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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Die Quarte bey der zweyten Note macht gegen die
Quinte eine Secunde, oder umgekehrte Septime;
aber Niemand, als Rameau und die, die ihm blind-
lings folgen, wird sich einfallen lassen, hier den Sep-
timenaccord von A zum Grunde zu legen, da von
diesem Grundton sich in der Harmonie eine verdop-
pelte Quarte befindet, wovon weder die eine noch
die andere aufgelöset wird. Mit der None des fol-
gendes Taktes hat es dieselbe Bewandniß; die
Quinte die wesentlich zu dem Grundaccord gehöret,
kann zu dem Accord gar nicht angeschlagen werden.
Wer fühlt nicht, daß sowol die Quarte als None
hier blos zufällige Vorhalte vor der Terz und Octave
seyen, worin sie alsbald aufgelöset werden, und daß
die Grundharmonien des Exempels folgende simple
Dreyklänge seyen?

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Serenade.
(Poesie; Musik.)

Ein Lied von einer besondern Art, das bestimmt ist
einer Person zu Ehren unter ihrem Fenster abgesun-
gen zu werden. Sie ist also von verliebtem oder
wenigstens galantem Jnhalt. Die Griechen haben
sie vermuthlich eingeführt, und die Ausleger des
Horaz merken an, daß in der Ode an die Lydia (*)
die Worte:

Audis minus et minus jam,
Me tuo longas perennte noctes,
Lydia, dormis?

auf eine solche Serenade sich beziehen, und daß die
zwey lezten Verse, vermuthlich aus einer damals be-
kannten Serenade genommen sind. Die Griechen
nannten sie sehr artig paraklausithuron, welches
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Ser
so viel bedeutet, als ein klägliches Lied vor der
Thüre gesungen.

Jn Spanien und Jtalien ist diese Galanterie ge-
bräuchlicher, als bey uns. Die Mode der Sere-
naden macht einer Nation eben keine Unehre; we-
nigstens scheinet sie ein Beweis einer einfachen, na-
türlichen und unschuldigen Lebensart. Jn den Sit-
ten, nach welchen ein Jüngling Scheuhe tragen
muß seine Liebe, oder auch blos unschuldige Galan-
terie gegen ein Mädchen, die noch nicht die Seinige
ist, durch eine Serenade an den Tag zu legen, ist
schon etwas verdächtiges, oder würklich unrichtiges.

Man giebt auch bisweilen den Namen der Sere-
naden der Musik, wenn sie auch blos Jnstrumental
wäre, die man etwa gewissen Personen zu Ehren,
oder als einen Glükwunsch, bey angehender Nacht,
vor ihren Häusern aufführet, und die man insge-
mein im deutschen Ständchen nennet.

Eine solche Musik ist um so viel angenehmer, da
die Stille der Nacht ihren Eindruk natürlicher Weise
vermehret.

Der Tonsezer, der eine gute Serenade machen
will, sie sey über einen Text, oder blos für Jnstru-
mente, hat sich vorzüglich eines einfachen, sehr
fließenden Gesanges zu befleißigen; mehr consoni-
rend, als dissonirend zu sezen, und vornehmlich
solche Jnstrumente zur Begleitung zu wählen, die
in freyer Luft die beste Würkung thun.

Serenata.
(Musik.)

So nennet man in Jtalien eine besondere Art der
Musik, worüber mir folgende Beschreibung von ei-
nem Freund mitgetheilet worden.

Die Serenate ist eine dramatisch vom Poeten ab-
gehandelte Geschichte, oder andere Materie, welche,
in Musik gesezt, aufgeführet wird. Dies kann auf
dem Theater oder im Zimmer geschehen. Jhr
Hauptunterschied von der Oper ist: 1) daß sie nicht
mit Action, und nicht mit theatralischen Kleidungen
auch nicht mit abwechselnden Decorationen, zuwei-
len nicht einmal mit eigentlichen Decorationen, auf-
geführet wird; und 2) daß sie nicht so ausführlich
und lang ist, als eine Oper, sondern gemeiniglich
nur aus zwo Abtheilungen besteht. Den Namen
hat sie von der Zeit, wenn sie gemeiniglich aufgefüh-
ret wird. Jst die Materie aus der Bibel: oder
sonst aus der geistlichen Geschichte: so heißt sie Ora-

torium.
(*) L. l.
Od.
25.
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Sep
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Die Quarte bey der zweyten Note macht gegen die
Quinte eine Secunde, oder umgekehrte Septime;
aber Niemand, als Rameau und die, die ihm blind-
lings folgen, wird ſich einfallen laſſen, hier den Sep-
timenaccord von A zum Grunde zu legen, da von
dieſem Grundton ſich in der Harmonie eine verdop-
pelte Quarte befindet, wovon weder die eine noch
die andere aufgeloͤſet wird. Mit der None des fol-
gendes Taktes hat es dieſelbe Bewandniß; die
Quinte die weſentlich zu dem Grundaccord gehoͤret,
kann zu dem Accord gar nicht angeſchlagen werden.
Wer fuͤhlt nicht, daß ſowol die Quarte als None
hier blos zufaͤllige Vorhalte vor der Terz und Octave
ſeyen, worin ſie alsbald aufgeloͤſet werden, und daß
die Grundharmonien des Exempels folgende ſimple
Dreyklaͤnge ſeyen?

