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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Mar
wobey die Schritte zugleich den Takt schlagen, hat
auch schon Ovidius gesehen.

Hoc est, cur --
Cantet et innitens limosae pronus arenae
Adverso tardam qui trahit amne ratem,
Quique resert pariter lentes ad pectora remes.
In numerum pulsa brachia versat aqua.
(*)

Aus diesen Beobachtungen läßt sich begreifen, wa-
rum die Züge der Kriegsvölker und andre noch be-
schwerlichere Unternehmungen derselben fast bey al-
len Völkern mit Musik begleitet werden. Wir wer-
den an einem andern Orte Gelegenheit haben, hier-
über einige Betrachtungen anzustellen, (*) und uns
hier blos auf den Marsch einschränken.

Man siehet aus dem was hier angemerkt wor-
den, daß er allerdings die Beschwerlichkeit des Mar-
schirens erleichtern, zugleich aber auch den kriegeri-
schen Muth unterstüzen könne. Zu dem Ende aber
muß der Tonsezer darauf denken, daß der Gesang
und Gang des Marsches munter, muthig und kühn
sey; nur wild, oder ungestühm därf er nicht seyn.
Man wählet allezeit die harten Tonarten dazu, und
gemeiniglich B, C, D, oder b E dur, wegen der Trom-
peten. Punktirte Noten, als @ @ @, schi-
ken sich gut dazu, weil sie etwas ermunterndes ha-
ben. Man sezet sie in Takt und kann im Auf-
schlag oder Niederschlag anfangen. Die Bewegung
ist immer pathetisch, geschwinder, oder langsamer,
nachdem der Zug schnell oder langsam gehen soll;
denn auf jeden Takt fallen zwey Schritte, oder, ei-
ner, wenn der Alla Breve Takt gewählt worden.

Der Gang muß einförmig, wol abgemessen und
leicht fühlbar seyn. Das ganze Stük besteht insge-
mein aus zwey Theilen, davon der erste acht, der
andre zwölf, oder wenn etwa in diesem Theil eine
Ausweichung in die kleine Sexte des Haupttones ge-
schieht, welches in Ansehung der Trompeten und
Waldhörner angehet, mehr Takte hat. Die Ein-
schnitte sind der Faßlichkeit halber bald von einem
Takte, bald mit grössern von zwey Takten untermen-
get. Dabey aber ist wol zu beobachten, daß die
Einer paarweis auf einander folgen, damit der
Rhythmus gerade bleibe. Von vier zu vier Tak-
ten muß der Einschnitt am fühlbaresten seyn.

Bey Märschen für die Neuterey, wo die Schritte
nicht können angedeutet werden, ist auch diese ge-
naue Abmessung der Einschnitte nicht nöthig; aber
[Spaltenumbruch]

Mar Mas
man sucht vornehmlich das muthige und trozige,
als den wesentlichen Charakter solcher Stüke darin
auf das vollkommenste zu erreichen.

Es giebt auch andre, nicht kriegerische Märsche
die bey festlichen Aufzügen, dergleichen die verschie-
denen Handwerksgesellschaften bisweilen anstellen,
gebraucht werden, wobey es nicht nöthig ist, die ge-
gebenen Regeln so genau zu beobachten. Sie kön-
nen in allerley Takarten gesezt werden; nur muß
der Ausdruk immer lebhaft und munter seyn.

Rousseau hat richtig angemerkt, daß man aus
den Märschen noch lange nicht alle Vortheile ziehet,
die man daraus ziehen könnte, wenn man für jede
Gelegenheit, da sie gebraucht werden, in dem be-
sondern Geist, den sie erfodert den Marsch sezen
würde.

Maschine.
(Epische und dramatische Dichtkunst.)

Durch dieses Wort bezeichnet man die ganz unna-
türlichen Mittel einen Knoten der Handlung in epi-
schen und dramatischen Gedichten aufzulösen, der-
gleichen Wunderwerke, Erscheinungen der Götter,
völlig außerordentliche, aus Noth von dem Poeten
erdichtete Vorfälle, und andre Dinge sind, wodurch
der Knoten mehr zerschnitten, als aufgelößt wird.
Bisweilen dähnet man die Bedeutung auch noch
auf andere der Handlung willkürlich eingemischte
und blos in den Bedürfnis des Dichters gegründete
Wesen, oder Vorfälle, aus; wie wenn Voltaire in
der Henriade die Zwietracht, oder wenn man andre
allegorische Wesen zu großen Veränderungen in die
Handlung einführet. Aber eigentlich und ursprüng-
lich bedeutet das Wort jene unnatürliche Auflösung
des Knotens, und ist daher entstanden, daß die
Alten die Erscheinung der Götter in den dramati-
schen Vorstellungen durch künstliche Maschinen ver-
anstalltet haben, daher das Sprüchwort Deus ex
Machina
entstanden ist.

