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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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ein drittes Grab gekommen sei, das meiner Schwe¬
ster. Sie hatte sich seit dem Tode der Mutter nicht
recht erholt, und eine unversehene Verkühlung raffte
sie dahin. Der Schwager schrieb mir, und wie ich
sah, in aufrichtigem Kummer, daß er nun ganz ver¬
lassen sei, daß er keine Freude mehr habe, daß er ein¬
sam sein Leben zubringen wolle, daß er wohl von der
Verewigten zum Erben eingesezt worden sei, daß er
aber gerne mit mir theilen wolle, er habe kein Kind,
seine einzige Freude liege im Grabe, er achte nicht
mehr viel auf Besizungen, sein Stückchen Brod, wel¬
ches für sein einfaches Leben recht klein sein dürfe,
werde er für die Zeit schon finden, die er noch zubrin¬
gen müsse, ehe er zu Kornelien gehen könne. Da der
Mann meine Schwester sehr geliebt hatte, da ihre
Briefe an mich immer von ihrem Glücke erzählten,
gönnte ich ihm das kleine Besizthum, und schrieb ihm
zurück, daß ich keine Ansprüche erhebe, und daß er das
Hinterlassene ungetheilt genießen möge. Er dankte
mir, ich sah aber aus seinem Briefe, daß er über das
Geschenk eben keine sonderliche Freude habe."

"Ich zog mich nun noch mehr zurück, und mein
Leben war sehr trübe. Ich zeichnete viel, ich bildete
zuweilen auch etwas in Thon, und suchte sogar man¬

ein drittes Grab gekommen ſei, das meiner Schwe¬
ſter. Sie hatte ſich ſeit dem Tode der Mutter nicht
recht erholt, und eine unverſehene Verkühlung raffte
ſie dahin. Der Schwager ſchrieb mir, und wie ich
ſah, in aufrichtigem Kummer, daß er nun ganz ver¬
laſſen ſei, daß er keine Freude mehr habe, daß er ein¬
ſam ſein Leben zubringen wolle, daß er wohl von der
Verewigten zum Erben eingeſezt worden ſei, daß er
aber gerne mit mir theilen wolle, er habe kein Kind,
ſeine einzige Freude liege im Grabe, er achte nicht
mehr viel auf Beſizungen, ſein Stückchen Brod, wel¬
ches für ſein einfaches Leben recht klein ſein dürfe,
werde er für die Zeit ſchon finden, die er noch zubrin¬
gen müſſe, ehe er zu Kornelien gehen könne. Da der
Mann meine Schweſter ſehr geliebt hatte, da ihre
Briefe an mich immer von ihrem Glücke erzählten,
gönnte ich ihm das kleine Beſizthum, und ſchrieb ihm
zurück, daß ich keine Anſprüche erhebe, und daß er das
Hinterlaſſene ungetheilt genießen möge. Er dankte
mir, ich ſah aber aus ſeinem Briefe, daß er über das
Geſchenk eben keine ſonderliche Freude habe.“

„Ich zog mich nun noch mehr zurück, und mein
Leben war ſehr trübe. Ich zeichnete viel, ich bildete
zuweilen auch etwas in Thon, und ſuchte ſogar man¬

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[252/0266] ein drittes Grab gekommen ſei, das meiner Schwe¬ ſter. Sie hatte ſich ſeit dem Tode der Mutter nicht recht erholt, und eine unverſehene Verkühlung raffte ſie dahin. Der Schwager ſchrieb mir, und wie ich ſah, in aufrichtigem Kummer, daß er nun ganz ver¬ laſſen ſei, daß er keine Freude mehr habe, daß er ein¬ ſam ſein Leben zubringen wolle, daß er wohl von der Verewigten zum Erben eingeſezt worden ſei, daß er aber gerne mit mir theilen wolle, er habe kein Kind, ſeine einzige Freude liege im Grabe, er achte nicht mehr viel auf Beſizungen, ſein Stückchen Brod, wel¬ ches für ſein einfaches Leben recht klein ſein dürfe, werde er für die Zeit ſchon finden, die er noch zubrin¬ gen müſſe, ehe er zu Kornelien gehen könne. Da der Mann meine Schweſter ſehr geliebt hatte, da ihre Briefe an mich immer von ihrem Glücke erzählten, gönnte ich ihm das kleine Beſizthum, und ſchrieb ihm zurück, daß ich keine Anſprüche erhebe, und daß er das Hinterlaſſene ungetheilt genießen möge. Er dankte mir, ich ſah aber aus ſeinem Briefe, daß er über das Geſchenk eben keine ſonderliche Freude habe.“ „Ich zog mich nun noch mehr zurück, und mein Leben war ſehr trübe. Ich zeichnete viel, ich bildete zuweilen auch etwas in Thon, und ſuchte ſogar man¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/266>, abgerufen am 26.04.2024.