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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Pre
wendig gelernet hat. So hat Joh. Seb. Bach
den Choral: Vom Himmel hoch da komm ich her etc.
mit canonischen Veränderungen herausgegeben, de-
nen an Kunst schweerlich etwas gleich kömmt, und
kommen wird, die alle zu Preludien geschikt sind, aber
dem Ohre wegen des großen Zwanges, den diese
Gattung von Composition verursacht, nicht sonder-
lich schmeicheln, ja ihm nicht einmal faßlich sind.

"Die Preludien vor Kirchenmusiken dienen auch
dazu, daß die Jnstrumentisten Gelegenheit haben,
ihre Jnstrumente zu stimmen: daher muß der Orga-
nist, wenn die Orgel im Cammerton gestimmt ist,
sich so lange in D dur aufhalten, bis alle Jnstru-
mente gestimmt sind, weil diese Tonart dazu am
geschiktesten ist, und dann durch wolgewählte Mo-
dulationen in die Tonart übergehen, worin die Kir-
chenmusik anfängt. Das Geräusch der Jnstrumente
bey solchen Preludien ist Schuld daran, daß hier nicht
wohl auf den Ausdruk gehalten werden kann.

"Auf dem Flügel vor Musiken zu preludiren, ist
nicht allenthalben im Gebrauch. Eine Folge von
orpeggirten Accorden ist diesem Jnstrument am na-
türlichsten.

"Unangenehm ist es, wenn vor einer aufzuführen-
den Musik jeder auf seinem Jnstrument preludirt,
oder sich in Passagen übt. Wer in einem Lande ist,
wo diese üble Gewohnheit eingerissen ist, muß sich
das Vergnügen, das ihn die Anhörung einer gu-
ten Musik gewähren soll, durch tausend Marter
erkaufen. Daraus entsteht auch noch das Böse,
daß Niemand sein Jnstrument rein stimmen kann,
weil keiner vor dem andern zu hören im Stande ist.
Das allerübelsie dabey ist, daß es gewisse Musiken
giebt, wo auch das fürtreflichste Preludium den Aus-
druk, der in dem Anfange der Musik liegt, vertil-
gen kann.

"Es giebt eine Menge Stüke, die den Namen
Preludium führen, auf denen gemeiniglich eine Fuge
folgt, die aber keinen bestimmten Charakter haben,
und selten zu Vorspielen geschikt sind. Oft sind es
ganz strenge, oft freyere Fugen, oft sind sie von
einer taktlosen Phantasie nur durch den Takt unter-
schieden, oft auch ist es ein bloßer Saz von 6 oder
8 Noten, der beständig entweder in der geraden oder
Gegenbewegung gehöret wird, und womit auf eine
künstliche Art moduliret wird etc. Die besten Pre-
ludien sind ohnstreitig die von J. S. Bach, der de-
ren eine Menge in allen Arten gemacht hat."

[Spaltenumbruch]
Pre Pri
Presto.
(Musik)

Dieses italiänische Wort, wird den Tonstüken vor-
gesezt, die eine sehr schnelle Bewegung haben; der
höchste Grad des Schnellen aber wird durch Presti-
ssimo angedeutet. Weil in dem Presto ganze Takt-
noten sehr geschwind auf einander folgen, so versteht
es sich von selbst, daß diese Bewegung nicht so kleine
Takttheile verträgt, als die langsamen Bewegungen;
theils weil es nicht möglich wäre, sie mit der ihnen
zukommenden Geschwindigkeit zu singen, oder zu
spiehlen, theils weil sie in der äußersten Schnellig-
keit, in der sie vorbey gehen, keinen Eindruk machen
könnten.

Prime.
(Musik.)

