Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite

[Spaltenumbruch]

Pfo Pfü Pha
sind, starke ansehnliche Pfeiler, deren freye Seiten
mit zwey dorischen Säulen oder mit Pilastern ver-
ziehrt sind. Der Kranz des Gebälkes macht eine
große über den Pfeiler und die Säulen gehende Platte,
auf welcher endlich eine pyramidenförmige Trophee
gesezt ist; und dadurch bekommen diese Thore ein
gutes Ansehen. Man kann eben dieses auch bey Por-
talen an großen Höfen oder Gärten anbringen.

Pfosten.
(Baukunst.)

Sind in der Baukunst kleine Pfeiler an den beyden
Seiten einer Thüröfnung, woran die Thürangel be-
festiget sind. Jede Thüre muß mit Pfosten eingefaßt
seyn, damit sie nicht, wie ein bloßes in die Wand
gebrochenes Loch, sondern als etwas wolüberlegtes
und abgepaßtes aussehe, wie schon anderswo erin-
nert worden. (*)

Pfühl.
(Baukunst.)

Ein Glied an den Säulenfüßen, das im Profil die
Rundung eines halben Zirkels hat, und unter die
großen Glieder gehört. (*) Den Namen hat es da-
her, weil ein rundes Küßen, oder ein Pfühl, wenn
es von etwas darüber liegenden beschweert, und platt
gedrükt wird, ohngefehr diese Form annehmen würde.

Pharsalia.

Da ich dieses Gedicht nie in der Absicht gelesen habe,
um mir eine bestimmte Vorstellung von seiner Art
und von seinem poetischen Charakter zu machen, so
will ich, statt meiner Gedanken darüber, hier einen
kleinen Aufsaz einrüken, den mir ein durch vielerley
critische Arbeiten bekannter und verdienter Mann zu-
geschikt hat.

"Man hat diesem erzählenden Gedicht des Luca-
nus
die Ehre einer Epopöe streitig gemacht. Es ist
aber nicht darum historisch, weil die Zeitordnung da-
rin nicht umgekehrt wird, welches auch in der Jlias
nicht geschieht, und von Herodotus mehr, als in
irgend einem Gedichte geschehen ist; noch darum,
weil es auf keine absonderliche Sittenlehre gebaut
ist; maaßen es, wenn dieses erfodert würde, den
Jammer, den die innerliche Zwietracht mit sich füh-
ret, gewiß in so starkem Lichte zeiget, als immer die
Jlias thut. Was obige Beschuldigung rechtfertiget,
ist, daß es wenig Exempel in sich hat, wiewol sie
[Spaltenumbruch]

Pha
nicht ganz fehlen, wo die Personen reden, ausge-
nommen in öffentlichen Versammlungen, und daß
die Reden, austatt aus dem besondern Charakter
der Personen zu fließen, insgemein von allgemeinen
Wahrheiten und Säzen hergenommen sind, und zu
sehr nach dem Redner schmeken; wiewol sie sonst
stark genug und der Römer sehr würdig sind. Jn
der Epopöe müssen öffentliche Geschäfte und Reden
selten vorkommen; hingegen die persönlichen Ge-
sinnungen, die besondern Unterhandlungen und Be-
rathschlagungen über die aus der Handlung unmit-
telbar entsteheuden Vorfälle und Begebenheiten. Je-
nes kommt eigentlich der Historie zu; dieses ist der
Dichtkunst eigen.

