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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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liche Wesen der Flexion; wenn nur sie logisch sind! Wie steht
es mit ihnen bei Reinhold? Sehen wir nur sogleich das Ender-
gebniß seiner Ableitung (S. 330): "Demnach sind die Grund-
bestandtheile der Sprache, welche durch die logische Natur des
bewußtvollen Vorstellens mit Unerläßlichkeit erfordert werden:
1) das ursprüngliche Substantiv, 2) das ursprüngliche Adjectiv,
3) das aus dem ursprünglichen Adjectiv abgeleitete Substantiv."
Weiter nichts? -- Nein! -- Und das Verbum? ist logisch un-
wesentlich. Die Copula, lehrt Reinhold, wird von der Logik
nicht gefordert; die bloße Nebeneinanderstellung des Subjects
und Prädicats genügt. Das Verbum Sein ist das ursprüngliche
Zeitwort und ist eine Verbindung der Copula mit der Zeitbe-
stimmung. Verbindet man mit diesem schon eine Verbindung
enthaltenden ursprünglichen Zeitwort Sein noch das Adjectivum,
so erhalten wir "das abgeleitete Zeitwort, das gewöhnlich
sogenannte Verbum." Endlich ist noch das Zahlwort "durchaus
erforderlich". -- Und Adverbium, Artikel, Pronomen, Präposi-
tion? nichts als das "Bedürfniß eines leichtern und bequemern
Ausdruckes". Das zeigt denn doch wohl genügend, wie schwer
und unbequem sich die Grammatik für die Logik macht.

Wir sind nicht halsstarrig. Ist es nicht vielleicht ein blo-
ßes Vorurtheil, welches wir Grammatiker haben, daß wir so
viel Gewicht auf das Verbum legen? Laß fahren Verbum, Pro-
nomen, Präposition, Adverbium! Besser ein kleiner Besitz, aber
sicher und gehaltvoll, als ein großer, aber unsicher und leeres
Wort. Wir sind zufrieden! Von der ganzen Grammatik ist
nichts weiter wesentlich als Substantiv und Adjectiv, und diese
gehören der Logik, und da hierauf, auf der logischen Natur der
Sprache, nach Becker ihre organische Natur beruht, so soll sie
immer noch organisch sein, und wir nehmen nur noch eine An-
merkung Reinholds mit. "Was hier durch die logische Natur
unseres Denkens zunächst schlechthin erfordert wird, ist nur das
Vorhandensein jener Wortarten als der grammatischen Vorstel-
lungsmittel der angegebenen Bestandtheile des Urtheils. Daß jene
Arten sich auch durch ihre grammatischen Formen von einan-
der unterscheiden, ist zwar sehr zweckdienlich (a propos) und
wird in diesem Sinne durch die Logik von der Sprache ver-
langt; aber es ist nicht unumgänglich erforderlich, wird nicht
mit strenger Nothwendigkeit erheischt."

Somit begiebt sich die Logik aller Forderungen an die

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liche Wesen der Flexion; wenn nur sie logisch sind! Wie steht
es mit ihnen bei Reinhold? Sehen wir nur sogleich das Ender-
gebniß seiner Ableitung (S. 330): „Demnach sind die Grund-
bestandtheile der Sprache, welche durch die logische Natur des
bewußtvollen Vorstellens mit Unerläßlichkeit erfordert werden:
1) das ursprüngliche Substantiv, 2) das ursprüngliche Adjectiv,
3) das aus dem ursprünglichen Adjectiv abgeleitete Substantiv.“
Weiter nichts? — Nein! — Und das Verbum? ist logisch un-
wesentlich. Die Copula, lehrt Reinhold, wird von der Logik
nicht gefordert; die bloße Nebeneinanderstellung des Subjects
und Prädicats genügt. Das Verbum Sein ist das ursprüngliche
Zeitwort und ist eine Verbindung der Copula mit der Zeitbe-
stimmung. Verbindet man mit diesem schon eine Verbindung
enthaltenden ursprünglichen Zeitwort Sein noch das Adjectivum,
so erhalten wir „das abgeleitete Zeitwort, das gewöhnlich
sogenannte Verbum.“ Endlich ist noch das Zahlwort „durchaus
erforderlich“. — Und Adverbium, Artikel, Pronomen, Präposi-
tion? nichts als das „Bedürfniß eines leichtern und bequemern
Ausdruckes“. Das zeigt denn doch wohl genügend, wie schwer
und unbequem sich die Grammatik für die Logik macht.

