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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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jener Insel, oder vielmehr, er war so, wo er nicht
von den im Alterthume berühmten Kornfeldern be¬
kleidet oder von den dunkeln fruchtbringenden Bäu¬
men bedeckt ist, sondern wo er zerrissen und vielge¬
staltig ohne Baum und Strauch mit den dürren Grä¬
sern den weiß leuchtenden Furchen, in denen ein aus
unzähligen Steinen bestehender Quarz angehäuft ist,
und mit dem Gerölle und mit dem Trümmerwerke,
das überall ausgesät ist, der dörrenden Sonne ent¬
gegenschaut. So war Rolands Boden, so bedeckte er
die ungeheure Fläche, und so war er in sehr großen
und einfachen Abtheilungen gehalten, und über ihm
waren Wolken, welche einzeln und vielzählig schim¬
mernd und Schatten werfend in einem Himmel stan¬
den, welcher tief und heiß und südlich war.

Wir standen eine Weile vor dem Bilde und be¬
trachteten es. Roland stand hinter uns, und da ich
mich einmal wendete, sah ich, daß er die Leinwand
mit glänzenden Augen betrachte. Wir sprachen wenig
oder beinahe nichts.

"Er hat sich die Aufgabe eines Gegenstandes ge¬
stellt, den er noch nicht gesehen hat," sagte mein
Gastfreund, "er hält sich ihn nur in seiner Ein¬
bildungskraft vor Augen. Wir werden sehen, wie

jener Inſel, oder vielmehr, er war ſo, wo er nicht
von den im Alterthume berühmten Kornfeldern be¬
kleidet oder von den dunkeln fruchtbringenden Bäu¬
men bedeckt iſt, ſondern wo er zerriſſen und vielge¬
ſtaltig ohne Baum und Strauch mit den dürren Grä¬
ſern den weiß leuchtenden Furchen, in denen ein aus
unzähligen Steinen beſtehender Quarz angehäuft iſt,
und mit dem Gerölle und mit dem Trümmerwerke,
das überall ausgeſät iſt, der dörrenden Sonne ent¬
gegenſchaut. So war Rolands Boden, ſo bedeckte er
die ungeheure Fläche, und ſo war er in ſehr großen
und einfachen Abtheilungen gehalten, und über ihm
waren Wolken, welche einzeln und vielzählig ſchim¬
mernd und Schatten werfend in einem Himmel ſtan¬
den, welcher tief und heiß und ſüdlich war.

Wir ſtanden eine Weile vor dem Bilde und be¬
trachteten es. Roland ſtand hinter uns, und da ich
mich einmal wendete, ſah ich, daß er die Leinwand
mit glänzenden Augen betrachte. Wir ſprachen wenig
oder beinahe nichts.

„Er hat ſich die Aufgabe eines Gegenſtandes ge¬
ſtellt, den er noch nicht geſehen hat,“ ſagte mein
Gaſtfreund, „er hält ſich ihn nur in ſeiner Ein¬
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[178/0192] jener Inſel, oder vielmehr, er war ſo, wo er nicht von den im Alterthume berühmten Kornfeldern be¬ kleidet oder von den dunkeln fruchtbringenden Bäu¬ men bedeckt iſt, ſondern wo er zerriſſen und vielge¬ ſtaltig ohne Baum und Strauch mit den dürren Grä¬ ſern den weiß leuchtenden Furchen, in denen ein aus unzähligen Steinen beſtehender Quarz angehäuft iſt, und mit dem Gerölle und mit dem Trümmerwerke, das überall ausgeſät iſt, der dörrenden Sonne ent¬ gegenſchaut. So war Rolands Boden, ſo bedeckte er die ungeheure Fläche, und ſo war er in ſehr großen und einfachen Abtheilungen gehalten, und über ihm waren Wolken, welche einzeln und vielzählig ſchim¬ mernd und Schatten werfend in einem Himmel ſtan¬ den, welcher tief und heiß und ſüdlich war. Wir ſtanden eine Weile vor dem Bilde und be¬ trachteten es. Roland ſtand hinter uns, und da ich mich einmal wendete, ſah ich, daß er die Leinwand mit glänzenden Augen betrachte. Wir ſprachen wenig oder beinahe nichts. „Er hat ſich die Aufgabe eines Gegenſtandes ge¬ ſtellt, den er noch nicht geſehen hat,“ ſagte mein Gaſtfreund, „er hält ſich ihn nur in ſeiner Ein¬ bildungskraft vor Augen. Wir werden ſehen, wie

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/192>, abgerufen am 26.04.2024.