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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Pan
weilen etwas comisches hat. Die meisten comischen
Originale haben in ihrem Aeußerlichen etwas selt-
sam mimisches, das gegen das gewöhnliche Betra-
gen der Menschen, als übertrieben, oder unnatür-
lich absticht.

Diderot schlägt vor, daß der Dichter überall wo
es nöthig ist, den Schauspiehlern die Pantomime
vorschreibe, und führet sehr scheinbare Gründe dafür
an. Aber ich befürchte, daß durch dieses Mittel,
so bald die Vorschrift umständlich ist, den Schauspieh-
lern ein neuer Zwang angethan würde, und dadurch
die Ursachen der schlechten Pantomime sich vermehren
möchten. Denn die Furcht die Sache nicht gut
zu machen, und der daraus entstehende Zwang hat
eben den größten Antheil an so viel schlechten Vor-
stellungen, und nur gar zu ofte wird die Pantomime
unnatürlich, weil man sich, um sie natürlich zu
machen, genau an eine Vorschrift hat halten wollen.
Das beste Mittel die Schauspiehler zu unterrichten,
scheinet mir dieses zu seyn, daß Kenner des Schau-
spiehls die vornehmsten Scenen der bekanntesten
Stüke vornehmen, und über die Pantomime dersel-
ben, ihre Gedanken, mit guten Gründen unterstüzt,
eröffnen. Jeder Dichter, der ein neues dramati-
sches Stük herausgiebt, könnte dieses in einer Vor-
rede dazu thun. Aber man müßte nicht umständli-
che noch entscheidende oder ausschließende Vorschrif-
ten geben. Jede Scene kann auf mehr als einerley
Weise pantomimisch gut ausgeführt werden.

Zuerst also müßten über den wahren Charakter
der Scene, die man besonders vornimmt, allgemeine,
richtige Anmerkungen gemacht, und die Natur der
darin sich äußernden Leidenschaften genau und be-
sonders auch nach ihren äußerlichen Würkungen be-
trachtet werden. Hierauf könnten besondere Vor-
schläge, die ins Umständliche fallen, gethan werden.
Man müßte zeigen, auf wie vielerley Art die Panto-
mime dieser Scene könnte angeordnet werden, deren
jede mit ihrem Charakter übereinkäme, und denn
besonders zeigen, wie jede den allgemeinen Foderun-
gen genug thue.

Durch dergleichen einzele critische Beleuchtungen
besonderer Scenen, würde man allmählig den Weg
zu einer einfachen und wahren Theorie der Panto-
mime bahnen; Sammlungen solcher einzelen Ab-
handlungen in den Händen der Schauspiehler, wür-
den diese zum gehörigen Nachdenken über ihre Kunst
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Par
bringen, und ohne ihnen Zwang anzuthun, das be-
sondere allemal noch ihrer eigenen Wahl überlassen.

Pantomimische Tänze, oder Ballette, sind solche,
die eine würkliche Handlung vorstellen, und kom-
men den eigentlichen pantomimischen Vorstellungen
der Alten etwas nahe. Es ist schon anderswo (*)
angemerkt worden, daß sie die einzigen Balette sind,
die auf der Schaubühne erscheinen sollten.

Parodie.
(Dichtkunst.)

Waren bey den Griechen scherzhafte Gedichte, auch
wol nur einzele Stellen, dazu ganze Verse, oder
einzele Ausdrüke von ernsthaften Gedichten entlehnet,
oder doch nachgeahmt wurden. So ist das Gedicht
des Maton, welches Athenäus aufbehalten (*) wo-
rin eine Schwelgerey in homerischen, oder dem Ho-
mer nachgeahmten Versen besungen wird. Es fängt
es völlig im Tone der Jlias an.

Deipna moi ennepe mousa polutropha kai mala polla --

Nach des Aristoteles Bericht hat Hegemon von Tha-
sos sie erfunden, nach dem Athenäus aber Hipponax.
Gewiß ist, daß das Atheniensische Volk um die Zeit
des Verfalles der Republik dieselben ungemein ge-
liebet hat. Däher ist Aristophanes voll von Paro-
dien einzeler Verse der besten tragischen Dichter.

Heinrich Etienne, oder Stephanus hat eine be-
sondere Abhandlung davon geschrieben, die 1575
in Paris gedrukt ist.

