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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Mit
dienen, als daß der Mitleidige sich selbst durch seine
Empfindsamkeit elend machte. Wie es ofte ge-
schieht, daß Menschen vor allzugroßem Schmerzen
ohnmächtig werden, und zur Erleichterung ihres
eigenen Elendes nichts mehr thun können; so kann
auch der, den das Mitleiden niederdrükt, in man-
chen Fällen dem Elenden wenig Hülfe leisten. Und
wie es nicht mehr heilsame Empfindsamkeit, sondern
höchstschädliche Schwachheit ist, jede uns betreffende
Beschwerlichkeit lebhaft zu fühlen; so ist ein ähnli-
ches Gefühl für andre keine tugendhafte Regung.
Das Mitleiden muß sich nicht auf geringe und in
ihrem Folgen nüzliche Ungemächlichkeiten, vielweni-
ger auf blos eingebildetes Elend erstreken. Warum
wollte man z. B. mit Leuten, die harter Arbeit ge-
wohnt sind, die, damit zufrieden, sich ihren täglichen
Unterhalt dadurch schaffen, und zugleich nothwendige
Geschäfte, derer die Gesellschaft nicht entbehren kann,
verrichten, Mitleiden haben? Oder warum sollte
man weichliche Menschen, die von jeder Beschwer-
lichkeit niedergedrükt werden, durch Mitleiden noch
zaghafter machen? Also gilt auch von dieser an sich
liebenswürdigen Leidenschaft, was Aristoteles mit
Recht von allen sittlichen Eigenschaften fodert, sie
muß das Mittelmaaß nicht viel überschreiten.

Aus diesen Betrachtungen über die Natur und
die Folgen des Mitleidens, kann der Künstler ler-
nen, was er in Absicht auf dasselbe zu thun hat.
Will er Mitleiden erweken, so muß er das Elend,
das unsre Empfindsamkeit reizen soll, lebhaft schil-
dern; für die leidenden Personen muß er uns ein-
nehmen, muß ihre Unschuld, ihre Tugend, die ein
bessers Schiksal verdiente, oder ihre Gelassenheit und
Geduld; daneben ihr Leiden, die Unmöglichkeit, daß
sie sich selbst helfen, uns fühlen lassen; er muß uns
helfen, uns selbst in die Umstände der leidenden zu
sezen, damit wir alles recht fühlen; denn muß er
bisweilen das Mitleiden selbst, daß er, oder andere
bey dieser Sache schon fühlen, so lebhaft, als ihm
möglich ist, ausdrüken; weil dieses allein uns schon
zu derselben Empfindung reizet. Dieses alles be-
darf keiner weitern Ausführung.

Mit reifer Ueberlegung hat der Künstler zu beden-
ken, wohin das Mitleiden, das er in uns rege machen
will, abzielen könne, oder müsse. Werke, die auf
blos vorübergehendes unfruchtbares Mitleiden abzie-
len, in welchem Fall vielleicht die meisten Trauer-
spiele sind, so angenehm sie auch sonst seyn mögen,
[Spaltenumbruch]

Mit
sind von keiner großen Wichtigkeit, wo sie nicht durch
Nebensachen wichtig werden. Vorzüglich wähle
der Künstler einen Stoff, wodurch er Mitleiden er-
weket, dessen Würkungen, wie vorher gezeiget wor-
den, heilsam sind; wodurch er Abscheu, oder Feind-
schaft gegen Grausamkeit, Boßheit und gegen Laster,
Furcht vor Schwachheiten und Vergehungen, da-
durch andre elend werden können, auf eine dauer-
hafte Weise in die Gemüther pflanzen kann. Aber
er hüte sich uns ein blos eingebildetes Elend, als ein
Würkliches vorzustellen. Er fodre nicht von uns,
daß wir mit einen König Mitleiden haben, der durch
unverzeichliche Schwachheit darum sich unglüklich
fühlt, weil er seine Neigung zu einer Buhlerin dem
Besten des Staats aufzuopfern nicht im Stand ist.
Dieses verdienet mehr unsern Unwillen, als unser
Mitleiden. Er mache uns nicht weichherzig, wenn
Cato den Untergang der Freyheit nicht überleben
will, und sich von dem weit grössern Elend der
Schmeichler eines Tyrannen, oder allenfalls auch
nur der Zeuge seiner Handlungen zu seyn, durch
einen freywilligen Tod befreyt; oder wenn ein recht-
schaffener Mann, wie Phocion ein Opfer der Tyran-
ney wird, da sein Tod uns mit Hochachtung für ihn
erfüllet. Der Held bedarf unsers Mitleidens nicht,
und den Tyrannen verabscheuhen wir, ohne erst
durch dieses Mitleiden dazu vermocht zu werden.

