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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Scha

So viel sey überhaupt von der nüzlichen Anwen-
dung des Schauspiehles und von der klugen Nuzung
des allen Menschen natürlichen Hanges nach dem-
selben gesagt.

Es wär ein nüzliches Unternehmen, wenn sich
jemand die Mühe geben wollte alles, was man von
den verschiedenen Schauspiehlen alter und neuer
Völker weiß, zu sammeln. Man könnte manches
daraus lernen, und vielleicht würde dieses Gelegen-
heit zu Erfindung neuer Gattungen geben. Aber
da überhaupt das meiste, was wir hier angemerkt
haben, mehr in die Classe angenehmer patriotischer
Träume, als würklich auszuführender Vorschläge
gehöret; so wollen wir uns auch nicht länger hiebey
aufhalten, sondern diesen Artikel mit der Betrach-
tung eines alten Grammatikers, über gewisse Arten
des Schauspiehles beschliessen, deren Erwägung wir
denen, die unter uns sich mit Bearbeitung der
Schauspiehle abgeben, bestens empfehlen. Donat
macht über die Spiehle die Aeneas seinem verstorbe-
nen Vater zu Ehren anstellt, folgende Betrach-
tung (*). Non edicuntur Mimi, qui solis inhone-
stis & adulteris placent; per illos enim discitur,
quemadmodum illicita fiant, aut facta noscantur.
Non edicuntur saltationes fluxae, in quibus saltator
ille est melior qui perditorum judicio membrorum
virilium robur in saltationem verterit. Non edici-
tur funis futura temeritas, cujus angustum iter, ac
pendulum in periculum magis, quam salutis securi-
tatem devexum est. Omittit haec vir fortis & egre-
gius, nihil eum juvat illorum quae scitis illis exhiberi,
quibus possunt placere cum fiant.

Schauspiehler. Schauspiehlkunst.

Es ist dem äußersten Verderben und der höchst ver-
ächtlichen Gestalt zuzuschreiben, worinn das Schau-
spiehl unter den Cäsarn in Rom gefallen war, und dem
höchst pöbelhaften und elenden Charakter, den es in
jenen Zeiten der Unwissenheit und des schlechten Ge-
schmaks, aus denen sich Europa noch nicht überall
losgewikelt, angenommen hatte, daß noch izt viele
Bedenken tragen dem Schauspiehler und seiner Kunst
den ehrenhaften Rang, der ihnen gebührt, zu ge-
ben. Und doch därf er, so wol wegen der ihm
nöthigen Talente, als wegen des nüzlichen Gebrauchs
[Spaltenumbruch]

Scha
den er davon machen kann, so gut, als irgend ein
andrer Künstler auf die Hochachtung seiner Mitbür-
ger Anspruch machen.

Jn den älteren Zeiten der atheniensischen und
römischen Republiken waren die dramatischen Dich-
ter auch zugleich Schauspiehler, und Sophokles ge-
noß die Ehre eines der Häupter des Staates zu
seyn. Obgleich nun gegenwärtig die dramatischen
Schauspiehle noch nicht wieder zu ihrer ehemaligen
Würde gelanget sind, so haben sie sich doch meisten-
theils izt weit genug über die ehemaligen Possen-
spiehle empor gehoben, um den Schauspiehlern ihre
völlige Künstlerehre wieder zu geben. Daß es hier
und da noch schlechte Schauspiehle, und Schauspieh-
ler von verächtlicher Lebensart giebt, muß dem
ganzen Stande so wenig zugerechnet werden, als
man es dem Stand der Dichter und Mahler zu-
schreibet, daß unzüchtige Gedichte oder höchst unan-
ständige Gemählde gemacht werden, und daß man
unter Dichtern und Mahlern Menschen von niedri-
ger Lebensart antrifft.

Jn Ansehung der Talente also kann der gute
Schauspiehler so wol, als ein andrer Künstler An-
spruch auf allgemeine Hochachtung machen. Plato
fodert nicht nur von dem Dichter, sondern auch von
dem Rhapsodisten, folglich dem Schauspiehler, daß
er bisweilen durch ein göttliches Feuer ergriffen, in
voller Begeisterung seyn müsse (*). Jn der That
scheinet ein mittelmäßiger Dichter, den Horaz für
unerträglich hält, noch erträglicher, als ein mittel-
mäßiger Schauspiehler, auf den man genau an-
wenden kann, was Quintilian vom Redner sagt.
"Wenn er nicht rührt, so wird er abgeschmakt.
Denn die Mine, die Stimme und das ganze Anse-
hen eines in Affekt gesezten Beklagten, werden de-
nen, die dadurch nicht würklich gerührt worden,
zum Gespötte. -- Hier ist keine Mittelstraße, ent-
weder weinet man mit ihm, oder man lacht ihn
aus." (+) Der bekannte Ausspruch des Demosthenes
über die vorzügliche Wichtigkeit der Action, oder des
mündlichen Vortrages in der Beredsamkeit, ist ein
vortheilhaftes Zeugnis für den Schauspiehler; denn
das, was bey ihm, nur einen Theil der Kunst aus-
macht, ist nach jenem Ausspruche bey dem Redner
das Vornehmste. Deswegen hat auch Cicero sich

