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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Also bestehet das ganze Gemähld aus feinen an
einandergesezten Punkten. Einige Miniaturmahler
machen runde, andre längliche Punkte: auch findet
man eine besondere Miniaturart, durch sehr kurze und
feine Striche. Das Gemähld wird auf weißen Grund,
starkes Papier, Pergament, Elfenbein, oder auf
Schmelzgrund gearbeitet, da das Weiße des Grun-
des zu den höchsten Lichtern gespahrt wird. Elfen-
bein ist aber ein schlechter Grund, weil es mit der
Zeit gelb wird.

Bisweilen wird das Gemähld, besonders das Por-
trait, nur halb in Miniaturart gemacht; nämlich das
Gesicht, und was sonst an dem Bilde nakend ist,
wird punktirt, das übrige, Gewand und Rebensa-
chen, wird nach der gemeinen Art durch Penselstriche
und Vertreibung der Farben in einander, gearbeitet.
Man hat dergleichen von Corregio, von dem zwey
sehr schöne Stüke in dem Cabinet des Königs von
Frankreich sind. Jn der Miniatur selbst wird nichts
vertrieben, sondern jeder Punkt behält die Farbe,
wie sie auf der Palette war. Ob aber gleich die
Farben nicht in einander fließen, so thun sie doch
nebeneinandergesezt, wenn der Miniaturmahler
recht geschikt ist, eben die Würkung, als wenn sie
in einander geflossen wären. Doch ist es seltener
eine Miniatur von vollkommener Harmonie zu sehen,
als ein anderes Gemähld. Jn Portraiten sind doch
die Farben insgemein zu schön, als daß sie das
wahre Colorit der Natur darstellten. Für Blumen
schiken sie sich am besten.

Diese Mahlerey dienet nur für sehr kleine Ge-
mählde, die allemal unter Glas müssen gesezt wer-
den: sie erfodert ungemein viel Geduld und große
Behutsamkeit, weil nichts kann übermahlt werden.
Jnsgemein lassen sie mehr die Geduld und den Fleis
des Künstlers, als sein Genie bewundern. Doch
sieht man auch bisweilen Miniaturen von großer
Schönheit, ungemein guter Haltung und Harmo-
nie: aber sie sind selten. Jndessen ist die Miniatur
deswegen schäzbar, weil ganz kleine Gemählde in
Ringe, Uhren und anderes Geschmeide, nicht anders
können gearbeitet werden.

Jch besinne mich bey irgend einem alten Schrift-
steller die Beschreibung eines Gemähldes gelesen zu
haben, bey welcher mir einfiel, es müßte in Mi-
niatur gearbeitet gewesen seyn. Jn den mittlern
Zeiten, da die schönen Künste meist im Staub, lagen,
mag die Miniatur am meisten geblüht haben. Die
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Mit
Reichen ließen in ihren Kirchenbüchern um die An-
fangsbuchstaben kleine Gemählde machen, und diese
Art der Pracht war ihnen damals so gewöhnlich, als
gegenwärtig irgend eine andere es ist. Jn dem Ca-
binet des Herzogs von Parma soll ein Mißale dieser
Art von ausnehmender Schönheit seyn, von Dom
Jul. Clovio
bemahlt. Dieser Clovio ist einer der be-
rühmtesten Miniaturmahler gewesen. Seine vor-
nehmsten Werke sind nebst denen von Fra Giov. Batt.
del Monte sinario
vornehmlich in der florentinischen
Gallerie zu sehen.

Minute.
(Baukunst.)

Der Name der kleinern Theile, in welche die Bau-
meister den Model eintheilen. Die meisten geben
der Minute den dreyßigsten Theil des Models.
Man sehe den Artikel Model.

Mitleiden.
(Schöne Künste.)

Die liebenswürdige Schwachheit, der man den Na-
men des Mitleidens gegeben hat, verdienet in der
Theorie der schönen Künste besonders in Betrach-
tung zu kommen. Verschiedene Werke der Kunst
ziehlen blos darauf ab, uns diese Art der Wollust, die
das Mitleiden mit sich führet, genießen zu lassen.
Darum wollen wir hier die Natur und die Wür-
kungen dieser Leidenschaft betrachten, und hernach
über den Gebrauch derselben in den schönen Künsten
einiges anmerken.