Mittelfarben.
(Mahlerey.)

Man ist über die Bedeutung dieses Worts nicht
überall einstimmig. Der Hr. von Hagedorn merkt
an, (*) das diejenigen den Sinn desselben zu sehr
einschränken, die nur die Schattirungen, die zu den
Halbschatten gebraucht werden, darunter verstehen,
da man auch in dem ganzen Lichte Mittelfarben ha-
ben haben muß; er dähnet auch die Benennung so-
gar auf die Farben aus, wodurch die Würkung der
Wiederscheine besonders ausgedrükt wird. Nach
diesem Begriffen gehört jede Farbe oder jede Tinte,
die aus Vereinigung zweyer in einander übergehen-
der Farben entsteht, oder derselben zu Hülfe kommt,
zu den Mittelfarben. Die Mittelfarben aber bekom-
men nach ihrem Ursprung und ihrer Anwendung
verschiedene Namen. Jn so fern sie aus ganzen
Farben durch Vermindrung ihrer Stärke entstehen,
werden sie gebrochene Farben genennt; und indem
sie zu Schattirungen zwischen Licht und Schatten

ge-
(*) Be-
tracht über
die Mahle-
rey S. 681.

[Spaltenumbruch]

Mit
dienen, als daß der Mitleidige ſich ſelbſt durch ſeine
Empfindſamkeit elend machte. Wie es ofte ge-
ſchieht, daß Menſchen vor allzugroßem Schmerzen
ohnmaͤchtig werden, und zur Erleichterung ihres
eigenen Elendes nichts mehr thun koͤnnen; ſo kann
auch der, den das Mitleiden niederdruͤkt, in man-
chen Faͤllen dem Elenden wenig Huͤlfe leiſten. Und
wie es nicht mehr heilſame Empfindſamkeit, ſondern
hoͤchſtſchaͤdliche Schwachheit iſt, jede uns betreffende
Beſchwerlichkeit lebhaft zu fuͤhlen; ſo iſt ein aͤhnli-
ches Gefuͤhl fuͤr andre keine tugendhafte Regung.
Das Mitleiden muß ſich nicht auf geringe und in
ihrem Folgen nuͤzliche Ungemaͤchlichkeiten, vielweni-
ger auf blos eingebildetes Elend erſtreken. Warum
wollte man z. B. mit Leuten, die harter Arbeit ge-
wohnt ſind, die, damit zufrieden, ſich ihren taͤglichen
Unterhalt dadurch ſchaffen, und zugleich nothwendige
Geſchaͤfte, derer die Geſellſchaft nicht entbehren kann,
verrichten, Mitleiden haben? Oder warum ſollte
man weichliche Menſchen, die von jeder Beſchwer-
lichkeit niedergedruͤkt werden, durch Mitleiden noch
zaghafter machen? Alſo gilt auch von dieſer an ſich
liebenswuͤrdigen Leidenſchaft, was Ariſtoteles mit
Recht von allen ſittlichen Eigenſchaften fodert, ſie
muß das Mittelmaaß nicht viel uͤberſchreiten.

Aus dieſen Betrachtungen uͤber die Natur und
die Folgen des Mitleidens, kann der Kuͤnſtler ler-
nen, was er in Abſicht auf daſſelbe zu thun hat.
Will er Mitleiden erweken, ſo muß er das Elend,
das unſre Empfindſamkeit reizen ſoll, lebhaft ſchil-
dern; fuͤr die leidenden Perſonen muß er uns ein-
nehmen, muß ihre Unſchuld, ihre Tugend, die ein
beſſers Schikſal verdiente, oder ihre Gelaſſenheit und
Geduld; daneben ihr Leiden, die Unmoͤglichkeit, daß
ſie ſich ſelbſt helfen, uns fuͤhlen laſſen; er muß uns
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bisweilen das Mitleiden ſelbſt, daß er, oder andere
bey dieſer Sache ſchon fuͤhlen, ſo lebhaft, als ihm
moͤglich iſt, ausdruͤken; weil dieſes allein uns ſchon
zu derſelben Empfindung reizet. Dieſes alles be-
darf keiner weitern Ausfuͤhrung.