Dieses Wort wird wie der Name eines Jntervalls
gebraucht, und zeiget in der stufenweis auf oder
absteigenden Reyhe von Jntervallen den ersten, oder
lezten Ton, der die Octave des eigentlichen Grund-
tones ist, an. Es geschieht aber blos um das Un-
schikliche der Benennung zu vermeiden, daß diese
Octave bisweilen Prime genennt wird. Denn da
die auf diese Octave stufenweis folgenden Töne die
Secunde, Terz, Quart, und selten, wie sie eigent-
lich es sind, None, Decime, Undecime genennt wer-
den; so bekommt auch die Octave den Namen Prime,
damit man nicht zu dem unschiklichen Ausdruk, die
Octave gehe durch die Secunde in die Terz, oder
die Terz trete durch die Secunde in die Octave, ge-
nöthiget werde; da es sich schiket in diesen Redens-
arten das Wort Prime, anstatt Octave, zu brau-
chen. Sie kommt bisweilen um einen halben Ton
erhöhet vor, und wird alsdenn die übermäßige Prime
genennt. Nicht als ob dieses ein in der Harmonie
gebräuchliches Jntervall sey; denn es kommt in kei-
nem Accord vor; sondern diese Erhöhung geschieht
blos im Durchgang, um bey gewissen Fällen die
Modulation zu begleiten:

[Abbildung]
Profil.
Y y y y y 2

[Spaltenumbruch]

Pre
wendig gelernet hat. So hat Joh. Seb. Bach
den Choral: Vom Himmel hoch da komm ich her ꝛc.
mit canoniſchen Veraͤnderungen herausgegeben, de-
nen an Kunſt ſchweerlich etwas gleich koͤmmt, und
kommen wird, die alle zu Preludien geſchikt ſind, aber
dem Ohre wegen des großen Zwanges, den dieſe
Gattung von Compoſition verurſacht, nicht ſonder-
lich ſchmeicheln, ja ihm nicht einmal faßlich ſind.

„Die Preludien vor Kirchenmuſiken dienen auch
dazu, daß die Jnſtrumentiſten Gelegenheit haben,
ihre Jnſtrumente zu ſtimmen: daher muß der Orga-
niſt, wenn die Orgel im Cammerton geſtimmt iſt,
ſich ſo lange in D dur aufhalten, bis alle Jnſtru-
mente geſtimmt ſind, weil dieſe Tonart dazu am
geſchikteſten iſt, und dann durch wolgewaͤhlte Mo-
dulationen in die Tonart uͤbergehen, worin die Kir-
chenmuſik anfaͤngt. Das Geraͤuſch der Jnſtrumente
bey ſolchen Preludien iſt Schuld daran, daß hier nicht
wohl auf den Ausdruk gehalten werden kann.

„Auf dem Fluͤgel vor Muſiken zu preludiren, iſt
nicht allenthalben im Gebrauch. Eine Folge von
orpeggirten Accorden iſt dieſem Jnſtrument am na-
tuͤrlichſten.

„Unangenehm iſt es, wenn vor einer aufzufuͤhren-
den Muſik jeder auf ſeinem Jnſtrument preludirt,
oder ſich in Paſſagen uͤbt. Wer in einem Lande iſt,
wo dieſe uͤble Gewohnheit eingeriſſen iſt, muß ſich
das Vergnuͤgen, das ihn die Anhoͤrung einer gu-
ten Muſik gewaͤhren ſoll, durch tauſend Marter
erkaufen. Daraus entſteht auch noch das Boͤſe,
daß Niemand ſein Jnſtrument rein ſtimmen kann,
weil keiner vor dem andern zu hoͤren im Stande iſt.
Das alleruͤbelſie dabey iſt, daß es gewiſſe Muſiken
giebt, wo auch das fuͤrtreflichſte Preludium den Aus-
druk, der in dem Anfange der Muſik liegt, vertil-
gen kann.

„Es giebt eine Menge Stuͤke, die den Namen
Preludium fuͤhren, auf denen gemeiniglich eine Fuge
folgt, die aber keinen beſtimmten Charakter haben,
und ſelten zu Vorſpielen geſchikt ſind. Oft ſind es
ganz ſtrenge, oft freyere Fugen, oft ſind ſie von
einer taktloſen Phantaſie nur durch den Takt unter-
ſchieden, oft auch iſt es ein bloßer Saz von 6 oder
8 Noten, der beſtaͤndig entweder in der geraden oder
Gegenbewegung gehoͤret wird, und womit auf eine
kuͤnſtliche Art moduliret wird ꝛc. Die beſten Pre-
ludien ſind ohnſtreitig die von J. S. Bach, der de-
ren eine Menge in allen Arten gemacht hat.„

