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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Pra

Von dieser Pracht in dem Vortrag ist die, wel-
che in der Materie selbst liegt, verschieden. Der
Jnhalt der Rede bekommt seine Pracht von der Größe
und dem Reichthum der Dinge, die man uns vor-
stellt, und darin übertreffen die redenden Künste
die übrigen alle. Welcher Mahler würde sich un-
terstehen, in einem Gemählde auch nur von weitem
die unendliche Pracht der großen und reichen Scenen
in der Meßiade nachzuahmen? Denn alles Große,
das der Verstand und die Einbildungskraft nur fas-
sen mögen, kann durch die Rede in ein Gemählde
vereiniget werden.

Die unmittelbareste Würkung der Pracht ist Ehr-
furcht, Bewundrung und Erstaunen. Die schönen
Künste bedienen sich ihrer mit großem Vortheil, um
die Gemüther der Menschen mit diesen Empfindun-
gen zu erfüllen. Bey wichtigen, politischen und
gottesdienstlichen Feyerlichkeiten, ist die Pracht noth-
wendig; weil es wichtig ist, daß das Volk nie ohne
Ehrfurcht und Vergnügen an die Gegenstände ge-
denke, wodurch jene Feyerlichkeiten veranlasset wer-
den. Da aber der Eindruk, den die Pracht bewür-
ket, wenig überlegendes hat; so ist es freylich mit
der bloßen Pracht nicht allemal gethan. Pracht in
den Worten, ohne wahre Größe des Jnhalts, ist was
Horaz fumum ex fulgore nennt. Wenn man bey fey-
erlichen Anlässen gewisse bestimmte und zu besondern
Endzwek abziehlende Borstellungen zu erweken sucht;
so muß man mit der Pracht dasjenige zu verbinden
wissen, was diese befondere Vorstellungen mit gehö-
riger Klarheit zu erweken vermögend ist. Man
ließt in der Geschichte der mosaischen Gesezgebung,
daß durch Donner und Bliz das Volk zu Anhörung
des Gesezes vorbereitet worden. So muß die Pracht
die Gemüther zu den wichtigen Vorstellungen, die
man bey gewissen Gelegenheiten erweken will, vor-
bereiten.

Pracht ohne wahre Größe, ist bloßes Gepräng,
das so gar ins Lächerliche fallen kann. Auch die
Pracht, die man bey mittelmäßiger Größe durch über-
häuften Reichthum gleichsam erzwingen will, thut
nur schlechte Würkung. Jn Venedig sieht man
eine Kirche, die den Namen Sta. Maria Zobenigo hat,
wo an der Außenseite alles entweder Säule, oder
Bilderblinde mit Statuen, oder Felder mit Schniz-
werk ist. Dies ist ein erzwungener Reichthum, der
blos ermüdet, und nie die Würkung der wahren
Pracht haben kann.

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Pre
Preludiren. Preludium.
(Musik.)

Die Organisten pflegen in den Kirchen, ehe der
Gesang angeht, auf der Orgel zu spiehlen, um da-
durch die Versammlung zur Anhörung des Gesan-
ges vorzubereiten. Dieses vorläufige Spiehl der
Orgel wird Preludiren, das, was man dabey spiehlt,
Präludium genannt. So geschieht es bisweilen
auch bey Concerten, daß der, welcher auf dem Cla-
vicembal die Hauptbegleitung führet, vorher auf
seinem Jnstrument preludirt. Da mir über diese
Materie ein Aufsaz von einem fehr geschikten Vir-
tuosen zugestellt worden, so will ich denselben hier
ganz einrüken.

"Das Preludiren ist hauptsächlich nur in der Kir-
che gebräuchlich, und geschieht auf der Orgel, ent-
weder vor einer Kirchenmusik, oder vor einem Cho-
ral, den die Gemeinde singt. Jm leztern Falle liegt
dem Organisten ob, die Melodie des Chorals der
Gemeinde vorzuspielen. Hat der Organist nun Zeit
und Geschiklichkeit, so fängt er mit einem Vorspiel
an, worin in einem der Kirche anständigen Vor-
trage der Sinn des Liedes ausgedrükt, und die Ge-
meinde zu der Gemüthsfassung vorbereitet wird, wo-
rein das Lied sie sezen soll; dann hebt er auf einem
andern Clavier mit einem durchdringenden Anzug,
die Melodie des Liedes mit langen Noten an, und
begleitet dieselbe mit Säzen aus dem Vorspiel. Die-
ses erfodert nun große Einsichten und Fertigkeit in
die Versezungen der Contrapunkte, ohne welches der
Organist die Verbindung seines Vorspiels mit der
Melodie des Liedes nicht bewerkstelligen kann; denn
er wird entweder daraus zwey verschiedene Stücke
machen, oder abgedroschene Säze hören lassen, die
sich zu jedem Vorspiele, und zu jedem Chorale
schiken, welches unangenehm ist.

