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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Sche
als Muster, wie man nicht scherzen solle, zu sammeln
und jungen Dichtern zur Warnung vorzuhalten.

Bis izt kann man eben nicht sagen, daß der ächte
Scherz eine gemeine Gabe der deutschen wizigen Kö-
pfe sey. Die Alten glaubten, daß das, was bey
den Griechen aseiosune, bey den Römern urbanitas,
hieße, und das nichts anders ist, als ein in der
grösseren Welt und in feinern Gesellschaften gebilde-
ter Geschmak, zum guten Scherz nothwendig sey.
Aber gar viel unsrer jungen Dichter, deren Welt
eine finstere Schule, und nach dieser ein kurzer, und
meist in jugendlicher Ausgelassenheit zugebrachter
Aufenthalt auf einer Universität, gewesen ist, glauben
zum Scherzen aufgelegt zu seyn, weil sie muth-
willig seyn können.

Doch sind wir auch nicht ganz von Männern ent-
blößt, die in wahrem Geschmak zu scherzen wußten.
Schon vor mehr, als zweyhundert Jahren, machte
der Straßburgische Rechtsgelehrte, Johann Fischart,
durch ächtes Scherzen dem deutschen Wiz Ehre.
Logau und Wernike wußten zu einer Zeit, da die
deutsche Litteratur noch in der Kindheit war, nicht
ohne Feinheit zu scherzen. Aber Hagedorn hat, wie
in manchem andern Punkt des guten Geschmaks,
also auch hierin die Bahn erst recht eröffnet. Liscov,
Rost und Rabner sind bekannt genug, und auch Za-
chariä, wie wol er sich an weniger interessante Ge-
genstände gemacht, hat in seinen comischen Gedich-
ten die Gabe zum Scherzen gezeiget. Daß Wieland
den feinesten Scherz in seiner Gewalt habe, hat er
bis zum Ueberfluß gezeiget. Nur Schade, daß seine
Muse durch die Gesellschaft unzüchtiger Faune an
ihrer ehemaligen Keuschheit großen Schaden gelitten.
Dieser Mann, dessen großes Genie und außeror-
dentlichen Talente ich so sehr, als jemand erkenne,
nehme es mir nicht übel, wenn ich hier frey gestehe,
daß es mir noch nie begreiflich geworden, wie sein
so scharfer Verstand ihm hat erlauben können, ge-
wisse Stellen in seinen comischen Gedichten, die die
muthwilligste Phantasie entworfen hat, stehen zu
[Spaltenumbruch]

Schi
lassen. Die so seltene Gabe zu scherzen, die er in
einem hohen Grad besizt, und an so vielen Stellen
seiner Schriften so glüklich angewendet hat, sollte er
sie nicht als ein kostbares Geschenk der Natur anse-
hen, die nie zu Reizung gewisser Lüste, die an sich
schon zu viel Reizung haben, anzuwenden ist? Der
Jugend ist offenbar mit solchen Reizungen nicht ge-
dienet (+); und erschöpfte Wollüstlinge verdienen die
wol, daß ein Mann von Verstand ihnen helfe die
Einbildungskraft zu erhizen?

Schiff.
(Baukunst.)

So nennt man in großen Kirchen, deren inwendi-
ger Raum drey Hauptabtheilungen hat, den Haupt-
raum in der Mitte, zum Unterschied der beyden
schmälern Seiten-Abtheilungen, die man Abseiten
nennt, und die eigentlich nur als Gänge nach dem
Schiff anzusehen sind; wie wol sie auch ofte noch,
wie das Schiff, Size für die Zuhörer haben. Es ist
schwerlich zu sagen, woher dieser Raum den Namen
bekommen habe, der auch im französischen Nef heißt,
welches ehedem auch ein Schiff bedeutete. Denn
es ist kaum wahrscheinlich, daß das griechische Wort
naos, welches den innern Raum eines Tempels be-
deutet, mit dem Worte naus, das ein Schiff bedeu-
tet, sollte verwechselt worden, und daher der Na-
me Schiff entstanden seyn.

Schiklich.
(Schöne Künste.)