Jn den neuern Zeiten haben die Parodien vor-
züglich in Frankreich ihre Liebhaber gefunden. Scar-
ron hat die Aeneis parodirt; aber erst lange nach
ihm sind die förmlichen Parodien der Tragödien auf-
gekommen, eine der frevelhaftesten Erfindungen des
ausschweiffenden Wizes. Jch habe auf einer sehr ge-
priesenen französischen Schaubühne das nicht schlechte
Trauerspiehl Orestes und Pylades aufführen sehen,
wobey die Logen und das Parterre sich ziemlich gleich-
gültig bezeigten. Beyde wurden gegen das Ende des
Schauspiehls immer mehr angefüllt; und gleich nach
dem Stük wurd eine Parodie von demselben vorge-
stellt, wobey der ganze Schauplaz äußerst lebhaft,
und das Händeklatschen, oft allgemein wurd.

Man muß es weit im Leichtsin gebracht haben,
um an solchen Parodien Gefallen zu finden, und ich
kenne nicht leicht einen größern Frevel als den, der
würklich ernsthafte, so gar erhabene Dinge, lächer-
lich macht. Ein französischer Kunstrichter hat un-

längst
(*) Art.
Ballet.
(*) Deip-
nos. L. IV.

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Pan
weilen etwas comiſches hat. Die meiſten comiſchen
Originale haben in ihrem Aeußerlichen etwas ſelt-
ſam mimiſches, das gegen das gewoͤhnliche Betra-
gen der Menſchen, als uͤbertrieben, oder unnatuͤr-
lich abſticht.

Diderot ſchlaͤgt vor, daß der Dichter uͤberall wo
es noͤthig iſt, den Schauſpiehlern die Pantomime
vorſchreibe, und fuͤhret ſehr ſcheinbare Gruͤnde dafuͤr
an. Aber ich befuͤrchte, daß durch dieſes Mittel,
ſo bald die Vorſchrift umſtaͤndlich iſt, den Schauſpieh-
lern ein neuer Zwang angethan wuͤrde, und dadurch
die Urſachen der ſchlechten Pantomime ſich vermehren
moͤchten. Denn die Furcht die Sache nicht gut
zu machen, und der daraus entſtehende Zwang hat
eben den groͤßten Antheil an ſo viel ſchlechten Vor-
ſtellungen, und nur gar zu ofte wird die Pantomime
unnatuͤrlich, weil man ſich, um ſie natuͤrlich zu
machen, genau an eine Vorſchrift hat halten wollen.
Das beſte Mittel die Schauſpiehler zu unterrichten,
ſcheinet mir dieſes zu ſeyn, daß Kenner des Schau-
ſpiehls die vornehmſten Scenen der bekannteſten
Stuͤke vornehmen, und uͤber die Pantomime derſel-
ben, ihre Gedanken, mit guten Gruͤnden unterſtuͤzt,
eroͤffnen. Jeder Dichter, der ein neues dramati-
ſches Stuͤk herausgiebt, koͤnnte dieſes in einer Vor-
rede dazu thun. Aber man muͤßte nicht umſtaͤndli-
che noch entſcheidende oder ausſchließende Vorſchrif-
ten geben. Jede Scene kann auf mehr als einerley
Weiſe pantomimiſch gut ausgefuͤhrt werden.

Zuerſt alſo muͤßten uͤber den wahren Charakter
der Scene, die man beſonders vornimmt, allgemeine,
richtige Anmerkungen gemacht, und die Natur der
darin ſich aͤußernden Leidenſchaften genau und be-
ſonders auch nach ihren aͤußerlichen Wuͤrkungen be-
trachtet werden. Hierauf koͤnnten beſondere Vor-
ſchlaͤge, die ins Umſtaͤndliche fallen, gethan werden.
Man muͤßte zeigen, auf wie vielerley Art die Panto-
mime dieſer Scene koͤnnte angeordnet werden, deren
jede mit ihrem Charakter uͤbereinkaͤme, und denn
beſonders zeigen, wie jede den allgemeinen Foderun-
gen genug thue.

Durch dergleichen einzele critiſche Beleuchtungen
beſonderer Scenen, wuͤrde man allmaͤhlig den Weg
zu einer einfachen und wahren Theorie der Panto-
mime bahnen; Sammlungen ſolcher einzelen Ab-
handlungen in den Haͤnden der Schauſpiehler, wuͤr-
den dieſe zum gehoͤrigen Nachdenken uͤber ihre Kunſt
[Spaltenumbruch]

Par
bringen, und ohne ihnen Zwang anzuthun, das be-
ſondere allemal noch ihrer eigenen Wahl uͤberlaſſen.

Pantomimiſche Taͤnze, oder Ballette, ſind ſolche,
die eine wuͤrkliche Handlung vorſtellen, und kom-
men den eigentlichen pantomimiſchen Vorſtellungen
der Alten etwas nahe. Es iſt ſchon anderswo (*)
angemerkt worden, daß ſie die einzigen Balette ſind,
die auf der Schaubuͤhne erſcheinen ſollten.