"Man preludirt aber nicht allezeit auf diese Art,
ob sie gleich die gewöhnlichste, und die schiklichste ist,
den Ausdruk zu befördern, worauf aber von den
Organisten selten gesehen wird. Alle mögliche Kün-
steleyen, die über einen Choral zu machen sind,
(nachdem man ihn bald oben, bald unten, bald in
der Mitte, bald im Canon, per augmentationem
oder diminutionem oder alla stretta, wo alle Verse
der ganzen Strophe sich zu gleicher Zeit hören las-
sen, u. s. w. durchführt) können zu Preludien die-
nen, wenn der Organist die Geschiklichkeit dazu hat,
oder wenn er sie auch vorher anfgesezet, und aus-

wen-
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Pra

Von dieſer Pracht in dem Vortrag iſt die, wel-
che in der Materie ſelbſt liegt, verſchieden. Der
Jnhalt der Rede bekommt ſeine Pracht von der Groͤße
und dem Reichthum der Dinge, die man uns vor-
ſtellt, und darin uͤbertreffen die redenden Kuͤnſte
die uͤbrigen alle. Welcher Mahler wuͤrde ſich un-
terſtehen, in einem Gemaͤhlde auch nur von weitem
die unendliche Pracht der großen und reichen Scenen
in der Meßiade nachzuahmen? Denn alles Große,
das der Verſtand und die Einbildungskraft nur faſ-
ſen moͤgen, kann durch die Rede in ein Gemaͤhlde
vereiniget werden.

Die unmittelbareſte Wuͤrkung der Pracht iſt Ehr-
furcht, Bewundrung und Erſtaunen. Die ſchoͤnen
Kuͤnſte bedienen ſich ihrer mit großem Vortheil, um
die Gemuͤther der Menſchen mit dieſen Empfindun-
gen zu erfuͤllen. Bey wichtigen, politiſchen und
gottesdienſtlichen Feyerlichkeiten, iſt die Pracht noth-
wendig; weil es wichtig iſt, daß das Volk nie ohne
Ehrfurcht und Vergnuͤgen an die Gegenſtaͤnde ge-
denke, wodurch jene Feyerlichkeiten veranlaſſet wer-
den. Da aber der Eindruk, den die Pracht bewuͤr-
ket, wenig uͤberlegendes hat; ſo iſt es freylich mit
der bloßen Pracht nicht allemal gethan. Pracht in
den Worten, ohne wahre Groͤße des Jnhalts, iſt was
Horaz fumum ex fulgore nennt. Wenn man bey fey-
erlichen Anlaͤſſen gewiſſe beſtimmte und zu beſondern
Endzwek abziehlende Borſtellungen zu erweken ſucht;
ſo muß man mit der Pracht dasjenige zu verbinden
wiſſen, was dieſe befondere Vorſtellungen mit gehoͤ-
riger Klarheit zu erweken vermoͤgend iſt. Man
ließt in der Geſchichte der moſaiſchen Geſezgebung,
daß durch Donner und Bliz das Volk zu Anhoͤrung
des Geſezes vorbereitet worden. So muß die Pracht
die Gemuͤther zu den wichtigen Vorſtellungen, die
man bey gewiſſen Gelegenheiten erweken will, vor-
bereiten.

Pracht ohne wahre Groͤße, iſt bloßes Gepraͤng,
das ſo gar ins Laͤcherliche fallen kann. Auch die
Pracht, die man bey mittelmaͤßiger Groͤße durch uͤber-
haͤuften Reichthum gleichſam erzwingen will, thut
nur ſchlechte Wuͤrkung. Jn Venedig ſieht man
eine Kirche, die den Namen Sta. Maria Zobenigo hat,
wo an der Außenſeite alles entweder Saͤule, oder
Bilderblinde mit Statuen, oder Felder mit Schniz-
werk iſt. Dies iſt ein erzwungener Reichthum, der
blos ermuͤdet, und nie die Wuͤrkung der wahren
Pracht haben kann.

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Pre
Preludiren. Preludium.
(Muſik.)