Unter die Nachtheile der Pharsalia rechne ich nicht,
daß wir genau wissen, daß eine Menge Umstände
zu den wahren, bekannten, nur erdichtet sind; denn
die poetische Gewißheit wird vielmehr stärker, wenn
sie mit bekannten Sachen untersezt wird. Und so
bald der Poet sich eines historischen Grunds zu sei-
ner Arbeit bemächtiget; so därf man keine andere,
als die poetische Gewißheit von ihm fodern. Jn
einem Gedichte, wo die Hauptpersonen noch so
jüngst gelebt haben, daß wir selbst, oder unsre Ael-
tern sie gekannt haben, macht es Schwierigkeiten
uns Ehrfurcht und Bewunderung für sie beyzubrin-
gen. Hundert Histörichen von kleinen menschli-
chen Schwachheiten, und von wirthschaftlichen Um-
ständen, die wir selbst gesehen, oder von Augenzeu-
gen gehört haben, sezen sie zu den gewöhnlichen
Menschen herunter. Unser Poet hat durch die gros-
sen Sachen, womit er den Leser unterhält, denjeni-
gen, die nahe bey seinen Helden gelebt haben, nicht
Weile gelassen, an das zu denken, was ihnen Klei-
nes anhieng, und bey den späthern Leseren hat der
Lauf der Jahre, das Andenken dieser Kleinigkeiten
vertilget."

Daß der Dichter der Pharsalia große poetische
Talente gehabt, wird wol Niemand in Abrede seyn.
Aber man sieht nicht selten bey ihm, daß Ueberle-
gung und Bemühung bisweilen die Stelle der Be-
geisterung vertreten; daß er, nicht aus überströh-
mender Empfindung, sondern, weil er es gesucht,
und lange darauf gearbeitet hat, sich dem Großen
und Erhabenen nähert.

Seit Kurzem hat unser Dichter in Frankreich
verschiedene vorzügliche Verehrer gefunden, die durch
einzele Schönheiten/ die in Menge bey ihm ange-

trof-
(*) S.
Oefnung.
(*) S.
Glied.
T t t t t 2

[Spaltenumbruch]

Pfo Pfuͤ Pha
ſind, ſtarke anſehnliche Pfeiler, deren freye Seiten
mit zwey doriſchen Saͤulen oder mit Pilaſtern ver-
ziehrt ſind. Der Kranz des Gebaͤlkes macht eine
große uͤber den Pfeiler und die Saͤulen gehende Platte,
auf welcher endlich eine pyramidenfoͤrmige Trophee
geſezt iſt; und dadurch bekommen dieſe Thore ein
gutes Anſehen. Man kann eben dieſes auch bey Por-
talen an großen Hoͤfen oder Gaͤrten anbringen.

Pfoſten.
(Baukunſt.)

Sind in der Baukunſt kleine Pfeiler an den beyden
Seiten einer Thuͤroͤfnung, woran die Thuͤrangel be-
feſtiget ſind. Jede Thuͤre muß mit Pfoſten eingefaßt
ſeyn, damit ſie nicht, wie ein bloßes in die Wand
gebrochenes Loch, ſondern als etwas woluͤberlegtes
und abgepaßtes ausſehe, wie ſchon anderswo erin-
nert worden. (*)

Pfuͤhl.
(Baukunſt.)

Ein Glied an den Saͤulenfuͤßen, das im Profil die
Rundung eines halben Zirkels hat, und unter die
großen Glieder gehoͤrt. (*) Den Namen hat es da-
her, weil ein rundes Kuͤßen, oder ein Pfuͤhl, wenn
es von etwas daruͤber liegenden beſchweert, und platt
gedruͤkt wird, ohngefehr dieſe Form annehmen wuͤrde.

Pharſalia.

Da ich dieſes Gedicht nie in der Abſicht geleſen habe,
um mir eine beſtimmte Vorſtellung von ſeiner Art
und von ſeinem poetiſchen Charakter zu machen, ſo
will ich, ſtatt meiner Gedanken daruͤber, hier einen
kleinen Aufſaz einruͤken, den mir ein durch vielerley
critiſche Arbeiten bekannter und verdienter Mann zu-
geſchikt hat.

