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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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schließt, wird sie das Regulativ, nach dem die Grammatik ihre
eigentliche Aufgabe zu lösen hat. Insofern aber die Grammatik
die Formen darlegt, in denen die besonderen Verhältnisse der
Gedanken und Begriffe und ihre genetische Entwickelung sich
in der Sprache in einer leiblichen Gestalt ausprägen, eröffnet sie
der Logik die Einsicht in die innerste Werkstätte des denken-
den Geistes; und weil alle Formen des Gedankens, aber auch
nur diese, sich auch leiblich in der Sprache darstellen, so wird
sie für die Logik ein Korrektiv, dem sie bei der Lösung ihrer
Aufgabe mit Sicherheit vertrauen kann. Die Sprache ist die
älteste und zugleich die zuverlässigste Urkunde von der Ent-
wickelungsgeschichte des menschlichen Geistes; in ihr liegen
die Thatsachen, aus denen die organische Entwicke-
lung der Intelligenz in dem ganzen Geschlechte und
in dem Individuum erkannt wird
". (Welche Phrase!) "Es
ist darum höchst erfreulich, und eine Erscheinung guter Vorbe-
deutung für die Grammatik sowohl als für die Logik, daß in
der neuesten Zeit auch die Logik zu dem natürlichen Bündnisse
mit der Grammatik zurückkehret." Hier wird citirt: Trendelen-
burg Logische Untersuchungen.

Nehmen wir hierzu noch eine Stelle aus der Vorrede (S.
XIV.): "Es braucht nicht erst bemerkt zu werden, daß, wenn
der Verf. (Becker) von der Logik der Sprache redet, nicht das
logische System irgend einer Schule gemeint ist... Wenn sich
aber jetzt von vielen Seiten her die Behauptung vernehmen läßt,
Sprache und Logik hätten nichts mit einander zu schaffen; so
hat diese Behauptung in so weit Recht, als sie läugnet, daß das
logische System irgend einer Schule seinen reinen Abdruck in
der Sprache findet, und unmittelbar auf sie kann angewendet
werden: will die Behauptung aber weiter gelten und läugnen,
daß die allgemeinen formalen Denkgesetze sich in der Sprache
wiederfinden; so läugnet sie nicht allein die organische Natur
der Sprache, sondern auch die organische Natur des Denkens.
Schon die Geschichte der Grammatik sowohl als der Logik hätte
gegen eine solche Behauptung mißtrauisch machen sollen. Die
erste Bearbeitung der Logik durch Aristoteles schließt sich eng
an die Sprache an, und wird von ihr geleitet; und die Schule,
welche sich vorzugsweise mit Grammatik beschäftigte, die stoi-
sche, ist zugleich durch die Ausbildung der Logik berühmt.
Wenn aber die Logik schon seit Aristoteles keinen rechten Fort-

schließt, wird sie das Regulativ, nach dem die Grammatik ihre
eigentliche Aufgabe zu lösen hat. Insofern aber die Grammatik
die Formen darlegt, in denen die besonderen Verhältnisse der
Gedanken und Begriffe und ihre genetische Entwickelung sich
in der Sprache in einer leiblichen Gestalt ausprägen, eröffnet sie
der Logik die Einsicht in die innerste Werkstätte des denken-
den Geistes; und weil alle Formen des Gedankens, aber auch
nur diese, sich auch leiblich in der Sprache darstellen, so wird
sie für die Logik ein Korrektiv, dem sie bei der Lösung ihrer
Aufgabe mit Sicherheit vertrauen kann. Die Sprache ist die
älteste und zugleich die zuverlässigste Urkunde von der Ent-
wickelungsgeschichte des menschlichen Geistes; in ihr liegen
die Thatsachen, aus denen die organische Entwicke-
lung der Intelligenz in dem ganzen Geschlechte und
in dem Individuum erkannt wird
“. (Welche Phrase!) „Es
ist darum höchst erfreulich, und eine Erscheinung guter Vorbe-
deutung für die Grammatik sowohl als für die Logik, daß in
der neuesten Zeit auch die Logik zu dem natürlichen Bündnisse
mit der Grammatik zurückkehret.“ Hier wird citirt: Trendelen-
burg Logische Untersuchungen.

