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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Lük
muß sich wundern, daß ungeachtet Leonbardo da
Vinci
schon verschiedene einzele Punkte dieser Wissen-
schaft mit der Genauigkeit eines Meßkünstlers be-
handelt hat (+), sich bis izt niemand gefunden, der
sie in ihrem Umfang methodisch vorzutragen unter-
nommen hätte. Man kann aus einer Stelle des
Philostratus schließen, daß auch die Alten schon
gute Bemerkungen über die Luftperspektiv gemacht
haben. (*)

Lüke.
(Schöne Künste.)

Dieses Wort drükt überhaupt einen Mangel des
Zusammenhanges, oder eine Unterbrechung des Ste-
ten
oder in einem Fortgehenden aus. Jn den Wer-
ken des Geschmaks müssen die Vorstellungen in einem
ununterbrochenen Zusammenhang aufeinander fol-
gen, weil die Unterbrechung allemal etwas unange-
nehmes hat. Bis izt aber haben die Kunstrichter
die unangenehme Würkung der vorkommenden Lü-
ken, nicht in der nöthigen Allgemeinheit betrachtet.
So haben sie bemerkt, daß im Drama die Lüken
zwischen zwey Auftritten unangenehm werden, und
deswegen dem Dichter die Regel vorgeschrieben, daß
die Schaubühne während eines Aufzuges nicht müsse
leer werden, und daß die gegenwärtigen Personen
nicht abtreten müssen, bis die folgenden sich zeigen.
Man fühlt leichte, daß der Zusammenhang der
Handlung auf diese Weise am genauesten bemerkt
wird. Jm Drama muß der Zuschauer nie müßig
seyn, damit seine Aufmerksamkeit nicht zerstreuet
werde. Nur wenn eine Hauptperiode der Hand-
lung zu Ende gekommen, kann man die Vorstel-
lung unterbrechen, wie am Ende eines Aufzuges
geschieht. (*)

Jndessen haben auch große dramatische Dichter
nicht allemal die Lüken vermieden. Man findet sie
beym Plautus und beym Euripides: aber beym
Sophokles erinnere ich mich keiner. Wenn man
den Dichter auch keines Hauptfehlers beschuldigen
will, wenn er irgendwo eine Lüke gelassen hat; so
wird man doch gestehen, daß es besser gewesen wäre,
wenn er sie vermieden hätte.

[Spaltenumbruch]
Lük

Aber anstößiger und schädlicher als diese Lüken,
die im Grunde nur das äußerliche betreffen, sind
diejenigen, die der Dichter in der Handlung selbst,
oder der Redner in den Gedanken läßt. Wenn
z. B. ein Mensch, den wir in gewissen Gesinnungen,
oder in einem gewissen Vorhaben begriffen sehen,
sich ändert, ohne daß wir den geringsten Grund da-
für entdeken, so werden wir verdrießlich. Darum
müssen alle Schritte der Gedanken und Handlungen
der Menschen, von dem Künstler uns so vorgelegt
werden, daß wir überall begreifen, wie der folgende
aus dem vorhergehenden entsteht. Je genauer alles
zusammen hängt und gleichsam in einander geschlun-
gen ist, je besser sind wir damit zu frieden.

Dazu gehören von Seite des Künstlers zwey
Dinge: die Gründlichkeit, die eigentlich auf den
wahren Zusammenhang der Dinge geht, und die
Sorgfalt wol zu untersuchen, ob man auch alles,
was man hat sagen, oder vorstellen wollen, würk-
lich gesagt und vorgestellt habe. Denn gar ofte
entstehen in dem Werk des Künstlers Lüken, wo in
seinen Gedanken keine gewesen sind; nur weil er
nicht sorgfältig genug gewesen ist, zu überlegen, ob
er auch würklich alles gesagt hat, was er gesagt zu
haben sich vorstellt. Darum muß er sich oft an
die Stelle seines Lesers, oder Zuhörers sezen und
sein Werk, als ein solches beurtheilen. Dieses ist
ein Theil der Ausarbeitung.

Lüke.
(Dichtkunst.)