„Man hat dieſem erzaͤhlenden Gedicht des Luca-
nus
die Ehre einer Epopoͤe ſtreitig gemacht. Es iſt
aber nicht darum hiſtoriſch, weil die Zeitordnung da-
rin nicht umgekehrt wird, welches auch in der Jlias
nicht geſchieht, und von Herodotus mehr, als in
irgend einem Gedichte geſchehen iſt; noch darum,
weil es auf keine abſonderliche Sittenlehre gebaut
iſt; maaßen es, wenn dieſes erfodert wuͤrde, den
Jammer, den die innerliche Zwietracht mit ſich fuͤh-
ret, gewiß in ſo ſtarkem Lichte zeiget, als immer die
Jlias thut. Was obige Beſchuldigung rechtfertiget,
iſt, daß es wenig Exempel in ſich hat, wiewol ſie
[Spaltenumbruch]

Pha
nicht ganz fehlen, wo die Perſonen reden, ausge-
nommen in oͤffentlichen Verſammlungen, und daß
die Reden, auſtatt aus dem beſondern Charakter
der Perſonen zu fließen, insgemein von allgemeinen
Wahrheiten und Saͤzen hergenommen ſind, und zu
ſehr nach dem Redner ſchmeken; wiewol ſie ſonſt
ſtark genug und der Roͤmer ſehr wuͤrdig ſind. Jn
der Epopoͤe muͤſſen oͤffentliche Geſchaͤfte und Reden
ſelten vorkommen; hingegen die perſoͤnlichen Ge-
ſinnungen, die beſondern Unterhandlungen und Be-
rathſchlagungen uͤber die aus der Handlung unmit-
telbar entſteheuden Vorfaͤlle und Begebenheiten. Je-
nes kommt eigentlich der Hiſtorie zu; dieſes iſt der
Dichtkunſt eigen.

Unter die Nachtheile der Pharſalia rechne ich nicht,
daß wir genau wiſſen, daß eine Menge Umſtaͤnde
zu den wahren, bekannten, nur erdichtet ſind; denn
die poetiſche Gewißheit wird vielmehr ſtaͤrker, wenn
ſie mit bekannten Sachen unterſezt wird. Und ſo
bald der Poet ſich eines hiſtoriſchen Grunds zu ſei-
ner Arbeit bemaͤchtiget; ſo daͤrf man keine andere,
als die poetiſche Gewißheit von ihm fodern. Jn
einem Gedichte, wo die Hauptperſonen noch ſo
juͤngſt gelebt haben, daß wir ſelbſt, oder unſre Ael-
tern ſie gekannt haben, macht es Schwierigkeiten
uns Ehrfurcht und Bewunderung fuͤr ſie beyzubrin-
gen. Hundert Hiſtoͤrichen von kleinen menſchli-
chen Schwachheiten, und von wirthſchaftlichen Um-
ſtaͤnden, die wir ſelbſt geſehen, oder von Augenzeu-
gen gehoͤrt haben, ſezen ſie zu den gewoͤhnlichen
Menſchen herunter. Unſer Poet hat durch die groſ-
ſen Sachen, womit er den Leſer unterhaͤlt, denjeni-
gen, die nahe bey ſeinen Helden gelebt haben, nicht
Weile gelaſſen, an das zu denken, was ihnen Klei-
nes anhieng, und bey den ſpaͤthern Leſeren hat der
Lauf der Jahre, das Andenken dieſer Kleinigkeiten
vertilget.“

Daß der Dichter der Pharſalia große poetiſche
Talente gehabt, wird wol Niemand in Abrede ſeyn.
Aber man ſieht nicht ſelten bey ihm, daß Ueberle-
gung und Bemuͤhung bisweilen die Stelle der Be-
geiſterung vertreten; daß er, nicht aus uͤberſtroͤh-
mender Empfindung, ſondern, weil er es geſucht,
und lange darauf gearbeitet hat, ſich dem Großen
und Erhabenen naͤhert.

