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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Satz aber ist doch vollständig; denn das fehlende Subject wird
nothwendig hinzugedacht, da die Thätigkeit nur in Bezug auf
dasselbe ausgesprochen wird.

Wir fassen uns zusammen. Es sei eine Anschauung gege-
ben, z. B. die eines laufenden Hundes. Das instinctive Selbst-
bewußtsein tritt hinzu und erhebt diese Anschauung in das Ge-
biet der Vorstellung, indem es das Ding von dem Merkmal, der
Bewegung, scheidet, also aus der einen Anschauung zwei Vor-
stellungen bildet, welche aber im Satze wieder vereinigt wer-
den: der Hund läuft. Alle Sprachen stehen insofern auf der
Stufe der Vorstellung, daß sie die einheitliche Anschauung in
zwei Wörtern als Zeichen für zwei Vorstellungen auffassen.
Hiermit aber ist bloß der Stoff der Vorstellung bezeichnet, wie
ihn die Anschauung liefert. Das instinctive Selbstbewußtsein
erfaßt nun aber nicht bloß die Elemente, welche den Stoff der
Anschauung ausmachen, sondern auch die Beziehung dieser Ele-
mente auf einander. Der Hund wird also als Subject bezeich-
net und dadurch sogleich nicht absolut, sondern in Bezug auf
eine Thätigkeit vorgestellt; umgekehrt wird auch wieder die
Thätigkeit nicht absolut, sondern in Bezug auf das Subject als die
Person gesetzt. So sind beide Vorstellungen geformt. Aber
nicht im Geiste aller Völker hat das instinctive Selbstbewußt-
sein diese Macht gehabt, sowohl den Stoff der Anschauungen,
als auch die Form ihrer Elemente in der Vorstellung zu er-
fassen; und solche Völker und Sprachen haben wohl Prono-
mina, aber keine Personalendungen, also keine geformten Verba;
in Folge dessen auch keine geformten Substantiva, folglich keine
Form.

Man sieht also, daß die Formen der Sprache, der Wörter,
Formen der Vorstellung bezeichnen, daß diese aber weder lo-
gische Beziehungen der Begriffe, noch auch nur reale Beziehun-
gen der Dinge sind, sondern ein eigenthümliches Product des
instinctiven Selbstbewußtseins. Es ist eben darum auch gar
nicht unumgänglich nöthig, daß reale Beziehungen der Dinge
durch Beziehungen der Wörter bezeichnet werden; denn es kommt
erst noch darauf an, wie das instinctive Selbstbewußtsein die
gegebene Anschauung, z. B. eines A hinter einem B, auffaßt:
ob es nämlich überhaupt die reale Beziehung von A und B mit
in die Vorstellung aufnimmt, und selbst wenn es dies thut, ob
es die Beziehung der Dinge als eine Form derselben, oder als

Satz aber ist doch vollständig; denn das fehlende Subject wird
nothwendig hinzugedacht, da die Thätigkeit nur in Bezug auf
dasselbe ausgesprochen wird.

Wir fassen uns zusammen. Es sei eine Anschauung gege-
ben, z. B. die eines laufenden Hundes. Das instinctive Selbst-
bewußtsein tritt hinzu und erhebt diese Anschauung in das Ge-
biet der Vorstellung, indem es das Ding von dem Merkmal, der
Bewegung, scheidet, also aus der einen Anschauung zwei Vor-
stellungen bildet, welche aber im Satze wieder vereinigt wer-
den: der Hund läuft. Alle Sprachen stehen insofern auf der
Stufe der Vorstellung, daß sie die einheitliche Anschauung in
zwei Wörtern als Zeichen für zwei Vorstellungen auffassen.
Hiermit aber ist bloß der Stoff der Vorstellung bezeichnet, wie
ihn die Anschauung liefert. Das instinctive Selbstbewußtsein
erfaßt nun aber nicht bloß die Elemente, welche den Stoff der
Anschauung ausmachen, sondern auch die Beziehung dieser Ele-
mente auf einander. Der Hund wird also als Subject bezeich-
net und dadurch sogleich nicht absolut, sondern in Bezug auf
eine Thätigkeit vorgestellt; umgekehrt wird auch wieder die
Thätigkeit nicht absolut, sondern in Bezug auf das Subject als die
Person gesetzt. So sind beide Vorstellungen geformt. Aber
nicht im Geiste aller Völker hat das instinctive Selbstbewußt-
sein diese Macht gehabt, sowohl den Stoff der Anschauungen,
als auch die Form ihrer Elemente in der Vorstellung zu er-
fassen; und solche Völker und Sprachen haben wohl Prono-
mina, aber keine Personalendungen, also keine geformten Verba;
in Folge dessen auch keine geformten Substantiva, folglich keine
Form.

