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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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habe, läßt sich nicht bestimmen. Gewiß ists, daß
zu Cäsars Zeiten noch große Mahler gewesen, und
es scheinet, daß Timomachus, der verschiedenes für
diesen Dictator gemahlt hat, den besten unter den
alten Mahlern wenig nachgegeben habe. (+) Und
doch nennt Plinius die Mahlerey eine zu seiner Zeit
dem Untergang nahe Kunst. (++)

Wie weit die alten Hetrusker die Kunst des Mah-
lens getrieben haben, läßt sich nicht sagen. Aus
den Hetruskischen Geschirren, die noch häufig gefun-
den werden, sieht man, daß sie gute Zeichner gewe-
sen. Denn man findet da Figuren von schönen
Verhältnissen, einer sehr guten und dabey nachdrük-
lichen Zeichnung; aber über das Colorit der Mahler
dieser Nation sind wir in völliger Ungewißheit.

Unter den späthern Kaysern kam die Mahlerey
in Abnahm und wurd so barbarisch, als die Sitten.
Es blieben zwar in Rom, und noch mehr in Grie-
chenland und in Constantinopel Mahler genug übrig;
aber die wahre Kunst war größtentheils verschwun-
den, und blieb viel Jahrhunderte durch in dem Zu-
stand der Niedrigkeit. Merkwürdig ist indessen, daß
außer der Bildschnizerey eine Art auf Holz zu mah-
len, die dem Wind und Wetter wiederstund, wie
die encaustische Mahlerey, in den mittlern Zeiten
selbst bey den Pommerschen Wenden angetroffen wor-
den. (+++) Auch finde ich in der Beschreibung der
öffentlichen Gemählde in Venedig, daß im Jahr 1071
in der Marcuskirche mosaische Gemählde nach Car-
tons, welche aus Constantinopel gekommen, verfer-
tiget worden. Ueberhaupt ist anzumerken, daß die
Mahlerey durch alle Jahrhunderte der so genannten
mittlern Zeiten immer getrieben worden. Aber der
Geschmak und das Hohe der Kunst fehlten ihr, bis
beydes gegen Ende des XV Jahrhunderts wieder
zu keimen anfieng. Man hat wenig auf die Nach-
richten zu achten, die uns die Welschen Schriftstel-
ler von Wiederauflebung der Mahlerey im XIII und
XIV Jahrhundert geben. Denn Mahler derglei-
chen ihr Giono und Cimabue waren, hatte es auch
seit dem Verfall der Kunst in allen Jahrhunderten,
und in allen gesitteten Ländern von Europa gegeben;
daher können gedachte Männer keine Epoche aus-
machen. Die ersten wahren Mahler der neuern
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Zeit, bey denen die eigentliche Wiederherstellung
der Kunst anfängt, sind Leonhardo da Vinci und
Michel Angelo, auf die aber Titian, Corregio und
Raphael bald folgten. Nur verdienet die Epoche
der Erfindung der Mahlerey in Oelfarben noch
bemerkt zu werden. (*)

Sonderbar ist es, daß die größten Mahler der
neuern Zeit, Vinci, Angelo, Corregio, Titian,
Raphael, alle zugleich, zur Zeit der eigentlichen
Wiederherstellung der Kunst am Ende des XV und
Anfange des XVI Jahrhunderts gelebt haben. Wie
sehr seit dem verschiedene europäische Nationen gleich-
sam um die Wette sich beeyfert haben diese Kunst in die
Höhe zu bringen, braucht hier nicht wiederholt zu
werden, da wir hievon in den Artikeln über die ver-
schiedenen Schulen, so weit die Absicht dieses Werks
es erfodert, gesprochen haben. (*) Man kann sa-
gen, daß die neuern alle Theile der Kunst auf einen
hohen Grad, einige aber auf den höchsten, der
möglich ist, gebracht haben. Das einzige was ihr
noch fehlet, ist eine mehrere Vollkommenheit in der
Anwendung, wovon weiter oben bereits verschiede-
nes erinnert worden.