Mit reifer Ueberlegung hat der Kuͤnſtler zu beden-
ken, wohin das Mitleiden, das er in uns rege machen
will, abzielen koͤnne, oder muͤſſe. Werke, die auf
blos voruͤbergehendes unfruchtbares Mitleiden abzie-
len, in welchem Fall vielleicht die meiſten Trauer-
ſpiele ſind, ſo angenehm ſie auch ſonſt ſeyn moͤgen,
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Mit
ſind von keiner großen Wichtigkeit, wo ſie nicht durch
Nebenſachen wichtig werden. Vorzuͤglich waͤhle
der Kuͤnſtler einen Stoff, wodurch er Mitleiden er-
weket, deſſen Wuͤrkungen, wie vorher gezeiget wor-
den, heilſam ſind; wodurch er Abſcheu, oder Feind-
ſchaft gegen Grauſamkeit, Boßheit und gegen Laſter,
Furcht vor Schwachheiten und Vergehungen, da-
durch andre elend werden koͤnnen, auf eine dauer-
hafte Weiſe in die Gemuͤther pflanzen kann. Aber
er huͤte ſich uns ein blos eingebildetes Elend, als ein
Wuͤrkliches vorzuſtellen. Er fodre nicht von uns,
daß wir mit einen Koͤnig Mitleiden haben, der durch
unverzeichliche Schwachheit darum ſich ungluͤklich
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Beſten des Staats aufzuopfern nicht im Stand iſt.
Dieſes verdienet mehr unſern Unwillen, als unſer
Mitleiden. Er mache uns nicht weichherzig, wenn
Cato den Untergang der Freyheit nicht uͤberleben
will, und ſich von dem weit groͤſſern Elend der
Schmeichler eines Tyrannen, oder allenfalls auch
nur der Zeuge ſeiner Handlungen zu ſeyn, durch
einen freywilligen Tod befreyt; oder wenn ein recht-
ſchaffener Mann, wie Phocion ein Opfer der Tyran-
ney wird, da ſein Tod uns mit Hochachtung fuͤr ihn
erfuͤllet. Der Held bedarf unſers Mitleidens nicht,
und den Tyrannen verabſcheuhen wir, ohne erſt
durch dieſes Mitleiden dazu vermocht zu werden.

Mittelfarben.
(Mahlerey.)

Man iſt uͤber die Bedeutung dieſes Worts nicht
uͤberall einſtimmig. Der Hr. von Hagedorn merkt
an, (*) das diejenigen den Sinn deſſelben zu ſehr
einſchraͤnken, die nur die Schattirungen, die zu den
Halbſchatten gebraucht werden, darunter verſtehen,
da man auch in dem ganzen Lichte Mittelfarben ha-
ben haben muß; er daͤhnet auch die Benennung ſo-
gar auf die Farben aus, wodurch die Wuͤrkung der
Wiederſcheine beſonders ausgedruͤkt wird. Nach
dieſem Begriffen gehoͤrt jede Farbe oder jede Tinte,
die aus Vereinigung zweyer in einander uͤbergehen-
der Farben entſteht, oder derſelben zu Huͤlfe kommt,
zu den Mittelfarben. Die Mittelfarben aber bekom-
men nach ihrem Urſprung und ihrer Anwendung
verſchiedene Namen. Jn ſo fern ſie aus ganzen
Farben durch Vermindrung ihrer Staͤrke entſtehen,
werden ſie gebrochene Farben genennt; und indem
ſie zu Schattirungen zwiſchen Licht und Schatten