Seit Kurzem hat unſer Dichter in Frankreich
verſchiedene vorzuͤgliche Verehrer gefunden, die durch
einzele Schoͤnheiten/ die in Menge bey ihm ange-

trof-
(*) S.
Oefnung.
(*) S.
Glied.
T t t t t 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0319" n="901[883]"/><cb/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Pfo Pfu&#x0364; Pha</hi></fw><lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;tarke an&#x017F;ehnliche Pfeiler, deren freye Seiten<lb/>
mit zwey dori&#x017F;chen Sa&#x0364;ulen oder mit Pila&#x017F;tern ver-<lb/>
ziehrt &#x017F;ind. Der Kranz des Geba&#x0364;lkes macht eine<lb/>
große u&#x0364;ber den Pfeiler und die Sa&#x0364;ulen gehende Platte,<lb/>
auf welcher endlich eine pyramidenfo&#x0364;rmige Trophee<lb/>
ge&#x017F;ezt i&#x017F;t; und dadurch bekommen die&#x017F;e Thore ein<lb/>
gutes An&#x017F;ehen. Man kann eben die&#x017F;es auch bey Por-<lb/>
talen an großen Ho&#x0364;fen oder Ga&#x0364;rten anbringen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Pfo&#x017F;ten</hi>.<lb/>
(Baukun&#x017F;t.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">S</hi>ind in der Baukun&#x017F;t kleine Pfeiler an den beyden<lb/>
Seiten einer Thu&#x0364;ro&#x0364;fnung, woran die Thu&#x0364;rangel be-<lb/>
fe&#x017F;tiget &#x017F;ind. Jede Thu&#x0364;re muß mit Pfo&#x017F;ten eingefaßt<lb/>
&#x017F;eyn, damit &#x017F;ie nicht, wie ein bloßes in die Wand<lb/>
gebrochenes Loch, &#x017F;ondern als etwas wolu&#x0364;berlegtes<lb/>
und abgepaßtes aus&#x017F;ehe, wie &#x017F;chon anderswo erin-<lb/>
nert worden. <note place="foot" n="(*)">S.<lb/>
Oefnung.</note></p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Pfu&#x0364;hl</hi>.<lb/>
(Baukun&#x017F;t.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>in Glied an den Sa&#x0364;ulenfu&#x0364;ßen, das im Profil die<lb/>
Rundung eines halben Zirkels hat, und unter die<lb/>
großen Glieder geho&#x0364;rt. <note place="foot" n="(*)">S.<lb/><hi rendition="#g">Glied</hi>.</note> Den Namen hat es da-<lb/>
her, weil ein rundes Ku&#x0364;ßen, oder ein Pfu&#x0364;hl, wenn<lb/>
es von etwas daru&#x0364;ber liegenden be&#x017F;chweert, und platt<lb/>
gedru&#x0364;kt wird, ohngefehr die&#x017F;e Form annehmen wu&#x0364;rde.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Phar&#x017F;alia</hi>.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>a ich die&#x017F;es Gedicht nie in der Ab&#x017F;icht gele&#x017F;en habe,<lb/>
um mir eine be&#x017F;timmte Vor&#x017F;tellung von &#x017F;einer Art<lb/>
und von &#x017F;einem poeti&#x017F;chen Charakter zu machen, &#x017F;o<lb/>
will ich, &#x017F;tatt meiner Gedanken daru&#x0364;ber, hier einen<lb/>
kleinen Auf&#x017F;az einru&#x0364;ken, den mir ein durch vielerley<lb/>
criti&#x017F;che Arbeiten bekannter und verdienter Mann zu-<lb/>
ge&#x017F;chikt hat.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Man hat die&#x017F;em erza&#x0364;hlenden Gedicht des <hi rendition="#fr">Luca-<lb/>
nus</hi> die Ehre einer Epopo&#x0364;e &#x017F;treitig gemacht. Es i&#x017F;t<lb/>