ange-
(*) S.
Don. in
Virg. Aen.
L. V.
64.
(*) In
Jone.
(+) [Spaltenumbruch]
Nam et vultus et vox et illa excitati rei sacies ludi-
brio etiam plerumque sunt hominibus, quos non permoverunt.
[Spaltenumbruch] Nihil habet ista res medium, sed aut lachrymas meretur aut
risum. Quint. Inst. L. VI. c.
1.
Zweyter Theil. M m m m m m
[Spaltenumbruch]
Scha

So viel ſey uͤberhaupt von der nuͤzlichen Anwen-
dung des Schauſpiehles und von der klugen Nuzung
des allen Menſchen natuͤrlichen Hanges nach dem-
ſelben geſagt.

Es waͤr ein nuͤzliches Unternehmen, wenn ſich
jemand die Muͤhe geben wollte alles, was man von
den verſchiedenen Schauſpiehlen alter und neuer
Voͤlker weiß, zu ſammeln. Man koͤnnte manches
daraus lernen, und vielleicht wuͤrde dieſes Gelegen-
heit zu Erfindung neuer Gattungen geben. Aber
da uͤberhaupt das meiſte, was wir hier angemerkt
haben, mehr in die Claſſe angenehmer patriotiſcher
Traͤume, als wuͤrklich auszufuͤhrender Vorſchlaͤge
gehoͤret; ſo wollen wir uns auch nicht laͤnger hiebey
aufhalten, ſondern dieſen Artikel mit der Betrach-
tung eines alten Grammatikers, uͤber gewiſſe Arten
des Schauſpiehles beſchlieſſen, deren Erwaͤgung wir
denen, die unter uns ſich mit Bearbeitung der
Schauſpiehle abgeben, beſtens empfehlen. Donat
macht uͤber die Spiehle die Aeneas ſeinem verſtorbe-
nen Vater zu Ehren anſtellt, folgende Betrach-
tung (*). Non edicuntur Mimi, qui ſolis inhone-
ſtis & adulteris placent; per illos enim diſcitur,
quemadmodum illicita fiant, aut facta noſcantur.
Non edicuntur ſaltationes fluxæ, in quibus ſaltator
ille eſt melior qui perditorum judicio membrorum
virilium robur in ſaltationem verterit. Non edici-
tur funis futura temeritas, cujus anguſtum iter, ac
pendulum in periculum magis, quam ſalutis ſecuri-
tatem devexum eſt. Omittit hæc vir fortis & egre-
gius, nihil eum juvat illorum quæ ſcitis illis exhiberi,
quibus poſſunt placere cum fiant.

Schauſpiehler. Schauſpiehlkunſt.

Es iſt dem aͤußerſten Verderben und der hoͤchſt ver-
aͤchtlichen Geſtalt zuzuſchreiben, worinn das Schau-
ſpiehl unter den Caͤſarn in Rom gefallen war, und dem
hoͤchſt poͤbelhaften und elenden Charakter, den es in
jenen Zeiten der Unwiſſenheit und des ſchlechten Ge-
ſchmaks, aus denen ſich Europa noch nicht uͤberall
losgewikelt, angenommen hatte, daß noch izt viele
Bedenken tragen dem Schauſpiehler und ſeiner Kunſt
den ehrenhaften Rang, der ihnen gebuͤhrt, zu ge-
ben. Und doch daͤrf er, ſo wol wegen der ihm
noͤthigen Talente, als wegen des nuͤzlichen Gebrauchs
[Spaltenumbruch]

Scha
den er davon machen kann, ſo gut, als irgend ein
andrer Kuͤnſtler auf die Hochachtung ſeiner Mitbuͤr-
ger Anſpruch machen.

