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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Pro
Prosodie zu schreiben. Fürtrefliche Beyträge dazu
hat zwar Klopstok bereits aus Licht gestellt, aber
das Ganze, auf deutlich entwikelte und unzweifel-
hafte Grundsäze des metrischen Klanges gebaut, feh-
let uns noch, und wird schweerlich können gegeben
werden, als nachdem die wahre Theorie des Metri-
schen und des Rhythmischen in dem Gesang völlig
entwikelt seyn wird, woran bis izt wenig gedacht
worden; weil die Tonsezer sich blos auf ihr Gefühl
verlassen, das freylich bey großen Meistern sicher
genug ist. Eine auf solche Grundsäze gebaute Pro-
sodie, würde denn freylich nicht blos grammatisch
seyn, sondern zugleich die völlige Theorie des poeti-
schen Wolklanges enthalten. Einige sehr gute Be-
merkungen über das wahre Fundament unsrer Pro-
sodie wird man in der neuen Bibliothek der schönen
Wissenschaften, im 1 Stük des X Bandes in der
Recension der Ramlerischen Oden, antreffen.

Provenzalische Dichter

Sind Dichter, die im XII und XIII Jahrhundert
in der provenzalischen Sprache gedichtet, auch unter
dem Namen Troubadours bekannt sind, und wie es
scheinet, nicht geringen Einflus auf den Geschmak und
die Ausbreitung der deutschen Poesie in dem so ge-
nannten schwäbischen Zeitpunkt gehabt haben. Da-
her verdienen sie, daß ihrer hier besonders erwähnt
werde. Folgender Aufsaz über diese Materie ist
von unserm Bodmer, der ehedem diesem Theil der
poetischen Geschichte besondere Aufmerksamkeit ge-
wiedmet hat.

"Die provenzalische Sprache, die in Provence
und Languedok von der lateinischen des Pöbels ent-
standen, wie die italiänische in Jtalien, und die
französische in Orleans, die alle drey von einan-
der unterschieden sind, hat zuerst Scribenten ge-
habt, die ihr eine gewisse befestigte Gestalt gege-
ben, und in derselben Werke geschrieben haben,
die in Ruf gekommen, und die Lust ihrer Zeit-
genossen gewesen sind. Wiewol wir die Ge-
schichten dieser Scribenten, die der Mönch von den
Jnseln Hieres geschrieben, und die Sammlung ihrer
Werke, die Hugo von St. Cesari hesorget hat, nicht
mehr haben, so sind doch die Nachrichten noch vor-
handen, die Johannes von Nostradame, ein Bruder
des Proseten, aus denselben zusammengelesen hat:
und es sind noch hier und da Fragmente in ziemli-
cher Anzahl übrig, welche uns von der Denkungs-
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Pro Pun
und Dichtungsart derselben das nöthige Licht geben.
Es ist dieselbe, die im Ciro da Pistoia, im Guido
Cavalcante
und in den ersten Poeten Jtaliens herrschte,
die ihre Poesie bey den Provenzalen geholt haben.

Sie drähet sich um die Liebe, wie um ihren Pol
herum: jeder hat seine Dame, die ihm gebiethet,
und der er mit einer gewissenhaften Galanterie die-
net. Da waren Liebesgerichtshöfe von Cavalieren,
und von Damen, in welchen die Gewissensfragen
der Liebe mit der pünklichsten Sorgfalt untersucht
wurden. Dichter hatten ihre Epopöen, die Roman-
zen, in welchen die Beständigkeit in der Liebe, und
die Herzhaftigkeit in den abentheuerlichen Unterneh-
mungen, die beyden Haupträder waren. Die Aven-
türe
that ihnen die Dienste der Musen, und der hei-
lige Gral versah sie mit Mythologie. Es fehlte
ihnen aber auch nicht an sittlichen Sprüchen und
Lehren, die gewiß auf gute menschliche Grundsäze
gebaut, und mit feinem Wiz ausgebildet sind. Es
ist eine solche Aehnlichkeit in dem Charakter der pro-
venzalischen und der alten schwäbischen Poesie, daß
es ganz glaublich wird, zwischen den Poeten beyder
Nationen sey ein genauer Umgang gewesen. Die
Poesie und die Sprache haben mit dem XIV Jahr-
hundert abgenommen. Die tiefere Unterwerfung
der Provence unter Frankreich, das Abnehmen des
wunderbaren Systems von der Ritterschaft und der
damit verknüpften Galanterie, die Blüthe der ita-
liänischen Sprache, mittelst der fürtreflichen Scri-
benten in derselben - beförderten ihren Untergang."

