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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Hieraus ist abzunehmen, daß bey den Alten die
Säulenlauben, die gegenwärtig außer Jtalien so sel-
ten gesehen werden, unter die größten und vornehm-
sten Werke der Baukunst gehörten. Die prächtigsten
unserer izigen Städte, müßten einem Athenienser
aus den Zeiten des Perikles, oder einem Römer
aus den Zeiten der Cäsare etwas ärmlich vorkom-
men, da er fast nirgend Säulenlauben anträffe, von
denen die alten Städte in Griechenland und Jtalien
ihre größte Zierd erhielten. Gar ofte wurden die
Mauren der Säulenlauben mit Gemählden geziehret,
wovon das Beyspiehl der Säulenlaube, oder Stoa
in Athen, die Pöcile genennt wurd, jederman be-
kannt ist.

Die öffentlichen Säulenlauben dienten also zu
Spaziergängen und Zusammenkünften, sowol müßi-
ger als beschäftigter Bürger; so wie etwa gegenwär-
tig in Handlungspläzen, die sogenannten Börsen
der Kaufleuthe. Vitruvius will, daß bey jedem
Theater eine Säulenlaube gebaut werde, dahin sich
die Zuschauer bey etwa einfallendem Regen von ihren
offenen Bänken ins Trokene begeben können. Ueber-
haupt schiket sich diese Bauart zu allen öffentlichen
Gebäuden, wo sich Geschäfte halber sehr viel Men-
schen versammlen, von denen nur wenige auf ein-
mal in dem Jnnern derselben ihre Geschäfte verrich-
ten, da inzwischen die andern draußen warten müs-
sen; folglich zu Gerichtshöfen, Zoll- Accis- und
andern öffentlichen Häusern, wo die Gefälle des
Staats eingenommen werden. Die Alten, die ohne-
dem sich mehr auf öffentlichen Pläzen, als in ihren
Häusern aufhielten, verschaften sich also durch sol-
che Säulenlauben die Bequämlichkeit bey mancher-
ley Geschäften, zugleich einen angenehmen Spazier-
gang zu genießen. Sie fielen um so viel natürlicher
auf dergleichen Bauart, da es bey ihnen gewöhnlich
war, daß sehr vielerley Geschäfte, die man izt durch
Bediente und andre gedungene Personen an öffent-
lichen Orten verrichten läßt, damals von den Her-
ren selbst verrichtet wurden.

Gegenwärtig ist der Gebrauch der Säulenlauben
fast ganz abgekommen. Nur in Jtalien findet man
noch Paläste, an denen eine, oder mehrere Außen-
seiten unten mit Säulenlauben versehen sind, über
welche an dem ersten Geschoß offene Gallerien, und
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Säu
sogenannte Loggie angebracht worden. Die präch-
tigste Säulenlaube der neuern Zeit ist die, welche den
Vorhof der St. Peterskirch in Rom einschließt. (*)

Säulenstellung. Säulenweite.
(Baukunst.)

Die Weite in welcher man die Säulen auseinanderse-
zet, diese Weite aber wird von der Mitte oder den Axen
der Säulen gerechnet. Vitruvius lehret, daß bey den
Alten fünferley Säulenweiten gebräuchlich gewesen.
Die geringste war von fünf Modeln, so daß der offene
Raum zwischen den Schaften der Säulen anderthalb
Säulendike, oder drey Modeln war. (+) Diese Art
nennten sie Diksäulicht (pycnostylum). Jn der zwey-
ten Art war die Säulenweite von sechs Modeln
(Systylon) nahesäulig. Jn der dritten Art, die
für die schönste gehalten wurd, und daher Eustylon
hies, war die Weite von 61/2 Modeln; in der vier-
ten (diastylon) war sie von 8, und in der fünften
(areostylon) von 9 Modeln. Die Säulen noch
weiter auseinander zu sezen, geht aus zwey Grün-
den nicht wol an. Erstlich; weil das Gebälk zwi-
schen den Säulen sich eindrüken könnte, und her-
nach; weil so weit auseinanderstehende Säulen dem
Gebäude ein gar zu mageres und armes Ansehen
gäbe. Der griechische Baumeister Hermogenes,
der diese Säulenweiten bestimmt hat, gab auch da-
für eigene Verhältnisse der Höhen der Säulen. Für
die diksäulige Stellung gab er der Säule 20 Model;
für die weitsäulige von 9 Modeln gab er den Säulen
16 Modelhöhe, und machte sie folglich diker. Dieses
scheinet, ob es gleich gegenwärtig nicht mehr beob-
achtet wird, der Natur der Sache gemäßer, als
daß bey einerley Höhe, die weit und engestehenden
Säulen gleich dik seyen.

