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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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[Spaltenumbruch]

Lie
schen, daß sie vorübergehend sind, und im Grund
etwas blos phantastisches zur Unterstüzung haben.

Hingegen nihmt die durch mancherley Hindernisse
in ihren Unternehmungen gehemmte Liebe nicht selten
eine wahre comische Gestalt an. Sie scheinet von
allen Leidenschaften diejenige zu seyn, die den Men-
schen am meisten hintergeht, und ihn auf die viel-
fältigste Art täuschet. Es kann seinen guten Nuzen
haben, wenn Dichter die comischen Würkungen der-
selben in einem Lichte vorstellen, wodurch beyde
Geschlechter gewarnet werden sich vor einer Leiden-
schaft zu hüten, bey der man große Gefahr läuft,
ins Lächerliche zu fallen. Dieses ist eigentlicher
und guter Stoff für die comische Schaubühne.

Eine edle mit wahrer Zärtlichkeit verbundene Liebe,
die nach einigen Hindernissen zulezt glüklich wird, ist
ein überaus angenehmer Stoff zu dramatischen, epi-
schen und andern erzählenden Arten des Gedichts.
Es ist schwerlich irgend ein Stoff auszufinden, der
so viel reizende Gemählde, so mancherley entzükende
Empfindungen, so liebliche Schwermereyen einer
Wollust trunkenen Seele, darbiethet, als dieser.
Außerdem aber hat hiebey der Dichter Gelegenheit
die mannigfaltigen schäzbaren und angenehmen Wür-
kungen, die die Zärtlichkeit in gut gearteten Seelen
hervorbringt, auf eine reizende Weise zu entwikeln.
Es ist gewiß, daß bey jungen Gemüthern von guter
Anlage, eine recht zärtliche Liebe überaus vortheil-
hafte Würkungen hervorbringen und der ganzen
Gemüthsart eine höchst vortheilhafte Wendung geben
kann. Bey einem edlen und rechtschaffenen Jüng-
ling kann durch die Liebe das ganze Gemüth um
einige Grade zu jedem Guten und Edlen erhöhet
werden, und alle guten Eigenschaften und Gesin-
nungen können dadurch einen Nachdruk bekom-
men, die keine andre Leidenschaft ihnen würde ge-
geben haben.

Aber ausnehmende Sorgfalt hat der Dichter hie-
bey nöthig, daß er nicht seine jüngern Leser in ge-
fährliche Weichlichkeit und phantastische Schwerme-
rey der Empfindungen verleite. Wehe dem Jüng-
ling und dem Mädchen, die kein höheres Glük ken-
nen, als das Glük zu lieben, und geliebt zu werden!
Die schönesten und unschuldigsten Gemählde von der
Glükseeligkeit der Liebe können zu einem verderbli-
chen Gift werden. Selbst die unschuldigste Zärtlich-
keit kann das Gemüth etwas erniedrigen, wenn nicht
durchaus neben der Liebe eine in ihrem Wesen grössere
[Spaltenumbruch]

Lie
und wichtigere Empfindung darin liegt, die noch über
die Liebe herrscht, und das Gemüth, das sich sonst
blos der feinern Wollust der lieblichsten Empfindun-
gen überließe, bey würkenden Kräften erhält. So
hat Klopstok der höchsten Zärtlichkeit des Lazarus und
der Cidli, durch Empfindungen der Religion die gänz-
liche Beherrschung der Herzen zu benehmen gesucht:
nur Schade, daß diese Empfindung, die den Gemü-
thern ihre Stärke erhalten sollte, selbst etwas schwer-
merisches hat. Durch eine geseztere Gottesfurcht
und Liebe zur Tugend, hat Bodmer die Liebe der
Noachiden und der Siphaitinnen vor überwältigen-
der Kraft geschüzet. Schwache Seelen werden durch
Zärtlichkeit noch schwächer; aber die, in denen eine
wahre männliche Stärke liegt, können dadurch noch
mehr Kraft bekommen.

Diese Vetrachtungen muß der Dichter nie aus
den Augen sezen; sonst läuft er Gefahr durch lebhafte
Schilderungen der Liebe sehr schädlich zu werden.
Es wäre hierüber noch ungemein viel besonderes zu
sagen; aber wir müssen bey der allgemeinen Erinne-
rung die wir darüber gemacht haben, stehen bleiben,
und dem Dichter nur überhaupt noch empfehlen, daß
er immer darauf sehe die Zärtlichkeit mehr durch
mancherley edle Würkungen, die sie hervorbringt,
als durch die überfließende Empfindung der vorhan-
denen und gehoften Glükseeligkeit, womit sie ver-
bunden ist, vorzustellen.

Liebhaber.
(Schauspielkunst.)