Parodie.
(Dichtkunſt.)

Waren bey den Griechen ſcherzhafte Gedichte, auch
wol nur einzele Stellen, dazu ganze Verſe, oder
einzele Ausdruͤke von ernſthaften Gedichten entlehnet,
oder doch nachgeahmt wurden. So iſt das Gedicht
des Maton, welches Athenaͤus aufbehalten (*) wo-
rin eine Schwelgerey in homeriſchen, oder dem Ho-
mer nachgeahmten Verſen beſungen wird. Es faͤngt
es voͤllig im Tone der Jlias an.

Δειπνα μοι έννεπε μουσα πολυτϱοφα και μαλα πολλα —

Nach des Ariſtoteles Bericht hat Hegemon von Tha-
ſos ſie erfunden, nach dem Athenaͤus aber Hipponax.
Gewiß iſt, daß das Athenienſiſche Volk um die Zeit
des Verfalles der Republik dieſelben ungemein ge-
liebet hat. Daͤher iſt Ariſtophanes voll von Paro-
dien einzeler Verſe der beſten tragiſchen Dichter.

Heinrich Etienne, oder Stephanus hat eine be-
ſondere Abhandlung davon geſchrieben, die 1575
in Paris gedrukt iſt.

Jn den neuern Zeiten haben die Parodien vor-
zuͤglich in Frankreich ihre Liebhaber gefunden. Scar-
ron hat die Aeneis parodirt; aber erſt lange nach
ihm ſind die foͤrmlichen Parodien der Tragoͤdien auf-
gekommen, eine der frevelhafteſten Erfindungen des
ausſchweiffenden Wizes. Jch habe auf einer ſehr ge-
prieſenen franzoͤſiſchen Schaubuͤhne das nicht ſchlechte
Trauerſpiehl Oreſtes und Pylades auffuͤhren ſehen,
wobey die Logen und das Parterre ſich ziemlich gleich-
guͤltig bezeigten. Beyde wurden gegen das Ende des
Schauſpiehls immer mehr angefuͤllt; und gleich nach
dem Stuͤk wurd eine Parodie von demſelben vorge-
ſtellt, wobey der ganze Schauplaz aͤußerſt lebhaft,
und das Haͤndeklatſchen, oft allgemein wurd.

Man muß es weit im Leichtſin gebracht haben,
um an ſolchen Parodien Gefallen zu finden, und ich
kenne nicht leicht einen groͤßern Frevel als den, der
wuͤrklich ernſthafte, ſo gar erhabene Dinge, laͤcher-
lich macht. Ein franzoͤſiſcher Kunſtrichter hat un-