Die gesunde Critik verwirft diese Maschinen als
Erfindungen, die der Absicht des epischen und dra-
matischen Gedichtes gerad entgegen sind. Beyde
sollen uns durch wahrhafte, nämlich in der Natur
gegründete Beyspiele zeigen, was für glüklichen,
oder unglüklichen Ausgang große Unternehmungen
haben, was für wichtige Veränderungen in dem Zu-
stand einzeler Menschen, oder ganzer Gesellschaften
durch große Tugenden, oder Laster, oder durch Lei-

den-
(*) Trist.
L. IV.
1.
(*) S.
Musik.

[Spaltenumbruch]

Mar
wobey die Schritte zugleich den Takt ſchlagen, hat
auch ſchon Ovidius geſehen.

Hoc eſt, cur —
Cantet et innitens limoſæ pronus arenæ
Adverſo tardam qui trahit amne ratem,
Quique reſert pariter lentes ad pectora remes.
In numerum pulſa brachia verſat aqua.
(*)

Aus dieſen Beobachtungen laͤßt ſich begreifen, wa-
rum die Zuͤge der Kriegsvoͤlker und andre noch be-
ſchwerlichere Unternehmungen derſelben faſt bey al-
len Voͤlkern mit Muſik begleitet werden. Wir wer-
den an einem andern Orte Gelegenheit haben, hier-
uͤber einige Betrachtungen anzuſtellen, (*) und uns
hier blos auf den Marſch einſchraͤnken.

Man ſiehet aus dem was hier angemerkt wor-
den, daß er allerdings die Beſchwerlichkeit des Mar-
ſchirens erleichtern, zugleich aber auch den kriegeri-
ſchen Muth unterſtuͤzen koͤnne. Zu dem Ende aber
muß der Tonſezer darauf denken, daß der Geſang
und Gang des Marſches munter, muthig und kuͤhn
ſey; nur wild, oder ungeſtuͤhm daͤrf er nicht ſeyn.
Man waͤhlet allezeit die harten Tonarten dazu, und
gemeiniglich B, C, D, oder b E dur, wegen der Trom-
peten. Punktirte Noten, als   , ſchi-
ken ſich gut dazu, weil ſie etwas ermunterndes ha-
ben. Man ſezet ſie in Takt und kann im Auf-
ſchlag oder Niederſchlag anfangen. Die Bewegung
iſt immer pathetiſch, geſchwinder, oder langſamer,
nachdem der Zug ſchnell oder langſam gehen ſoll;
denn auf jeden Takt fallen zwey Schritte, oder, ei-
ner, wenn der Alla Breve Takt gewaͤhlt worden.

Der Gang muß einfoͤrmig, wol abgemeſſen und
leicht fuͤhlbar ſeyn. Das ganze Stuͤk beſteht insge-
mein aus zwey Theilen, davon der erſte acht, der
andre zwoͤlf, oder wenn etwa in dieſem Theil eine
Ausweichung in die kleine Sexte des Haupttones ge-
ſchieht, welches in Anſehung der Trompeten und
Waldhoͤrner angehet, mehr Takte hat. Die Ein-
ſchnitte ſind der Faßlichkeit halber bald von einem
Takte, bald mit groͤſſern von zwey Takten untermen-
get. Dabey aber iſt wol zu beobachten, daß die
Einer paarweis auf einander folgen, damit der
Rhythmus gerade bleibe. Von vier zu vier Tak-
ten muß der Einſchnitt am fuͤhlbareſten ſeyn.

Bey Maͤrſchen fuͤr die Neuterey, wo die Schritte
nicht koͤnnen angedeutet werden, iſt auch dieſe ge-
naue Abmeſſung der Einſchnitte nicht noͤthig; aber
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Mar Maſ
man ſucht vornehmlich das muthige und trozige,
als den weſentlichen Charakter ſolcher Stuͤke darin
auf das vollkommenſte zu erreichen.