[Spaltenumbruch]
Pre Pri
Preſto.
(Muſik)

Dieſes italiaͤniſche Wort, wird den Tonſtuͤken vor-
geſezt, die eine ſehr ſchnelle Bewegung haben; der
hoͤchſte Grad des Schnellen aber wird durch Preſti-
ſſimo angedeutet. Weil in dem Preſto ganze Takt-
noten ſehr geſchwind auf einander folgen, ſo verſteht
es ſich von ſelbſt, daß dieſe Bewegung nicht ſo kleine
Takttheile vertraͤgt, als die langſamen Bewegungen;
theils weil es nicht moͤglich waͤre, ſie mit der ihnen
zukommenden Geſchwindigkeit zu ſingen, oder zu
ſpiehlen, theils weil ſie in der aͤußerſten Schnellig-
keit, in der ſie vorbey gehen, keinen Eindruk machen
koͤnnten.

Prime.
(Muſik.)

Dieſes Wort wird wie der Name eines Jntervalls
gebraucht, und zeiget in der ſtufenweis auf oder
abſteigenden Reyhe von Jntervallen den erſten, oder
lezten Ton, der die Octave des eigentlichen Grund-
tones iſt, an. Es geſchieht aber blos um das Un-
ſchikliche der Benennung zu vermeiden, daß dieſe
Octave bisweilen Prime genennt wird. Denn da
die auf dieſe Octave ſtufenweis folgenden Toͤne die
Secunde, Terz, Quart, und ſelten, wie ſie eigent-
lich es ſind, None, Decime, Undecime genennt wer-
den; ſo bekommt auch die Octave den Namen Prime,
damit man nicht zu dem unſchiklichen Ausdruk, die
Octave gehe durch die Secunde in die Terz, oder
die Terz trete durch die Secunde in die Octave, ge-
noͤthiget werde; da es ſich ſchiket in dieſen Redens-
arten das Wort Prime, anſtatt Octave, zu brau-
chen. Sie kommt bisweilen um einen halben Ton
erhoͤhet vor, und wird alsdenn die uͤbermaͤßige Prime
genennt. Nicht als ob dieſes ein in der Harmonie
gebraͤuchliches Jntervall ſey; denn es kommt in kei-
nem Accord vor; ſondern dieſe Erhoͤhung geſchieht
blos im Durchgang, um bey gewiſſen Faͤllen die
Modulation zu begleiten:

