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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Nie
dungen zu geben. Die Schaubühne hat dadurch
viel gewonnen, daß man die ehemalige französische
Form desselben, von Zeit zu Zeit verlassen, und
einige nach englischer Art eingerichtet hat. Aber es
sind noch andere Formen möglich, wodurch der co-
mischen Schaubühne mehr Mannigfaltigkeit könnte
gegeben werden. Dem Tonsezer empfehlen wir
vornehmlich das Nachdenken über neue Formen; da
die gewöhnlichen in der That anfangen, etwas abge-
nuzt seyn. Alle Opernarien, alle Concerte gleichen
sich so sehr, daß man immer zum voraus weiß, wo
die Hauptstimme sich allein wird hören lassen, wo
die andern Stimmen eintreten, wo Läufe und Kün-
steleyen erscheinen, und wo Schlüße erfolgen wer-
den. Man bedenkt nicht genug, daß die Formen
größtentheils blos zufällig sind. Unsere Dichtkunst
hat ungemein viel gewonnen, seitdem zuerst Pyra
und Lange, hernach Rammler und vornehmlich
Klopstok neue Formen und neue Versarten einge-
führt haben. Darum übertreffen wir auch gegen-
wärtig in diesem besondern Fache der Dichtkunst alle
neuern Nationen, und es ist zu wünschen, daß bald
fähige Köpfe ähnliche Neuerungen mit eben dem
glüklichen Ausgang in andern Dichtungsarten ver-
suchen.

Niederschlag.
(Musik)

Die erste Zeit, oder der Anfang jedes Takts. Der
Name kommt daher, daß die Neuern beym Takt-
schlagen den Anfang jedes Takts mit Niederschlagen
der Hand, oder des Fußes bezeichnen. Die Alten
thaten dasselbe mit Aufheben des Fußes, daher bey
ihnen der Anfang des Taktes Arsis, (der Aufschlag)
genennt wurde. Der Ausdruk, ein Stük fange mit
dem Niederschlag an,
bedeutet also, daß der erste Takt
des Stüks vollständig sey, und daß das Stük gleich
den ersten Ton mit Nachdruk hören lasse. (*)

Weil die mit dem Niederschlag eintretenden Töne
nachdrüklich, oder mit Accenten angegeben werden,
so sind auch die auf diese Zeit fallende Dissonanzen
von stärkerer Würkung, als die, welche im Auf-
schlag gehört werden. Jn diesem Falle besinden
sich die Vorhalte (*), mit denen zum Ausdruk das
meiste auszurichten ist; weil sie allezeit auf den Nie-
derschlag fallen, da die wesentliche Septime sowol
im Aufschlag, als im Niederschlag vorkommt.

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Nie
Niedrig.
(Schöne Künste.)

Wenn man dieses Wort bey Gegenständen des
Geschmaks braucht, so verstehet man darunter et-
was, das in der Denkungsart und in den Sitten
und überhaupt in dem Geschmak des Pöbels ist,
nicht in so fern es einfach und ohne Kunst ist, son-
dern in so fern es Menschen von feinerer Lebensart
beleidiget. Der Geschmak und die innern Sinnen
gelangen, so wie die äußern nur durch Uebung und
Ueberlegung zu der Fertigkeit in jeder Sache auch
durch kleinere, Ungeübten unmerkliche Dinge, ge-
rührt zu werden. Wer diese Fertigkeit nicht erlangt
hat, siehet und empfindet nur das gröbste, was
auch dem Unachtsamsten in die Augen fällt; darum
können Sachen, die im Ganzen, oder überhaupt
betrachtet, das sind, was sie in ihrer Art seyn sollen,
ihnen gefallen, wenn gleich in kleinern und feine-
ren Theilen viel Unrichtiges, Unschikliches oder Ver-
kehrtes darin ist. Der Pöbel staunt über Pracht,
wo er sie sieht, wenn gleich weder Geschmak noch
Schiklichkeit dabey beobachtet worden. So begnü-
get sich ein Mensch von niedrigem Stande, der nie
an Reinlichkeit gewöhnt worden, an einer Speise,
die seinen Hunger stillt, und übersiehet das Unrein-
liche darin, wodurch sie Personen von Erziehung
ekelhaft seyn würde.

