Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite
[Spaltenumbruch]
Säu
[Abbildung]

Die neuern Baumeister haben den Gebrauch der
Säulen, als bloße Zierrathen eingeführt; sie tragen
ofte nichts, sondern haben nur deu Schein, als
trügen sie ein Gebälk. Man vermauert sie, so daß
sie nur um die Hälfte ihrer Dike über die Mauren
vorstehen. Die Säulen auf diese Art anzubringen,
ist ein Mißbrauch, den der gute Geschmak niemals
rechtfertigen wird. Eben so wenig hat der richtige
Geschmak der Griechen Bogen oder Gewölber auf
Säulen gestellt, wie die Römer in den späthern
Zeiten und auch die neuern gethan haben. Die
Säule ist ein Körper, der seiner Natur nach nicht so
feste steht, daß er nicht leichte könnte umgestossen
werden, wenn er von oben einen Stoß bekommt.
Er steht nur feste, wenn der Druk der Last welche
er trägt, Bleyrecht auf den Knauff gerichtet ist. Ein
mit beyden Enden auf dem Knauff ruhender Bogen,
drükt, oder scheinet immer etwas auf die Seite zu
drüken, und macht in der Baukunst eine wesentliche
Unschiklichkeit. Eine Reyhe Säulen bekommt ihre
Festigkeit von dem darübergelegten Gebälke; daher
sollte es natürlicher Weise eine allgemeine Regel der
Baukunst seyn, keine Säulen anzubringen, als wo
sie ein Gebälke zu tragen haben. Es ist auch sehr
zu zweifeln, daß der richtige Geschmak der Griechen
ganz freystehende Säulen, als Monumente, wie
[Spaltenumbruch]

Säu
Trajans Säule in Rom, würde gut geheißen haben.
Zu solchem Behuf würden die Griechen vermuthlich
den ägyptischen Obeliskus vorgezogen haben.

Gewundene oder schnekenförmig ausgedrähte Säu-
len, sind ein Einfall des verdorbenen Geschmaks,
und es ist ein bloßes Mährchen, daß die gewunde-
nen Säulen in der Peterskirch in Rom aus dem
ehemaligen Tempel von Jerusalem herrühren. Vi-
gnola hat die Zeichnung derselben gelehrt, und damit
sich eine sehr unnüze Mühe gegeben. Verschiedene
Formen der ältesten noch sehr rohen Säulen, hat
Pokok im I Theile seiner Beschreibung der Morgen-
länder abgezeichnet.

Säulenlaube.
(Baukunst.)

Wird sonst auch mit dem ital. vom lateinischen ab-
stammenden Wort Portico bezeichnet. Jm allge-
meinesten Sinn bedeutet es einen offenen von oben
bedekten Gang zwischen zwey Reyhen Säulen, oder
zwischen einer Mauer, und einer Reyhe Säulen.
Die Griechen und nach ihnen die Römer hielten sehr
viel auf solche Säulenlauben, und verwendeten er-
staunliche Summen darauf. Jm vorhergehenden
Artikel ist gezeiget worden, wie sie dieselben um ihre
Tempeln herumgeführt haben. Aber auch andere
öffentliche Gebäude, die Theater und Amphitheater,
die sogenannten Basilicä, und andere große Gebäude
hatten Säulenlauben. Auch wurden gewisse öffent-
liche Pläze, die zu Spaziergängen, Zusammenkünf-
ten, Spiehlen bestimmt waren, mit Mauren um-
geben, um welche hernach, wie um die Tempel noch
Säulen gesezt wurden, die also Säulenlauben um
die Mauren herummachten. Bey diesen war, wie
man beym Vitruvius sieht, insgemein über die un-
tern Säulen noch eine Reyhe gesezt, und diese
machte über den Säulengängen eine offene Gallerie,
oder es wurden auch verschiedene kleinere und grös-
sere Zimmer in diesem zweyten Geschoß zu öffentli-
chem Gebrauche gebaut. Jn Rom waren die Fora
oder Marktpläze mit Säulenlauben umgeben, und
sowol unten neben den Säulenlauben, als oben an
den Gallerien, waren die Contore der Wechsler,
der öffentlichen Einnehmer, und wol auch Kramlä-
den. Endlich hatten auch die großen Wohnhäuser,
um die Höfe herum, ihre Säulenlauben nach Art
der sogenannten Kreuzgänge der Clöster. (*)

Hier-
(*) S.
Kreuzgang.
[Spaltenumbruch]
Saͤu
[Abbildung]