Wir sind nicht halsstarrig. Ist es nicht vielleicht ein blo-
ßes Vorurtheil, welches wir Grammatiker haben, daß wir so
viel Gewicht auf das Verbum legen? Laß fahren Verbum, Pro-
nomen, Präposition, Adverbium! Besser ein kleiner Besitz, aber
sicher und gehaltvoll, als ein großer, aber unsicher und leeres
Wort. Wir sind zufrieden! Von der ganzen Grammatik ist
nichts weiter wesentlich als Substantiv und Adjectiv, und diese
gehören der Logik, und da hierauf, auf der logischen Natur der
Sprache, nach Becker ihre organische Natur beruht, so soll sie
immer noch organisch sein, und wir nehmen nur noch eine An-
merkung Reinholds mit. „Was hier durch die logische Natur
unseres Denkens zunächst schlechthin erfordert wird, ist nur das
Vorhandensein jener Wortarten als der grammatischen Vorstel-
lungsmittel der angegebenen Bestandtheile des Urtheils. Daß jene
Arten sich auch durch ihre grammatischen Formen von einan-
der unterscheiden, ist zwar sehr zweckdienlich (à propos) und
wird in diesem Sinne durch die Logik von der Sprache ver-
langt; aber es ist nicht unumgänglich erforderlich, wird nicht
mit strenger Nothwendigkeit erheischt.“

Somit begiebt sich die Logik aller Forderungen an die

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[115/0153] liche Wesen der Flexion; wenn nur sie logisch sind! Wie steht es mit ihnen bei Reinhold? Sehen wir nur sogleich das Ender- gebniß seiner Ableitung (S. 330): „Demnach sind die Grund- bestandtheile der Sprache, welche durch die logische Natur des bewußtvollen Vorstellens mit Unerläßlichkeit erfordert werden: 1) das ursprüngliche Substantiv, 2) das ursprüngliche Adjectiv, 3) das aus dem ursprünglichen Adjectiv abgeleitete Substantiv.“ Weiter nichts? — Nein! — Und das Verbum? ist logisch un- wesentlich. Die Copula, lehrt Reinhold, wird von der Logik nicht gefordert; die bloße Nebeneinanderstellung des Subjects und Prädicats genügt. Das Verbum Sein ist das ursprüngliche Zeitwort und ist eine Verbindung der Copula mit der Zeitbe- stimmung. Verbindet man mit diesem schon eine Verbindung enthaltenden ursprünglichen Zeitwort Sein noch das Adjectivum, so erhalten wir „das abgeleitete Zeitwort, das gewöhnlich sogenannte Verbum.“ Endlich ist noch das Zahlwort „durchaus erforderlich“. — Und Adverbium, Artikel, Pronomen, Präposi- tion? nichts als das „Bedürfniß eines leichtern und bequemern Ausdruckes“. Das zeigt denn doch wohl genügend, wie schwer und unbequem sich die Grammatik für die Logik macht. Wir sind nicht halsstarrig. Ist es nicht vielleicht ein blo- ßes Vorurtheil, welches wir Grammatiker haben, daß wir so viel Gewicht auf das Verbum legen? Laß fahren Verbum, Pro- nomen, Präposition, Adverbium! Besser ein kleiner Besitz, aber sicher und gehaltvoll, als ein großer, aber unsicher und leeres Wort. Wir sind zufrieden! Von der ganzen Grammatik ist nichts weiter wesentlich als Substantiv und Adjectiv, und diese gehören der Logik, und da hierauf, auf der logischen Natur der Sprache, nach Becker ihre organische Natur beruht, so soll sie immer noch organisch sein, und wir nehmen nur noch eine An- merkung Reinholds mit. „Was hier durch die logische Natur unseres Denkens zunächst schlechthin erfordert wird, ist nur das Vorhandensein jener Wortarten als der grammatischen Vorstel- lungsmittel der angegebenen Bestandtheile des Urtheils. Daß jene Arten sich auch durch ihre grammatischen Formen von einan- der unterscheiden, ist zwar sehr zweckdienlich (à propos) und wird in diesem Sinne durch die Logik von der Sprache ver- langt; aber es ist nicht unumgänglich erforderlich, wird nicht mit strenger Nothwendigkeit erheischt.“ Somit begiebt sich die Logik aller Forderungen an die 8*

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/153>, abgerufen am 26.04.2024.