Die Person, welche im Schauspiel die Role eines
Verliebten hat. Wenn die Gesellschaft der Schau-
spieler vollkommen seyn soll, so müssen Liebhaber
von mehr, als einer Art darin seyn. Denn die
comische Liebe erfodert eine ganz andre Vorstellung,
als die ernsthafte. (*) Die Role der Liebhaber ist
gewiß nicht die Leichteste. Die ernsthafte und edle
Liebe erfodert nothwendig eine edle, angenehme Fi-
gur, ein gefälliges und zärtliches Wesen. Das beste
Stük kann durch eine schlechte Figur, oder durch
schlechte Manieren so verdorben werden, daß das
Ernsthafte poßirlich, und das Zärtliche abgeschmakt
wird; wovon leider die Beyspiele auf der deutschen
Bühne nicht sehr selten sind. Wer kann Antheil
an der Liebe eines Frauenzimmers nehmen, die ei-
nem Geken, oder doch ungeschikten und gar nicht
liebenswürdigen Menschen, ihre Zärtlichkeit giebt?

Und
(*) S.
Liebe.

[Spaltenumbruch]

Lie
ſchen, daß ſie voruͤbergehend ſind, und im Grund
etwas blos phantaſtiſches zur Unterſtuͤzung haben.

Hingegen nihmt die durch mancherley Hinderniſſe
in ihren Unternehmungen gehemmte Liebe nicht ſelten
eine wahre comiſche Geſtalt an. Sie ſcheinet von
allen Leidenſchaften diejenige zu ſeyn, die den Men-
ſchen am meiſten hintergeht, und ihn auf die viel-
faͤltigſte Art taͤuſchet. Es kann ſeinen guten Nuzen
haben, wenn Dichter die comiſchen Wuͤrkungen der-
ſelben in einem Lichte vorſtellen, wodurch beyde
Geſchlechter gewarnet werden ſich vor einer Leiden-
ſchaft zu huͤten, bey der man große Gefahr laͤuft,
ins Laͤcherliche zu fallen. Dieſes iſt eigentlicher
und guter Stoff fuͤr die comiſche Schaubuͤhne.

Eine edle mit wahrer Zaͤrtlichkeit verbundene Liebe,
die nach einigen Hinderniſſen zulezt gluͤklich wird, iſt
ein uͤberaus angenehmer Stoff zu dramatiſchen, epi-
ſchen und andern erzaͤhlenden Arten des Gedichts.
Es iſt ſchwerlich irgend ein Stoff auszufinden, der
ſo viel reizende Gemaͤhlde, ſo mancherley entzuͤkende
Empfindungen, ſo liebliche Schwermereyen einer
Wolluſt trunkenen Seele, darbiethet, als dieſer.
Außerdem aber hat hiebey der Dichter Gelegenheit
die mannigfaltigen ſchaͤzbaren und angenehmen Wuͤr-
kungen, die die Zaͤrtlichkeit in gut gearteten Seelen
hervorbringt, auf eine reizende Weiſe zu entwikeln.
Es iſt gewiß, daß bey jungen Gemuͤthern von guter
Anlage, eine recht zaͤrtliche Liebe uͤberaus vortheil-
hafte Wuͤrkungen hervorbringen und der ganzen
Gemuͤthsart eine hoͤchſt vortheilhafte Wendung geben
kann. Bey einem edlen und rechtſchaffenen Juͤng-
ling kann durch die Liebe das ganze Gemuͤth um
einige Grade zu jedem Guten und Edlen erhoͤhet
werden, und alle guten Eigenſchaften und Geſin-
nungen koͤnnen dadurch einen Nachdruk bekom-
men, die keine andre Leidenſchaft ihnen wuͤrde ge-
geben haben.

Aber ausnehmende Sorgfalt hat der Dichter hie-
bey noͤthig, daß er nicht ſeine juͤngern Leſer in ge-
faͤhrliche Weichlichkeit und phantaſtiſche Schwerme-
rey der Empfindungen verleite. Wehe dem Juͤng-
ling und dem Maͤdchen, die kein hoͤheres Gluͤk ken-
nen, als das Gluͤk zu lieben, und geliebt zu werden!
Die ſchoͤneſten und unſchuldigſten Gemaͤhlde von der
Gluͤkſeeligkeit der Liebe koͤnnen zu einem verderbli-
chen Gift werden. Selbſt die unſchuldigſte Zaͤrtlich-
keit kann das Gemuͤth etwas erniedrigen, wenn nicht
durchaus neben der Liebe eine in ihrem Weſen groͤſſere
[Spaltenumbruch]