Die neuern Baumeiſter haben den Gebrauch der
Saͤulen, als bloße Zierrathen eingefuͤhrt; ſie tragen
ofte nichts, ſondern haben nur deu Schein, als
truͤgen ſie ein Gebaͤlk. Man vermauert ſie, ſo daß
ſie nur um die Haͤlfte ihrer Dike uͤber die Mauren
vorſtehen. Die Saͤulen auf dieſe Art anzubringen,
iſt ein Mißbrauch, den der gute Geſchmak niemals
rechtfertigen wird. Eben ſo wenig hat der richtige
Geſchmak der Griechen Bogen oder Gewoͤlber auf
Saͤulen geſtellt, wie die Roͤmer in den ſpaͤthern
Zeiten und auch die neuern gethan haben. Die
Saͤule iſt ein Koͤrper, der ſeiner Natur nach nicht ſo
feſte ſteht, daß er nicht leichte koͤnnte umgeſtoſſen
werden, wenn er von oben einen Stoß bekommt.
Er ſteht nur feſte, wenn der Druk der Laſt welche
er traͤgt, Bleyrecht auf den Knauff gerichtet iſt. Ein
mit beyden Enden auf dem Knauff ruhender Bogen,
druͤkt, oder ſcheinet immer etwas auf die Seite zu
druͤken, und macht in der Baukunſt eine weſentliche
Unſchiklichkeit. Eine Reyhe Saͤulen bekommt ihre
Feſtigkeit von dem daruͤbergelegten Gebaͤlke; daher
ſollte es natuͤrlicher Weiſe eine allgemeine Regel der
Baukunſt ſeyn, keine Saͤulen anzubringen, als wo
ſie ein Gebaͤlke zu tragen haben. Es iſt auch ſehr
zu zweifeln, daß der richtige Geſchmak der Griechen
ganz freyſtehende Saͤulen, als Monumente, wie
[Spaltenumbruch]

Saͤu
Trajans Saͤule in Rom, wuͤrde gut geheißen haben.
Zu ſolchem Behuf wuͤrden die Griechen vermuthlich
den aͤgyptiſchen Obeliskus vorgezogen haben.

Gewundene oder ſchnekenfoͤrmig ausgedraͤhte Saͤu-
len, ſind ein Einfall des verdorbenen Geſchmaks,
und es iſt ein bloßes Maͤhrchen, daß die gewunde-
nen Saͤulen in der Peterskirch in Rom aus dem
ehemaligen Tempel von Jeruſalem herruͤhren. Vi-
gnola hat die Zeichnung derſelben gelehrt, und damit
ſich eine ſehr unnuͤze Muͤhe gegeben. Verſchiedene
Formen der aͤlteſten noch ſehr rohen Saͤulen, hat
Pokok im I Theile ſeiner Beſchreibung der Morgen-
laͤnder abgezeichnet.

Saͤulenlaube.
(Baukunſt.)

Wird ſonſt auch mit dem ital. vom lateiniſchen ab-
ſtammenden Wort Portico bezeichnet. Jm allge-
meineſten Sinn bedeutet es einen offenen von oben
bedekten Gang zwiſchen zwey Reyhen Saͤulen, oder
zwiſchen einer Mauer, und einer Reyhe Saͤulen.
Die Griechen und nach ihnen die Roͤmer hielten ſehr
viel auf ſolche Saͤulenlauben, und verwendeten er-
ſtaunliche Summen darauf. Jm vorhergehenden
Artikel iſt gezeiget worden, wie ſie dieſelben um ihre
Tempeln herumgefuͤhrt haben. Aber auch andere
oͤffentliche Gebaͤude, die Theater und Amphitheater,
die ſogenannten Baſilicaͤ, und andere große Gebaͤude
hatten Saͤulenlauben. Auch wurden gewiſſe oͤffent-
liche Plaͤze, die zu Spaziergaͤngen, Zuſammenkuͤnf-
ten, Spiehlen beſtimmt waren, mit Mauren um-
geben, um welche hernach, wie um die Tempel noch
Saͤulen geſezt wurden, die alſo Saͤulenlauben um
die Mauren herummachten. Bey dieſen war, wie
man beym Vitruvius ſieht, insgemein uͤber die un-
tern Saͤulen noch eine Reyhe geſezt, und dieſe
machte uͤber den Saͤulengaͤngen eine offene Gallerie,
oder es wurden auch verſchiedene kleinere und groͤſ-
ſere Zimmer in dieſem zweyten Geſchoß zu oͤffentli-
chem Gebrauche gebaut. Jn Rom waren die Fora
oder Marktplaͤze mit Saͤulenlauben umgeben, und
ſowol unten neben den Saͤulenlauben, als oben an
den Gallerien, waren die Contore der Wechsler,
der oͤffentlichen Einnehmer, und wol auch Kramlaͤ-
den. Endlich hatten auch die großen Wohnhaͤuſer,
um die Hoͤfe herum, ihre Saͤulenlauben nach Art
der ſogenannten Kreuzgaͤnge der Cloͤſter. (*)

