeurs? Quoi? ceux par les
mains desquels elle s'opere ne connaissent pas l'aisance? Ah, de-
fiez-vous de ce contracte!"
(Mercier de la Riviere, Ordre na-
turel et essentiel des societes politiques, I. p. 199, cf. 280, 81.)

Und neben diesen Ausbrüchen des Gefühls ein Mann wie Mirabeau
mit seinem Ami de l'homme (1770), der erste, der die eudämonistische
Idee der Verwaltung auf allen Punkten mit specieller Beziehung auf
die niedere Klasse durchführt! Gewaltig waren diese Geister, und tief
war ihr Verständniß dessen, was den Keim der Gefahr in sich trug.
Aber dennoch waren schon damals die Dinge zu weit gediehen, um
noch mit einzelnen, wenn auch noch so großartig angelegten Verwaltungs-
maßregeln geändert werden zu können.

Das nun ist die physiokratische Schule in ihren Hauptrichtungen.
Allerdings ist sie zunächst und vor allem eine französische Erscheinung.
Allein sie steht so wenig vereinzelt wie die Merkantilisten Englands.
Jene eigenthümliche Auffassung, welche die Bewegung und das Leben
der Geister eben nur in der Bücherwelt findet und es stets an einzelne
literarische Namen knüpft, ohne sich um alles andere zu kümmern, was
neben und über denselben vorgeht, hat auch hier eine höchst enge und
einseitige Anschauung jener Schule erzeugt. In der That nämlich sind
die Physiokraten nur eine ganz bestimmte Gestalt der großen Bewegung,
welche das 18. Jahrhundert charakterisirt und alle continentalen Länder
ergreift. Diese Bewegung ist keine geringere, als die Richtung der
Verwaltung
in Gesetzen und Thätigkeit auf die Hebung der nie-
deren landwirthschaftlichen Klasse
und der Rohproduktion
überhaupt. Die Physiokraten, über die selbst die Literaturgeschichte ihre
Vorgänger, deren wir erwähnt haben, vergißt, sind nichts als der
französische, auf dem ersten nationalökonomischen System begründete
Ausdruck dieser neuen Bahn, welche die Volkswirthschaftspflege
einschlägt. Es wird daher die Aufgabe der künftigen Geschichtschreibung
sein, die Gesammtheit aller dieser großen Maßregeln nicht als eine
Schule der Nationalökonomie, welche letztere nur beiläufig darin vor-
kommt, sondern als eine neue Epoche der wirthschaftlichen Verwaltung
zusammenzufassen. Selbst in England, wo die Verwaltung der
inneren Angelegenheiten stets auf dem niedrigsten Standpunkt steht,
erkennt man deutlich in Literatur wie in Praxis diese Richtung. Die
großen Arbeiten von Arthur Young und zum Theil auch die von John

aveugles admirateurs des faux produits de l’industrie! Avant de
crier miracle, ouvrez les yeux et voyez combien sont pauvres,
du moins malaisés, ces mêmes ouvriers qui ont l’art de changer
vingt sous en une valeur de mille écus. Au profit de qui passe
donc cette multiplication énorme des valeurs? Quoi? ceux par les
mains desquels elle s’opère ne connaissent pas l’aisance? Ah, dé-
fiez-vous de ce contracte!“
(Mercier de la Rivière, Ordre na-
turel et essentiel des sociétés politiques, I. p. 199, cf. 280, 81.)

Und neben dieſen Ausbrüchen des Gefühls ein Mann wie Mirabeau
mit ſeinem Ami de l’homme (1770), der erſte, der die eudämoniſtiſche
Idee der Verwaltung auf allen Punkten mit ſpecieller Beziehung auf
die niedere Klaſſe durchführt! Gewaltig waren dieſe Geiſter, und tief
war ihr Verſtändniß deſſen, was den Keim der Gefahr in ſich trug.
Aber dennoch waren ſchon damals die Dinge zu weit gediehen, um
noch mit einzelnen, wenn auch noch ſo großartig angelegten Verwaltungs-
maßregeln geändert werden zu können.