Lie
und wichtigere Empfindung darin liegt, die noch uͤber
die Liebe herrſcht, und das Gemuͤth, das ſich ſonſt
blos der feinern Wolluſt der lieblichſten Empfindun-
gen uͤberließe, bey wuͤrkenden Kraͤften erhaͤlt. So
hat Klopſtok der hoͤchſten Zaͤrtlichkeit des Lazarus und
der Cidli, durch Empfindungen der Religion die gaͤnz-
liche Beherrſchung der Herzen zu benehmen geſucht:
nur Schade, daß dieſe Empfindung, die den Gemuͤ-
thern ihre Staͤrke erhalten ſollte, ſelbſt etwas ſchwer-
meriſches hat. Durch eine geſeztere Gottesfurcht
und Liebe zur Tugend, hat Bodmer die Liebe der
Noachiden und der Siphaitinnen vor uͤberwaͤltigen-
der Kraft geſchuͤzet. Schwache Seelen werden durch
Zaͤrtlichkeit noch ſchwaͤcher; aber die, in denen eine
wahre maͤnnliche Staͤrke liegt, koͤnnen dadurch noch
mehr Kraft bekommen.

Dieſe Vetrachtungen muß der Dichter nie aus
den Augen ſezen; ſonſt laͤuft er Gefahr durch lebhafte
Schilderungen der Liebe ſehr ſchaͤdlich zu werden.
Es waͤre hieruͤber noch ungemein viel beſonderes zu
ſagen; aber wir muͤſſen bey der allgemeinen Erinne-
rung die wir daruͤber gemacht haben, ſtehen bleiben,
und dem Dichter nur uͤberhaupt noch empfehlen, daß
er immer darauf ſehe die Zaͤrtlichkeit mehr durch
mancherley edle Wuͤrkungen, die ſie hervorbringt,
als durch die uͤberfließende Empfindung der vorhan-
denen und gehoften Gluͤkſeeligkeit, womit ſie ver-
bunden iſt, vorzuſtellen.

Liebhaber.
(Schauſpielkunſt.)

Die Perſon, welche im Schauſpiel die Role eines
Verliebten hat. Wenn die Geſellſchaft der Schau-
ſpieler vollkommen ſeyn ſoll, ſo muͤſſen Liebhaber
von mehr, als einer Art darin ſeyn. Denn die
comiſche Liebe erfodert eine ganz andre Vorſtellung,
als die ernſthafte. (*) Die Role der Liebhaber iſt
gewiß nicht die Leichteſte. Die ernſthafte und edle
Liebe erfodert nothwendig eine edle, angenehme Fi-
gur, ein gefaͤlliges und zaͤrtliches Weſen. Das beſte
Stuͤk kann durch eine ſchlechte Figur, oder durch
ſchlechte Manieren ſo verdorben werden, daß das
Ernſthafte poßirlich, und das Zaͤrtliche abgeſchmakt
wird; wovon leider die Beyſpiele auf der deutſchen
Buͤhne nicht ſehr ſelten ſind. Wer kann Antheil
an der Liebe eines Frauenzimmers nehmen, die ei-
nem Geken, oder doch ungeſchikten und gar nicht
liebenswuͤrdigen Menſchen, ihre Zaͤrtlichkeit giebt?