Bey großen Säulenweiten hat man bisweilen
den Unterbalken von Metall gemacht. Die Kunst
die Steine so zu hauen, daß ein langer Unterbalken
aus Stüken kann zusammengesezt werden, die sich
selbst, wie die Steine eines Bogens tragen, war
den Alten nicht bekannt. Daher sezten sie bisweilen
ihre Säulen zu nahe zusammen. Vitruvius sagt,
daß die Säulen um ihre Tempel bisweilen so nahe
an einander gestanden, daß die Damen, die sich an

der
(*) S.
Kirche.
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Man muß hier das Wort Model in dem Sinne
nehmen, den wir im Artikel darüber bestimmt haben,
[Spaltenumbruch] und nicht, wie es Vitruvius nihmt.
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Saͤu

Hieraus iſt abzunehmen, daß bey den Alten die
Saͤulenlauben, die gegenwaͤrtig außer Jtalien ſo ſel-
ten geſehen werden, unter die groͤßten und vornehm-
ſten Werke der Baukunſt gehoͤrten. Die praͤchtigſten
unſerer izigen Staͤdte, muͤßten einem Athenienſer
aus den Zeiten des Perikles, oder einem Roͤmer
aus den Zeiten der Caͤſare etwas aͤrmlich vorkom-
men, da er faſt nirgend Saͤulenlauben antraͤffe, von
denen die alten Staͤdte in Griechenland und Jtalien
ihre groͤßte Zierd erhielten. Gar ofte wurden die
Mauren der Saͤulenlauben mit Gemaͤhlden geziehret,
wovon das Beyſpiehl der Saͤulenlaube, oder Stoa
in Athen, die Poͤcile genennt wurd, jederman be-
kannt iſt.

Die oͤffentlichen Saͤulenlauben dienten alſo zu
Spaziergaͤngen und Zuſammenkuͤnften, ſowol muͤßi-
ger als beſchaͤftigter Buͤrger; ſo wie etwa gegenwaͤr-
tig in Handlungsplaͤzen, die ſogenannten Boͤrſen
der Kaufleuthe. Vitruvius will, daß bey jedem
Theater eine Saͤulenlaube gebaut werde, dahin ſich
die Zuſchauer bey etwa einfallendem Regen von ihren
offenen Baͤnken ins Trokene begeben koͤnnen. Ueber-
haupt ſchiket ſich dieſe Bauart zu allen oͤffentlichen
Gebaͤuden, wo ſich Geſchaͤfte halber ſehr viel Men-
ſchen verſammlen, von denen nur wenige auf ein-
mal in dem Jnnern derſelben ihre Geſchaͤfte verrich-
ten, da inzwiſchen die andern draußen warten muͤſ-
ſen; folglich zu Gerichtshoͤfen, Zoll- Accis- und
andern oͤffentlichen Haͤuſern, wo die Gefaͤlle des
Staats eingenommen werden. Die Alten, die ohne-
dem ſich mehr auf oͤffentlichen Plaͤzen, als in ihren
Haͤuſern aufhielten, verſchaften ſich alſo durch ſol-
che Saͤulenlauben die Bequaͤmlichkeit bey mancher-
ley Geſchaͤften, zugleich einen angenehmen Spazier-
gang zu genießen. Sie fielen um ſo viel natuͤrlicher
auf dergleichen Bauart, da es bey ihnen gewoͤhnlich
war, daß ſehr vielerley Geſchaͤfte, die man izt durch
Bediente und andre gedungene Perſonen an oͤffent-
lichen Orten verrichten laͤßt, damals von den Her-
ren ſelbſt verrichtet wurden.

Gegenwaͤrtig iſt der Gebrauch der Saͤulenlauben
faſt ganz abgekommen. Nur in Jtalien findet man
noch Palaͤſte, an denen eine, oder mehrere Außen-
ſeiten unten mit Saͤulenlauben verſehen ſind, uͤber
welche an dem erſten Geſchoß offene Gallerien, und
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Saͤu
ſogenannte Loggie angebracht worden. Die praͤch-
tigſte Saͤulenlaube der neuern Zeit iſt die, welche den
Vorhof der St. Peterskirch in Rom einſchließt. (*)

Saͤulenſtellung. Saͤulenweite.
(Baukunſt.)