Die Organiſten pflegen in den Kirchen, ehe der
Geſang angeht, auf der Orgel zu ſpiehlen, um da-
durch die Verſammlung zur Anhoͤrung des Geſan-
ges vorzubereiten. Dieſes vorlaͤufige Spiehl der
Orgel wird Preludiren, das, was man dabey ſpiehlt,
Praͤludium genannt. So geſchieht es bisweilen
auch bey Concerten, daß der, welcher auf dem Cla-
vicembal die Hauptbegleitung fuͤhret, vorher auf
ſeinem Jnſtrument preludirt. Da mir uͤber dieſe
Materie ein Aufſaz von einem fehr geſchikten Vir-
tuoſen zugeſtellt worden, ſo will ich denſelben hier
ganz einruͤken.

„Das Preludiren iſt hauptſaͤchlich nur in der Kir-
che gebraͤuchlich, und geſchieht auf der Orgel, ent-
weder vor einer Kirchenmuſik, oder vor einem Cho-
ral, den die Gemeinde ſingt. Jm leztern Falle liegt
dem Organiſten ob, die Melodie des Chorals der
Gemeinde vorzuſpielen. Hat der Organiſt nun Zeit
und Geſchiklichkeit, ſo faͤngt er mit einem Vorſpiel
an, worin in einem der Kirche anſtaͤndigen Vor-
trage der Sinn des Liedes ausgedruͤkt, und die Ge-
meinde zu der Gemuͤthsfaſſung vorbereitet wird, wo-
rein das Lied ſie ſezen ſoll; dann hebt er auf einem
andern Clavier mit einem durchdringenden Anzug,
die Melodie des Liedes mit langen Noten an, und
begleitet dieſelbe mit Saͤzen aus dem Vorſpiel. Die-
ſes erfodert nun große Einſichten und Fertigkeit in
die Verſezungen der Contrapunkte, ohne welches der
Organiſt die Verbindung ſeines Vorſpiels mit der
Melodie des Liedes nicht bewerkſtelligen kann; denn
er wird entweder daraus zwey verſchiedene Stuͤcke
machen, oder abgedroſchene Saͤze hoͤren laſſen, die
ſich zu jedem Vorſpiele, und zu jedem Chorale
ſchiken, welches unangenehm iſt.

„Man preludirt aber nicht allezeit auf dieſe Art,
ob ſie gleich die gewoͤhnlichſte, und die ſchiklichſte iſt,
den Ausdruk zu befoͤrdern, worauf aber von den
Organiſten ſelten geſehen wird. Alle moͤgliche Kuͤn-
ſteleyen, die uͤber einen Choral zu machen ſind,
(nachdem man ihn bald oben, bald unten, bald in
der Mitte, bald im Canon, per augmentationem
oder diminutionem oder alla ſtretta, wo alle Verſe
der ganzen Strophe ſich zu gleicher Zeit hoͤren laſ-
ſen, u. ſ. w. durchfuͤhrt) koͤnnen zu Preludien die-
nen, wenn der Organiſt die Geſchiklichkeit dazu hat,
oder wenn er ſie auch vorher anfgeſezet, und aus-