Punkt. Punktiren.
(Kupferstecherlunst.)

Der Kupferstecher hat zwey Mittel Zeichnung und
Haltung in den Kupferstich zu bringen, entweder thut
ers durch Striche, oder durch bloße Punkte. Bis-
weilen bedienet er sich blos der einen, oder der an-
dern Art; am öftersten aber vereiniget er beyde.
Was kühn und lebhaft gezeichnet, in Licht und
Schatten stark gehalten werden soll, wird am be-
sten durch Striche bearbeitet; was fein, weich, und
mit den sanftesten Schatten gleichsam nur angeflo-
gen seyn soll, wird am leichtesten mit Punkten bear-
beitet. Daher viel Kupferstecher die Gesichter und
überhaupt das Nakende, besonders, wenn nur schwa-
che Schatten darauf sind, mit bloßen Punkten bear-
beiten, das übrige aber mit Strichen und Schraf-

firun-

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Pro
Proſodie zu ſchreiben. Fuͤrtrefliche Beytraͤge dazu
hat zwar Klopſtok bereits aus Licht geſtellt, aber
das Ganze, auf deutlich entwikelte und unzweifel-
hafte Grundſaͤze des metriſchen Klanges gebaut, feh-
let uns noch, und wird ſchweerlich koͤnnen gegeben
werden, als nachdem die wahre Theorie des Metri-
ſchen und des Rhythmiſchen in dem Geſang voͤllig
entwikelt ſeyn wird, woran bis izt wenig gedacht
worden; weil die Tonſezer ſich blos auf ihr Gefuͤhl
verlaſſen, das freylich bey großen Meiſtern ſicher
genug iſt. Eine auf ſolche Grundſaͤze gebaute Pro-
ſodie, wuͤrde denn freylich nicht blos grammatiſch
ſeyn, ſondern zugleich die voͤllige Theorie des poeti-
ſchen Wolklanges enthalten. Einige ſehr gute Be-
merkungen uͤber das wahre Fundament unſrer Pro-
ſodie wird man in der neuen Bibliothek der ſchoͤnen
Wiſſenſchaften, im 1 Stuͤk des X Bandes in der
Recenſion der Ramleriſchen Oden, antreffen.

Provenzaliſche Dichter

Sind Dichter, die im XII und XIII Jahrhundert
in der provenzaliſchen Sprache gedichtet, auch unter
dem Namen Troubadours bekannt ſind, und wie es
ſcheinet, nicht geringen Einflus auf den Geſchmak und
die Ausbreitung der deutſchen Poeſie in dem ſo ge-
nannten ſchwaͤbiſchen Zeitpunkt gehabt haben. Da-
her verdienen ſie, daß ihrer hier beſonders erwaͤhnt
werde. Folgender Aufſaz uͤber dieſe Materie iſt
von unſerm Bodmer, der ehedem dieſem Theil der
poetiſchen Geſchichte beſondere Aufmerkſamkeit ge-
wiedmet hat.

„Die provenzaliſche Sprache, die in Provence
und Languedok von der lateiniſchen des Poͤbels ent-
ſtanden, wie die italiaͤniſche in Jtalien, und die
franzoͤſiſche in Orleans, die alle drey von einan-
der unterſchieden ſind, hat zuerſt Scribenten ge-
habt, die ihr eine gewiſſe befeſtigte Geſtalt gege-
ben, und in derſelben Werke geſchrieben haben,
die in Ruf gekommen, und die Luſt ihrer Zeit-
genoſſen geweſen ſind. Wiewol wir die Ge-
ſchichten dieſer Scribenten, die der Moͤnch von den
Jnſeln Hieres geſchrieben, und die Sammlung ihrer
Werke, die Hugo von St. Ceſari heſorget hat, nicht
mehr haben, ſo ſind doch die Nachrichten noch vor-
handen, die Johannes von Noſtradame, ein Bruder
des Proſeten, aus denſelben zuſammengeleſen hat:
und es ſind noch hier und da Fragmente in ziemli-
cher Anzahl uͤbrig, welche uns von der Denkungs-
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Pro Pun
und Dichtungsart derſelben das noͤthige Licht geben.
Es iſt dieſelbe, die im Ciro da Piſtoia, im Guido
Cavalcante
und in den erſten Poeten Jtaliens herrſchte,
die ihre Poeſie bey den Provenzalen geholt haben.