Nur noch eine Anmerkung, womit wir diesen
Artikel beschließen wollen. Die Mahlerey gefällt
hauptsächlich durch drey Dinge: 1. Durch den leb-
haften Ausdruk leidenschaftlicher Empfindungen und
großer Charaktere: darin war Raphael der erste
Meister und nach ihm besonders in Charakteren Han-
nibal Caracci.
2. Durch Schönheit und Annehm-
lichkeit in Formen, Farben, Licht und Schatten;
worin Corregio der erste Meister ist. 3. Durch
Wahrheit der Vorstellungen: hierin muß Titian für
den ersten Meister gehalten werden; nach ihm aber
hat die holländische Schule in diesem Punkt den
größten Verdienst. Will man noch die Mannig-
faltigkeit eines angenehmen Jnhalts dazu rechnen,
so haben vielleicht die französischen Mahler hierin
das meiste gethan.

Mahlerey.
(Redende Künste; Musik.)

Man kann nicht nur für das Aug allein, sondern
auch blos für die Einbildungskraft und sogar für

das
(+) Man sehe hievon Junium im Catalogo Pict.
(++) Hactenus dictum sit de dignitate artis morientis. L.
XXXV. c.
5.
(+++) Nachricht hievon giebt der im Art. Künste in der
Anmerkung S. 618. angezogene Schriftsteller.
(*) S.
Oelfar-
ben,
(*) S.
Schulen.

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habe, laͤßt ſich nicht beſtimmen. Gewiß iſts, daß
zu Caͤſars Zeiten noch große Mahler geweſen, und
es ſcheinet, daß Timomachus, der verſchiedenes fuͤr
dieſen Dictator gemahlt hat, den beſten unter den
alten Mahlern wenig nachgegeben habe. (†) Und
doch nennt Plinius die Mahlerey eine zu ſeiner Zeit
dem Untergang nahe Kunſt. (††)

Wie weit die alten Hetrusker die Kunſt des Mah-
lens getrieben haben, laͤßt ſich nicht ſagen. Aus
den Hetruskiſchen Geſchirren, die noch haͤufig gefun-
den werden, ſieht man, daß ſie gute Zeichner gewe-
ſen. Denn man findet da Figuren von ſchoͤnen
Verhaͤltniſſen, einer ſehr guten und dabey nachdruͤk-
lichen Zeichnung; aber uͤber das Colorit der Mahler
dieſer Nation ſind wir in voͤlliger Ungewißheit.

Unter den ſpaͤthern Kayſern kam die Mahlerey
in Abnahm und wurd ſo barbariſch, als die Sitten.
Es blieben zwar in Rom, und noch mehr in Grie-
chenland und in Conſtantinopel Mahler genug uͤbrig;
aber die wahre Kunſt war groͤßtentheils verſchwun-
den, und blieb viel Jahrhunderte durch in dem Zu-
ſtand der Niedrigkeit. Merkwuͤrdig iſt indeſſen, daß
außer der Bildſchnizerey eine Art auf Holz zu mah-
len, die dem Wind und Wetter wiederſtund, wie
die encauſtiſche Mahlerey, in den mittlern Zeiten
ſelbſt bey den Pommerſchen Wenden angetroffen wor-
den. (†††) Auch finde ich in der Beſchreibung der
oͤffentlichen Gemaͤhlde in Venedig, daß im Jahr 1071
in der Marcuskirche moſaiſche Gemaͤhlde nach Car-
tons, welche aus Conſtantinopel gekommen, verfer-
tiget worden. Ueberhaupt iſt anzumerken, daß die
Mahlerey durch alle Jahrhunderte der ſo genannten
mittlern Zeiten immer getrieben worden. Aber der
Geſchmak und das Hohe der Kunſt fehlten ihr, bis
beydes gegen Ende des XV Jahrhunderts wieder
zu keimen anfieng. Man hat wenig auf die Nach-
richten zu achten, die uns die Welſchen Schriftſtel-
ler von Wiederauflebung der Mahlerey im XIII und
XIV Jahrhundert geben. Denn Mahler derglei-
chen ihr Giono und Cimabue waren, hatte es auch
ſeit dem Verfall der Kunſt in allen Jahrhunderten,
und in allen geſitteten Laͤndern von Europa gegeben;
daher koͤnnen gedachte Maͤnner keine Epoche aus-
machen. Die erſten wahren Mahler der neuern
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Zeit, bey denen die eigentliche Wiederherſtellung
der Kunſt anfaͤngt, ſind Leonhardo da Vinci und
Michel Angelo, auf die aber Titian, Corregio und
Raphael bald folgten. Nur verdienet die Epoche
der Erfindung der Mahlerey in Oelfarben noch
bemerkt zu werden. (*)