Daher kommt es, daß Leute von niedrigem Stan-
de, die keine durch feineres Nachdenken entstandene
Bedürfnisse fühlen, leicht befriediget werden, wenn
gleich in den hiezu nöthigen Dingen sich gar viel
findet, das geübtern Sinnen zuwieder ist: und eben
daher kommt es auch, daß solche Menschen keinen
Gefallen an den Sachen haben, die für Perso-
nen von feinem Geschmak den größten Reiz haben.
Feinen Scherz fühlen sie nicht, und auf einem
Gesichte, das nur durch feinere Züge die Empfin-
dungen und den Charakter verräth, können sie gar
nichts lesen. Erst denn, wenn Zorn, oder Freude
das ganze Gesicht verstellt, werden ihnen diese Lei-
denschaften merklich.

Hieraus wird sich der Charakter des Niedrigen
in Gegenständen des Geschmaks leicht bestimmen
lassen. Man muß Stufenweise von dem Edeln
und Feinen, erst auf das Gemeine, und denn von
diesem auf das Niedrige herabsteigen. Dieses tritt
zwar nicht aus der Art; es kann das, was es in

der
(*) S.
Takt.
(*) S.
Vorhalt.

[Spaltenumbruch]

Nie
dungen zu geben. Die Schaubuͤhne hat dadurch
viel gewonnen, daß man die ehemalige franzoͤſiſche
Form deſſelben, von Zeit zu Zeit verlaſſen, und
einige nach engliſcher Art eingerichtet hat. Aber es
ſind noch andere Formen moͤglich, wodurch der co-
miſchen Schaubuͤhne mehr Mannigfaltigkeit koͤnnte
gegeben werden. Dem Tonſezer empfehlen wir
vornehmlich das Nachdenken uͤber neue Formen; da
die gewoͤhnlichen in der That anfangen, etwas abge-
nuzt ſeyn. Alle Opernarien, alle Concerte gleichen
ſich ſo ſehr, daß man immer zum voraus weiß, wo
die Hauptſtimme ſich allein wird hoͤren laſſen, wo
die andern Stimmen eintreten, wo Laͤufe und Kuͤn-
ſteleyen erſcheinen, und wo Schluͤße erfolgen wer-
den. Man bedenkt nicht genug, daß die Formen
groͤßtentheils blos zufaͤllig ſind. Unſere Dichtkunſt
hat ungemein viel gewonnen, ſeitdem zuerſt Pyra
und Lange, hernach Rammler und vornehmlich
Klopſtok neue Formen und neue Versarten einge-
fuͤhrt haben. Darum uͤbertreffen wir auch gegen-
waͤrtig in dieſem beſondern Fache der Dichtkunſt alle
neuern Nationen, und es iſt zu wuͤnſchen, daß bald
faͤhige Koͤpfe aͤhnliche Neuerungen mit eben dem
gluͤklichen Ausgang in andern Dichtungsarten ver-
ſuchen.

Niederſchlag.
(Muſik)

Die erſte Zeit, oder der Anfang jedes Takts. Der
Name kommt daher, daß die Neuern beym Takt-
ſchlagen den Anfang jedes Takts mit Niederſchlagen
der Hand, oder des Fußes bezeichnen. Die Alten
thaten daſſelbe mit Aufheben des Fußes, daher bey
ihnen der Anfang des Taktes Arſis, (der Aufſchlag)
genennt wurde. Der Ausdruk, ein Stuͤk fange mit
dem Niederſchlag an,
bedeutet alſo, daß der erſte Takt
des Stuͤks vollſtaͤndig ſey, und daß das Stuͤk gleich
den erſten Ton mit Nachdruk hoͤren laſſe. (*)

Weil die mit dem Niederſchlag eintretenden Toͤne
nachdruͤklich, oder mit Accenten angegeben werden,
ſo ſind auch die auf dieſe Zeit fallende Diſſonanzen
von ſtaͤrkerer Wuͤrkung, als die, welche im Auf-
ſchlag gehoͤrt werden. Jn dieſem Falle beſinden
ſich die Vorhalte (*), mit denen zum Ausdruk das
meiſte auszurichten iſt; weil ſie allezeit auf den Nie-
derſchlag fallen, da die weſentliche Septime ſowol
im Aufſchlag, als im Niederſchlag vorkommt.