Das nun iſt die phyſiokratiſche Schule in ihren Hauptrichtungen.
Allerdings iſt ſie zunächſt und vor allem eine franzöſiſche Erſcheinung.
Allein ſie ſteht ſo wenig vereinzelt wie die Merkantiliſten Englands.
Jene eigenthümliche Auffaſſung, welche die Bewegung und das Leben
der Geiſter eben nur in der Bücherwelt findet und es ſtets an einzelne
literariſche Namen knüpft, ohne ſich um alles andere zu kümmern, was
neben und über denſelben vorgeht, hat auch hier eine höchſt enge und
einſeitige Anſchauung jener Schule erzeugt. In der That nämlich ſind
die Phyſiokraten nur eine ganz beſtimmte Geſtalt der großen Bewegung,
welche das 18. Jahrhundert charakteriſirt und alle continentalen Länder
ergreift. Dieſe Bewegung iſt keine geringere, als die Richtung der
Verwaltung
in Geſetzen und Thätigkeit auf die Hebung der nie-
deren landwirthſchaftlichen Klaſſe
und der Rohproduktion
überhaupt. Die Phyſiokraten, über die ſelbſt die Literaturgeſchichte ihre
Vorgänger, deren wir erwähnt haben, vergißt, ſind nichts als der
franzöſiſche, auf dem erſten nationalökonomiſchen Syſtem begründete
Ausdruck dieſer neuen Bahn, welche die Volkswirthſchaftspflege
einſchlägt. Es wird daher die Aufgabe der künftigen Geſchichtſchreibung
ſein, die Geſammtheit aller dieſer großen Maßregeln nicht als eine
Schule der Nationalökonomie, welche letztere nur beiläufig darin vor-
kommt, ſondern als eine neue Epoche der wirthſchaftlichen Verwaltung
zuſammenzufaſſen. Selbſt in England, wo die Verwaltung der
inneren Angelegenheiten ſtets auf dem niedrigſten Standpunkt ſteht,
erkennt man deutlich in Literatur wie in Praxis dieſe Richtung. Die
großen Arbeiten von Arthur Young und zum Theil auch die von John

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[36/0054] aveugles admirateurs des faux produits de l’industrie! Avant de crier miracle, ouvrez les yeux et voyez combien sont pauvres, du moins malaisés, ces mêmes ouvriers qui ont l’art de changer vingt sous en une valeur de mille écus. Au profit de qui passe donc cette multiplication énorme des valeurs? Quoi? ceux par les mains desquels elle s’opère ne connaissent pas l’aisance? Ah, dé- fiez-vous de ce contracte!“ (Mercier de la Rivière, Ordre na- turel et essentiel des sociétés politiques, I. p. 199, cf. 280, 81.) Und neben dieſen Ausbrüchen des Gefühls ein Mann wie Mirabeau mit ſeinem Ami de l’homme (1770), der erſte, der die eudämoniſtiſche Idee der Verwaltung auf allen Punkten mit ſpecieller Beziehung auf die niedere Klaſſe durchführt! Gewaltig waren dieſe Geiſter, und tief war ihr Verſtändniß deſſen, was den Keim der Gefahr in ſich trug. Aber dennoch waren ſchon damals die Dinge zu weit gediehen, um noch mit einzelnen, wenn auch noch ſo großartig angelegten Verwaltungs- maßregeln geändert werden zu können. Das nun iſt die phyſiokratiſche Schule in ihren Hauptrichtungen. Allerdings iſt ſie zunächſt und vor allem eine franzöſiſche Erſcheinung. Allein ſie ſteht ſo wenig vereinzelt wie die Merkantiliſten Englands. Jene eigenthümliche Auffaſſung, welche die Bewegung und das Leben der Geiſter eben nur in der Bücherwelt findet und es ſtets an einzelne literariſche Namen knüpft, ohne ſich um alles andere zu kümmern, was neben und über denſelben vorgeht, hat auch hier eine höchſt enge und einſeitige Anſchauung jener Schule erzeugt. In der That nämlich ſind die Phyſiokraten nur eine ganz beſtimmte Geſtalt der großen Bewegung, welche das 18. Jahrhundert charakteriſirt und alle continentalen Länder ergreift. Dieſe Bewegung iſt keine geringere, als die Richtung der Verwaltung in Geſetzen und Thätigkeit auf die Hebung der nie- deren landwirthſchaftlichen Klaſſe und der Rohproduktion überhaupt. Die Phyſiokraten, über die ſelbſt die Literaturgeſchichte ihre Vorgänger, deren wir erwähnt haben, vergißt, ſind nichts als der franzöſiſche, auf dem erſten nationalökonomiſchen Syſtem begründete Ausdruck dieſer neuen Bahn, welche die Volkswirthſchaftspflege einſchlägt. Es wird daher die Aufgabe der künftigen Geſchichtſchreibung ſein, die Geſammtheit aller dieſer großen Maßregeln nicht als eine Schule der Nationalökonomie, welche letztere nur beiläufig darin vor- kommt, ſondern als eine neue Epoche der wirthſchaftlichen Verwaltung zuſammenzufaſſen. Selbſt in England, wo die Verwaltung der inneren Angelegenheiten ſtets auf dem niedrigſten Standpunkt ſteht, erkennt man deutlich in Literatur wie in Praxis dieſe Richtung. Die großen Arbeiten von Arthur Young und zum Theil auch die von John

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/54>, abgerufen am 26.04.2024.