Sonderbar iſt es, daß die groͤßten Mahler der
neuern Zeit, Vinci, Angelo, Corregio, Titian,
Raphael, alle zugleich, zur Zeit der eigentlichen
Wiederherſtellung der Kunſt am Ende des XV und
Anfange des XVI Jahrhunderts gelebt haben. Wie
ſehr ſeit dem verſchiedene europaͤiſche Nationen gleich-
ſam um die Wette ſich beeyfert haben dieſe Kunſt in die
Hoͤhe zu bringen, braucht hier nicht wiederholt zu
werden, da wir hievon in den Artikeln uͤber die ver-
ſchiedenen Schulen, ſo weit die Abſicht dieſes Werks
es erfodert, geſprochen haben. (*) Man kann ſa-
gen, daß die neuern alle Theile der Kunſt auf einen
hohen Grad, einige aber auf den hoͤchſten, der
moͤglich iſt, gebracht haben. Das einzige was ihr
noch fehlet, iſt eine mehrere Vollkommenheit in der
Anwendung, wovon weiter oben bereits verſchiede-
nes erinnert worden.

Nur noch eine Anmerkung, womit wir dieſen
Artikel beſchließen wollen. Die Mahlerey gefaͤllt
hauptſaͤchlich durch drey Dinge: 1. Durch den leb-
haften Ausdruk leidenſchaftlicher Empfindungen und
großer Charaktere: darin war Raphael der erſte
Meiſter und nach ihm beſonders in Charakteren Han-
nibal Caracci.
2. Durch Schoͤnheit und Annehm-
lichkeit in Formen, Farben, Licht und Schatten;
worin Corregio der erſte Meiſter iſt. 3. Durch
Wahrheit der Vorſtellungen: hierin muß Titian fuͤr
den erſten Meiſter gehalten werden; nach ihm aber
hat die hollaͤndiſche Schule in dieſem Punkt den
groͤßten Verdienſt. Will man noch die Mannig-
faltigkeit eines angenehmen Jnhalts dazu rechnen,
ſo haben vielleicht die franzoͤſiſchen Mahler hierin
das meiſte gethan.

Mahlerey.
(Redende Kuͤnſte; Muſik.)

Man kann nicht nur fuͤr das Aug allein, ſondern
auch blos fuͤr die Einbildungskraft und ſogar fuͤr