aber nicht darum hi&#x017F;tori&#x017F;ch, weil die Zeitordnung da-<lb/>
rin nicht umgekehrt wird, welches auch in der Jlias<lb/>
nicht ge&#x017F;chieht, und von Herodotus mehr, als in<lb/>
irgend einem Gedichte ge&#x017F;chehen i&#x017F;t; noch darum,<lb/>
weil es auf keine ab&#x017F;onderliche Sittenlehre gebaut<lb/>
i&#x017F;t; maaßen es, wenn die&#x017F;es erfodert wu&#x0364;rde, den<lb/>
Jammer, den die innerliche Zwietracht mit &#x017F;ich fu&#x0364;h-<lb/>
ret, gewiß in &#x017F;o &#x017F;tarkem Lichte zeiget, als immer die<lb/>
Jlias thut. Was obige Be&#x017F;chuldigung rechtfertiget,<lb/>
i&#x017F;t, daß es wenig Exempel in &#x017F;ich hat, wiewol &#x017F;ie<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Pha</hi></fw><lb/>
nicht ganz fehlen, wo die Per&#x017F;onen reden, ausge-<lb/>
nommen in o&#x0364;ffentlichen Ver&#x017F;ammlungen, und daß<lb/>
die Reden, au&#x017F;tatt aus dem be&#x017F;ondern Charakter<lb/>
der Per&#x017F;onen zu fließen, insgemein von allgemeinen<lb/>
Wahrheiten und Sa&#x0364;zen hergenommen &#x017F;ind, und zu<lb/>
&#x017F;ehr nach dem Redner &#x017F;chmeken; wiewol &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
&#x017F;tark genug und der Ro&#x0364;mer &#x017F;ehr wu&#x0364;rdig &#x017F;ind. Jn<lb/>
der Epopo&#x0364;e mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en o&#x0364;ffentliche Ge&#x017F;cha&#x0364;fte und Reden<lb/>
&#x017F;elten vorkommen; hingegen die per&#x017F;o&#x0364;nlichen Ge-<lb/>
&#x017F;innungen, die be&#x017F;ondern Unterhandlungen und Be-<lb/>
rath&#x017F;chlagungen u&#x0364;ber die aus der Handlung unmit-<lb/>
telbar ent&#x017F;teheuden Vorfa&#x0364;lle und Begebenheiten. Je-<lb/>
nes kommt eigentlich der Hi&#x017F;torie zu; die&#x017F;es i&#x017F;t der<lb/>
Dichtkun&#x017F;t eigen.</p><lb/>
          <p>Unter die Nachtheile der Phar&#x017F;alia rechne ich nicht,<lb/>
daß wir genau wi&#x017F;&#x017F;en, daß eine Menge Um&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
zu den wahren, bekannten, nur erdichtet &#x017F;ind; denn<lb/>
die poeti&#x017F;che Gewißheit wird vielmehr &#x017F;ta&#x0364;rker, wenn<lb/>
&#x017F;ie mit bekannten Sachen unter&#x017F;ezt wird. Und &#x017F;o<lb/>
bald der Poet &#x017F;ich eines hi&#x017F;tori&#x017F;chen Grunds zu &#x017F;ei-<lb/>
ner Arbeit bema&#x0364;chtiget; &#x017F;o da&#x0364;rf man keine andere,<lb/>
als die poeti&#x017F;che Gewißheit von ihm fodern. Jn<lb/>
einem Gedichte, wo die Hauptper&#x017F;onen noch &#x017F;o<lb/>
ju&#x0364;ng&#x017F;t gelebt haben, daß wir &#x017F;elb&#x017F;t, oder un&#x017F;re Ael-<lb/>
tern &#x017F;ie gekannt haben, macht es Schwierigkeiten<lb/>
uns Ehrfurcht und Bewunderung fu&#x0364;r &#x017F;ie beyzubrin-<lb/>
gen. Hundert Hi&#x017F;to&#x0364;richen von kleinen men&#x017F;chli-<lb/>
chen Schwachheiten, und von wirth&#x017F;chaftlichen Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden, die wir &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;ehen, oder von Augenzeu-<lb/>