laͤngſt
(*) Art.
Ballet.
(*) Deip-
noſ. L. IV.
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[878[860]/0295] Pan Par weilen etwas comiſches hat. Die meiſten comiſchen Originale haben in ihrem Aeußerlichen etwas ſelt- ſam mimiſches, das gegen das gewoͤhnliche Betra- gen der Menſchen, als uͤbertrieben, oder unnatuͤr- lich abſticht. Diderot ſchlaͤgt vor, daß der Dichter uͤberall wo es noͤthig iſt, den Schauſpiehlern die Pantomime vorſchreibe, und fuͤhret ſehr ſcheinbare Gruͤnde dafuͤr an. Aber ich befuͤrchte, daß durch dieſes Mittel, ſo bald die Vorſchrift umſtaͤndlich iſt, den Schauſpieh- lern ein neuer Zwang angethan wuͤrde, und dadurch die Urſachen der ſchlechten Pantomime ſich vermehren moͤchten. Denn die Furcht die Sache nicht gut zu machen, und der daraus entſtehende Zwang hat eben den groͤßten Antheil an ſo viel ſchlechten Vor- ſtellungen, und nur gar zu ofte wird die Pantomime unnatuͤrlich, weil man ſich, um ſie natuͤrlich zu machen, genau an eine Vorſchrift hat halten wollen. Das beſte Mittel die Schauſpiehler zu unterrichten, ſcheinet mir dieſes zu ſeyn, daß Kenner des Schau- ſpiehls die vornehmſten Scenen der bekannteſten Stuͤke vornehmen, und uͤber die Pantomime derſel- ben, ihre Gedanken, mit guten Gruͤnden unterſtuͤzt, eroͤffnen. Jeder Dichter, der ein neues dramati- ſches Stuͤk herausgiebt, koͤnnte dieſes in einer Vor- rede dazu thun. Aber man muͤßte nicht umſtaͤndli- che noch entſcheidende oder ausſchließende Vorſchrif- ten geben. Jede Scene kann auf mehr als einerley Weiſe pantomimiſch gut ausgefuͤhrt werden. Zuerſt alſo muͤßten uͤber den wahren Charakter der Scene, die man beſonders vornimmt, allgemeine, richtige Anmerkungen gemacht, und die Natur der darin ſich aͤußernden Leidenſchaften genau und be- ſonders auch nach ihren aͤußerlichen Wuͤrkungen be- trachtet werden. Hierauf koͤnnten beſondere Vor- ſchlaͤge, die ins Umſtaͤndliche fallen, gethan werden. Man muͤßte zeigen, auf wie vielerley Art die Panto- mime dieſer Scene koͤnnte angeordnet werden, deren jede mit ihrem Charakter uͤbereinkaͤme, und denn beſonders zeigen, wie jede den allgemeinen Foderun- gen genug thue. Durch dergleichen einzele critiſche Beleuchtungen beſonderer Scenen, wuͤrde man allmaͤhlig den Weg zu einer einfachen und wahren Theorie der Panto- mime bahnen; Sammlungen ſolcher einzelen Ab- handlungen in den Haͤnden der Schauſpiehler, wuͤr- den dieſe zum gehoͤrigen Nachdenken uͤber ihre Kunſt bringen, und ohne ihnen Zwang anzuthun, das be- ſondere allemal noch ihrer eigenen Wahl uͤberlaſſen. Pantomimiſche Taͤnze, oder Ballette, ſind ſolche, die eine wuͤrkliche Handlung vorſtellen, und kom- men den eigentlichen pantomimiſchen Vorſtellungen der Alten etwas nahe. Es iſt ſchon anderswo (*) angemerkt worden, daß ſie die einzigen Balette ſind, die auf der Schaubuͤhne erſcheinen ſollten. Parodie. (Dichtkunſt.) Waren bey den Griechen ſcherzhafte Gedichte, auch wol nur einzele Stellen, dazu ganze Verſe, oder einzele Ausdruͤke von ernſthaften Gedichten entlehnet, oder doch nachgeahmt wurden. So iſt das Gedicht des Maton, welches Athenaͤus aufbehalten (*) wo- rin eine Schwelgerey in homeriſchen, oder dem Ho- mer nachgeahmten Verſen beſungen wird. Es faͤngt es voͤllig im Tone der Jlias an. Δειπνα μοι έννεπε μουσα πολυτϱοφα και μαλα πολλα — Nach des Ariſtoteles Bericht hat Hegemon von Tha- ſos ſie erfunden, nach dem Athenaͤus aber Hipponax. Gewiß iſt, daß das Athenienſiſche Volk um die Zeit des Verfalles der Republik dieſelben ungemein ge- liebet hat. Daͤher iſt Ariſtophanes voll von Paro- dien einzeler Verſe der beſten tragiſchen Dichter. Heinrich Etienne, oder Stephanus hat eine be- ſondere Abhandlung davon geſchrieben, die 1575 in Paris gedrukt iſt. Jn den neuern Zeiten haben die Parodien vor- zuͤglich in Frankreich ihre Liebhaber gefunden. Scar- ron hat die Aeneis parodirt; aber erſt lange nach ihm ſind die foͤrmlichen Parodien der Tragoͤdien auf- gekommen, eine der frevelhafteſten Erfindungen des ausſchweiffenden Wizes. Jch habe auf einer ſehr ge- prieſenen franzoͤſiſchen Schaubuͤhne das nicht ſchlechte Trauerſpiehl Oreſtes und Pylades auffuͤhren ſehen, wobey die Logen und das Parterre ſich ziemlich gleich- guͤltig bezeigten. Beyde wurden gegen das Ende des Schauſpiehls immer mehr angefuͤllt; und gleich nach dem Stuͤk wurd eine Parodie von demſelben vorge- ſtellt, wobey der ganze Schauplaz aͤußerſt lebhaft, und das Haͤndeklatſchen, oft allgemein wurd. Man muß es weit im Leichtſin gebracht haben, um an ſolchen Parodien Gefallen zu finden, und ich kenne nicht leicht einen groͤßern Frevel als den, der wuͤrklich ernſthafte, ſo gar erhabene Dinge, laͤcher- lich macht. Ein franzoͤſiſcher Kunſtrichter hat un- laͤngſt (*) Art. Ballet. (*) Deip- noſ. L. IV.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 878[860]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/295>, abgerufen am 29.04.2024.