Die Weite in welcher man die Saͤulen auseinanderſe-
zet, dieſe Weite aber wird von der Mitte oder den Axen
der Saͤulen gerechnet. Vitruvius lehret, daß bey den
Alten fuͤnferley Saͤulenweiten gebraͤuchlich geweſen.
Die geringſte war von fuͤnf Modeln, ſo daß der offene
Raum zwiſchen den Schaften der Saͤulen anderthalb
Saͤulendike, oder drey Modeln war. (†) Dieſe Art
nennten ſie Dikſaͤulicht (pycnoſtylum). Jn der zwey-
ten Art war die Saͤulenweite von ſechs Modeln
(Syſtylon) naheſaͤulig. Jn der dritten Art, die
fuͤr die ſchoͤnſte gehalten wurd, und daher Euſtylon
hies, war die Weite von 6½ Modeln; in der vier-
ten (diaſtylon) war ſie von 8, und in der fuͤnften
(areoſtylon) von 9 Modeln. Die Saͤulen noch
weiter auseinander zu ſezen, geht aus zwey Gruͤn-
den nicht wol an. Erſtlich; weil das Gebaͤlk zwi-
ſchen den Saͤulen ſich eindruͤken koͤnnte, und her-
nach; weil ſo weit auseinanderſtehende Saͤulen dem
Gebaͤude ein gar zu mageres und armes Anſehen
gaͤbe. Der griechiſche Baumeiſter Hermogenes,
der dieſe Saͤulenweiten beſtimmt hat, gab auch da-
fuͤr eigene Verhaͤltniſſe der Hoͤhen der Saͤulen. Fuͤr
die dikſaͤulige Stellung gab er der Saͤule 20 Model;
fuͤr die weitſaͤulige von 9 Modeln gab er den Saͤulen
16 Modelhoͤhe, und machte ſie folglich diker. Dieſes
ſcheinet, ob es gleich gegenwaͤrtig nicht mehr beob-
achtet wird, der Natur der Sache gemaͤßer, als
daß bey einerley Hoͤhe, die weit und engeſtehenden
Saͤulen gleich dik ſeyen.

Bey großen Saͤulenweiten hat man bisweilen
den Unterbalken von Metall gemacht. Die Kunſt
die Steine ſo zu hauen, daß ein langer Unterbalken
aus Stuͤken kann zuſammengeſezt werden, die ſich
ſelbſt, wie die Steine eines Bogens tragen, war
den Alten nicht bekannt. Daher ſezten ſie bisweilen
ihre Saͤulen zu nahe zuſammen. Vitruvius ſagt,
daß die Saͤulen um ihre Tempel bisweilen ſo nahe
an einander geſtanden, daß die Damen, die ſich an