gen geho&#x0364;rt haben, &#x017F;ezen &#x017F;ie zu den gewo&#x0364;hnlichen<lb/>
Men&#x017F;chen herunter. Un&#x017F;er Poet hat durch die gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Sachen, womit er den Le&#x017F;er unterha&#x0364;lt, denjeni-<lb/>
gen, die nahe bey &#x017F;einen Helden gelebt haben, nicht<lb/>
Weile gela&#x017F;&#x017F;en, an das zu denken, was ihnen Klei-<lb/>
nes anhieng, und bey den &#x017F;pa&#x0364;thern Le&#x017F;eren hat der<lb/>
Lauf der Jahre, das Andenken die&#x017F;er Kleinigkeiten<lb/>
vertilget.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Daß der Dichter der Phar&#x017F;alia große poeti&#x017F;che<lb/>
Talente gehabt, wird wol Niemand in Abrede &#x017F;eyn.<lb/>
Aber man &#x017F;ieht nicht &#x017F;elten bey ihm, daß Ueberle-<lb/>
gung und Bemu&#x0364;hung bisweilen die Stelle der Be-<lb/>
gei&#x017F;terung vertreten; daß er, nicht aus u&#x0364;ber&#x017F;tro&#x0364;h-<lb/>
mender Empfindung, &#x017F;ondern, weil er es ge&#x017F;ucht,<lb/>
und lange darauf gearbeitet hat, &#x017F;ich dem Großen<lb/>
und Erhabenen na&#x0364;hert.</p><lb/>
          <p>Seit Kurzem hat un&#x017F;er Dichter in Frankreich<lb/>
ver&#x017F;chiedene vorzu&#x0364;gliche Verehrer gefunden, die durch<lb/>
einzele Scho&#x0364;nheiten/ die in Menge bey ihm ange-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T t t t t 2</fw><fw place="bottom" type="catch">trof-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[901[883]/0319] Pfo Pfuͤ Pha Pha ſind, ſtarke anſehnliche Pfeiler, deren freye Seiten mit zwey doriſchen Saͤulen oder mit Pilaſtern ver- ziehrt ſind. Der Kranz des Gebaͤlkes macht eine große uͤber den Pfeiler und die Saͤulen gehende Platte, auf welcher endlich eine pyramidenfoͤrmige Trophee geſezt iſt; und dadurch bekommen dieſe Thore ein gutes Anſehen. Man kann eben dieſes auch bey Por- talen an großen Hoͤfen oder Gaͤrten anbringen. Pfoſten. (Baukunſt.) Sind in der Baukunſt kleine Pfeiler an den beyden Seiten einer Thuͤroͤfnung, woran die Thuͤrangel be- feſtiget ſind. Jede Thuͤre muß mit Pfoſten eingefaßt ſeyn, damit ſie nicht, wie ein bloßes in die Wand gebrochenes Loch, ſondern als etwas woluͤberlegtes und abgepaßtes ausſehe, wie ſchon anderswo erin- nert worden. (*) Pfuͤhl. (Baukunſt.) Ein Glied an den Saͤulenfuͤßen, das im Profil die Rundung eines halben Zirkels hat, und unter die großen Glieder gehoͤrt. (*) Den Namen hat es da- her, weil ein rundes Kuͤßen, oder ein Pfuͤhl, wenn es von etwas daruͤber liegenden beſchweert, und platt gedruͤkt wird, ohngefehr dieſe Form annehmen wuͤrde. Pharſalia. Da ich dieſes Gedicht nie in der Abſicht geleſen habe, um mir eine beſtimmte Vorſtellung von ſeiner Art und von ſeinem poetiſchen Charakter zu machen, ſo will ich, ſtatt meiner Gedanken daruͤber, hier einen kleinen Aufſaz einruͤken, den mir ein durch vielerley critiſche Arbeiten bekannter und verdienter Mann zu- geſchikt hat. „Man hat dieſem erzaͤhlenden Gedicht des Luca- nus die Ehre einer Epopoͤe ſtreitig gemacht. Es iſt aber nicht darum hiſtoriſch, weil die