Man nennt in überlegten Handlungen und Werken
dasjenige schiklich, was zwar nach der Natur der
Sache nicht ganz nothwendig, aber doch so natür-
lich erwartet wird, daß der Mangel desselben, als
eine Unvollkommenheit würde bemerkt werden. Es
ist eben nicht nothwendig, aber schiklich, daß ver-
schiedene Stände und Alter der Menschen auch in
der Kleidung etwas unterscheidendes haben; unschik-

lich
(+) [Spaltenumbruch]
Jch erstaunte, als ich ganz neulich aus der halli-
schen gelehrten Zeitung vernahm, daß ein gewisser Schul-
mann in Sachsen, einige auserlesene Stüke des Lucians,
die er in griechischer Sprach für seine Schüler abdruken
lassen, hier und da mit Stellen aus Wielands comischen
Gedichten erläutert habe. Man sehe in den hallischen
neuen gelehrten Zeitungen das 95 Stük vom Jahr 1773.
[Spaltenumbruch] Man siehet hieraus, wie so gar leicht gewisse Dinge von
Unverständigen gemißbraucht werden! hat denn die Ju-
gend nöthig zum Muthwillen angeführt zu werden? Wird
sich nicht Hr. Wieland ärgern, daß man das, was er für
Männer, und zwar nur für die feinern Köpfe geschrieben
hat, den Schulknaben zum Spiehl vorlegt?

[Spaltenumbruch]

Sche
als Muſter, wie man nicht ſcherzen ſolle, zu ſammeln
und jungen Dichtern zur Warnung vorzuhalten.

Bis izt kann man eben nicht ſagen, daß der aͤchte
Scherz eine gemeine Gabe der deutſchen wizigen Koͤ-
pfe ſey. Die Alten glaubten, daß das, was bey
den Griechen ἀςειοσυνη, bey den Roͤmern urbanitas,
hieße, und das nichts anders iſt, als ein in der
groͤſſeren Welt und in feinern Geſellſchaften gebilde-
ter Geſchmak, zum guten Scherz nothwendig ſey.
Aber gar viel unſrer jungen Dichter, deren Welt
eine finſtere Schule, und nach dieſer ein kurzer, und
meiſt in jugendlicher Ausgelaſſenheit zugebrachter
Aufenthalt auf einer Univerſitaͤt, geweſen iſt, glauben
zum Scherzen aufgelegt zu ſeyn, weil ſie muth-
willig ſeyn koͤnnen.

Doch ſind wir auch nicht ganz von Maͤnnern ent-
bloͤßt, die in wahrem Geſchmak zu ſcherzen wußten.
Schon vor mehr, als zweyhundert Jahren, machte
der Straßburgiſche Rechtsgelehrte, Johann Fiſchart,
durch aͤchtes Scherzen dem deutſchen Wiz Ehre.
Logau und Wernike wußten zu einer Zeit, da die
deutſche Litteratur noch in der Kindheit war, nicht
ohne Feinheit zu ſcherzen. Aber Hagedorn hat, wie
in manchem andern Punkt des guten Geſchmaks,
alſo auch hierin die Bahn erſt recht eroͤffnet. Liſcov,
Roſt und Rabner ſind bekannt genug, und auch Za-
chariaͤ, wie wol er ſich an weniger intereſſante Ge-
genſtaͤnde gemacht, hat in ſeinen comiſchen Gedich-
ten die Gabe zum Scherzen gezeiget. Daß Wieland
den feineſten Scherz in ſeiner Gewalt habe, hat er
bis zum Ueberfluß gezeiget. Nur Schade, daß ſeine
Muſe durch die Geſellſchaft unzuͤchtiger Faune an
ihrer ehemaligen Keuſchheit großen Schaden gelitten.
Dieſer Mann, deſſen großes Genie und außeror-
dentlichen Talente ich ſo ſehr, als jemand erkenne,
nehme es mir nicht uͤbel, wenn ich hier frey geſtehe,
daß es mir noch nie begreiflich geworden, wie ſein
ſo ſcharfer Verſtand ihm hat erlauben koͤnnen, ge-
wiſſe Stellen in ſeinen comiſchen Gedichten, die die
muthwilligſte Phantaſie entworfen hat, ſtehen zu
[Spaltenumbruch]

Schi
laſſen. Die ſo ſeltene Gabe zu ſcherzen, die er in
einem hohen Grad beſizt, und an ſo vielen Stellen
ſeiner Schriften ſo gluͤklich angewendet hat, ſollte er
ſie nicht als ein koſtbares Geſchenk der Natur anſe-
hen, die nie zu Reizung gewiſſer Luͤſte, die an ſich
ſchon zu viel Reizung haben, anzuwenden iſt? Der
Jugend iſt offenbar mit ſolchen Reizungen nicht ge-
dienet (†); und erſchoͤpfte Wolluͤſtlinge verdienen die
wol, daß ein Mann von Verſtand ihnen helfe die
Einbildungskraft zu erhizen?

