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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Achtes Kapitel. §. 82.
den Beri[c]h des Lukas vor; von der kleinen Zwischen-
handlung mit der seligpreisenden Frau namentlich glaubt
er, sie ver[r]athe eine frische und lebendige Erinnerung,
welche sie an Ort und Stelle, wo sie vorgefallen, einge-
schoben zu haben scheine, wogegen Matthäus mit der Ant-
wort Jesu auf den Ausruf der Frau die sehr ähnliche auf
die Anmeldung der Verwandten verwechselt, diese an die
Stelle von jener gesezt, und so die Scene mit der Frau
übergangen habe 5). Allein wie gerade durch die tech-
nische Erörterung über die Wiederkehr der ausgetriebe-
nen Dämonen oder auch durch die vorangegangenen Straf-
reden die Frau sich zu einer so begeisterten Ausrufung
hingerissen fühlen konnte, ist schwer begreiflich, und es
möchte eher die der Schleiermacher'schen entgegengesez-
te Vermuthung sich begründen lassen, dass an die Stelle
der Anmeldung der Verwandten der Referent im dritten
Evangelium d[i]e ähnlich auslaufende Scene mit der selig-
preisenden Frau gesezt habe. Es hatte nämlich, wie wir
aus Matthäus und Markus sehen, die evangelische Über-
lieferung, sei es aus einem historischen oder einem zu-
fälligen Grunde, jenen Besuch und das Diktum von den
geistigen Verwandten mit den Reden Jesu gegen den Vor-
wurf eines Verhältnisses zum Beelzebul und von der Wie-
derkehr der Dämonen in Verbindung gebracht, und auch
Lukas, wo er an den Schluss dieser Reden kam, wurde
an jene Scene und deren Pointe, die Erhebung der gei-
stigen Verwandtschaft Jesu, erinnert. Nun aber hatte er
den Besuch bereits oben gemeldet 6), er griff daher nach

5) a. a. O. S. 177 f.
6) Was den Evangelisten veranlasste, den Besuch nach der Pa-
rabel vom Säemann einzuschalten, muss auch nicht gerade,
wie Schleiermacher meint, eine wirkliche chronologische Ver-
bindung gewesen sein, vielmehr werden wir das ganz in sei-
ner Art finden, dass ihm der Schluss der Auslegung jener
Parabel: outoi eisin oitines -- akousantes ton logon kat-

Achtes Kapitel. §. 82.
den Beri[c]h des Lukas vor; von der kleinen Zwischen-
handlung mit der seligpreisenden Frau namentlich glaubt
er, sie ver[r]athe eine frische und lebendige Erinnerung,
welche sie an Ort und Stelle, wo sie vorgefallen, einge-
schoben zu haben scheine, wogegen Matthäus mit der Ant-
wort Jesu auf den Ausruf der Frau die sehr ähnliche auf
die Anmeldung der Verwandten verwechselt, diese an die
Stelle von jener gesezt, und so die Scene mit der Frau
übergangen habe 5). Allein wie gerade durch die tech-
nische Erörterung über die Wiederkehr der ausgetriebe-
nen Dämonen oder auch durch die vorangegangenen Straf-
reden die Frau sich zu einer so begeisterten Ausrufung
hingerissen fühlen konnte, ist schwer begreiflich, und es
möchte eher die der Schleiermacher'schen entgegengesez-
te Vermuthung sich begründen lassen, daſs an die Stelle
der Anmeldung der Verwandten der Referent im dritten
Evangelium d[i]e ähnlich auslaufende Scene mit der selig-
preisenden Frau gesezt habe. Es hatte nämlich, wie wir
aus Matthäus und Markus sehen, die evangelische Über-
lieferung, sei es aus einem historischen oder einem zu-
fälligen Grunde, jenen Besuch und das Diktum von den
geistigen Verwandten mit den Reden Jesu gegen den Vor-
wurf eines Verhältnisses zum Beelzebul und von der Wie-
derkehr der Dämonen in Verbindung gebracht, und auch
Lukas, wo er an den Schluſs dieser Reden kam, wurde
an jene Scene und deren Pointe, die Erhebung der gei-
stigen Verwandtschaft Jesu, erinnert. Nun aber hatte er
den Besuch bereits oben gemeldet 6), er griff daher nach

5) a. a. O. S. 177 f.
6) Was den Evangelisten veranlasste, den Besuch nach der Pa-
rabel vom Säemann einzuschalten, muss auch nicht gerade,
wie Schleiermacher meint, eine wirkliche chronologische Ver-
bindung gewesen sein, vielmehr werden wir das ganz in sei-
ner Art finden, dass ihm der Schluss der Auslegung jener
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[695/0719] Achtes Kapitel. §. 82. den Berich des Lukas vor; von der kleinen Zwischen- handlung mit der seligpreisenden Frau namentlich glaubt er, sie verrathe eine frische und lebendige Erinnerung, welche sie an Ort und Stelle, wo sie vorgefallen, einge- schoben zu haben scheine, wogegen Matthäus mit der Ant- wort Jesu auf den Ausruf der Frau die sehr ähnliche auf die Anmeldung der Verwandten verwechselt, diese an die Stelle von jener gesezt, und so die Scene mit der Frau übergangen habe 5). Allein wie gerade durch die tech- nische Erörterung über die Wiederkehr der ausgetriebe- nen Dämonen oder auch durch die vorangegangenen Straf- reden die Frau sich zu einer so begeisterten Ausrufung hingerissen fühlen konnte, ist schwer begreiflich, und es möchte eher die der Schleiermacher'schen entgegengesez- te Vermuthung sich begründen lassen, daſs an die Stelle der Anmeldung der Verwandten der Referent im dritten Evangelium die ähnlich auslaufende Scene mit der selig- preisenden Frau gesezt habe. Es hatte nämlich, wie wir aus Matthäus und Markus sehen, die evangelische Über- lieferung, sei es aus einem historischen oder einem zu- fälligen Grunde, jenen Besuch und das Diktum von den geistigen Verwandten mit den Reden Jesu gegen den Vor- wurf eines Verhältnisses zum Beelzebul und von der Wie- derkehr der Dämonen in Verbindung gebracht, und auch Lukas, wo er an den Schluſs dieser Reden kam, wurde an jene Scene und deren Pointe, die Erhebung der gei- stigen Verwandtschaft Jesu, erinnert. Nun aber hatte er den Besuch bereits oben gemeldet 6), er griff daher nach 5) a. a. O. S. 177 f. 6) Was den Evangelisten veranlasste, den Besuch nach der Pa- rabel vom Säemann einzuschalten, muss auch nicht gerade, wie Schleiermacher meint, eine wirkliche chronologische Ver- bindung gewesen sein, vielmehr werden wir das ganz in sei- ner Art finden, dass ihm der Schluss der Auslegung jener Parabel: οὗτοί εἰσιν οἵτινες — ἀκούσαντες τὸν λόγον κατ-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 695. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/719>, abgerufen am 26.04.2024.