[Spaltenumbruch]
Nie
Niedrig.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Wenn man dieſes Wort bey Gegenſtaͤnden des
Geſchmaks braucht, ſo verſtehet man darunter et-
was, das in der Denkungsart und in den Sitten
und uͤberhaupt in dem Geſchmak des Poͤbels iſt,
nicht in ſo fern es einfach und ohne Kunſt iſt, ſon-
dern in ſo fern es Menſchen von feinerer Lebensart
beleidiget. Der Geſchmak und die innern Sinnen
gelangen, ſo wie die aͤußern nur durch Uebung und
Ueberlegung zu der Fertigkeit in jeder Sache auch
durch kleinere, Ungeuͤbten unmerkliche Dinge, ge-
ruͤhrt zu werden. Wer dieſe Fertigkeit nicht erlangt
hat, ſiehet und empfindet nur das groͤbſte, was
auch dem Unachtſamſten in die Augen faͤllt; darum
koͤnnen Sachen, die im Ganzen, oder uͤberhaupt
betrachtet, das ſind, was ſie in ihrer Art ſeyn ſollen,
ihnen gefallen, wenn gleich in kleinern und feine-
ren Theilen viel Unrichtiges, Unſchikliches oder Ver-
kehrtes darin iſt. Der Poͤbel ſtaunt uͤber Pracht,
wo er ſie ſieht, wenn gleich weder Geſchmak noch
Schiklichkeit dabey beobachtet worden. So begnuͤ-
get ſich ein Menſch von niedrigem Stande, der nie
an Reinlichkeit gewoͤhnt worden, an einer Speiſe,
die ſeinen Hunger ſtillt, und uͤberſiehet das Unrein-
liche darin, wodurch ſie Perſonen von Erziehung
ekelhaft ſeyn wuͤrde.

Daher kommt es, daß Leute von niedrigem Stan-
de, die keine durch feineres Nachdenken entſtandene
Beduͤrfniſſe fuͤhlen, leicht befriediget werden, wenn
gleich in den hiezu noͤthigen Dingen ſich gar viel
findet, das geuͤbtern Sinnen zuwieder iſt: und eben
daher kommt es auch, daß ſolche Menſchen keinen
Gefallen an den Sachen haben, die fuͤr Perſo-
nen von feinem Geſchmak den groͤßten Reiz haben.
Feinen Scherz fuͤhlen ſie nicht, und auf einem
Geſichte, das nur durch feinere Zuͤge die Empfin-
dungen und den Charakter verraͤth, koͤnnen ſie gar
nichts leſen. Erſt denn, wenn Zorn, oder Freude
das ganze Geſicht verſtellt, werden ihnen dieſe Lei-
denſchaften merklich.

Hieraus wird ſich der Charakter des Niedrigen
in Gegenſtaͤnden des Geſchmaks leicht beſtimmen
laſſen. Man muß Stufenweiſe von dem Edeln
und Feinen, erſt auf das Gemeine, und denn von
dieſem auf das Niedrige herabſteigen. Dieſes tritt
zwar nicht aus der Art; es kann das, was es in