Es giebt auch andre, nicht kriegeriſche Maͤrſche
die bey feſtlichen Aufzuͤgen, dergleichen die verſchie-
denen Handwerksgeſellſchaften bisweilen anſtellen,
gebraucht werden, wobey es nicht noͤthig iſt, die ge-
gebenen Regeln ſo genau zu beobachten. Sie koͤn-
nen in allerley Takarten geſezt werden; nur muß
der Ausdruk immer lebhaft und munter ſeyn.

Rouſſeau hat richtig angemerkt, daß man aus
den Maͤrſchen noch lange nicht alle Vortheile ziehet,
die man daraus ziehen koͤnnte, wenn man fuͤr jede
Gelegenheit, da ſie gebraucht werden, in dem be-
ſondern Geiſt, den ſie erfodert den Marſch ſezen
wuͤrde.

Maſchine.
(Epiſche und dramatiſche Dichtkunſt.)

Durch dieſes Wort bezeichnet man die ganz unna-
tuͤrlichen Mittel einen Knoten der Handlung in epi-
ſchen und dramatiſchen Gedichten aufzuloͤſen, der-
gleichen Wunderwerke, Erſcheinungen der Goͤtter,
voͤllig außerordentliche, aus Noth von dem Poeten
erdichtete Vorfaͤlle, und andre Dinge ſind, wodurch
der Knoten mehr zerſchnitten, als aufgeloͤßt wird.
Bisweilen daͤhnet man die Bedeutung auch noch
auf andere der Handlung willkuͤrlich eingemiſchte
und blos in den Beduͤrfnis des Dichters gegruͤndete
Weſen, oder Vorfaͤlle, aus; wie wenn Voltaire in
der Henriade die Zwietracht, oder wenn man andre
allegoriſche Weſen zu großen Veraͤnderungen in die
Handlung einfuͤhret. Aber eigentlich und urſpruͤng-
lich bedeutet das Wort jene unnatuͤrliche Aufloͤſung
des Knotens, und iſt daher entſtanden, daß die
Alten die Erſcheinung der Goͤtter in den dramati-
ſchen Vorſtellungen durch kuͤnſtliche Maſchinen ver-
anſtalltet haben, daher das Spruͤchwort Deus ex
Machina
entſtanden iſt.

Die geſunde Critik verwirft dieſe Maſchinen als
Erfindungen, die der Abſicht des epiſchen und dra-
matiſchen Gedichtes gerad entgegen ſind. Beyde
ſollen uns durch wahrhafte, naͤmlich in der Natur
gegruͤndete Beyſpiele zeigen, was fuͤr gluͤklichen,
oder ungluͤklichen Ausgang große Unternehmungen
haben, was fuͤr wichtige Veraͤnderungen in dem Zu-
ſtand einzeler Menſchen, oder ganzer Geſellſchaften
durch große Tugenden, oder Laſter, oder durch Lei-