Jn einem ganz besondern Sinn bedeutet dieses
Wort, das, was einige Neuern auch sonst durch
das lateinische Wort hiatus ausdrüken, die Unter-
brechung in der Bewegung der, zur Sprache dienen-
den, Gliedmaaßen, die aus der unmittelbaren Folge
zweyer Töne entsteht, wobey der Uebergang des einen
zum andern durch eine Art von Sprung geschieht,
welches dem Wolklang entgegen seyn kann. Weil
dieses nicht selten bey dem Zusammenstoß der Voca-
len geschieht, so haben verschiedene neuere Kunst-
richter dieses, als eine dem Wolklang schädliche Sa-
che gänzlich verboten, wogegen aber andere verschie-
denes einwenden.

Es
(+) [Spaltenumbruch] Man sehe unter anderm in dieses großen Mannes
fürtreflichen Anmerkungen über die Mahlerey das 107,
134, und das 164 Capitel, in welchem lezten er Versuche
[Spaltenumbruch] vorschlägt, wodurch man unmittelbar praktische Regeln
abnehmen könnte.
(*) Phi-
lostr. lco-
nes. L. I.
Piscatores
(*) S.
Aufzug.
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[Spaltenumbruch]

Luͤk
muß ſich wundern, daß ungeachtet Leonbardo da
Vinci
ſchon verſchiedene einzele Punkte dieſer Wiſſen-
ſchaft mit der Genauigkeit eines Meßkuͤnſtlers be-
handelt hat (†), ſich bis izt niemand gefunden, der
ſie in ihrem Umfang methodiſch vorzutragen unter-
nommen haͤtte. Man kann aus einer Stelle des
Philoſtratus ſchließen, daß auch die Alten ſchon
gute Bemerkungen uͤber die Luftperſpektiv gemacht
haben. (*)

Luͤke.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Dieſes Wort druͤkt uͤberhaupt einen Mangel des
Zuſammenhanges, oder eine Unterbrechung des Ste-
ten
oder in einem Fortgehenden aus. Jn den Wer-
ken des Geſchmaks muͤſſen die Vorſtellungen in einem
ununterbrochenen Zuſammenhang aufeinander fol-
gen, weil die Unterbrechung allemal etwas unange-
nehmes hat. Bis izt aber haben die Kunſtrichter
die unangenehme Wuͤrkung der vorkommenden Luͤ-
ken, nicht in der noͤthigen Allgemeinheit betrachtet.
So haben ſie bemerkt, daß im Drama die Luͤken
zwiſchen zwey Auftritten unangenehm werden, und
deswegen dem Dichter die Regel vorgeſchrieben, daß
die Schaubuͤhne waͤhrend eines Aufzuges nicht muͤſſe
leer werden, und daß die gegenwaͤrtigen Perſonen
nicht abtreten muͤſſen, bis die folgenden ſich zeigen.
Man fuͤhlt leichte, daß der Zuſammenhang der
Handlung auf dieſe Weiſe am genaueſten bemerkt
wird. Jm Drama muß der Zuſchauer nie muͤßig
ſeyn, damit ſeine Aufmerkſamkeit nicht zerſtreuet
werde. Nur wenn eine Hauptperiode der Hand-
lung zu Ende gekommen, kann man die Vorſtel-
lung unterbrechen, wie am Ende eines Aufzuges
geſchieht. (*)

Jndeſſen haben auch große dramatiſche Dichter
nicht allemal die Luͤken vermieden. Man findet ſie
beym Plautus und beym Euripides: aber beym
Sophokles erinnere ich mich keiner. Wenn man
den Dichter auch keines Hauptfehlers beſchuldigen
will, wenn er irgendwo eine Luͤke gelaſſen hat; ſo
wird man doch geſtehen, daß es beſſer geweſen waͤre,
wenn er ſie vermieden haͤtte.

[Spaltenumbruch]
Luͤk

Aber anſtoͤßiger und ſchaͤdlicher als dieſe Luͤken,
die im Grunde nur das aͤußerliche betreffen, ſind
diejenigen, die der Dichter in der Handlung ſelbſt,
oder der Redner in den Gedanken laͤßt. Wenn
z. B. ein Menſch, den wir in gewiſſen Geſinnungen,
oder in einem gewiſſen Vorhaben begriffen ſehen,
ſich aͤndert, ohne daß wir den geringſten Grund da-
fuͤr entdeken, ſo werden wir verdrießlich. Darum
muͤſſen alle Schritte der Gedanken und Handlungen
der Menſchen, von dem Kuͤnſtler uns ſo vorgelegt
werden, daß wir uͤberall begreifen, wie der folgende
aus dem vorhergehenden entſteht. Je genauer alles
zuſammen haͤngt und gleichſam in einander geſchlun-
gen iſt, je beſſer ſind wir damit zu frieden.