[Abbildung]
Serenade.
(Poeſie; Muſik.)

Ein Lied von einer beſondern Art, das beſtimmt iſt
einer Perſon zu Ehren unter ihrem Fenſter abgeſun-
gen zu werden. Sie iſt alſo von verliebtem oder
wenigſtens galantem Jnhalt. Die Griechen haben
ſie vermuthlich eingefuͤhrt, und die Ausleger des
Horaz merken an, daß in der Ode an die Lydia (*)
die Worte:

Audis minus et minus jam,
Me tuo longas perennte noctes,
Lydia, dormis?

auf eine ſolche Serenade ſich beziehen, und daß die
zwey lezten Verſe, vermuthlich aus einer damals be-
kannten Serenade genommen ſind. Die Griechen
nannten ſie ſehr artig παρακλαυσίθυρον, welches
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Ser
ſo viel bedeutet, als ein klaͤgliches Lied vor der
Thuͤre geſungen.

Jn Spanien und Jtalien iſt dieſe Galanterie ge-
braͤuchlicher, als bey uns. Die Mode der Sere-
naden macht einer Nation eben keine Unehre; we-
nigſtens ſcheinet ſie ein Beweis einer einfachen, na-
tuͤrlichen und unſchuldigen Lebensart. Jn den Sit-
ten, nach welchen ein Juͤngling Scheuhe tragen
muß ſeine Liebe, oder auch blos unſchuldige Galan-
terie gegen ein Maͤdchen, die noch nicht die Seinige
iſt, durch eine Serenade an den Tag zu legen, iſt
ſchon etwas verdaͤchtiges, oder wuͤrklich unrichtiges.

Man giebt auch bisweilen den Namen der Sere-
naden der Muſik, wenn ſie auch blos Jnſtrumental
waͤre, die man etwa gewiſſen Perſonen zu Ehren,
oder als einen Gluͤkwunſch, bey angehender Nacht,
vor ihren Haͤuſern auffuͤhret, und die man insge-
mein im deutſchen Staͤndchen nennet.

Eine ſolche Muſik iſt um ſo viel angenehmer, da
die Stille der Nacht ihren Eindruk natuͤrlicher Weiſe
vermehret.

Der Tonſezer, der eine gute Serenade machen
will, ſie ſey uͤber einen Text, oder blos fuͤr Jnſtru-
mente, hat ſich vorzuͤglich eines einfachen, ſehr
fließenden Geſanges zu befleißigen; mehr conſoni-
rend, als diſſonirend zu ſezen, und vornehmlich
ſolche Jnſtrumente zur Begleitung zu waͤhlen, die
in freyer Luft die beſte Wuͤrkung thun.

Serenata.
(Muſik.)

So nennet man in Jtalien eine beſondere Art der
Muſik, woruͤber mir folgende Beſchreibung von ei-
nem Freund mitgetheilet worden.

Die Serenate iſt eine dramatiſch vom Poeten ab-
gehandelte Geſchichte, oder andere Materie, welche,
in Muſik geſezt, aufgefuͤhret wird. Dies kann auf
dem Theater oder im Zimmer geſchehen. Jhr
Hauptunterſchied von der Oper iſt: 1) daß ſie nicht
mit Action, und nicht mit theatraliſchen Kleidungen
auch nicht mit abwechſelnden Decorationen, zuwei-
len nicht einmal mit eigentlichen Decorationen, auf-
gefuͤhret wird; und 2) daß ſie nicht ſo ausfuͤhrlich
und lang iſt, als eine Oper, ſondern gemeiniglich
nur aus zwo Abtheilungen beſteht. Den Namen
hat ſie von der Zeit, wenn ſie gemeiniglich aufgefuͤh-
ret wird. Jſt die Materie aus der Bibel: oder
ſonſt aus der geiſtlichen Geſchichte: ſo heißt ſie Ora-