Wir empfinden Mitleiden, indem wir andre
Menschen, an deren Schiksal wir Antheil nehmen,
für unglüklich halten; es sey daß sie selbst dabey lei-
den, oder nicht. Denn oft entsteht das größte
Mitleiden, wenn wir andre unglüklich sehen, ob
sie gleich selbst ihr Elend nicht fühlen, wie bey Wahn-
wizigen geschieht. Das erste also, was zum Mit-
leiden erfodert wird, ist, daß wir andre für unglük-
lich halten; das zweyte, daß wir Antheil an ihrem
Schiksal nehmen müssen. Sowol bey der einen als
bey der andern dieser Bedingungen ist verschiedenes
anzumerken, das eine nähere Ausführung erfodert.

Zuerst also richtet sich das Mitleiden nach den
Vorstellungen, die wir selbst von dem Elend, oder
Unglük haben. Wer niederträchtig genug ist, selbst
keine Empfindung der Ehre zu haben, dem wird die
Erniedrigung, oder Demüthigung, die einem an-

dern

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Alſo beſtehet das ganze Gemaͤhld aus feinen an
einandergeſezten Punkten. Einige Miniaturmahler
machen runde, andre laͤngliche Punkte: auch findet
man eine beſondere Miniaturart, durch ſehr kurze und
feine Striche. Das Gemaͤhld wird auf weißen Grund,
ſtarkes Papier, Pergament, Elfenbein, oder auf
Schmelzgrund gearbeitet, da das Weiße des Grun-
des zu den hoͤchſten Lichtern geſpahrt wird. Elfen-
bein iſt aber ein ſchlechter Grund, weil es mit der
Zeit gelb wird.

Bisweilen wird das Gemaͤhld, beſonders das Por-
trait, nur halb in Miniaturart gemacht; naͤmlich das
Geſicht, und was ſonſt an dem Bilde nakend iſt,
wird punktirt, das uͤbrige, Gewand und Rebenſa-
chen, wird nach der gemeinen Art durch Penſelſtriche
und Vertreibung der Farben in einander, gearbeitet.
Man hat dergleichen von Corregio, von dem zwey
ſehr ſchoͤne Stuͤke in dem Cabinet des Koͤnigs von
Frankreich ſind. Jn der Miniatur ſelbſt wird nichts
vertrieben, ſondern jeder Punkt behaͤlt die Farbe,
wie ſie auf der Palette war. Ob aber gleich die
Farben nicht in einander fließen, ſo thun ſie doch
nebeneinandergeſezt, wenn der Miniaturmahler
recht geſchikt iſt, eben die Wuͤrkung, als wenn ſie
in einander gefloſſen waͤren. Doch iſt es ſeltener
eine Miniatur von vollkommener Harmonie zu ſehen,
als ein anderes Gemaͤhld. Jn Portraiten ſind doch
die Farben insgemein zu ſchoͤn, als daß ſie das
wahre Colorit der Natur darſtellten. Fuͤr Blumen
ſchiken ſie ſich am beſten.

Dieſe Mahlerey dienet nur fuͤr ſehr kleine Ge-
maͤhlde, die allemal unter Glas muͤſſen geſezt wer-
den: ſie erfodert ungemein viel Geduld und große
Behutſamkeit, weil nichts kann uͤbermahlt werden.
Jnsgemein laſſen ſie mehr die Geduld und den Fleis
des Kuͤnſtlers, als ſein Genie bewundern. Doch
ſieht man auch bisweilen Miniaturen von großer
Schoͤnheit, ungemein guter Haltung und Harmo-
nie: aber ſie ſind ſelten. Jndeſſen iſt die Miniatur
deswegen ſchaͤzbar, weil ganz kleine Gemaͤhlde in
Ringe, Uhren und anderes Geſchmeide, nicht anders
koͤnnen gearbeitet werden.