ge-
(*) Be-
tracht uͤber
die Mahle-
rey S. 681.
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[769[751]/0186] Mit Mit dienen, als daß der Mitleidige ſich ſelbſt durch ſeine Empfindſamkeit elend machte. Wie es ofte ge- ſchieht, daß Menſchen vor allzugroßem Schmerzen ohnmaͤchtig werden, und zur Erleichterung ihres eigenen Elendes nichts mehr thun koͤnnen; ſo kann auch der, den das Mitleiden niederdruͤkt, in man- chen Faͤllen dem Elenden wenig Huͤlfe leiſten. Und wie es nicht mehr heilſame Empfindſamkeit, ſondern hoͤchſtſchaͤdliche Schwachheit iſt, jede uns betreffende Beſchwerlichkeit lebhaft zu fuͤhlen; ſo iſt ein aͤhnli- ches Gefuͤhl fuͤr andre keine tugendhafte Regung. Das Mitleiden muß ſich nicht auf geringe und in ihrem Folgen nuͤzliche Ungemaͤchlichkeiten, vielweni- ger auf blos eingebildetes Elend erſtreken. Warum wollte man z. B. mit Leuten, die harter Arbeit ge- wohnt ſind, die, damit zufrieden, ſich ihren taͤglichen Unterhalt dadurch ſchaffen, und zugleich nothwendige Geſchaͤfte, derer die Geſellſchaft nicht entbehren kann, verrichten, Mitleiden haben? Oder warum ſollte man weichliche Menſchen, die von jeder Beſchwer- lichkeit niedergedruͤkt werden, durch Mitleiden noch zaghafter machen? Alſo gilt auch von dieſer an ſich liebenswuͤrdigen Leidenſchaft, was Ariſtoteles mit Recht von allen ſittlichen Eigenſchaften fodert, ſie muß das Mittelmaaß nicht viel uͤberſchreiten. Aus dieſen Betrachtungen uͤber die Natur und die Folgen des Mitleidens, kann der Kuͤnſtler ler- nen, was er in Abſicht auf daſſelbe zu thun hat. Will er Mitleiden erweken, ſo muß er das Elend, das unſre Empfindſamkeit reizen ſoll, lebhaft ſchil- dern; fuͤr die leidenden Perſonen muß er uns ein- nehmen, muß ihre Unſchuld, ihre Tugend, die ein beſſers Schikſal verdiente, oder ihre Gelaſſenheit und Geduld; daneben ihr Leiden, die Unmoͤglichkeit, daß ſie ſich ſelbſt helfen, uns fuͤhlen laſſen; er muß uns helfen, uns ſelbſt in die Umſtaͤnde der leidenden zu ſezen, damit wir alles recht fuͤhlen; denn muß er bisweilen das Mitleiden ſelbſt, daß er, oder andere bey dieſer Sache ſchon fuͤhlen, ſo lebhaft, als ihm moͤglich iſt, ausdruͤken; weil dieſes allein uns ſchon zu derſelben Empfindung reizet. Dieſes alles be- darf keiner weitern Ausfuͤhrung. Mit reifer Ueberlegung hat der Kuͤnſtler zu beden- ken, wohin das Mitleiden, das er in uns rege machen will, abzielen koͤnne, oder muͤſſe. Werke, die auf blos voruͤbergehendes unfruchtbares Mitleiden abzie- len, in welchem Fall vielleicht die meiſten Trauer- ſpiele ſind, ſo angenehm ſie auch ſonſt ſeyn moͤgen, ſind von keiner großen Wichtigkeit, wo ſie nicht durch Nebenſachen wichtig werden. Vorzuͤglich waͤhle der Kuͤnſtler einen Stoff, wodurch er Mitleiden er- weket, deſſen Wuͤrkungen, wie vorher gezeiget wor- den, heilſam ſind; wodurch er Abſcheu, oder Feind- ſchaft gegen Grauſamkeit, Boßheit und gegen Laſter, Furcht vor Schwachheiten und Vergehungen, da- durch andre elend werden koͤnnen, auf eine dauer- hafte Weiſe in die Gemuͤther pflanzen kann. Aber er huͤte ſich uns ein blos eingebildetes Elend, als ein Wuͤrkliches vorzuſtellen. Er fodre nicht von uns, daß wir mit einen Koͤnig Mitleiden haben, der durch unverzeichliche Schwachheit darum ſich ungluͤklich fuͤhlt, weil er ſeine Neigung zu einer Buhlerin dem Beſten des Staats aufzuopfern nicht im Stand iſt. Dieſes verdienet mehr unſern Unwillen, als unſer Mitleiden. Er mache uns nicht weichherzig, wenn Cato den Untergang der Freyheit nicht uͤberleben will, und ſich von dem weit groͤſſern Elend der Schmeichler eines Tyrannen, oder allenfalls auch nur der Zeuge ſeiner Handlungen zu ſeyn, durch einen freywilligen Tod befreyt; oder wenn ein recht- ſchaffener Mann, wie Phocion ein Opfer der Tyran- ney wird, da ſein Tod uns mit Hochachtung fuͤr ihn erfuͤllet. Der Held bedarf unſers Mitleidens nicht, und den Tyrannen verabſcheuhen wir, ohne erſt durch dieſes Mitleiden dazu vermocht zu werden. Mittelfarben. (Mahlerey.) Man iſt uͤber die Bedeutung dieſes Worts nicht uͤberall einſtimmig. Der Hr. von Hagedorn merkt an, (*) das diejenigen den Sinn deſſelben zu ſehr einſchraͤnken, die nur die Schattirungen, die zu den Halbſchatten gebraucht werden, darunter verſtehen, da man auch in dem ganzen Lichte Mittelfarben ha- ben haben muß; er daͤhnet auch die Benennung ſo- gar auf die Farben aus, wodurch die Wuͤrkung der Wiederſcheine beſonders ausgedruͤkt wird. Nach dieſem Begriffen gehoͤrt jede Farbe oder jede Tinte, die aus Vereinigung zweyer in einander uͤbergehen- der Farben entſteht, oder derſelben zu Huͤlfe kommt, zu den Mittelfarben. Die Mittelfarben aber bekom- men nach ihrem Urſprung und ihrer Anwendung verſchiedene Namen. Jn ſo fern ſie aus ganzen Farben durch Vermindrung ihrer Staͤrke entſtehen, werden ſie gebrochene Farben genennt; und indem ſie zu Schattirungen zwiſchen Licht und Schatten ge- (*) Be- tracht uͤber die Mahle- rey S. 681.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 769[751]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/186>, abgerufen am 29.04.2024.