Hier-
(*) S.
Kreuzgang.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0433" n="1004[986]"/>
          <cb/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Sa&#x0364;u</hi> </fw><lb/>
          <figure/>
          <p>Die neuern Baumei&#x017F;ter haben den Gebrauch der<lb/>
Sa&#x0364;ulen, als bloße Zierrathen eingefu&#x0364;hrt; &#x017F;ie tragen<lb/>
ofte nichts, &#x017F;ondern haben nur deu Schein, als<lb/>
tru&#x0364;gen &#x017F;ie ein Geba&#x0364;lk. Man vermauert &#x017F;ie, &#x017F;o daß<lb/>
&#x017F;ie nur um die Ha&#x0364;lfte ihrer Dike u&#x0364;ber die Mauren<lb/>
vor&#x017F;tehen. Die Sa&#x0364;ulen auf die&#x017F;e Art anzubringen,<lb/>
i&#x017F;t ein Mißbrauch, den der gute Ge&#x017F;chmak niemals<lb/>
rechtfertigen wird. Eben &#x017F;o wenig hat der richtige<lb/>
Ge&#x017F;chmak der Griechen Bogen oder Gewo&#x0364;lber auf<lb/>
Sa&#x0364;ulen ge&#x017F;tellt, wie die Ro&#x0364;mer in den &#x017F;pa&#x0364;thern<lb/>
Zeiten und auch die neuern gethan haben. Die<lb/>
Sa&#x0364;ule i&#x017F;t ein Ko&#x0364;rper, der &#x017F;einer Natur nach nicht &#x017F;o<lb/>
fe&#x017F;te &#x017F;teht, daß er nicht leichte ko&#x0364;nnte umge&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en<lb/>
werden, wenn er von oben einen Stoß bekommt.<lb/>
Er &#x017F;teht nur fe&#x017F;te, wenn der Druk der La&#x017F;t welche<lb/>
er tra&#x0364;gt, Bleyrecht auf den Knauff gerichtet i&#x017F;t. Ein<lb/>
mit beyden Enden auf dem Knauff ruhender Bogen,<lb/>
dru&#x0364;kt, oder &#x017F;cheinet immer etwas auf die Seite zu<lb/>
dru&#x0364;ken, und macht in der Baukun&#x017F;t eine we&#x017F;entliche<lb/>
Un&#x017F;chiklichkeit. Eine Reyhe Sa&#x0364;ulen bekommt ihre<lb/>
Fe&#x017F;tigkeit von dem daru&#x0364;bergelegten Geba&#x0364;lke; daher<lb/>
&#x017F;ollte es natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e eine allgemeine Regel der<lb/>
Baukun&#x017F;t &#x017F;eyn, keine Sa&#x0364;ulen anzubringen, als wo<lb/>
&#x017F;ie ein Geba&#x0364;lke zu tragen haben. Es i&#x017F;t auch &#x017F;ehr<lb/>
zu zweifeln, daß der richtige Ge&#x017F;chmak der Griechen<lb/>
ganz frey&#x017F;tehende Sa&#x0364;ulen, als Monumente, wie<lb/><cb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sa&#x0364;u</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">Trajans Sa&#x0364;ule</hi> in Rom, wu&#x0364;rde gut geheißen haben.<lb/>
Zu &#x017F;olchem Behuf wu&#x0364;rden die Griechen vermuthlich<lb/>
den a&#x0364;gypti&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Obeliskus</hi> vorgezogen haben.</p><lb/>
          <p>Gewundene oder &#x017F;chnekenfo&#x0364;rmig ausgedra&#x0364;hte Sa&#x0364;u-<lb/>
len, &#x017F;ind ein Einfall des verdorbenen Ge&#x017F;chmaks,<lb/>
und es i&#x017F;t ein bloßes Ma&#x0364;hrchen, daß die gewunde-<lb/>
nen Sa&#x0364;ulen in der Peterskirch in Rom aus dem<lb/>
ehemaligen Tempel von Jeru&#x017F;alem herru&#x0364;hren. Vi-<lb/>
gnola hat die Zeichnung der&#x017F;elben gelehrt, und damit<lb/>
&#x017F;ich eine &#x017F;ehr unnu&#x0364;ze Mu&#x0364;he gegeben. Ver&#x017F;chiedene<lb/>
Formen der a&#x0364;lte&#x017F;ten noch &#x017F;ehr rohen Sa&#x0364;ulen, hat<lb/>