Schiff.
(Baukunſt.)

So nennt man in großen Kirchen, deren inwendi-
ger Raum drey Hauptabtheilungen hat, den Haupt-
raum in der Mitte, zum Unterſchied der beyden
ſchmaͤlern Seiten-Abtheilungen, die man Abſeiten
nennt, und die eigentlich nur als Gaͤnge nach dem
Schiff anzuſehen ſind; wie wol ſie auch ofte noch,
wie das Schiff, Size fuͤr die Zuhoͤrer haben. Es iſt
ſchwerlich zu ſagen, woher dieſer Raum den Namen
bekommen habe, der auch im franzoͤſiſchen Nèf heißt,
welches ehedem auch ein Schiff bedeutete. Denn
es iſt kaum wahrſcheinlich, daß das griechiſche Wort
ναος, welches den innern Raum eines Tempels be-
deutet, mit dem Worte ναυς, das ein Schiff bedeu-
tet, ſollte verwechſelt worden, und daher der Na-
me Schiff entſtanden ſeyn.

Schiklich.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Man nennt in uͤberlegten Handlungen und Werken
dasjenige ſchiklich, was zwar nach der Natur der
Sache nicht ganz nothwendig, aber doch ſo natuͤr-
lich erwartet wird, daß der Mangel deſſelben, als
eine Unvollkommenheit wuͤrde bemerkt werden. Es
iſt eben nicht nothwendig, aber ſchiklich, daß ver-
ſchiedene Staͤnde und Alter der Menſchen auch in
der Kleidung etwas unterſcheidendes haben; unſchik-