Sie draͤhet ſich um die Liebe, wie um ihren Pol
herum: jeder hat ſeine Dame, die ihm gebiethet,
und der er mit einer gewiſſenhaften Galanterie die-
net. Da waren Liebesgerichtshoͤfe von Cavalieren,
und von Damen, in welchen die Gewiſſensfragen
der Liebe mit der puͤnklichſten Sorgfalt unterſucht
wurden. Dichter hatten ihre Epopoͤen, die Roman-
zen, in welchen die Beſtaͤndigkeit in der Liebe, und
die Herzhaftigkeit in den abentheuerlichen Unterneh-
mungen, die beyden Hauptraͤder waren. Die Aven-
tuͤre
that ihnen die Dienſte der Muſen, und der hei-
lige Gral verſah ſie mit Mythologie. Es fehlte
ihnen aber auch nicht an ſittlichen Spruͤchen und
Lehren, die gewiß auf gute menſchliche Grundſaͤze
gebaut, und mit feinem Wiz ausgebildet ſind. Es
iſt eine ſolche Aehnlichkeit in dem Charakter der pro-
venzaliſchen und der alten ſchwaͤbiſchen Poeſie, daß
es ganz glaublich wird, zwiſchen den Poeten beyder
Nationen ſey ein genauer Umgang geweſen. Die
Poeſie und die Sprache haben mit dem XIV Jahr-
hundert abgenommen. Die tiefere Unterwerfung
der Provence unter Frankreich, das Abnehmen des
wunderbaren Syſtems von der Ritterſchaft und der
damit verknuͤpften Galanterie, die Bluͤthe der ita-
liaͤniſchen Sprache, mittelſt der fuͤrtreflichen Scri-
benten in derſelben – befoͤrderten ihren Untergang.“

Punkt. Punktiren.
(Kupferſtecherlunſt.)

Der Kupferſtecher hat zwey Mittel Zeichnung und
Haltung in den Kupferſtich zu bringen, entweder thut
ers durch Striche, oder durch bloße Punkte. Bis-
weilen bedienet er ſich blos der einen, oder der an-
dern Art; am oͤfterſten aber vereiniget er beyde.
Was kuͤhn und lebhaft gezeichnet, in Licht und
Schatten ſtark gehalten werden ſoll, wird am be-
ſten durch Striche bearbeitet; was fein, weich, und
mit den ſanfteſten Schatten gleichſam nur angeflo-
gen ſeyn ſoll, wird am leichteſten mit Punkten bear-
beitet. Daher viel Kupferſtecher die Geſichter und
uͤberhaupt das Nakende, beſonders, wenn nur ſchwa-
che Schatten darauf ſind, mit bloßen Punkten bear-
beiten, das uͤbrige aber mit Strichen und Schraf-