Pokok im <hi rendition="#aq">I</hi> Theile &#x017F;einer Be&#x017F;chreibung der Morgen-<lb/>
la&#x0364;nder abgezeichnet.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Sa&#x0364;ulenlaube.</hi></hi><lb/>
(Baukun&#x017F;t.)</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>ird &#x017F;on&#x017F;t auch mit dem ital. vom lateini&#x017F;chen ab-<lb/>
&#x017F;tammenden Wort <hi rendition="#fr">Portico</hi> bezeichnet. Jm allge-<lb/>
meine&#x017F;ten Sinn bedeutet es einen offenen von oben<lb/>
bedekten Gang zwi&#x017F;chen zwey Reyhen Sa&#x0364;ulen, oder<lb/>
zwi&#x017F;chen einer Mauer, und einer Reyhe Sa&#x0364;ulen.<lb/>
Die Griechen und nach ihnen die Ro&#x0364;mer hielten &#x017F;ehr<lb/>
viel auf &#x017F;olche Sa&#x0364;ulenlauben, und verwendeten er-<lb/>
&#x017F;taunliche Summen darauf. Jm vorhergehenden<lb/>
Artikel i&#x017F;t gezeiget worden, wie &#x017F;ie die&#x017F;elben um ihre<lb/>
Tempeln herumgefu&#x0364;hrt haben. Aber auch andere<lb/>
o&#x0364;ffentliche Geba&#x0364;ude, die Theater und Amphitheater,<lb/>
die &#x017F;ogenannten Ba&#x017F;ilica&#x0364;, und andere große Geba&#x0364;ude<lb/>
hatten Sa&#x0364;ulenlauben. Auch wurden gewi&#x017F;&#x017F;e o&#x0364;ffent-<lb/>
liche Pla&#x0364;ze, die zu Spazierga&#x0364;ngen, Zu&#x017F;ammenku&#x0364;nf-<lb/>
ten, Spiehlen be&#x017F;timmt waren, mit Mauren um-<lb/>
geben, um welche hernach, wie um die Tempel noch<lb/>
Sa&#x0364;ulen ge&#x017F;ezt wurden, die al&#x017F;o Sa&#x0364;ulenlauben um<lb/>
die Mauren herummachten. Bey die&#x017F;en war, wie<lb/>
man beym Vitruvius &#x017F;ieht, insgemein u&#x0364;ber die un-<lb/>
tern Sa&#x0364;ulen noch eine Reyhe ge&#x017F;ezt, und die&#x017F;e<lb/>
machte u&#x0364;ber den Sa&#x0364;ulenga&#x0364;ngen eine offene Gallerie,<lb/>
oder es wurden auch ver&#x017F;chiedene kleinere und gro&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ere Zimmer in die&#x017F;em zweyten Ge&#x017F;choß zu o&#x0364;ffentli-<lb/>
chem Gebrauche gebaut. Jn Rom waren die <hi rendition="#aq">Fora</hi><lb/>
oder Marktpla&#x0364;ze mit Sa&#x0364;ulenlauben umgeben, und<lb/>
&#x017F;owol unten neben den Sa&#x0364;ulenlauben, als oben an<lb/>
den Gallerien, waren die Contore der Wechsler,<lb/>
der o&#x0364;ffentlichen Einnehmer, und wol auch Kramla&#x0364;-<lb/>
den. Endlich hatten auch die großen Wohnha&#x0364;u&#x017F;er,<lb/>
um die Ho&#x0364;fe herum, ihre Sa&#x0364;ulenlauben nach Art<lb/>
der &#x017F;ogenannten Kreuzga&#x0364;nge der Clo&#x0364;&#x017F;ter. <note place="foot" n="(*)">S.<lb/>
Kreuzgang.</note></p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Hier-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1004[986]/0433] Saͤu Saͤu [Abbildung] Die neuern Baumeiſter haben den Gebrauch der Saͤulen, als bloße Zierrathen eingefuͤhrt; ſie tragen ofte nichts, ſondern haben nur deu Schein, als truͤgen ſie ein Gebaͤlk. Man vermauert ſie, ſo daß ſie nur um die Haͤlfte ihrer Dike uͤber die Mauren vorſtehen. Die Saͤulen auf dieſe Art anzubringen, iſt ein Mißbrauch, den der gute Geſchmak niemals rechtfertigen wird. Eben ſo wenig hat der richtige Geſchmak der Griechen Bogen oder Gewoͤlber auf Saͤulen geſtellt, wie die Roͤmer in den ſpaͤthern Zeiten und auch die