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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Sein spricht, nicht von den Formen des Sprechens, sondern von
denen des Gesprochenen; und wie die Farben und der Kreis ein
Gesehenes sind, dessen Definition und reale Entstehung nicht in die
Wissenschaft vom Sehen gehört, so ist auch der Gegensatz, die
Besonderung des Allgemeinen, Form des Gesprochenen, d. h.
Gedachten, und gehört nicht in die Wissenschaft vom Sprechen.
Andererseits sieht man aber auch, wie nahe die Verwechslung
lag. Auch die Physiologie spricht von den Farben und For-
men der Dinge, von der chemischen Wirkung der Luft, freilich
in anderer Beziehung als die Optik und Chemie. In der Spra-
che aber ist es nicht bloß viel schwerer, die verschiedenen Be-
ziehungen aus einander zu halten, sondern auch nur erst etwas
zu finden, was als Vorgang des Sprechens dem Gesprochenen,
dem Gesagten, so gegenübertrete, wie das Sehen dem Gesehe-
nen. Einstweilen halten wir nur fest, daß ein solcher Unter-
schied sich aus der Analogie mit den Naturwissenschaften er-
giebt; man halte ihn also zunächst für möglich.

Analogien sind Gängelbänder, für das erste Betreten einer
wissenschaftlichen Bahn nützlich und vielleicht unentbehrlich;
sie beweisen nichts, regen aber an. Also noch ein paar Ana-
logien; aber behutsam! Irgendwo wird gelegentlich bemerkt:
"In den Sprachen, als Zeichen der Gedanken, spiegeln sich die
Gedanken selbst, also auch deren Bestandtheile sammt ihren
Verhältnissen. Nimmt man aus der Sprache die Nomina pro-
pria hinweg, so bleiben Worte von sehr allgemeinem Gebrauche.
Bestimmt nun der Sprachforscher die Bedeutung der einzelnen
Worte, so ist er im Gebiete der allgemeinen Begriffe und
steht hier mit den Philosophen auf gleichem Boden". -- Durch-
aus nicht; sondern der Grammatiker beschäftigt sich bloß mit
den in der Sprache abgespiegelten Bildern der Begriffe. Diese
Bilder sind aber nicht die Begriffe selbst. Wenn die Sprache
eine Art Hohlspiegel wäre, oder in gewisser Weise farbig, wie
würden die Bilder den Begriffen entsprechen!

Die Sprache ist das Bild, die Darstellung des Gedankens.
Ein Maler stellt in einem Bilde den Uebergang Cäsars über den
Rubicon dar; der Aesthetiker will uns dies Kunstwerk analysi-
ren. Wenn er nun in dieser Absicht die Geschichte Cäsars
nach den historischen Quellen erzählte, was hätte er gethan?
Dasselbe, was der Grammatiker thut, der die Formen des Ge-

Sein spricht, nicht von den Formen des Sprechens, sondern von
denen des Gesprochenen; und wie die Farben und der Kreis ein
Gesehenes sind, dessen Definition und reale Entstehung nicht in die
Wissenschaft vom Sehen gehört, so ist auch der Gegensatz, die
Besonderung des Allgemeinen, Form des Gesprochenen, d. h.
Gedachten, und gehört nicht in die Wissenschaft vom Sprechen.
Andererseits sieht man aber auch, wie nahe die Verwechslung
lag. Auch die Physiologie spricht von den Farben und For-
men der Dinge, von der chemischen Wirkung der Luft, freilich
in anderer Beziehung als die Optik und Chemie. In der Spra-
che aber ist es nicht bloß viel schwerer, die verschiedenen Be-
ziehungen aus einander zu halten, sondern auch nur erst etwas
zu finden, was als Vorgang des Sprechens dem Gesprochenen,
dem Gesagten, so gegenübertrete, wie das Sehen dem Gesehe-
nen. Einstweilen halten wir nur fest, daß ein solcher Unter-
schied sich aus der Analogie mit den Naturwissenschaften er-
giebt; man halte ihn also zunächst für möglich.