Man sieht also, daß die Formen der Sprache, der Wörter,
Formen der Vorstellung bezeichnen, daß diese aber weder lo-
gische Beziehungen der Begriffe, noch auch nur reale Beziehun-
gen der Dinge sind, sondern ein eigenthümliches Product des
instinctiven Selbstbewußtseins. Es ist eben darum auch gar
nicht unumgänglich nöthig, daß reale Beziehungen der Dinge
durch Beziehungen der Wörter bezeichnet werden; denn es kommt
erst noch darauf an, wie das instinctive Selbstbewußtsein die
gegebene Anschauung, z. B. eines A hinter einem B, auffaßt:
ob es nämlich überhaupt die reale Beziehung von A und B mit
in die Vorstellung aufnimmt, und selbst wenn es dies thut, ob
es die Beziehung der Dinge als eine Form derselben, oder als

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[365/0403] Satz aber ist doch vollständig; denn das fehlende Subject wird nothwendig hinzugedacht, da die Thätigkeit nur in Bezug auf dasselbe ausgesprochen wird. Wir fassen uns zusammen. Es sei eine Anschauung gege- ben, z. B. die eines laufenden Hundes. Das instinctive Selbst- bewußtsein tritt hinzu und erhebt diese Anschauung in das Ge- biet der Vorstellung, indem es das Ding von dem Merkmal, der Bewegung, scheidet, also aus der einen Anschauung zwei Vor- stellungen bildet, welche aber im Satze wieder vereinigt wer- den: der Hund läuft. Alle Sprachen stehen insofern auf der Stufe der Vorstellung, daß sie die einheitliche Anschauung in zwei Wörtern als Zeichen für zwei Vorstellungen auffassen. Hiermit aber ist bloß der Stoff der Vorstellung bezeichnet, wie ihn die Anschauung liefert. Das instinctive Selbstbewußtsein erfaßt nun aber nicht bloß die Elemente, welche den Stoff der Anschauung ausmachen, sondern auch die Beziehung dieser Ele- mente auf einander. Der Hund wird also als Subject bezeich- net und dadurch sogleich nicht absolut, sondern in Bezug auf eine Thätigkeit vorgestellt; umgekehrt wird auch wieder die Thätigkeit nicht absolut, sondern in Bezug auf das Subject als die Person gesetzt. So sind beide Vorstellungen geformt. Aber nicht im Geiste aller Völker hat das instinctive Selbstbewußt- sein diese Macht gehabt, sowohl den Stoff der Anschauungen, als auch die Form ihrer Elemente in der Vorstellung zu er- fassen; und solche Völker und Sprachen haben wohl Prono- mina, aber keine Personalendungen, also keine geformten Verba; in Folge dessen auch keine geformten Substantiva, folglich keine Form. Man sieht also, daß die Formen der Sprache, der Wörter, Formen der Vorstellung bezeichnen, daß diese aber weder lo- gische Beziehungen der Begriffe, noch auch nur reale Beziehun- gen der Dinge sind, sondern ein eigenthümliches Product des instinctiven Selbstbewußtseins. Es ist eben darum auch gar nicht unumgänglich nöthig, daß reale Beziehungen der Dinge durch Beziehungen der Wörter bezeichnet werden; denn es kommt erst noch darauf an, wie das instinctive Selbstbewußtsein die gegebene Anschauung, z. B. eines A hinter einem B, auffaßt: ob es nämlich überhaupt die reale Beziehung von A und B mit in die Vorstellung aufnimmt, und selbst wenn es dies thut, ob es die Beziehung der Dinge als eine Form derselben, oder als

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/403>, abgerufen am 27.04.2024.