neuern gethan haben. Die Saͤule iſt ein Koͤrper, der ſeiner Natur nach nicht ſo feſte ſteht, daß er nicht leichte koͤnnte umgeſtoſſen werden, wenn er von oben einen Stoß bekommt. Er ſteht nur feſte, wenn der Druk der Laſt welche er traͤgt, Bleyrecht auf den Knauff gerichtet iſt. Ein mit beyden Enden auf dem Knauff ruhender Bogen, druͤkt, oder ſcheinet immer etwas auf die Seite zu druͤken, und macht in der Baukunſt eine weſentliche Unſchiklichkeit. Eine Reyhe Saͤulen bekommt ihre Feſtigkeit von dem daruͤbergelegten Gebaͤlke; daher ſollte es natuͤrlicher Weiſe eine allgemeine Regel der Baukunſt ſeyn, keine Saͤulen anzubringen, als wo ſie ein Gebaͤlke zu tragen haben. Es iſt auch ſehr zu zweifeln, daß der richtige Geſchmak der Griechen ganz freyſtehende Saͤulen, als Monumente, wie Trajans Saͤule in Rom, wuͤrde gut geheißen haben. Zu ſolchem Behuf wuͤrden die Griechen vermuthlich den aͤgyptiſchen Obeliskus vorgezogen haben. Gewundene oder ſchnekenfoͤrmig ausgedraͤhte Saͤu- len, ſind ein Einfall des verdorbenen Geſchmaks, und es iſt ein bloßes Maͤhrchen, daß die gewunde- nen Saͤulen in der Peterskirch in Rom aus dem ehemaligen Tempel von Jeruſalem herruͤhren. Vi- gnola hat die Zeichnung derſelben gelehrt, und damit ſich eine ſehr unnuͤze Muͤhe gegeben. Verſchiedene Formen der aͤlteſten noch ſehr rohen Saͤulen, hat Pokok im I Theile ſeiner Beſchreibung der Morgen- laͤnder abgezeichnet. Saͤulenlaube. (Baukunſt.) Wird ſonſt auch mit dem ital. vom lateiniſchen ab- ſtammenden Wort Portico bezeichnet. Jm allge- meineſten Sinn bedeutet es einen offenen von oben bedekten Gang zwiſchen zwey Reyhen Saͤulen, oder zwiſchen einer Mauer, und einer Reyhe Saͤulen. Die Griechen und nach ihnen die Roͤmer hielten ſehr viel auf ſolche Saͤulenlauben, und verwendeten er- ſtaunliche Summen darauf. Jm vorhergehenden Artikel iſt gezeiget worden, wie ſie dieſelben um ihre Tempeln herumgefuͤhrt haben. Aber auch andere oͤffentliche Gebaͤude, die Theater und Amphitheater, die ſogenannten Baſilicaͤ, und andere große Gebaͤude hatten Saͤulenlauben. Auch wurden gewiſſe oͤffent- liche Plaͤze, die zu Spaziergaͤngen, Zuſammenkuͤnf- ten, Spiehlen beſtimmt waren, mit Mauren um- geben, um welche hernach, wie um die Tempel noch Saͤulen geſezt wurden, die alſo Saͤulenlauben um die Mauren herummachten. Bey dieſen war, wie man beym Vitruvius ſieht, insgemein uͤber die un- tern Saͤulen noch eine Reyhe geſezt, und dieſe machte uͤber den Saͤulengaͤngen eine offene Gallerie, oder es wurden auch verſchiedene kleinere und groͤſ- ſere Zimmer in dieſem zweyten Geſchoß zu oͤffentli- chem Gebrauche gebaut. Jn Rom waren die Fora oder Marktplaͤze mit Saͤulenlauben umgeben, und ſowol unten neben den Saͤulenlauben, als oben an den Gallerien, waren die Contore der Wechsler, der oͤffentlichen Einnehmer, und wol auch Kramlaͤ- den. Endlich hatten auch die großen Wohnhaͤuſer, um die Hoͤfe herum, ihre Saͤulenlauben nach Art der ſogenannten Kreuzgaͤnge der Cloͤſter. (*) Hier- (*) S. Kreuzgang.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/433
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1004[986]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/433>, abgerufen am 29.04.2024.