Analogien sind Gängelbänder, für das erste Betreten einer
wissenschaftlichen Bahn nützlich und vielleicht unentbehrlich;
sie beweisen nichts, regen aber an. Also noch ein paar Ana-
logien; aber behutsam! Irgendwo wird gelegentlich bemerkt:
„In den Sprachen, als Zeichen der Gedanken, spiegeln sich die
Gedanken selbst, also auch deren Bestandtheile sammt ihren
Verhältnissen. Nimmt man aus der Sprache die Nomina pro-
pria hinweg, so bleiben Worte von sehr allgemeinem Gebrauche.
Bestimmt nun der Sprachforscher die Bedeutung der einzelnen
Worte, so ist er im Gebiete der allgemeinen Begriffe und
steht hier mit den Philosophen auf gleichem Boden“. — Durch-
aus nicht; sondern der Grammatiker beschäftigt sich bloß mit
den in der Sprache abgespiegelten Bildern der Begriffe. Diese
Bilder sind aber nicht die Begriffe selbst. Wenn die Sprache
eine Art Hohlspiegel wäre, oder in gewisser Weise farbig, wie
würden die Bilder den Begriffen entsprechen!

Die Sprache ist das Bild, die Darstellung des Gedankens.
Ein Maler stellt in einem Bilde den Uebergang Cäsars über den
Rubicon dar; der Aesthetiker will uns dies Kunstwerk analysi-
ren. Wenn er nun in dieser Absicht die Geschichte Cäsars
nach den historischen Quellen erzählte, was hätte er gethan?
Dasselbe, was der Grammatiker thut, der die Formen des Ge-

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[110/0148] Sein spricht, nicht von den Formen des Sprechens, sondern von denen des Gesprochenen; und wie die Farben und der Kreis ein Gesehenes sind, dessen Definition und reale Entstehung nicht in die Wissenschaft vom Sehen gehört, so ist auch der Gegensatz, die Besonderung des Allgemeinen, Form des Gesprochenen, d. h. Gedachten, und gehört nicht in die Wissenschaft vom Sprechen. Andererseits sieht man aber auch, wie nahe die Verwechslung lag. Auch die Physiologie spricht von den Farben und For- men der Dinge, von der chemischen Wirkung der Luft, freilich in anderer Beziehung als die Optik und Chemie. In der Spra- che aber ist es nicht bloß viel schwerer, die verschiedenen Be- ziehungen aus einander zu halten, sondern auch nur erst etwas zu finden, was als Vorgang des Sprechens dem Gesprochenen, dem Gesagten, so gegenübertrete, wie das Sehen dem Gesehe- nen. Einstweilen halten wir nur fest, daß ein solcher Unter- schied sich aus der Analogie mit den Naturwissenschaften er- giebt; man halte ihn also zunächst für möglich. Analogien sind Gängelbänder, für das erste Betreten einer wissenschaftlichen Bahn nützlich und vielleicht unentbehrlich; sie beweisen nichts, regen aber an. Also noch ein paar Ana- logien; aber behutsam! Irgendwo wird gelegentlich bemerkt: „In den Sprachen, als Zeichen der Gedanken, spiegeln sich die Gedanken selbst, also auch deren Bestandtheile sammt ihren Verhältnissen. Nimmt man aus der Sprache die Nomina pro- pria hinweg, so bleiben Worte von sehr allgemeinem Gebrauche. Bestimmt nun der Sprachforscher die Bedeutung der einzelnen Worte, so ist er im Gebiete der allgemeinen Begriffe und steht hier mit den Philosophen auf gleichem Boden“. — Durch- aus nicht; sondern der Grammatiker beschäftigt sich bloß mit den in der Sprache abgespiegelten Bildern der Begriffe. Diese Bilder sind aber nicht die Begriffe selbst. Wenn die Sprache eine Art Hohlspiegel wäre, oder in gewisser Weise farbig, wie würden die Bilder den Begriffen entsprechen! Die Sprache ist das Bild, die Darstellung des Gedankens. Ein Maler stellt in einem Bilde den Uebergang Cäsars über den Rubicon dar; der Aesthetiker will uns dies Kunstwerk analysi- ren. Wenn er nun in dieser Absicht die Geschichte Cäsars nach den historischen Quellen erzählte, was hätte er gethan? Dasselbe, was der Grammatiker thut, der die Formen des Ge-

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/148>, abgerufen am 26.04.2024.