torium.
(*) L. l.
Od.
25.
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[1071[1053]/0500] Sep Ser [Abbildung] Die Quarte bey der zweyten Note macht gegen die Quinte eine Secunde, oder umgekehrte Septime; aber Niemand, als Rameau und die, die ihm blind- lings folgen, wird ſich einfallen laſſen, hier den Sep- timenaccord von A zum Grunde zu legen, da von dieſem Grundton ſich in der Harmonie eine verdop- pelte Quarte befindet, wovon weder die eine noch die andere aufgeloͤſet wird. Mit der None des fol- gendes Taktes hat es dieſelbe Bewandniß; die Quinte die weſentlich zu dem Grundaccord gehoͤret, kann zu dem Accord gar nicht angeſchlagen werden. Wer fuͤhlt nicht, daß ſowol die Quarte als None hier blos zufaͤllige Vorhalte vor der Terz und Octave ſeyen, worin ſie alsbald aufgeloͤſet werden, und daß die Grundharmonien des Exempels folgende ſimple Dreyklaͤnge ſeyen? [Abbildung] Serenade. (Poeſie; Muſik.) Ein Lied von einer beſondern Art, das beſtimmt iſt einer Perſon zu Ehren unter ihrem Fenſter abgeſun- gen zu werden. Sie iſt alſo von verliebtem oder wenigſtens galantem Jnhalt. Die Griechen haben ſie vermuthlich eingefuͤhrt, und die Ausleger des Horaz merken an, daß in der Ode an die Lydia (*) die Worte: Audis minus et minus jam, Me tuo longas perennte noctes, Lydia, dormis? auf eine ſolche Serenade ſich beziehen, und daß die zwey lezten Verſe, vermuthlich aus einer damals be- kannten Serenade genommen ſind. Die Griechen nannten ſie ſehr artig παρακλαυσίθυρον, welches ſo viel bedeutet, als ein klaͤgliches Lied vor der Thuͤre geſungen. Jn Spanien und Jtalien iſt dieſe Galanterie ge- braͤuchlicher, als bey uns. Die Mode der Sere- naden macht einer Nation eben keine Unehre; we- nigſtens ſcheinet ſie ein Beweis einer einfachen, na- tuͤrlichen und unſchuldigen Lebensart. Jn den Sit- ten, nach welchen ein Juͤngling Scheuhe tragen muß ſeine Liebe, oder auch blos unſchuldige Galan- terie gegen ein Maͤdchen, die noch nicht die Seinige iſt, durch eine Serenade an den Tag zu legen, iſt ſchon etwas verdaͤchtiges, oder wuͤrklich unrichtiges. Man giebt auch bisweilen den Namen der Sere- naden der Muſik, wenn ſie auch blos Jnſtrumental waͤre, die man etwa gewiſſen Perſonen zu Ehren, oder als einen Gluͤkwunſch, bey angehender Nacht, vor ihren Haͤuſern auffuͤhret, und die man insge- mein im deutſchen Staͤndchen nennet. Eine ſolche Muſik iſt um ſo viel angenehmer, da die Stille der Nacht ihren Eindruk natuͤrlicher Weiſe vermehret. Der Tonſezer, der eine gute Serenade machen will, ſie ſey uͤber einen Text, oder blos fuͤr Jnſtru- mente, hat ſich vorzuͤglich eines einfachen, ſehr fließenden Geſanges zu befleißigen; mehr conſoni- rend, als diſſonirend zu ſezen, und vornehmlich ſolche Jnſtrumente zur Begleitung zu waͤhlen, die in freyer Luft die beſte Wuͤrkung thun. Serenata. (Muſik.) So nennet man in Jtalien eine beſondere Art der Muſik, woruͤber mir folgende Beſchreibung von ei- nem Freund mitgetheilet worden. Die Serenate iſt eine dramatiſch vom Poeten ab- gehandelte Geſchichte, oder andere Materie, welche, in Muſik geſezt, aufgefuͤhret wird. Dies kann auf dem Theater oder im Zimmer geſchehen. Jhr Hauptunterſchied von der Oper iſt: 1) daß ſie nicht mit Action, und nicht mit theatraliſchen Kleidungen auch nicht mit abwechſelnden Decorationen, zuwei- len nicht einmal mit eigentlichen Decorationen, auf- gefuͤhret wird; und 2) daß ſie nicht ſo ausfuͤhrlich und lang iſt, als eine Oper, ſondern gemeiniglich nur aus zwo Abtheilungen beſteht. Den Namen hat ſie von der Zeit, wenn ſie gemeiniglich aufgefuͤh- ret wird. Jſt die Materie aus der Bibel: oder ſonſt aus der geiſtlichen Geſchichte: ſo heißt ſie Ora- torium. (*) L. l. Od. 25. R r r r r r 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1071[1053]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/500>, abgerufen am 29.04.2024.