wen-
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[924[906]/0342] Pra Pre Von dieſer Pracht in dem Vortrag iſt die, wel- che in der Materie ſelbſt liegt, verſchieden. Der Jnhalt der Rede bekommt ſeine Pracht von der Groͤße und dem Reichthum der Dinge, die man uns vor- ſtellt, und darin uͤbertreffen die redenden Kuͤnſte die uͤbrigen alle. Welcher Mahler wuͤrde ſich un- terſtehen, in einem Gemaͤhlde auch nur von weitem die unendliche Pracht der großen und reichen Scenen in der Meßiade nachzuahmen? Denn alles Große, das der Verſtand und die Einbildungskraft nur faſ- ſen moͤgen, kann durch die Rede in ein Gemaͤhlde vereiniget werden. Die unmittelbareſte Wuͤrkung der Pracht iſt Ehr- furcht, Bewundrung und Erſtaunen. Die ſchoͤnen Kuͤnſte bedienen ſich ihrer mit großem Vortheil, um die Gemuͤther der Menſchen mit dieſen Empfindun- gen zu erfuͤllen. Bey wichtigen, politiſchen und gottesdienſtlichen Feyerlichkeiten, iſt die Pracht noth- wendig; weil es wichtig iſt, daß das Volk nie ohne Ehrfurcht und Vergnuͤgen an die Gegenſtaͤnde ge- denke, wodurch jene Feyerlichkeiten veranlaſſet wer- den. Da aber der Eindruk, den die Pracht bewuͤr- ket, wenig uͤberlegendes hat; ſo iſt es freylich mit der bloßen Pracht nicht allemal gethan. Pracht in den Worten, ohne wahre Groͤße des Jnhalts, iſt was Horaz fumum ex fulgore nennt. Wenn man bey fey- erlichen Anlaͤſſen gewiſſe beſtimmte und zu beſondern Endzwek abziehlende Borſtellungen zu erweken ſucht; ſo muß man mit der Pracht dasjenige zu verbinden wiſſen, was dieſe befondere Vorſtellungen mit gehoͤ- riger Klarheit zu erweken vermoͤgend iſt. Man ließt in der Geſchichte der moſaiſchen Geſezgebung, daß durch Donner und Bliz das Volk zu Anhoͤrung des Geſezes vorbereitet worden. So muß die Pracht die Gemuͤther zu den wichtigen Vorſtellungen, die man bey gewiſſen Gelegenheiten erweken will, vor- bereiten. Pracht ohne wahre Groͤße, iſt bloßes Gepraͤng, das ſo gar ins Laͤcherliche fallen kann. Auch die Pracht, die man bey mittelmaͤßiger Groͤße durch uͤber- haͤuften Reichthum gleichſam erzwingen will, thut nur ſchlechte Wuͤrkung. Jn Venedig ſieht man eine Kirche, die den Namen Sta. Maria Zobenigo hat, wo an der Außenſeite alles entweder Saͤule, oder Bilderblinde mit Statuen, oder Felder mit Schniz- werk iſt. Dies iſt ein erzwungener Reichthum, der blos ermuͤdet, und nie die Wuͤrkung der wahren Pracht haben kann. Preludiren. Preludium. (Muſik.) Die Organiſten pflegen in den Kirchen, ehe der Geſang angeht, auf der Orgel zu ſpiehlen, um da- durch die Verſammlung zur Anhoͤrung des Geſan- ges vorzubereiten. Dieſes vorlaͤufige Spiehl der Orgel wird Preludiren, das, was man dabey ſpiehlt, Praͤludium genannt. So geſchieht es bisweilen auch bey Concerten, daß der, welcher auf dem Cla- vicembal die Hauptbegleitung fuͤhret, vorher auf ſeinem Jnſtrument preludirt. Da mir uͤber dieſe Materie ein Aufſaz von einem fehr geſchikten Vir- tuoſen zugeſtellt worden, ſo will ich denſelben hier ganz einruͤken. „Das Preludiren iſt hauptſaͤchlich nur in der Kir- che gebraͤuchlich, und geſchieht auf der Orgel, ent- weder vor einer Kirchenmuſik, oder vor einem Cho- ral, den die Gemeinde ſingt. Jm leztern Falle liegt dem Organiſten ob, die Melodie des Chorals der Gemeinde vorzuſpielen. Hat der Organiſt nun Zeit und Geſchiklichkeit, ſo faͤngt er mit einem Vorſpiel an, worin in einem der Kirche anſtaͤndigen Vor- trage der Sinn des Liedes ausgedruͤkt, und die Ge- meinde zu der Gemuͤthsfaſſung vorbereitet wird, wo- rein das Lied ſie ſezen ſoll; dann hebt er auf einem andern Clavier mit einem durchdringenden Anzug, die Melodie des Liedes mit langen Noten an, und begleitet dieſelbe mit Saͤzen aus dem Vorſpiel. Die- ſes erfodert nun große Einſichten und Fertigkeit in die Verſezungen der Contrapunkte, ohne welches der Organiſt die Verbindung ſeines Vorſpiels mit der Melodie des Liedes nicht bewerkſtelligen kann; denn er wird entweder daraus zwey verſchiedene Stuͤcke machen, oder abgedroſchene Saͤze hoͤren laſſen, die ſich zu jedem Vorſpiele, und zu jedem Chorale ſchiken, welches unangenehm iſt. „Man preludirt aber nicht allezeit auf dieſe Art, ob ſie gleich die gewoͤhnlichſte, und die ſchiklichſte iſt, den Ausdruk zu befoͤrdern, worauf aber von den Organiſten ſelten geſehen wird. Alle moͤgliche Kuͤn- ſteleyen, die uͤber einen Choral zu machen ſind, (nachdem man ihn bald oben, bald unten, bald in der Mitte, bald im Canon, per augmentationem oder diminutionem oder alla ſtretta, wo alle Verſe der ganzen Strophe ſich zu gleicher Zeit hoͤren laſ- ſen, u. ſ. w. durchfuͤhrt) koͤnnen zu Preludien die- nen, wenn der Organiſt die Geſchiklichkeit dazu hat, oder wenn er ſie auch vorher anfgeſezet, und aus- wen-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 924[906]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/342>, abgerufen am 29.04.2024.