Und
(*) S.
Liebe.
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[712[694]/0129] Lie Lie ſchen, daß ſie voruͤbergehend ſind, und im Grund etwas blos phantaſtiſches zur Unterſtuͤzung haben. Hingegen nihmt die durch mancherley Hinderniſſe in ihren Unternehmungen gehemmte Liebe nicht ſelten eine wahre comiſche Geſtalt an. Sie ſcheinet von allen Leidenſchaften diejenige zu ſeyn, die den Men- ſchen am meiſten hintergeht, und ihn auf die viel- faͤltigſte Art taͤuſchet. Es kann ſeinen guten Nuzen haben, wenn Dichter die comiſchen Wuͤrkungen der- ſelben in einem Lichte vorſtellen, wodurch beyde Geſchlechter gewarnet werden ſich vor einer Leiden- ſchaft zu huͤten, bey der man große Gefahr laͤuft, ins Laͤcherliche zu fallen. Dieſes iſt eigentlicher und guter Stoff fuͤr die comiſche Schaubuͤhne. Eine edle mit wahrer Zaͤrtlichkeit verbundene Liebe, die nach einigen Hinderniſſen zulezt gluͤklich wird, iſt ein uͤberaus angenehmer Stoff zu dramatiſchen, epi- ſchen und andern erzaͤhlenden Arten des Gedichts. Es iſt ſchwerlich irgend ein Stoff auszufinden, der ſo viel reizende Gemaͤhlde, ſo mancherley entzuͤkende Empfindungen, ſo liebliche Schwermereyen einer Wolluſt trunkenen Seele, darbiethet, als dieſer. Außerdem aber hat hiebey der Dichter Gelegenheit die mannigfaltigen ſchaͤzbaren und angenehmen Wuͤr- kungen, die die Zaͤrtlichkeit in gut gearteten Seelen hervorbringt, auf eine reizende Weiſe zu entwikeln. Es iſt gewiß, daß bey jungen Gemuͤthern von guter Anlage, eine recht zaͤrtliche Liebe uͤberaus vortheil- hafte Wuͤrkungen hervorbringen und der ganzen Gemuͤthsart eine hoͤchſt vortheilhafte Wendung geben kann. Bey einem edlen und rechtſchaffenen Juͤng- ling kann durch die Liebe das ganze Gemuͤth um einige Grade zu jedem Guten und Edlen erhoͤhet werden, und alle guten Eigenſchaften und Geſin- nungen koͤnnen dadurch einen Nachdruk bekom- men, die keine andre Leidenſchaft ihnen wuͤrde ge- geben haben. Aber ausnehmende Sorgfalt hat der Dichter hie- bey noͤthig, daß er nicht ſeine juͤngern Leſer in ge- faͤhrliche Weichlichkeit und phantaſtiſche Schwerme- rey der Empfindungen verleite. Wehe dem Juͤng- ling und dem Maͤdchen, die kein hoͤheres Gluͤk ken- nen, als das Gluͤk zu lieben, und geliebt zu werden! Die ſchoͤneſten und unſchuldigſten Gemaͤhlde von der Gluͤkſeeligkeit der Liebe koͤnnen zu einem verderbli- chen Gift werden. Selbſt die unſchuldigſte Zaͤrtlich- keit kann das Gemuͤth etwas erniedrigen, wenn nicht durchaus neben der Liebe eine in ihrem Weſen groͤſſere und wichtigere Empfindung darin liegt, die noch uͤber die Liebe herrſcht, und das Gemuͤth, das ſich ſonſt blos der feinern Wolluſt der lieblichſten Empfindun- gen uͤberließe, bey wuͤrkenden Kraͤften erhaͤlt. So hat Klopſtok der hoͤchſten Zaͤrtlichkeit des Lazarus und der Cidli, durch Empfindungen der Religion die gaͤnz- liche Beherrſchung der Herzen zu benehmen geſucht: nur Schade, daß dieſe Empfindung, die den Gemuͤ- thern ihre Staͤrke erhalten ſollte, ſelbſt etwas ſchwer- meriſches hat. Durch eine geſeztere Gottesfurcht und Liebe zur Tugend, hat Bodmer die Liebe der Noachiden und der Siphaitinnen vor uͤberwaͤltigen- der Kraft geſchuͤzet. Schwache Seelen werden durch Zaͤrtlichkeit noch ſchwaͤcher; aber die, in denen eine wahre maͤnnliche Staͤrke liegt, koͤnnen dadurch noch mehr Kraft bekommen. Dieſe Vetrachtungen muß der Dichter nie aus den Augen ſezen; ſonſt laͤuft er Gefahr durch lebhafte Schilderungen der Liebe ſehr ſchaͤdlich zu werden. Es waͤre hieruͤber noch ungemein viel beſonderes zu ſagen; aber wir muͤſſen bey der allgemeinen Erinne- rung die wir daruͤber gemacht haben, ſtehen bleiben, und dem Dichter nur uͤberhaupt noch empfehlen, daß er immer darauf ſehe die Zaͤrtlichkeit mehr durch mancherley edle Wuͤrkungen, die ſie hervorbringt, als durch die uͤberfließende Empfindung der vorhan- denen und gehoften Gluͤkſeeligkeit, womit ſie ver- bunden iſt, vorzuſtellen. Liebhaber. (Schauſpielkunſt.) Die Perſon, welche im Schauſpiel die Role eines Verliebten hat. Wenn die Geſellſchaft der Schau- ſpieler vollkommen ſeyn ſoll, ſo muͤſſen Liebhaber von mehr, als einer Art darin ſeyn. Denn die comiſche Liebe erfodert eine ganz andre Vorſtellung, als die ernſthafte. (*) Die Role der Liebhaber iſt gewiß nicht die Leichteſte. Die ernſthafte und edle Liebe erfodert nothwendig eine edle, angenehme Fi- gur, ein gefaͤlliges und zaͤrtliches Weſen. Das beſte Stuͤk kann durch eine ſchlechte Figur, oder durch ſchlechte Manieren ſo verdorben werden, daß das Ernſthafte poßirlich, und das Zaͤrtliche abgeſchmakt wird; wovon leider die Beyſpiele auf der deutſchen Buͤhne nicht ſehr ſelten ſind. Wer kann Antheil an der Liebe eines Frauenzimmers nehmen, die ei- nem Geken, oder doch ungeſchikten und gar nicht liebenswuͤrdigen Menſchen, ihre Zaͤrtlichkeit giebt? Und (*) S. Liebe.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 712[694]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/129>, abgerufen am 29.04.2024.