den-
(*) Triſt.
L. IV.
1.
(*) S.
Muſik.
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[744[726]/0161] Mar Mar Maſ wobey die Schritte zugleich den Takt ſchlagen, hat auch ſchon Ovidius geſehen. Hoc eſt, cur — Cantet et innitens limoſæ pronus arenæ Adverſo tardam qui trahit amne ratem, Quique reſert pariter lentes ad pectora remes. In numerum pulſa brachia verſat aqua. (*) Aus dieſen Beobachtungen laͤßt ſich begreifen, wa- rum die Zuͤge der Kriegsvoͤlker und andre noch be- ſchwerlichere Unternehmungen derſelben faſt bey al- len Voͤlkern mit Muſik begleitet werden. Wir wer- den an einem andern Orte Gelegenheit haben, hier- uͤber einige Betrachtungen anzuſtellen, (*) und uns hier blos auf den Marſch einſchraͤnken. Man ſiehet aus dem was hier angemerkt wor- den, daß er allerdings die Beſchwerlichkeit des Mar- ſchirens erleichtern, zugleich aber auch den kriegeri- ſchen Muth unterſtuͤzen koͤnne. Zu dem Ende aber muß der Tonſezer darauf denken, daß der Geſang und Gang des Marſches munter, muthig und kuͤhn ſey; nur wild, oder ungeſtuͤhm daͤrf er nicht ſeyn. Man waͤhlet allezeit die harten Tonarten dazu, und gemeiniglich B, C, D, oder b E dur, wegen der Trom- peten. Punktirte Noten, als   , ſchi- ken ſich gut dazu, weil ſie etwas ermunterndes ha- ben. Man ſezet ſie in [FORMEL] Takt und kann im Auf- ſchlag oder Niederſchlag anfangen. Die Bewegung iſt immer pathetiſch, geſchwinder, oder langſamer, nachdem der Zug ſchnell oder langſam gehen ſoll; denn auf jeden Takt fallen zwey Schritte, oder, ei- ner, wenn der Alla Breve Takt gewaͤhlt worden. Der Gang muß einfoͤrmig, wol abgemeſſen und leicht fuͤhlbar ſeyn. Das ganze Stuͤk beſteht insge- mein aus zwey Theilen, davon der erſte acht, der andre zwoͤlf, oder wenn etwa in dieſem Theil eine Ausweichung in die kleine Sexte des Haupttones ge- ſchieht, welches in Anſehung der Trompeten und Waldhoͤrner angehet, mehr Takte hat. Die Ein- ſchnitte ſind der Faßlichkeit halber bald von einem Takte, bald mit groͤſſern von zwey Takten untermen- get. Dabey aber iſt wol zu beobachten, daß die Einer paarweis auf einander folgen, damit der Rhythmus gerade bleibe. Von vier zu vier Tak- ten muß der Einſchnitt am fuͤhlbareſten ſeyn. Bey Maͤrſchen fuͤr die Neuterey, wo die Schritte nicht koͤnnen angedeutet werden, iſt auch dieſe ge- naue Abmeſſung der Einſchnitte nicht noͤthig; aber man ſucht vornehmlich das muthige und trozige, als den weſentlichen Charakter ſolcher Stuͤke darin auf das vollkommenſte zu erreichen. Es giebt auch andre, nicht kriegeriſche Maͤrſche die bey feſtlichen Aufzuͤgen, dergleichen die verſchie- denen Handwerksgeſellſchaften bisweilen anſtellen, gebraucht werden, wobey es nicht noͤthig iſt, die ge- gebenen Regeln ſo genau zu beobachten. Sie koͤn- nen in allerley Takarten geſezt werden; nur muß der Ausdruk immer lebhaft und munter ſeyn. Rouſſeau hat richtig angemerkt, daß man aus den Maͤrſchen noch lange nicht alle Vortheile ziehet, die man daraus ziehen koͤnnte, wenn man fuͤr jede Gelegenheit, da ſie gebraucht werden, in dem be- ſondern Geiſt, den ſie erfodert den Marſch ſezen wuͤrde. Maſchine. (Epiſche und dramatiſche Dichtkunſt.) Durch dieſes Wort bezeichnet man die ganz unna- tuͤrlichen Mittel einen Knoten der Handlung in epi- ſchen und dramatiſchen Gedichten aufzuloͤſen, der- gleichen Wunderwerke, Erſcheinungen der Goͤtter, voͤllig außerordentliche, aus Noth von dem Poeten erdichtete Vorfaͤlle, und andre Dinge ſind, wodurch der Knoten mehr zerſchnitten, als aufgeloͤßt wird. Bisweilen daͤhnet man die Bedeutung auch noch auf andere der Handlung willkuͤrlich eingemiſchte und blos in den Beduͤrfnis des Dichters gegruͤndete Weſen, oder Vorfaͤlle, aus; wie wenn Voltaire in der Henriade die Zwietracht, oder wenn man andre allegoriſche Weſen zu großen Veraͤnderungen in die Handlung einfuͤhret. Aber eigentlich und urſpruͤng- lich bedeutet das Wort jene unnatuͤrliche Aufloͤſung des Knotens, und iſt daher entſtanden, daß die Alten die Erſcheinung der Goͤtter in den dramati- ſchen Vorſtellungen durch kuͤnſtliche Maſchinen ver- anſtalltet haben, daher das Spruͤchwort Deus ex Machina entſtanden iſt. Die geſunde Critik verwirft dieſe Maſchinen als Erfindungen, die der Abſicht des epiſchen und dra- matiſchen Gedichtes gerad entgegen ſind. Beyde ſollen uns durch wahrhafte, naͤmlich in der Natur gegruͤndete Beyſpiele zeigen, was fuͤr gluͤklichen, oder ungluͤklichen Ausgang große Unternehmungen haben, was fuͤr wichtige Veraͤnderungen in dem Zu- ſtand einzeler Menſchen, oder ganzer Geſellſchaften durch große Tugenden, oder Laſter, oder durch Lei- den- (*) Triſt. L. IV. 1. (*) S. Muſik.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 744[726]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/161>, abgerufen am 29.04.2024.