Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Kapitel. §. 68.
Zusammenhang zu fallen, weiss sie geschickt ein zweites
Wunder daraus zu machen, dass tosouton onton, ouk eskh[i]s-
the to diktuon. Ein weiteres Wunder bietet Jamblich dar,
welches übrigens bei ihm neben dem Wissen des Pytha-
goras um die Zahl der Fische das einzige ist, dass näm-
lich während des Abzählens der Fische, wozu es doch
bei ihrer grossen Menge geraume Zeit brauchte, keiner
derselben gestorben sei. -- Wem in diesen Vergleichungen
nicht das Schalten und Walten der Sage, und damit auch
der sagenhafte Charakter der evangelischen Erzählungen
zur Anschauung kommt, sondern die Anhänglichkeit an
die geschichtliche, sei es natürliche oder übernatürliche
Fassung derselben bleibt: nun der muss doch ebensowenig
einen Begriff von Sage wie von Geschichte, von Natürli-
chem wie von Übernatürlichem haben.

§. 68.
Berufung des Matthäus. Gemeinschaft Jesu mit den Zöllnern.

Das erste Evangelium erzählt (9, 9 ff.) von einem
anthropos Matthaios legomenos, statt dessen das zweite
und dritte (2, 14 ff. 5, 27 ff.) einen Leuin (ton tou Alphaiou
bei Markus) haben, welchem, wie er an seiner Zollstätte
sass, Jesus das akolouthei moi zurief, worauf er (nach Lu-
kas Alles verliess) ihm nachfolgte und ein Mahl veranstal-
tete, an welchem viele Zöllner und Sünder zum Anstoss
der Pharisäer Theil nahmen.

Wegen des verschiedenen Namens hat man schon ge-
meint, es müssen hier zwei verschiedene Begebenheiten
zum Grunde liegen 1); doch jene Namensverschiedenheit
wird weit überwogen von der Ähnlichkeit, welche darin
liegt, dass Matthäus wie die beiden andern diese Berufungs-
geschichte zwischen die gleichen Begebenheiten hineinstellt,
dass beiderseits das Subjekt der Erzählung in die gleiche

1) s. bei Kuinöl, in Matth. p. 255.

Fünftes Kapitel. §. 68.
Zusammenhang zu fallen, weiſs sie geschickt ein zweites
Wunder daraus zu machen, daſs τοσούτων ὄντων, ούκ ἐσχ[ί]σ-
ϑη τὸ δίκτυον. Ein weiteres Wunder bietet Jamblich dar,
welches übrigens bei ihm neben dem Wissen des Pytha-
goras um die Zahl der Fische das einzige ist, daſs näm-
lich während des Abzählens der Fische, wozu es doch
bei ihrer groſsen Menge geraume Zeit brauchte, keiner
derselben gestorben sei. — Wem in diesen Vergleichungen
nicht das Schalten und Walten der Sage, und damit auch
der sagenhafte Charakter der evangelischen Erzählungen
zur Anschauung kommt, sondern die Anhänglichkeit an
die geschichtliche, sei es natürliche oder übernatürliche
Fassung derselben bleibt: nun der muſs doch ebensowenig
einen Begriff von Sage wie von Geschichte, von Natürli-
chem wie von Übernatürlichem haben.

§. 68.
Berufung des Matthäus. Gemeinschaft Jesu mit den Zöllnern.

Das erste Evangelium erzählt (9, 9 ff.) von einem
ἄνϑρωπος Ματϑαῖος λεγόμενος, statt dessen das zweite
und dritte (2, 14 ff. 5, 27 ff.) einen Λευῒν (τὸν τοῦ Ἀλφαίου
bei Markus) haben, welchem, wie er an seiner Zollstätte
saſs, Jesus das ἀκολούϑει μοι zurief, worauf er (nach Lu-
kas Alles verlieſs) ihm nachfolgte und ein Mahl veranstal-
tete, an welchem viele Zöllner und Sünder zum Anstoſs
der Pharisäer Theil nahmen.

Wegen des verschiedenen Namens hat man schon ge-
meint, es müssen hier zwei verschiedene Begebenheiten
zum Grunde liegen 1); doch jene Namensverschiedenheit
wird weit überwogen von der Ähnlichkeit, welche darin
liegt, daſs Matthäus wie die beiden andern diese Berufungs-
geschichte zwischen die gleichen Begebenheiten hineinstellt,
daſs beiderseits das Subjekt der Erzählung in die gleiche