lich
(†) [Spaltenumbruch]
Jch erſtaunte, als ich ganz neulich aus der halli-
ſchen gelehrten Zeitung vernahm, daß ein gewiſſer Schul-
mann in Sachſen, einige auserleſene Stuͤke des Lucians,
die er in griechiſcher Sprach fuͤr ſeine Schuͤler abdruken
laſſen, hier und da mit Stellen aus Wielands comiſchen
Gedichten erlaͤutert habe. Man ſehe in den halliſchen
neuen gelehrten Zeitungen das 95 Stuͤk vom Jahr 1773.
[Spaltenumbruch] Man ſiehet hieraus, wie ſo gar leicht gewiſſe Dinge von
Unverſtaͤndigen gemißbraucht werden! hat denn die Ju-
gend noͤthig zum Muthwillen angefuͤhrt zu werden? Wird
ſich nicht Hr. Wieland aͤrgern, daß man das, was er fuͤr
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hat, den Schulknaben zum Spiehl vorlegt?
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[1032[1014]/0461] Sche Schi als Muſter, wie man nicht ſcherzen ſolle, zu ſammeln und jungen Dichtern zur Warnung vorzuhalten. Bis izt kann man eben nicht ſagen, daß der aͤchte Scherz eine gemeine Gabe der deutſchen wizigen Koͤ- pfe ſey. Die Alten glaubten, daß das, was bey den Griechen ἀςειοσυνη, bey den Roͤmern urbanitas, hieße, und das nichts anders iſt, als ein in der groͤſſeren Welt und in feinern Geſellſchaften gebilde- ter Geſchmak, zum guten Scherz nothwendig ſey. Aber gar viel unſrer jungen Dichter, deren Welt eine finſtere Schule, und nach dieſer ein kurzer, und meiſt in jugendlicher Ausgelaſſenheit zugebrachter Aufenthalt auf einer Univerſitaͤt, geweſen iſt, glauben zum Scherzen aufgelegt zu ſeyn, weil ſie muth- willig ſeyn koͤnnen. Doch ſind wir auch nicht ganz von Maͤnnern ent- bloͤßt, die in wahrem Geſchmak zu ſcherzen wußten. Schon vor mehr, als zweyhundert Jahren, machte der Straßburgiſche Rechtsgelehrte, Johann Fiſchart, durch aͤchtes Scherzen dem deutſchen Wiz Ehre. Logau und Wernike wußten zu einer Zeit, da die deutſche Litteratur noch in der Kindheit war, nicht ohne Feinheit zu ſcherzen. Aber Hagedorn hat, wie in manchem andern Punkt des guten Geſchmaks, alſo auch hierin die Bahn erſt recht eroͤffnet. Liſcov, Roſt und Rabner ſind bekannt genug, und auch Za- chariaͤ, wie wol er ſich an weniger intereſſante Ge- genſtaͤnde gemacht, hat in ſeinen comiſchen Gedich- ten die Gabe zum Scherzen gezeiget. Daß Wieland den feineſten Scherz in ſeiner Gewalt habe, hat er bis zum Ueberfluß gezeiget. Nur Schade, daß ſeine Muſe durch die Geſellſchaft unzuͤchtiger Faune an ihrer ehemaligen Keuſchheit großen Schaden gelitten. Dieſer Mann, deſſen großes Genie und außeror- dentlichen Talente ich ſo ſehr, als jemand erkenne, nehme es mir nicht uͤbel, wenn ich hier frey geſtehe, daß es mir noch nie begreiflich geworden, wie ſein ſo ſcharfer Verſtand ihm hat erlauben koͤnnen, ge- wiſſe Stellen in ſeinen comiſchen Gedichten, die die muthwilligſte Phantaſie entworfen hat, ſtehen zu laſſen. Die ſo ſeltene Gabe zu ſcherzen, die er in einem hohen Grad beſizt, und an ſo vielen Stellen ſeiner Schriften ſo gluͤklich angewendet hat, ſollte er ſie nicht als ein koſtbares Geſchenk der Natur anſe- hen, die nie zu Reizung gewiſſer Luͤſte, die an ſich ſchon zu viel Reizung haben, anzuwenden iſt? Der Jugend iſt offenbar mit ſolchen Reizungen nicht ge- dienet (†); und erſchoͤpfte Wolluͤſtlinge verdienen die wol, daß ein Mann von Verſtand ihnen helfe die Einbildungskraft zu erhizen? Schiff. (Baukunſt.) So nennt man in großen Kirchen, deren inwendi- ger Raum drey Hauptabtheilungen hat, den Haupt- raum in der Mitte, zum Unterſchied der beyden ſchmaͤlern Seiten-Abtheilungen, die man Abſeiten nennt, und die eigentlich nur als Gaͤnge nach dem Schiff anzuſehen ſind; wie wol ſie auch ofte noch, wie das Schiff, Size fuͤr die Zuhoͤrer haben. Es iſt ſchwerlich zu ſagen, woher dieſer Raum den Namen bekommen habe, der auch im franzoͤſiſchen Nèf heißt, welches ehedem auch ein Schiff bedeutete. Denn es iſt kaum wahrſcheinlich, daß das griechiſche Wort ναος, welches den innern Raum eines Tempels be- deutet, mit dem Worte ναυς, das ein Schiff bedeu- tet, ſollte verwechſelt worden, und daher der Na- me Schiff entſtanden ſeyn. Schiklich. (Schoͤne Kuͤnſte.) Man nennt in uͤberlegten Handlungen und Werken dasjenige ſchiklich, was zwar nach der Natur der Sache nicht ganz nothwendig, aber doch ſo natuͤr- lich erwartet wird, daß der Mangel deſſelben, als eine Unvollkommenheit wuͤrde bemerkt werden. Es iſt eben nicht nothwendig, aber ſchiklich, daß ver- ſchiedene Staͤnde und Alter der Menſchen auch in der Kleidung etwas unterſcheidendes haben; unſchik- lich (†) Jch erſtaunte, als ich ganz neulich aus der halli- ſchen gelehrten Zeitung vernahm, daß ein gewiſſer Schul- mann in Sachſen, einige auserleſene Stuͤke des Lucians, die er in griechiſcher Sprach fuͤr ſeine Schuͤler abdruken laſſen, hier und da mit Stellen aus Wielands comiſchen Gedichten erlaͤutert habe. Man ſehe in den halliſchen neuen gelehrten Zeitungen das 95 Stuͤk vom Jahr 1773. Man ſiehet hieraus, wie ſo gar leicht gewiſſe Dinge von Unverſtaͤndigen gemißbraucht werden! hat denn die Ju- gend noͤthig zum Muthwillen angefuͤhrt zu werden? Wird ſich nicht Hr. Wieland aͤrgern, daß man das, was er fuͤr Maͤnner, und zwar nur fuͤr die feinern Koͤpfe geſchrieben hat, den Schulknaben zum Spiehl vorlegt?

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1032[1014]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/461>, abgerufen am 29.04.2024.