Jn den aͤlteren Zeiten der athenienſiſchen und
roͤmiſchen Republiken waren die dramatiſchen Dich-
ter auch zugleich Schauſpiehler, und Sophokles ge-
noß die Ehre eines der Haͤupter des Staates zu
ſeyn. Obgleich nun gegenwaͤrtig die dramatiſchen
Schauſpiehle noch nicht wieder zu ihrer ehemaligen
Wuͤrde gelanget ſind, ſo haben ſie ſich doch meiſten-
theils izt weit genug uͤber die ehemaligen Poſſen-
ſpiehle empor gehoben, um den Schauſpiehlern ihre
voͤllige Kuͤnſtlerehre wieder zu geben. Daß es hier
und da noch ſchlechte Schauſpiehle, und Schauſpieh-
ler von veraͤchtlicher Lebensart giebt, muß dem
ganzen Stande ſo wenig zugerechnet werden, als
man es dem Stand der Dichter und Mahler zu-
ſchreibet, daß unzuͤchtige Gedichte oder hoͤchſt unan-
ſtaͤndige Gemaͤhlde gemacht werden, und daß man
unter Dichtern und Mahlern Menſchen von niedri-
ger Lebensart antrifft.

Jn Anſehung der Talente alſo kann der gute
Schauſpiehler ſo wol, als ein andrer Kuͤnſtler An-
ſpruch auf allgemeine Hochachtung machen. Plato
fodert nicht nur von dem Dichter, ſondern auch von
dem Rhapſodiſten, folglich dem Schauſpiehler, daß
er bisweilen durch ein goͤttliches Feuer ergriffen, in
voller Begeiſterung ſeyn muͤſſe (*). Jn der That
ſcheinet ein mittelmaͤßiger Dichter, den Horaz fuͤr
unertraͤglich haͤlt, noch ertraͤglicher, als ein mittel-
maͤßiger Schauſpiehler, auf den man genau an-
wenden kann, was Quintilian vom Redner ſagt.
„Wenn er nicht ruͤhrt, ſo wird er abgeſchmakt.
Denn die Mine, die Stimme und das ganze Anſe-
hen eines in Affekt geſezten Beklagten, werden de-
nen, die dadurch nicht wuͤrklich geruͤhrt worden,
zum Geſpoͤtte. — Hier iſt keine Mittelſtraße, ent-
weder weinet man mit ihm, oder man lacht ihn
aus.„ (†) Der bekannte Ausſpruch des Demoſthenes
uͤber die vorzuͤgliche Wichtigkeit der Action, oder des
muͤndlichen Vortrages in der Beredſamkeit, iſt ein
vortheilhaftes Zeugnis fuͤr den Schauſpiehler; denn
das, was bey ihm, nur einen Theil der Kunſt aus-
macht, iſt nach jenem Ausſpruche bey dem Redner
das Vornehmſte. Deswegen hat auch Cicero ſich