Jch beſinne mich bey irgend einem alten Schrift-
ſteller die Beſchreibung eines Gemaͤhldes geleſen zu
haben, bey welcher mir einfiel, es muͤßte in Mi-
niatur gearbeitet geweſen ſeyn. Jn den mittlern
Zeiten, da die ſchoͤnen Kuͤnſte meiſt im Staub, lagen,
mag die Miniatur am meiſten gebluͤht haben. Die
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Mit
Reichen ließen in ihren Kirchenbuͤchern um die An-
fangsbuchſtaben kleine Gemaͤhlde machen, und dieſe
Art der Pracht war ihnen damals ſo gewoͤhnlich, als
gegenwaͤrtig irgend eine andere es iſt. Jn dem Ca-
binet des Herzogs von Parma ſoll ein Mißale dieſer
Art von ausnehmender Schoͤnheit ſeyn, von Dom
Jul. Clovio
bemahlt. Dieſer Clovio iſt einer der be-
ruͤhmteſten Miniaturmahler geweſen. Seine vor-
nehmſten Werke ſind nebſt denen von Fra Giov. Batt.
del Monte ſinario
vornehmlich in der florentiniſchen
Gallerie zu ſehen.

Minute.
(Baukunſt.)

Der Name der kleinern Theile, in welche die Bau-
meiſter den Model eintheilen. Die meiſten geben
der Minute den dreyßigſten Theil des Models.
Man ſehe den Artikel Model.

Mitleiden.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Die liebenswuͤrdige Schwachheit, der man den Na-
men des Mitleidens gegeben hat, verdienet in der
Theorie der ſchoͤnen Kuͤnſte beſonders in Betrach-
tung zu kommen. Verſchiedene Werke der Kunſt
ziehlen blos darauf ab, uns dieſe Art der Wolluſt, die
das Mitleiden mit ſich fuͤhret, genießen zu laſſen.
Darum wollen wir hier die Natur und die Wuͤr-
kungen dieſer Leidenſchaft betrachten, und hernach
uͤber den Gebrauch derſelben in den ſchoͤnen Kuͤnſten
einiges anmerken.

Wir empfinden Mitleiden, indem wir andre
Menſchen, an deren Schikſal wir Antheil nehmen,
fuͤr ungluͤklich halten; es ſey daß ſie ſelbſt dabey lei-
den, oder nicht. Denn oft entſteht das groͤßte
Mitleiden, wenn wir andre ungluͤklich ſehen, ob
ſie gleich ſelbſt ihr Elend nicht fuͤhlen, wie bey Wahn-
wizigen geſchieht. Das erſte alſo, was zum Mit-
leiden erfodert wird, iſt, daß wir andre fuͤr ungluͤk-
lich halten; das zweyte, daß wir Antheil an ihrem
Schikſal nehmen muͤſſen. Sowol bey der einen als
bey der andern dieſer Bedingungen iſt verſchiedenes
anzumerken, das eine naͤhere Ausfuͤhrung erfodert.