Dazu gehoͤren von Seite des Kuͤnſtlers zwey
Dinge: die Gruͤndlichkeit, die eigentlich auf den
wahren Zuſammenhang der Dinge geht, und die
Sorgfalt wol zu unterſuchen, ob man auch alles,
was man hat ſagen, oder vorſtellen wollen, wuͤrk-
lich geſagt und vorgeſtellt habe. Denn gar ofte
entſtehen in dem Werk des Kuͤnſtlers Luͤken, wo in
ſeinen Gedanken keine geweſen ſind; nur weil er
nicht ſorgfaͤltig genug geweſen iſt, zu uͤberlegen, ob
er auch wuͤrklich alles geſagt hat, was er geſagt zu
haben ſich vorſtellt. Darum muß er ſich oft an
die Stelle ſeines Leſers, oder Zuhoͤrers ſezen und
ſein Werk, als ein ſolches beurtheilen. Dieſes iſt
ein Theil der Ausarbeitung.

Luͤke.
(Dichtkunſt.)

Jn einem ganz beſondern Sinn bedeutet dieſes
Wort, das, was einige Neuern auch ſonſt durch
das lateiniſche Wort hiatus ausdruͤken, die Unter-
brechung in der Bewegung der, zur Sprache dienen-
den, Gliedmaaßen, die aus der unmittelbaren Folge
zweyer Toͤne entſteht, wobey der Uebergang des einen
zum andern durch eine Art von Sprung geſchieht,
welches dem Wolklang entgegen ſeyn kann. Weil
dieſes nicht ſelten bey dem Zuſammenſtoß der Voca-
len geſchieht, ſo haben verſchiedene neuere Kunſt-
richter dieſes, als eine dem Wolklang ſchaͤdliche Sa-
che gaͤnzlich verboten, wogegen aber andere verſchie-
denes einwenden.