firun-
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[929[911]/0347] Pro Pro Pun Proſodie zu ſchreiben. Fuͤrtrefliche Beytraͤge dazu hat zwar Klopſtok bereits aus Licht geſtellt, aber das Ganze, auf deutlich entwikelte und unzweifel- hafte Grundſaͤze des metriſchen Klanges gebaut, feh- let uns noch, und wird ſchweerlich koͤnnen gegeben werden, als nachdem die wahre Theorie des Metri- ſchen und des Rhythmiſchen in dem Geſang voͤllig entwikelt ſeyn wird, woran bis izt wenig gedacht worden; weil die Tonſezer ſich blos auf ihr Gefuͤhl verlaſſen, das freylich bey großen Meiſtern ſicher genug iſt. Eine auf ſolche Grundſaͤze gebaute Pro- ſodie, wuͤrde denn freylich nicht blos grammatiſch ſeyn, ſondern zugleich die voͤllige Theorie des poeti- ſchen Wolklanges enthalten. Einige ſehr gute Be- merkungen uͤber das wahre Fundament unſrer Pro- ſodie wird man in der neuen Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, im 1 Stuͤk des X Bandes in der Recenſion der Ramleriſchen Oden, antreffen. Provenzaliſche Dichter Sind Dichter, die im XII und XIII Jahrhundert in der provenzaliſchen Sprache gedichtet, auch unter dem Namen Troubadours bekannt ſind, und wie es ſcheinet, nicht geringen Einflus auf den Geſchmak und die Ausbreitung der deutſchen Poeſie in dem ſo ge- nannten ſchwaͤbiſchen Zeitpunkt gehabt haben. Da- her verdienen ſie, daß ihrer hier beſonders erwaͤhnt werde. Folgender Aufſaz uͤber dieſe Materie iſt von unſerm Bodmer, der ehedem dieſem Theil der poetiſchen Geſchichte beſondere Aufmerkſamkeit ge- wiedmet hat. „Die provenzaliſche Sprache, die in Provence und Languedok von der lateiniſchen des Poͤbels ent- ſtanden, wie die italiaͤniſche in Jtalien, und die franzoͤſiſche in Orleans, die alle drey von einan- der unterſchieden ſind, hat zuerſt Scribenten ge- habt, die ihr eine gewiſſe befeſtigte Geſtalt gege- ben, und in derſelben Werke geſchrieben haben, die in Ruf gekommen, und die Luſt ihrer Zeit- genoſſen geweſen ſind. Wiewol wir die Ge- ſchichten dieſer Scribenten, die der Moͤnch von den Jnſeln Hieres geſchrieben, und die Sammlung ihrer Werke, die Hugo von St. Ceſari heſorget hat, nicht mehr haben, ſo ſind doch die Nachrichten noch vor- handen, die Johannes von Noſtradame, ein Bruder des Proſeten, aus denſelben zuſammengeleſen hat: und es ſind noch hier und da Fragmente in ziemli- cher Anzahl uͤbrig, welche uns von der Denkungs- und Dichtungsart derſelben das noͤthige Licht geben. Es iſt dieſelbe, die im Ciro da Piſtoia, im Guido Cavalcante und in den erſten Poeten Jtaliens herrſchte, die ihre Poeſie bey den Provenzalen geholt haben. Sie draͤhet ſich um die Liebe, wie um ihren Pol herum: jeder hat ſeine Dame, die ihm gebiethet, und der er mit einer gewiſſenhaften Galanterie die- net. Da waren Liebesgerichtshoͤfe von Cavalieren, und von Damen, in welchen die Gewiſſensfragen der Liebe mit der puͤnklichſten Sorgfalt unterſucht wurden. Dichter hatten ihre Epopoͤen, die Roman- zen, in welchen die Beſtaͤndigkeit in der Liebe, und die Herzhaftigkeit in den abentheuerlichen Unterneh- mungen, die beyden Hauptraͤder waren. Die Aven- tuͤre that ihnen die Dienſte der Muſen, und der hei- lige Gral verſah ſie mit Mythologie. Es fehlte ihnen aber auch nicht an ſittlichen Spruͤchen und Lehren, die gewiß auf gute menſchliche Grundſaͤze gebaut, und mit feinem Wiz ausgebildet ſind. Es iſt eine ſolche Aehnlichkeit in dem Charakter der pro- venzaliſchen und der alten ſchwaͤbiſchen Poeſie, daß es ganz glaublich wird, zwiſchen den Poeten beyder Nationen ſey ein genauer Umgang geweſen. Die Poeſie und die Sprache haben mit dem XIV Jahr- hundert abgenommen. Die tiefere Unterwerfung der Provence unter Frankreich, das Abnehmen des wunderbaren Syſtems von der Ritterſchaft und der damit verknuͤpften Galanterie, die Bluͤthe der ita- liaͤniſchen Sprache, mittelſt der fuͤrtreflichen Scri- benten in derſelben – befoͤrderten ihren Untergang.“ Punkt. Punktiren. (Kupferſtecherlunſt.) Der Kupferſtecher hat zwey Mittel Zeichnung und Haltung in den Kupferſtich zu bringen, entweder thut ers durch Striche, oder durch bloße Punkte. Bis- weilen bedienet er ſich blos der einen, oder der an- dern Art; am oͤfterſten aber vereiniget er beyde. Was kuͤhn und lebhaft gezeichnet, in Licht und Schatten ſtark gehalten werden ſoll, wird am be- ſten durch Striche bearbeitet; was fein, weich, und mit den ſanfteſten Schatten gleichſam nur angeflo- gen ſeyn ſoll, wird am leichteſten mit Punkten bear- beitet. Daher viel Kupferſtecher die Geſichter und uͤberhaupt das Nakende, beſonders, wenn nur ſchwa- che Schatten darauf ſind, mit bloßen Punkten bear- beiten, das uͤbrige aber mit Strichen und Schraf- firun-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 929[911]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/347>, abgerufen am 29.04.2024.