das
(†) Man ſehe hievon Junium im Catalogo Pict.
(††) Hactenus dictum ſit de dignitate artis morientis. L.
XXXV. c.
5.
(†††) Nachricht hievon giebt der im Art. Kuͤnſte in der
Anmerkung S. 618. angezogene Schriftſteller.
(*) S.
Oelfar-
ben,
(*) S.
Schulen.
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[738[720]/0155] Mah Mah habe, laͤßt ſich nicht beſtimmen. Gewiß iſts, daß zu Caͤſars Zeiten noch große Mahler geweſen, und es ſcheinet, daß Timomachus, der verſchiedenes fuͤr dieſen Dictator gemahlt hat, den beſten unter den alten Mahlern wenig nachgegeben habe. (†) Und doch nennt Plinius die Mahlerey eine zu ſeiner Zeit dem Untergang nahe Kunſt. (††) Wie weit die alten Hetrusker die Kunſt des Mah- lens getrieben haben, laͤßt ſich nicht ſagen. Aus den Hetruskiſchen Geſchirren, die noch haͤufig gefun- den werden, ſieht man, daß ſie gute Zeichner gewe- ſen. Denn man findet da Figuren von ſchoͤnen Verhaͤltniſſen, einer ſehr guten und dabey nachdruͤk- lichen Zeichnung; aber uͤber das Colorit der Mahler dieſer Nation ſind wir in voͤlliger Ungewißheit. Unter den ſpaͤthern Kayſern kam die Mahlerey in Abnahm und wurd ſo barbariſch, als die Sitten. Es blieben zwar in Rom, und noch mehr in Grie- chenland und in Conſtantinopel Mahler genug uͤbrig; aber die wahre Kunſt war groͤßtentheils verſchwun- den, und blieb viel Jahrhunderte durch in dem Zu- ſtand der Niedrigkeit. Merkwuͤrdig iſt indeſſen, daß außer der Bildſchnizerey eine Art auf Holz zu mah- len, die dem Wind und Wetter wiederſtund, wie die encauſtiſche Mahlerey, in den mittlern Zeiten ſelbſt bey den Pommerſchen Wenden angetroffen wor- den. (†††) Auch finde ich in der Beſchreibung der oͤffentlichen Gemaͤhlde in Venedig, daß im Jahr 1071 in der Marcuskirche moſaiſche Gemaͤhlde nach Car- tons, welche aus Conſtantinopel gekommen, verfer- tiget worden. Ueberhaupt iſt anzumerken, daß die Mahlerey durch alle Jahrhunderte der ſo genannten mittlern Zeiten immer getrieben worden. Aber der Geſchmak und das Hohe der Kunſt fehlten ihr, bis beydes gegen Ende des XV Jahrhunderts wieder zu keimen anfieng. Man hat wenig auf die Nach- richten zu achten, die uns die Welſchen Schriftſtel- ler von Wiederauflebung der Mahlerey im XIII und XIV Jahrhundert geben. Denn Mahler derglei- chen ihr Giono und Cimabue waren, hatte es auch ſeit dem Verfall der Kunſt in allen Jahrhunderten, und in allen geſitteten Laͤndern von Europa gegeben; daher koͤnnen gedachte Maͤnner keine Epoche aus- machen. Die erſten wahren Mahler der neuern Zeit, bey denen die eigentliche Wiederherſtellung der Kunſt anfaͤngt, ſind Leonhardo da Vinci und Michel Angelo, auf die aber Titian, Corregio und Raphael bald folgten. Nur verdienet die Epoche der Erfindung der Mahlerey in Oelfarben noch bemerkt zu werden. (*) Sonderbar iſt es, daß die groͤßten Mahler der neuern Zeit, Vinci, Angelo, Corregio, Titian, Raphael, alle zugleich, zur Zeit der eigentlichen Wiederherſtellung der Kunſt am Ende des XV und Anfange des XVI Jahrhunderts gelebt haben. Wie ſehr ſeit dem verſchiedene europaͤiſche Nationen gleich- ſam um die Wette ſich beeyfert haben dieſe Kunſt in die Hoͤhe zu bringen, braucht hier nicht wiederholt zu werden, da wir hievon in den Artikeln uͤber die ver- ſchiedenen Schulen, ſo weit die Abſicht dieſes Werks es erfodert, geſprochen haben. (*) Man kann ſa- gen, daß die neuern alle Theile der Kunſt auf einen hohen Grad, einige aber auf den hoͤchſten, der moͤglich iſt, gebracht haben. Das einzige was ihr noch fehlet, iſt eine mehrere Vollkommenheit in der Anwendung, wovon weiter oben bereits verſchiede- nes erinnert worden. Nur noch eine Anmerkung, womit wir dieſen Artikel beſchließen wollen. Die Mahlerey gefaͤllt hauptſaͤchlich durch drey Dinge: 1. Durch den leb- haften Ausdruk leidenſchaftlicher Empfindungen und großer Charaktere: darin war Raphael der erſte Meiſter und nach ihm beſonders in Charakteren Han- nibal Caracci. 2. Durch Schoͤnheit und Annehm- lichkeit in Formen, Farben, Licht und Schatten; worin Corregio der erſte Meiſter iſt. 3. Durch Wahrheit der Vorſtellungen: hierin muß Titian fuͤr den erſten Meiſter gehalten werden; nach ihm aber hat die hollaͤndiſche Schule in dieſem Punkt den groͤßten Verdienſt. Will man noch die Mannig- faltigkeit eines angenehmen Jnhalts dazu rechnen, ſo haben vielleicht die franzoͤſiſchen Mahler hierin das meiſte gethan. Mahlerey. (Redende Kuͤnſte; Muſik.) Man kann nicht nur fuͤr das Aug allein, ſondern auch blos fuͤr die Einbildungskraft und ſogar fuͤr das (†) Man ſehe hievon Junium im Catalogo Pict. (††) Hactenus dictum ſit de dignitate artis morientis. L. XXXV. c. 5. (†††) Nachricht hievon giebt der im Art. Kuͤnſte in der Anmerkung S. 618. angezogene Schriftſteller. (*) S. Oelfar- ben, (*) S. Schulen.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 738[720]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/155>, abgerufen am 29.04.2024.