Es
(†) [Spaltenumbruch] Man ſehe unter anderm in dieſes großen Mannes
fuͤrtreflichen Anmerkungen uͤber die Mahlerey das 107,
134, und das 164 Capitel, in welchem lezten er Verſuche
[Spaltenumbruch] vorſchlaͤgt, wodurch man unmittelbar praktiſche Regeln
abnehmen koͤnnte.
(*) Phi-
loſtr. lco-
nes. L. I.
Piscatores
(*) S.
Aufzug.
Uu uu 2
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[725[707]/0142] Luͤk Luͤk muß ſich wundern, daß ungeachtet Leonbardo da Vinci ſchon verſchiedene einzele Punkte dieſer Wiſſen- ſchaft mit der Genauigkeit eines Meßkuͤnſtlers be- handelt hat (†), ſich bis izt niemand gefunden, der ſie in ihrem Umfang methodiſch vorzutragen unter- nommen haͤtte. Man kann aus einer Stelle des Philoſtratus ſchließen, daß auch die Alten ſchon gute Bemerkungen uͤber die Luftperſpektiv gemacht haben. (*) Luͤke. (Schoͤne Kuͤnſte.) Dieſes Wort druͤkt uͤberhaupt einen Mangel des Zuſammenhanges, oder eine Unterbrechung des Ste- ten oder in einem Fortgehenden aus. Jn den Wer- ken des Geſchmaks muͤſſen die Vorſtellungen in einem ununterbrochenen Zuſammenhang aufeinander fol- gen, weil die Unterbrechung allemal etwas unange- nehmes hat. Bis izt aber haben die Kunſtrichter die unangenehme Wuͤrkung der vorkommenden Luͤ- ken, nicht in der noͤthigen Allgemeinheit betrachtet. So haben ſie bemerkt, daß im Drama die Luͤken zwiſchen zwey Auftritten unangenehm werden, und deswegen dem Dichter die Regel vorgeſchrieben, daß die Schaubuͤhne waͤhrend eines Aufzuges nicht muͤſſe leer werden, und daß die gegenwaͤrtigen Perſonen nicht abtreten muͤſſen, bis die folgenden ſich zeigen. Man fuͤhlt leichte, daß der Zuſammenhang der Handlung auf dieſe Weiſe am genaueſten bemerkt wird. Jm Drama muß der Zuſchauer nie muͤßig ſeyn, damit ſeine Aufmerkſamkeit nicht zerſtreuet werde. Nur wenn eine Hauptperiode der Hand- lung zu Ende gekommen, kann man die Vorſtel- lung unterbrechen, wie am Ende eines Aufzuges geſchieht. (*) Jndeſſen haben auch große dramatiſche Dichter nicht allemal die Luͤken vermieden. Man findet ſie beym Plautus und beym Euripides: aber beym Sophokles erinnere ich mich keiner. Wenn man den Dichter auch keines Hauptfehlers beſchuldigen will, wenn er irgendwo eine Luͤke gelaſſen hat; ſo wird man doch geſtehen, daß es beſſer geweſen waͤre, wenn er ſie vermieden haͤtte. Aber anſtoͤßiger und ſchaͤdlicher als dieſe Luͤken, die im Grunde nur das aͤußerliche betreffen, ſind diejenigen, die der Dichter in der Handlung ſelbſt, oder der Redner in den Gedanken laͤßt. Wenn z. B. ein Menſch, den wir in gewiſſen Geſinnungen, oder in einem gewiſſen Vorhaben begriffen ſehen, ſich aͤndert, ohne daß wir den geringſten Grund da- fuͤr entdeken, ſo werden wir verdrießlich. Darum muͤſſen alle Schritte der Gedanken und Handlungen der Menſchen, von dem Kuͤnſtler uns ſo vorgelegt werden, daß wir uͤberall begreifen, wie der folgende aus dem vorhergehenden entſteht. Je genauer alles zuſammen haͤngt und gleichſam in einander geſchlun- gen iſt, je beſſer ſind wir damit zu frieden. Dazu gehoͤren von Seite des Kuͤnſtlers zwey Dinge: die Gruͤndlichkeit, die eigentlich auf den wahren Zuſammenhang der Dinge geht, und die Sorgfalt wol zu unterſuchen, ob man auch alles, was man hat ſagen, oder vorſtellen wollen, wuͤrk- lich geſagt und vorgeſtellt habe. Denn gar ofte entſtehen in dem Werk des Kuͤnſtlers Luͤken, wo in ſeinen Gedanken keine geweſen ſind; nur weil er nicht ſorgfaͤltig genug geweſen iſt, zu uͤberlegen, ob er auch wuͤrklich alles geſagt hat, was er geſagt zu haben ſich vorſtellt. Darum muß er ſich oft an die Stelle ſeines Leſers, oder Zuhoͤrers ſezen und ſein Werk, als ein ſolches beurtheilen. Dieſes iſt ein Theil der Ausarbeitung. Luͤke. (Dichtkunſt.) Jn einem ganz beſondern Sinn bedeutet dieſes Wort, das, was einige Neuern auch ſonſt durch das lateiniſche Wort hiatus ausdruͤken, die Unter- brechung in der Bewegung der, zur Sprache dienen- den, Gliedmaaßen, die aus der unmittelbaren Folge zweyer Toͤne entſteht, wobey der Uebergang des einen zum andern durch eine Art von Sprung geſchieht, welches dem Wolklang entgegen ſeyn kann. Weil dieſes nicht ſelten bey dem Zuſammenſtoß der Voca- len geſchieht, ſo haben verſchiedene neuere Kunſt- richter dieſes, als eine dem Wolklang ſchaͤdliche Sa- che gaͤnzlich verboten, wogegen aber andere verſchie- denes einwenden. Es (†) Man ſehe unter anderm in dieſes großen Mannes fuͤrtreflichen Anmerkungen uͤber die Mahlerey das 107, 134, und das 164 Capitel, in welchem lezten er Verſuche vorſchlaͤgt, wodurch man unmittelbar praktiſche Regeln abnehmen koͤnnte. (*) Phi- loſtr. lco- nes. L. I. Piscatores (*) S. Aufzug. Uu uu 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 725[707]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/142>, abgerufen am 29.04.2024.