1) s. bei Kuinöl, in Matth. p. 255.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0565" n="541"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fünftes Kapitel</hi>. §. 68.</fw><lb/>
Zusammenhang zu fallen, wei&#x017F;s sie geschickt ein zweites<lb/>
Wunder daraus zu machen, da&#x017F;s <foreign xml:lang="ell">&#x03C4;&#x03BF;&#x03C3;&#x03BF;&#x03CD;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD; &#x1F44;&#x03BD;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD;, &#x03BF;&#x03CD;&#x03BA; &#x1F10;&#x03C3;&#x03C7;<supplied>&#x03AF;</supplied>&#x03C3;-<lb/>
&#x03D1;&#x03B7; &#x03C4;&#x1F78; &#x03B4;&#x03AF;&#x03BA;&#x03C4;&#x03C5;&#x03BF;&#x03BD;</foreign>. Ein weiteres Wunder bietet Jamblich dar,<lb/>
welches übrigens bei ihm neben dem Wissen des Pytha-<lb/>
goras um die Zahl der Fische das einzige ist, da&#x017F;s näm-<lb/>
lich während des Abzählens der Fische, wozu es doch<lb/>
bei ihrer gro&#x017F;sen Menge geraume Zeit brauchte, keiner<lb/>
derselben gestorben sei. &#x2014; Wem in diesen Vergleichungen<lb/>
nicht das Schalten und Walten der Sage, und damit auch<lb/>
der sagenhafte Charakter der evangelischen Erzählungen<lb/>
zur Anschauung kommt, sondern die Anhänglichkeit an<lb/>
die geschichtliche, sei es natürliche oder übernatürliche<lb/>
Fassung derselben bleibt: nun der mu&#x017F;s doch ebensowenig<lb/>
einen Begriff von Sage wie von Geschichte, von Natürli-<lb/>
chem wie von Übernatürlichem haben.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 68.<lb/>
Berufung des Matthäus. Gemeinschaft Jesu mit den Zöllnern.</head><lb/>
            <p>Das erste Evangelium erzählt (9, 9 ff.) von einem<lb/><foreign xml:lang="ell">&#x1F04;&#x03BD;&#x03D1;&#x03C1;&#x03C9;&#x03C0;&#x03BF;&#x03C2; &#x039C;&#x03B1;&#x03C4;&#x03D1;&#x03B1;&#x1FD6;&#x03BF;&#x03C2; &#x03BB;&#x03B5;&#x03B3;&#x03CC;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C2;</foreign>, statt dessen das zweite<lb/>
und dritte (2, 14 ff. 5, 27 ff.) einen <foreign xml:lang="ell">&#x039B;&#x03B5;&#x03C5;&#x1FD2;&#x03BD; (&#x03C4;&#x1F78;&#x03BD; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FE6; &#x1F08;&#x03BB;&#x03C6;&#x03B1;&#x03AF;&#x03BF;&#x03C5;</foreign><lb/>
bei Markus) haben, welchem, wie er an seiner Zollstätte<lb/>
sa&#x017F;s, Jesus das <foreign xml:lang="ell">&#x1F00;&#x03BA;&#x03BF;&#x03BB;&#x03BF;&#x03CD;&#x03D1;&#x03B5;&#x03B9; &#x03BC;&#x03BF;&#x03B9;</foreign> zurief, worauf er (nach Lu-<lb/>
kas Alles verlie&#x017F;s) ihm nachfolgte und ein Mahl veranstal-<lb/>
tete, an welchem viele Zöllner und Sünder zum Ansto&#x017F;s<lb/>
der Pharisäer Theil nahmen.</p><lb/>
            <p>Wegen des verschiedenen Namens hat man schon ge-<lb/>
meint, es müssen hier zwei verschiedene Begebenheiten<lb/>
zum Grunde liegen <note place="foot" n="1)">s. bei <hi rendition="#k">Kuinöl</hi>, in Matth. p. 255.</note>; doch jene Namensverschiedenheit<lb/>
wird weit überwogen von der Ähnlichkeit, welche darin<lb/>
liegt, da&#x017F;s Matthäus wie die beiden andern diese Berufungs-<lb/>
geschichte zwischen die gleichen Begebenheiten hineinstellt,<lb/>
da&#x017F;s beiderseits das Subjekt der Erzählung in die gleiche<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[541/0565] Fünftes Kapitel. §. 68. Zusammenhang zu fallen, weiſs sie geschickt ein zweites Wunder daraus zu machen, daſs τοσούτων ὄντων, ούκ ἐσχίσ- ϑη τὸ δίκτυον. Ein weiteres Wunder bietet Jamblich dar, welches übrigens bei ihm neben dem Wissen des Pytha- goras um die Zahl der Fische das einzige ist, daſs näm- lich während des Abzählens der Fische, wozu es doch bei ihrer groſsen Menge geraume Zeit brauchte, keiner derselben gestorben sei. — Wem in diesen Vergleichungen nicht das Schalten und Walten der Sage, und damit auch der sagenhafte Charakter der evangelischen Erzählungen zur Anschauung kommt, sondern die Anhänglichkeit an die geschichtliche, sei es natürliche oder übernatürliche Fassung derselben bleibt: nun der muſs doch ebensowenig einen Begriff von Sage wie von Geschichte, von Natürli- chem wie von Übernatürlichem haben. §. 68. Berufung des Matthäus. Gemeinschaft Jesu mit den Zöllnern. Das erste Evangelium erzählt (9, 9 ff.) von einem ἄνϑρωπος Ματϑαῖος λεγόμενος, statt dessen das zweite und dritte (2, 14 ff. 5, 27 ff.) einen Λευῒν (τὸν τοῦ Ἀλφαίου bei Markus) haben, welchem, wie er an seiner Zollstätte saſs, Jesus das ἀκολούϑει μοι zurief, worauf er (nach Lu- kas Alles verlieſs) ihm nachfolgte und ein Mahl veranstal- tete, an welchem viele Zöllner und Sünder zum Anstoſs der Pharisäer Theil nahmen. Wegen des verschiedenen Namens hat man schon ge- meint, es müssen hier zwei verschiedene Begebenheiten zum Grunde liegen 1); doch jene Namensverschiedenheit wird weit überwogen von der Ähnlichkeit, welche darin liegt, daſs Matthäus wie die beiden andern diese Berufungs- geschichte zwischen die gleichen Begebenheiten hineinstellt, daſs beiderseits das Subjekt der Erzählung in die gleiche 1) s. bei Kuinöl, in Matth. p. 255.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/565
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/565>, abgerufen am 26.04.2024.