der
(*) S.
Takt.
(*) S.
Vorhalt.
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[818[800]/0235] Nie Nie dungen zu geben. Die Schaubuͤhne hat dadurch viel gewonnen, daß man die ehemalige franzoͤſiſche Form deſſelben, von Zeit zu Zeit verlaſſen, und einige nach engliſcher Art eingerichtet hat. Aber es ſind noch andere Formen moͤglich, wodurch der co- miſchen Schaubuͤhne mehr Mannigfaltigkeit koͤnnte gegeben werden. Dem Tonſezer empfehlen wir vornehmlich das Nachdenken uͤber neue Formen; da die gewoͤhnlichen in der That anfangen, etwas abge- nuzt ſeyn. Alle Opernarien, alle Concerte gleichen ſich ſo ſehr, daß man immer zum voraus weiß, wo die Hauptſtimme ſich allein wird hoͤren laſſen, wo die andern Stimmen eintreten, wo Laͤufe und Kuͤn- ſteleyen erſcheinen, und wo Schluͤße erfolgen wer- den. Man bedenkt nicht genug, daß die Formen groͤßtentheils blos zufaͤllig ſind. Unſere Dichtkunſt hat ungemein viel gewonnen, ſeitdem zuerſt Pyra und Lange, hernach Rammler und vornehmlich Klopſtok neue Formen und neue Versarten einge- fuͤhrt haben. Darum uͤbertreffen wir auch gegen- waͤrtig in dieſem beſondern Fache der Dichtkunſt alle neuern Nationen, und es iſt zu wuͤnſchen, daß bald faͤhige Koͤpfe aͤhnliche Neuerungen mit eben dem gluͤklichen Ausgang in andern Dichtungsarten ver- ſuchen. Niederſchlag. (Muſik) Die erſte Zeit, oder der Anfang jedes Takts. Der Name kommt daher, daß die Neuern beym Takt- ſchlagen den Anfang jedes Takts mit Niederſchlagen der Hand, oder des Fußes bezeichnen. Die Alten thaten daſſelbe mit Aufheben des Fußes, daher bey ihnen der Anfang des Taktes Arſis, (der Aufſchlag) genennt wurde. Der Ausdruk, ein Stuͤk fange mit dem Niederſchlag an, bedeutet alſo, daß der erſte Takt des Stuͤks vollſtaͤndig ſey, und daß das Stuͤk gleich den erſten Ton mit Nachdruk hoͤren laſſe. (*) Weil die mit dem Niederſchlag eintretenden Toͤne nachdruͤklich, oder mit Accenten angegeben werden, ſo ſind auch die auf dieſe Zeit fallende Diſſonanzen von ſtaͤrkerer Wuͤrkung, als die, welche im Auf- ſchlag gehoͤrt werden. Jn dieſem Falle beſinden ſich die Vorhalte (*), mit denen zum Ausdruk das meiſte auszurichten iſt; weil ſie allezeit auf den Nie- derſchlag fallen, da die weſentliche Septime ſowol im Aufſchlag, als im Niederſchlag vorkommt. Niedrig. (Schoͤne Kuͤnſte.) Wenn man dieſes Wort bey Gegenſtaͤnden des Geſchmaks braucht, ſo verſtehet man darunter et- was, das in der Denkungsart und in den Sitten und uͤberhaupt in dem Geſchmak des Poͤbels iſt, nicht in ſo fern es einfach und ohne Kunſt iſt, ſon- dern in ſo fern es Menſchen von feinerer Lebensart beleidiget. Der Geſchmak und die innern Sinnen gelangen, ſo wie die aͤußern nur durch Uebung und Ueberlegung zu der Fertigkeit in jeder Sache auch durch kleinere, Ungeuͤbten unmerkliche Dinge, ge- ruͤhrt zu werden. Wer dieſe Fertigkeit nicht erlangt hat, ſiehet und empfindet nur das groͤbſte, was auch dem Unachtſamſten in die Augen faͤllt; darum koͤnnen Sachen, die im Ganzen, oder uͤberhaupt betrachtet, das ſind, was ſie in ihrer Art ſeyn ſollen, ihnen gefallen, wenn gleich in kleinern und feine- ren Theilen viel Unrichtiges, Unſchikliches oder Ver- kehrtes darin iſt. Der Poͤbel ſtaunt uͤber Pracht, wo er ſie ſieht, wenn gleich weder Geſchmak noch Schiklichkeit dabey beobachtet worden. So begnuͤ- get ſich ein Menſch von niedrigem Stande, der nie an Reinlichkeit gewoͤhnt worden, an einer Speiſe, die ſeinen Hunger ſtillt, und uͤberſiehet das Unrein- liche darin, wodurch ſie Perſonen von Erziehung ekelhaft ſeyn wuͤrde. Daher kommt es, daß Leute von niedrigem Stan- de, die keine durch feineres Nachdenken entſtandene Beduͤrfniſſe fuͤhlen, leicht befriediget werden, wenn gleich in den hiezu noͤthigen Dingen ſich gar viel findet, das geuͤbtern Sinnen zuwieder iſt: und eben daher kommt es auch, daß ſolche Menſchen keinen Gefallen an den Sachen haben, die fuͤr Perſo- nen von feinem Geſchmak den groͤßten Reiz haben. Feinen Scherz fuͤhlen ſie nicht, und auf einem Geſichte, das nur durch feinere Zuͤge die Empfin- dungen und den Charakter verraͤth, koͤnnen ſie gar nichts leſen. Erſt denn, wenn Zorn, oder Freude das ganze Geſicht verſtellt, werden ihnen dieſe Lei- denſchaften merklich. Hieraus wird ſich der Charakter des Niedrigen in Gegenſtaͤnden des Geſchmaks leicht beſtimmen laſſen. Man muß Stufenweiſe von dem Edeln und Feinen, erſt auf das Gemeine, und denn von dieſem auf das Niedrige herabſteigen. Dieſes tritt zwar nicht aus der Art; es kann das, was es in der (*) S. Takt. (*) S. Vorhalt.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 818[800]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/235>, abgerufen am 29.04.2024.