Zuerſt alſo richtet ſich das Mitleiden nach den
Vorſtellungen, die wir ſelbſt von dem Elend, oder
Ungluͤk haben. Wer niedertraͤchtig genug iſt, ſelbſt
keine Empfindung der Ehre zu haben, dem wird die
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[766[748]/0183] Min Mit Alſo beſtehet das ganze Gemaͤhld aus feinen an einandergeſezten Punkten. Einige Miniaturmahler machen runde, andre laͤngliche Punkte: auch findet man eine beſondere Miniaturart, durch ſehr kurze und feine Striche. Das Gemaͤhld wird auf weißen Grund, ſtarkes Papier, Pergament, Elfenbein, oder auf Schmelzgrund gearbeitet, da das Weiße des Grun- des zu den hoͤchſten Lichtern geſpahrt wird. Elfen- bein iſt aber ein ſchlechter Grund, weil es mit der Zeit gelb wird. Bisweilen wird das Gemaͤhld, beſonders das Por- trait, nur halb in Miniaturart gemacht; naͤmlich das Geſicht, und was ſonſt an dem Bilde nakend iſt, wird punktirt, das uͤbrige, Gewand und Rebenſa- chen, wird nach der gemeinen Art durch Penſelſtriche und Vertreibung der Farben in einander, gearbeitet. Man hat dergleichen von Corregio, von dem zwey ſehr ſchoͤne Stuͤke in dem Cabinet des Koͤnigs von Frankreich ſind. Jn der Miniatur ſelbſt wird nichts vertrieben, ſondern jeder Punkt behaͤlt die Farbe, wie ſie auf der Palette war. Ob aber gleich die Farben nicht in einander fließen, ſo thun ſie doch nebeneinandergeſezt, wenn der Miniaturmahler recht geſchikt iſt, eben die Wuͤrkung, als wenn ſie in einander gefloſſen waͤren. Doch iſt es ſeltener eine Miniatur von vollkommener Harmonie zu ſehen, als ein anderes Gemaͤhld. Jn Portraiten ſind doch die Farben insgemein zu ſchoͤn, als daß ſie das wahre Colorit der Natur darſtellten. Fuͤr Blumen ſchiken ſie ſich am beſten. Dieſe Mahlerey dienet nur fuͤr ſehr kleine Ge- maͤhlde, die allemal unter Glas muͤſſen geſezt wer- den: ſie erfodert ungemein viel Geduld und große Behutſamkeit, weil nichts kann uͤbermahlt werden. Jnsgemein laſſen ſie mehr die Geduld und den Fleis des Kuͤnſtlers, als ſein Genie bewundern. Doch ſieht man auch bisweilen Miniaturen von großer Schoͤnheit, ungemein guter Haltung und Harmo- nie: aber ſie ſind ſelten. Jndeſſen iſt die Miniatur deswegen ſchaͤzbar, weil ganz kleine Gemaͤhlde in Ringe, Uhren und anderes Geſchmeide, nicht anders koͤnnen gearbeitet werden. Jch beſinne mich bey irgend einem alten Schrift- ſteller die Beſchreibung eines Gemaͤhldes geleſen zu haben, bey welcher mir einfiel, es muͤßte in Mi- niatur gearbeitet geweſen ſeyn. Jn den mittlern Zeiten, da die ſchoͤnen Kuͤnſte meiſt im Staub, lagen, mag die Miniatur am meiſten gebluͤht haben. Die Reichen ließen in ihren Kirchenbuͤchern um die An- fangsbuchſtaben kleine Gemaͤhlde machen, und dieſe Art der Pracht war ihnen damals ſo gewoͤhnlich, als gegenwaͤrtig irgend eine andere es iſt. Jn dem Ca- binet des Herzogs von Parma ſoll ein Mißale dieſer Art von ausnehmender Schoͤnheit ſeyn, von Dom Jul. Clovio bemahlt. Dieſer Clovio iſt einer der be- ruͤhmteſten Miniaturmahler geweſen. Seine vor- nehmſten Werke ſind nebſt denen von Fra Giov. Batt. del Monte ſinario vornehmlich in der florentiniſchen Gallerie zu ſehen. Minute. (Baukunſt.) Der Name der kleinern Theile, in welche die Bau- meiſter den Model eintheilen. Die meiſten geben der Minute den dreyßigſten Theil des Models. Man ſehe den Artikel Model. Mitleiden. (Schoͤne Kuͤnſte.) Die liebenswuͤrdige Schwachheit, der man den Na- men des Mitleidens gegeben hat, verdienet in der Theorie der ſchoͤnen Kuͤnſte beſonders in Betrach- tung zu kommen. Verſchiedene Werke der Kunſt ziehlen blos darauf ab, uns dieſe Art der Wolluſt, die das Mitleiden mit ſich fuͤhret, genießen zu laſſen. Darum wollen wir hier die Natur und die Wuͤr- kungen dieſer Leidenſchaft betrachten, und hernach uͤber den Gebrauch derſelben in den ſchoͤnen Kuͤnſten einiges anmerken. Wir empfinden Mitleiden, indem wir andre Menſchen, an deren Schikſal wir Antheil nehmen, fuͤr ungluͤklich halten; es ſey daß ſie ſelbſt dabey lei- den, oder nicht. Denn oft entſteht das groͤßte Mitleiden, wenn wir andre ungluͤklich ſehen, ob ſie gleich ſelbſt ihr Elend nicht fuͤhlen, wie bey Wahn- wizigen geſchieht. Das erſte alſo, was zum Mit- leiden erfodert wird, iſt, daß wir andre fuͤr ungluͤk- lich halten; das zweyte, daß wir Antheil an ihrem Schikſal nehmen muͤſſen. Sowol bey der einen als bey der andern dieſer Bedingungen iſt verſchiedenes anzumerken, das eine naͤhere Ausfuͤhrung erfodert. Zuerſt alſo richtet ſich das Mitleiden nach den Vorſtellungen, die wir ſelbſt von dem Elend, oder Ungluͤk haben. Wer niedertraͤchtig genug iſt, ſelbſt keine Empfindung der Ehre zu haben, dem wird die Erniedrigung, oder Demuͤthigung, die einem an- dern

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 766[748]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/183>, abgerufen am 29.04.2024.