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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erster Abschnitt.
geschichtliches Gepräge zu tragen. Ein doppeltes Gesetz,
das eine der Mutter ein Reinigungsopfer vorschreibend,
das andre die Loskaufung des erstgeborenen Sohnes hei-
schend, führt die Eltern Jesu mit dem Kinde nach Jeru-
salem in den Tempel. Hier treffen sie einen frommen,
messianischen Erwartungen hingegebenen Mann, mit Na-
men Simeon, an. Manche Erklärer halten diesen Simeon
für denselben mit dem Rabban Simeon (Hillels Sohn und
Nachfolger als Präsident des Synedriums, und Vater Ga-
maliels), welchen selbst wieder manche mit dem Sameas des
Josephus 1) identificiren, und auf seine angeblich Davidi-
sche Abkunft desswegen Gewicht legen, weil diese ihn zum
Verwandten Jesu mache, und die folgende Scene natürlich
erklären helfe 2). Doch auch ohne diese Annahme, welche
schon durch die, für einen so bekannten Mann zu kahle
Bezeichnung: anthropos tis bei Lukas unwahrscheinlich
wird 3), scheint sich immerhin die Scene, welche sich so-
fort zwischen den Eltern Jesu und diesem Simeon zutrug,
wie auch die Rolle, welche die Prophetin Hanna dabei
spielte, auf sehr natürliche Weise erklären zu lassen. Nicht
einmal das braucht man mit dem Verf. der natürlichen Ge-
schichte 4) vorauszusetzen, dass Simeon schon vorher um die
Hoffnung der Maria, den Messias zu gebären, gewusst habe:
man denke sich nur mit Paulus u. A. 5) die Sache so. Be-
seelt, wie Manche in jener Zeit, von der Erwartung der
nahe bevorstehenden Ankunft des Messias, bekommt Simeon,

1) Antiq. 14, 9. 4. 15, 1, 1 u. 10, 4.
2) S. bei Paulus a. a. O. S. 194 f.
3) Paulus a. a. O. Das Evang. Nicodemi freilich nennt ihn c. 16,
u megas didaskalos, und das Protev. Jacobi c. 24. macht
ihn zum Priester oder gar zum Hohenpriester, s. die Varr.
bei Thilo Cod. Apocr. N. T. 1, S. 271. vgl. 203.
4) 1. Thl. S. 205 ff.
5) Paulus a. a. O. S. 191. Kuinöl, Comm. in Luc. p. 340.

Erster Abschnitt.
geschichtliches Gepräge zu tragen. Ein doppeltes Gesetz,
das eine der Mutter ein Reinigungsopfer vorschreibend,
das andre die Loskaufung des erstgeborenen Sohnes hei-
schend, führt die Eltern Jesu mit dem Kinde nach Jeru-
salem in den Tempel. Hier treffen sie einen frommen,
messianischen Erwartungen hingegebenen Mann, mit Na-
men Simeon, an. Manche Erklärer halten diesen Simeon
für denselben mit dem Rabban Simeon (Hillels Sohn und
Nachfolger als Präsident des Synedriums, und Vater Ga-
maliels), welchen selbst wieder manche mit dem Sameas des
Josephus 1) identificiren, und auf seine angeblich Davidi-
sche Abkunft deſswegen Gewicht legen, weil diese ihn zum
Verwandten Jesu mache, und die folgende Scene natürlich
erklären helfe 2). Doch auch ohne diese Annahme, welche
schon durch die, für einen so bekannten Mann zu kahle
Bezeichnung: ἄνϑρωπός τις bei Lukas unwahrscheinlich
wird 3), scheint sich immerhin die Scene, welche sich so-
fort zwischen den Eltern Jesu und diesem Simeon zutrug,
wie auch die Rolle, welche die Prophetin Hanna dabei
spielte, auf sehr natürliche Weise erklären zu lassen. Nicht
einmal das braucht man mit dem Verf. der natürlichen Ge-
schichte 4) vorauszusetzen, daſs Simeon schon vorher um die
Hoffnung der Maria, den Messias zu gebären, gewuſst habe:
man denke sich nur mit Paulus u. A. 5) die Sache so. Be-
seelt, wie Manche in jener Zeit, von der Erwartung der
nahe bevorstehenden Ankunft des Messias, bekommt Simeon,

1) Antiq. 14, 9. 4. 15, 1, 1 u. 10, 4.
2) S. bei Paulus a. a. O. S. 194 f.
3) Paulus a. a. O. Das Evang. Nicodemi freilich nennt ihn c. 16,
ὑ μέγας διδάσκαλος, und das Protev. Jacobi c. 24. macht
ihn zum Priester oder gar zum Hohenpriester, s. die Varr.
bei Thilo Cod. Apocr. N. T. 1, S. 271. vgl. 203.
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[260/0284] Erster Abschnitt. geschichtliches Gepräge zu tragen. Ein doppeltes Gesetz, das eine der Mutter ein Reinigungsopfer vorschreibend, das andre die Loskaufung des erstgeborenen Sohnes hei- schend, führt die Eltern Jesu mit dem Kinde nach Jeru- salem in den Tempel. Hier treffen sie einen frommen, messianischen Erwartungen hingegebenen Mann, mit Na- men Simeon, an. Manche Erklärer halten diesen Simeon für denselben mit dem Rabban Simeon (Hillels Sohn und Nachfolger als Präsident des Synedriums, und Vater Ga- maliels), welchen selbst wieder manche mit dem Sameas des Josephus 1) identificiren, und auf seine angeblich Davidi- sche Abkunft deſswegen Gewicht legen, weil diese ihn zum Verwandten Jesu mache, und die folgende Scene natürlich erklären helfe 2). Doch auch ohne diese Annahme, welche schon durch die, für einen so bekannten Mann zu kahle Bezeichnung: ἄνϑρωπός τις bei Lukas unwahrscheinlich wird 3), scheint sich immerhin die Scene, welche sich so- fort zwischen den Eltern Jesu und diesem Simeon zutrug, wie auch die Rolle, welche die Prophetin Hanna dabei spielte, auf sehr natürliche Weise erklären zu lassen. Nicht einmal das braucht man mit dem Verf. der natürlichen Ge- schichte 4) vorauszusetzen, daſs Simeon schon vorher um die Hoffnung der Maria, den Messias zu gebären, gewuſst habe: man denke sich nur mit Paulus u. A. 5) die Sache so. Be- seelt, wie Manche in jener Zeit, von der Erwartung der nahe bevorstehenden Ankunft des Messias, bekommt Simeon, 1) Antiq. 14, 9. 4. 15, 1, 1 u. 10, 4. 2) S. bei Paulus a. a. O. S. 194 f. 3) Paulus a. a. O. Das Evang. Nicodemi freilich nennt ihn c. 16, ὑ μέγας διδάσκαλος, und das Protev. Jacobi c. 24. macht ihn zum Priester oder gar zum Hohenpriester, s. die Varr. bei Thilo Cod. Apocr. N. T. 1, S. 271. vgl. 203. 4) 1. Thl. S. 205 ff. 5) Paulus a. a. O. S. 191. Kuinöl, Comm. in Luc. p. 340.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/284>, abgerufen am 26.04.2024.