Zeitordnung da- rin nicht umgekehrt wird, welches auch in der Jlias nicht geſchieht, und von Herodotus mehr, als in irgend einem Gedichte geſchehen iſt; noch darum, weil es auf keine abſonderliche Sittenlehre gebaut iſt; maaßen es, wenn dieſes erfodert wuͤrde, den Jammer, den die innerliche Zwietracht mit ſich fuͤh- ret, gewiß in ſo ſtarkem Lichte zeiget, als immer die Jlias thut. Was obige Beſchuldigung rechtfertiget, iſt, daß es wenig Exempel in ſich hat, wiewol ſie nicht ganz fehlen, wo die Perſonen reden, ausge- nommen in oͤffentlichen Verſammlungen, und daß die Reden, auſtatt aus dem beſondern Charakter der Perſonen zu fließen, insgemein von allgemeinen Wahrheiten und Saͤzen hergenommen ſind, und zu ſehr nach dem Redner ſchmeken; wiewol ſie ſonſt ſtark genug und der Roͤmer ſehr wuͤrdig ſind. Jn der Epopoͤe muͤſſen oͤffentliche Geſchaͤfte und Reden ſelten vorkommen; hingegen die perſoͤnlichen Ge- ſinnungen, die beſondern Unterhandlungen und Be- rathſchlagungen uͤber die aus der Handlung unmit- telbar entſteheuden Vorfaͤlle und Begebenheiten. Je- nes kommt eigentlich der Hiſtorie zu; dieſes iſt der Dichtkunſt eigen. Unter die Nachtheile der Pharſalia rechne ich nicht, daß wir genau wiſſen, daß eine Menge Umſtaͤnde zu den wahren, bekannten, nur erdichtet ſind; denn die poetiſche Gewißheit wird vielmehr ſtaͤrker, wenn ſie mit bekannten Sachen unterſezt wird. Und ſo bald der Poet ſich eines hiſtoriſchen Grunds zu ſei- ner Arbeit bemaͤchtiget; ſo daͤrf man keine andere, als die poetiſche Gewißheit von ihm fodern. Jn einem Gedichte, wo die Hauptperſonen noch ſo juͤngſt gelebt haben, daß wir ſelbſt, oder unſre Ael- tern ſie gekannt haben, macht es Schwierigkeiten uns Ehrfurcht und Bewunderung fuͤr ſie beyzubrin- gen. Hundert Hiſtoͤrichen von kleinen menſchli- chen Schwachheiten, und von wirthſchaftlichen Um- ſtaͤnden, die wir ſelbſt geſehen, oder von Augenzeu- gen gehoͤrt haben, ſezen ſie zu den gewoͤhnlichen Menſchen herunter. Unſer Poet hat durch die groſ- ſen Sachen, womit er den Leſer unterhaͤlt, denjeni- gen, die nahe bey ſeinen Helden gelebt haben, nicht Weile gelaſſen, an das zu denken, was ihnen Klei- nes anhieng, und bey den ſpaͤthern Leſeren hat der Lauf der Jahre, das Andenken dieſer Kleinigkeiten vertilget.“ Daß der Dichter der Pharſalia große poetiſche Talente gehabt, wird wol Niemand in Abrede ſeyn. Aber man ſieht nicht ſelten bey ihm, daß Ueberle- gung und Bemuͤhung bisweilen die Stelle der Be- geiſterung vertreten; daß er, nicht aus uͤberſtroͤh- mender Empfindung, ſondern, weil er es geſucht, und lange darauf gearbeitet hat, ſich dem Großen und Erhabenen naͤhert. Seit Kurzem hat unſer Dichter in Frankreich verſchiedene vorzuͤgliche Verehrer gefunden, die durch einzele Schoͤnheiten/ die in Menge bey ihm ange- trof- (*) S. Oefnung. (*) S. Glied. T t t t t 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/319
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 901[883]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/319>, abgerufen am 29.04.2024.