Nehmen wir hierzu noch eine Stelle aus der Vorrede (S.
XIV.): „Es braucht nicht erst bemerkt zu werden, daß, wenn
der Verf. (Becker) von der Logik der Sprache redet, nicht das
logische System irgend einer Schule gemeint ist… Wenn sich
aber jetzt von vielen Seiten her die Behauptung vernehmen läßt,
Sprache und Logik hätten nichts mit einander zu schaffen; so
hat diese Behauptung in so weit Recht, als sie läugnet, daß das
logische System irgend einer Schule seinen reinen Abdruck in
der Sprache findet, und unmittelbar auf sie kann angewendet
werden: will die Behauptung aber weiter gelten und läugnen,
daß die allgemeinen formalen Denkgesetze sich in der Sprache
wiederfinden; so läugnet sie nicht allein die organische Natur
der Sprache, sondern auch die organische Natur des Denkens.
Schon die Geschichte der Grammatik sowohl als der Logik hätte
gegen eine solche Behauptung mißtrauisch machen sollen. Die
erste Bearbeitung der Logik durch Aristoteles schließt sich eng
an die Sprache an, und wird von ihr geleitet; und die Schule,
welche sich vorzugsweise mit Grammatik beschäftigte, die stoi-
sche, ist zugleich durch die Ausbildung der Logik berühmt.
Wenn aber die Logik schon seit Aristoteles keinen rechten Fort-

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[50/0088] schließt, wird sie das Regulativ, nach dem die Grammatik ihre eigentliche Aufgabe zu lösen hat. Insofern aber die Grammatik die Formen darlegt, in denen die besonderen Verhältnisse der Gedanken und Begriffe und ihre genetische Entwickelung sich in der Sprache in einer leiblichen Gestalt ausprägen, eröffnet sie der Logik die Einsicht in die innerste Werkstätte des denken- den Geistes; und weil alle Formen des Gedankens, aber auch nur diese, sich auch leiblich in der Sprache darstellen, so wird sie für die Logik ein Korrektiv, dem sie bei der Lösung ihrer Aufgabe mit Sicherheit vertrauen kann. Die Sprache ist die älteste und zugleich die zuverlässigste Urkunde von der Ent- wickelungsgeschichte des menschlichen Geistes; in ihr liegen die Thatsachen, aus denen die organische Entwicke- lung der Intelligenz in dem ganzen Geschlechte und in dem Individuum erkannt wird“. (Welche Phrase!) „Es ist darum höchst erfreulich, und eine Erscheinung guter Vorbe- deutung für die Grammatik sowohl als für die Logik, daß in der neuesten Zeit auch die Logik zu dem natürlichen Bündnisse mit der Grammatik zurückkehret.“ Hier wird citirt: Trendelen- burg Logische Untersuchungen. Nehmen wir hierzu noch eine Stelle aus der Vorrede (S. XIV.): „Es braucht nicht erst bemerkt zu werden, daß, wenn der Verf. (Becker) von der Logik der Sprache redet, nicht das logische System irgend einer Schule gemeint ist… Wenn sich aber jetzt von vielen Seiten her die Behauptung vernehmen läßt, Sprache und Logik hätten nichts mit einander zu schaffen; so hat diese Behauptung in so weit Recht, als sie läugnet, daß das logische System irgend einer Schule seinen reinen Abdruck in der Sprache findet, und unmittelbar auf sie kann angewendet werden: will die Behauptung aber weiter gelten und läugnen, daß die allgemeinen formalen Denkgesetze sich in der Sprache wiederfinden; so läugnet sie nicht allein die organische Natur der Sprache, sondern auch die organische Natur des Denkens. Schon die Geschichte der Grammatik sowohl als der Logik hätte gegen eine solche Behauptung mißtrauisch machen sollen. Die erste Bearbeitung der Logik durch Aristoteles schließt sich eng an die Sprache an, und wird von ihr geleitet; und die Schule, welche sich vorzugsweise mit Grammatik beschäftigte, die stoi- sche, ist zugleich durch die Ausbildung der Logik berühmt. Wenn aber die Logik schon seit Aristoteles keinen rechten Fort-

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/88>, abgerufen am 26.04.2024.