ange-
(*) S.
Don. in
Virg. Aen.
L. V.
64.
(*) In
Jone.
(†) [Spaltenumbruch]
Nam et vultus et vox et illa excitati rei ſacies ludi-
brio etiam plerumque ſunt hominibus, quos non permoverunt.
[Spaltenumbruch] Nihil habet iſta res medium, ſed aut lachrymas meretur aut
riſum. Quint. Inſt. L. VI. c.
1.
Zweyter Theil. M m m m m m
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[1027[1009]/0456] Scha Scha So viel ſey uͤberhaupt von der nuͤzlichen Anwen- dung des Schauſpiehles und von der klugen Nuzung des allen Menſchen natuͤrlichen Hanges nach dem- ſelben geſagt. Es waͤr ein nuͤzliches Unternehmen, wenn ſich jemand die Muͤhe geben wollte alles, was man von den verſchiedenen Schauſpiehlen alter und neuer Voͤlker weiß, zu ſammeln. Man koͤnnte manches daraus lernen, und vielleicht wuͤrde dieſes Gelegen- heit zu Erfindung neuer Gattungen geben. Aber da uͤberhaupt das meiſte, was wir hier angemerkt haben, mehr in die Claſſe angenehmer patriotiſcher Traͤume, als wuͤrklich auszufuͤhrender Vorſchlaͤge gehoͤret; ſo wollen wir uns auch nicht laͤnger hiebey aufhalten, ſondern dieſen Artikel mit der Betrach- tung eines alten Grammatikers, uͤber gewiſſe Arten des Schauſpiehles beſchlieſſen, deren Erwaͤgung wir denen, die unter uns ſich mit Bearbeitung der Schauſpiehle abgeben, beſtens empfehlen. Donat macht uͤber die Spiehle die Aeneas ſeinem verſtorbe- nen Vater zu Ehren anſtellt, folgende Betrach- tung (*). Non edicuntur Mimi, qui ſolis inhone- ſtis & adulteris placent; per illos enim diſcitur, quemadmodum illicita fiant, aut facta noſcantur. Non edicuntur ſaltationes fluxæ, in quibus ſaltator ille eſt melior qui perditorum judicio membrorum virilium robur in ſaltationem verterit. Non edici- tur funis futura temeritas, cujus anguſtum iter, ac pendulum in periculum magis, quam ſalutis ſecuri- tatem devexum eſt. Omittit hæc vir fortis & egre- gius, nihil eum juvat illorum quæ ſcitis illis exhiberi, quibus poſſunt placere cum fiant. Schauſpiehler. Schauſpiehlkunſt. Es iſt dem aͤußerſten Verderben und der hoͤchſt ver- aͤchtlichen Geſtalt zuzuſchreiben, worinn das Schau- ſpiehl unter den Caͤſarn in Rom gefallen war, und dem hoͤchſt poͤbelhaften und elenden Charakter, den es in jenen Zeiten der Unwiſſenheit und des ſchlechten Ge- ſchmaks, aus denen ſich Europa noch nicht uͤberall losgewikelt, angenommen hatte, daß noch izt viele Bedenken tragen dem Schauſpiehler und ſeiner Kunſt den ehrenhaften Rang, der ihnen gebuͤhrt, zu ge- ben. Und doch daͤrf er, ſo wol wegen der ihm noͤthigen Talente, als wegen des nuͤzlichen Gebrauchs den er davon machen kann, ſo gut, als irgend ein andrer Kuͤnſtler auf die Hochachtung ſeiner Mitbuͤr- ger Anſpruch machen. Jn den aͤlteren Zeiten der athenienſiſchen und roͤmiſchen Republiken waren die dramatiſchen Dich- ter auch zugleich Schauſpiehler, und Sophokles ge- noß die Ehre eines der Haͤupter des Staates zu ſeyn. Obgleich nun gegenwaͤrtig die dramatiſchen Schauſpiehle noch nicht wieder zu ihrer ehemaligen Wuͤrde gelanget ſind, ſo haben ſie ſich doch meiſten- theils izt weit genug uͤber die ehemaligen Poſſen- ſpiehle empor gehoben, um den Schauſpiehlern ihre voͤllige Kuͤnſtlerehre wieder zu geben. Daß es hier und da noch ſchlechte Schauſpiehle, und Schauſpieh- ler von veraͤchtlicher Lebensart giebt, muß dem ganzen Stande ſo wenig zugerechnet werden, als man es dem Stand der Dichter und Mahler zu- ſchreibet, daß unzuͤchtige Gedichte oder hoͤchſt unan- ſtaͤndige Gemaͤhlde gemacht werden, und daß man unter Dichtern und Mahlern Menſchen von niedri- ger Lebensart antrifft. Jn Anſehung der Talente alſo kann der gute Schauſpiehler ſo wol, als ein andrer Kuͤnſtler An- ſpruch auf allgemeine Hochachtung machen. Plato fodert nicht nur von dem Dichter, ſondern auch von dem Rhapſodiſten, folglich dem Schauſpiehler, daß er bisweilen durch ein goͤttliches Feuer ergriffen, in voller Begeiſterung ſeyn muͤſſe (*). Jn der That ſcheinet ein mittelmaͤßiger Dichter, den Horaz fuͤr unertraͤglich haͤlt, noch ertraͤglicher, als ein mittel- maͤßiger Schauſpiehler, auf den man genau an- wenden kann, was Quintilian vom Redner ſagt. „Wenn er nicht ruͤhrt, ſo wird er abgeſchmakt. Denn die Mine, die Stimme und das ganze Anſe- hen eines in Affekt geſezten Beklagten, werden de- nen, die dadurch nicht wuͤrklich geruͤhrt worden, zum Geſpoͤtte. — Hier iſt keine Mittelſtraße, ent- weder weinet man mit ihm, oder man lacht ihn aus.„ (†) Der bekannte Ausſpruch des Demoſthenes uͤber die vorzuͤgliche Wichtigkeit der Action, oder des muͤndlichen Vortrages in der Beredſamkeit, iſt ein vortheilhaftes Zeugnis fuͤr den Schauſpiehler; denn das, was bey ihm, nur einen Theil der Kunſt aus- macht, iſt nach jenem Ausſpruche bey dem Redner das Vornehmſte. Deswegen hat auch Cicero ſich ange- (*) S. Don. in Virg. Aen. L. V. 64. (*) In Jone. (†) Nam et vultus et vox et illa excitati rei ſacies ludi- brio etiam plerumque ſunt hominibus, quos non permoverunt. Nihil habet iſta res medium, ſed aut lachrymas meretur aut riſum. Quint. Inſt. L. VI. c. 1. Zweyter Theil. M m m m m m

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1027[1009]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/456>, abgerufen am 29.04.2024.