[Abbildung]
Profil.
Y y y y y 2
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[925[907]/0343] Pre Pre Pri wendig gelernet hat. So hat Joh. Seb. Bach den Choral: Vom Himmel hoch da komm ich her ꝛc. mit canoniſchen Veraͤnderungen herausgegeben, de- nen an Kunſt ſchweerlich etwas gleich koͤmmt, und kommen wird, die alle zu Preludien geſchikt ſind, aber dem Ohre wegen des großen Zwanges, den dieſe Gattung von Compoſition verurſacht, nicht ſonder- lich ſchmeicheln, ja ihm nicht einmal faßlich ſind. „Die Preludien vor Kirchenmuſiken dienen auch dazu, daß die Jnſtrumentiſten Gelegenheit haben, ihre Jnſtrumente zu ſtimmen: daher muß der Orga- niſt, wenn die Orgel im Cammerton geſtimmt iſt, ſich ſo lange in D dur aufhalten, bis alle Jnſtru- mente geſtimmt ſind, weil dieſe Tonart dazu am geſchikteſten iſt, und dann durch wolgewaͤhlte Mo- dulationen in die Tonart uͤbergehen, worin die Kir- chenmuſik anfaͤngt. Das Geraͤuſch der Jnſtrumente bey ſolchen Preludien iſt Schuld daran, daß hier nicht wohl auf den Ausdruk gehalten werden kann. „Auf dem Fluͤgel vor Muſiken zu preludiren, iſt nicht allenthalben im Gebrauch. Eine Folge von orpeggirten Accorden iſt dieſem Jnſtrument am na- tuͤrlichſten. „Unangenehm iſt es, wenn vor einer aufzufuͤhren- den Muſik jeder auf ſeinem Jnſtrument preludirt, oder ſich in Paſſagen uͤbt. Wer in einem Lande iſt, wo dieſe uͤble Gewohnheit eingeriſſen iſt, muß ſich das Vergnuͤgen, das ihn die Anhoͤrung einer gu- ten Muſik gewaͤhren ſoll, durch tauſend Marter erkaufen. Daraus entſteht auch noch das Boͤſe, daß Niemand ſein Jnſtrument rein ſtimmen kann, weil keiner vor dem andern zu hoͤren im Stande iſt. Das alleruͤbelſie dabey iſt, daß es gewiſſe Muſiken giebt, wo auch das fuͤrtreflichſte Preludium den Aus- druk, der in dem Anfange der Muſik liegt, vertil- gen kann. „Es giebt eine Menge Stuͤke, die den Namen Preludium fuͤhren, auf denen gemeiniglich eine Fuge folgt, die aber keinen beſtimmten Charakter haben, und ſelten zu Vorſpielen geſchikt ſind. Oft ſind es ganz ſtrenge, oft freyere Fugen, oft ſind ſie von einer taktloſen Phantaſie nur durch den Takt unter- ſchieden, oft auch iſt es ein bloßer Saz von 6 oder 8 Noten, der beſtaͤndig entweder in der geraden oder Gegenbewegung gehoͤret wird, und womit auf eine kuͤnſtliche Art moduliret wird ꝛc. Die beſten Pre- ludien ſind ohnſtreitig die von J. S. Bach, der de- ren eine Menge in allen Arten gemacht hat.„ Preſto. (Muſik) Dieſes italiaͤniſche Wort, wird den Tonſtuͤken vor- geſezt, die eine ſehr ſchnelle Bewegung haben; der hoͤchſte Grad des Schnellen aber wird durch Preſti- ſſimo angedeutet. Weil in dem Preſto ganze Takt- noten ſehr geſchwind auf einander folgen, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß dieſe Bewegung nicht ſo kleine Takttheile vertraͤgt, als die langſamen Bewegungen; theils weil es nicht moͤglich waͤre, ſie mit der ihnen zukommenden Geſchwindigkeit zu ſingen, oder zu ſpiehlen, theils weil ſie in der aͤußerſten Schnellig- keit, in der ſie vorbey gehen, keinen Eindruk machen koͤnnten. Prime. (Muſik.) Dieſes Wort wird wie der Name eines Jntervalls gebraucht, und zeiget in der ſtufenweis auf oder abſteigenden Reyhe von Jntervallen den erſten, oder lezten Ton, der die Octave des eigentlichen Grund- tones iſt, an. Es geſchieht aber blos um das Un- ſchikliche der Benennung zu vermeiden, daß dieſe Octave bisweilen Prime genennt wird. Denn da die auf dieſe Octave ſtufenweis folgenden Toͤne die Secunde, Terz, Quart, und ſelten, wie ſie eigent- lich es ſind, None, Decime, Undecime genennt wer- den; ſo bekommt auch die Octave den Namen Prime, damit man nicht zu dem unſchiklichen Ausdruk, die Octave gehe durch die Secunde in die Terz, oder die Terz trete durch die Secunde in die Octave, ge- noͤthiget werde; da es ſich ſchiket in dieſen Redens- arten das Wort Prime, anſtatt Octave, zu brau- chen. Sie kommt bisweilen um einen halben Ton erhoͤhet vor, und wird alsdenn die uͤbermaͤßige Prime genennt. Nicht als ob dieſes ein in der Harmonie gebraͤuchliches Jntervall ſey; denn es kommt in kei- nem Accord vor; ſondern dieſe Erhoͤhung geſchieht blos im Durchgang, um bey gewiſſen Faͤllen die Modulation zu begleiten: [Abbildung] Profil. Y y y y y 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 925[907]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/343>, abgerufen am 29.04.2024.