der
(*) S.
Kirche.
(†) [Spaltenumbruch]
Man muß hier das Wort Model in dem Sinne
nehmen, den wir im Artikel daruͤber beſtimmt haben,
[Spaltenumbruch] und nicht, wie es Vitruvius nihmt.
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[1005[987]/0434] Saͤu Saͤu Hieraus iſt abzunehmen, daß bey den Alten die Saͤulenlauben, die gegenwaͤrtig außer Jtalien ſo ſel- ten geſehen werden, unter die groͤßten und vornehm- ſten Werke der Baukunſt gehoͤrten. Die praͤchtigſten unſerer izigen Staͤdte, muͤßten einem Athenienſer aus den Zeiten des Perikles, oder einem Roͤmer aus den Zeiten der Caͤſare etwas aͤrmlich vorkom- men, da er faſt nirgend Saͤulenlauben antraͤffe, von denen die alten Staͤdte in Griechenland und Jtalien ihre groͤßte Zierd erhielten. Gar ofte wurden die Mauren der Saͤulenlauben mit Gemaͤhlden geziehret, wovon das Beyſpiehl der Saͤulenlaube, oder Stoa in Athen, die Poͤcile genennt wurd, jederman be- kannt iſt. Die oͤffentlichen Saͤulenlauben dienten alſo zu Spaziergaͤngen und Zuſammenkuͤnften, ſowol muͤßi- ger als beſchaͤftigter Buͤrger; ſo wie etwa gegenwaͤr- tig in Handlungsplaͤzen, die ſogenannten Boͤrſen der Kaufleuthe. Vitruvius will, daß bey jedem Theater eine Saͤulenlaube gebaut werde, dahin ſich die Zuſchauer bey etwa einfallendem Regen von ihren offenen Baͤnken ins Trokene begeben koͤnnen. Ueber- haupt ſchiket ſich dieſe Bauart zu allen oͤffentlichen Gebaͤuden, wo ſich Geſchaͤfte halber ſehr viel Men- ſchen verſammlen, von denen nur wenige auf ein- mal in dem Jnnern derſelben ihre Geſchaͤfte verrich- ten, da inzwiſchen die andern draußen warten muͤſ- ſen; folglich zu Gerichtshoͤfen, Zoll- Accis- und andern oͤffentlichen Haͤuſern, wo die Gefaͤlle des Staats eingenommen werden. Die Alten, die ohne- dem ſich mehr auf oͤffentlichen Plaͤzen, als in ihren Haͤuſern aufhielten, verſchaften ſich alſo durch ſol- che Saͤulenlauben die Bequaͤmlichkeit bey mancher- ley Geſchaͤften, zugleich einen angenehmen Spazier- gang zu genießen. Sie fielen um ſo viel natuͤrlicher auf dergleichen Bauart, da es bey ihnen gewoͤhnlich war, daß ſehr vielerley Geſchaͤfte, die man izt durch Bediente und andre gedungene Perſonen an oͤffent- lichen Orten verrichten laͤßt, damals von den Her- ren ſelbſt verrichtet wurden. Gegenwaͤrtig iſt der Gebrauch der Saͤulenlauben faſt ganz abgekommen. Nur in Jtalien findet man noch Palaͤſte, an denen eine, oder mehrere Außen- ſeiten unten mit Saͤulenlauben verſehen ſind, uͤber welche an dem erſten Geſchoß offene Gallerien, und ſogenannte Loggie angebracht worden. Die praͤch- tigſte Saͤulenlaube der neuern Zeit iſt die, welche den Vorhof der St. Peterskirch in Rom einſchließt. (*) Saͤulenſtellung. Saͤulenweite. (Baukunſt.) Die Weite in welcher man die Saͤulen auseinanderſe- zet, dieſe Weite aber wird von der Mitte oder den Axen der Saͤulen gerechnet. Vitruvius lehret, daß bey den Alten fuͤnferley Saͤulenweiten gebraͤuchlich geweſen. Die geringſte war von fuͤnf Modeln, ſo daß der offene Raum zwiſchen den Schaften der Saͤulen anderthalb Saͤulendike, oder drey Modeln war. (†) Dieſe Art nennten ſie Dikſaͤulicht (pycnoſtylum). Jn der zwey- ten Art war die Saͤulenweite von ſechs Modeln (Syſtylon) naheſaͤulig. Jn der dritten Art, die fuͤr die ſchoͤnſte gehalten wurd, und daher Euſtylon hies, war die Weite von 6½ Modeln; in der vier- ten (diaſtylon) war ſie von 8, und in der fuͤnften (areoſtylon) von 9 Modeln. Die Saͤulen noch weiter auseinander zu ſezen, geht aus zwey Gruͤn- den nicht wol an. Erſtlich; weil das Gebaͤlk zwi- ſchen den Saͤulen ſich eindruͤken koͤnnte, und her- nach; weil ſo weit auseinanderſtehende Saͤulen dem Gebaͤude ein gar zu mageres und armes Anſehen gaͤbe. Der griechiſche Baumeiſter Hermogenes, der dieſe Saͤulenweiten beſtimmt hat, gab auch da- fuͤr eigene Verhaͤltniſſe der Hoͤhen der Saͤulen. Fuͤr die dikſaͤulige Stellung gab er der Saͤule 20 Model; fuͤr die weitſaͤulige von 9 Modeln gab er den Saͤulen 16 Modelhoͤhe, und machte ſie folglich diker. Dieſes ſcheinet, ob es gleich gegenwaͤrtig nicht mehr beob- achtet wird, der Natur der Sache gemaͤßer, als daß bey einerley Hoͤhe, die weit und engeſtehenden Saͤulen gleich dik ſeyen. Bey großen Saͤulenweiten hat man bisweilen den Unterbalken von Metall gemacht. Die Kunſt die Steine ſo zu hauen, daß ein langer Unterbalken aus Stuͤken kann zuſammengeſezt werden, die ſich ſelbſt, wie die Steine eines Bogens tragen, war den Alten nicht bekannt. Daher ſezten ſie bisweilen ihre Saͤulen zu nahe zuſammen. Vitruvius ſagt, daß die Saͤulen um ihre Tempel bisweilen ſo nahe an einander geſtanden, daß die Damen, die ſich an der (*) S. Kirche. (†) Man muß hier das Wort Model in dem Sinne nehmen, den wir im Artikel daruͤber beſtimmt haben, und nicht, wie es Vitruvius nihmt. J i i i i i 2

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1005[987]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/434>, abgerufen am 29.04.2024.