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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Sol
Stüken von verschiedener Bewegung (*) und hat
gemeiniglich blos die Geschiklichkeit des Solospielers
Schwierigkeiten vorzutragen, und die Annehmlich-
keit des Jnstruments zu zeigen, zum Endzwek.
Daher wird bey der Composition desselben insgemein
weniger auf einen reinen Saz und sangbare Melodie,
noch auf Charakter und Ausdruk, sondern oft blos
auf unerwartete Fortschreitungen, fremde und
schweere Passagen, übernatürliche hohe Töne, Sprün-
ge, Läufer, Doppeltriller und dergleichen Schwie-
rigkeiten, die auf das geschikteste vorgetragen wer-
den müssen, wenn sie gefaßt werden sollen, gesehen;
und die Ausführung hat weniger den Zwek, zu rüh-
ren, als Bewundrung zu erregen. Wenn ein Solo-
spiehler die geringste Anlage zur Composition bey sich
fühlet, und es so weit gebracht hat, daß er das, was
er auf seinem Jnstrument herausklaubt, zu Papier
bringen kann, so sezt er sich seine Solos selbst, weil
Niemand ihm sie zu Dank machen kann, und weil
Niemand, als er selbst, besser wissen kann, was er
auf seinem Jnstrument herauszubringen fähig ist.
Er sezt das Adagio oft in ganz simpeln Noten, die,
wenn man sie singt, ohne Rhythmus, ohne Gesang
und ohne Geschmak sind; aber seine Phantasie weiß
sie im Vortrag mit so vielen Feinheiten und Colora-
turen zu verbrämen, daß es in Wahrheit eine Lust
ist, zu sehen wie andere ihm zuhören. Oft enthält
ein Solo auch blos anscheinende Hauptschwierigkei-
ten, dergleichen ist das Flageolet oder das Pizzicato
während dem Spielen auf der Violine, das Har-
peggio, oder das Händeüberschlagen auf dem Clavier,
und lange Triller, oder Läufer durch die Tonleiter
herauf und herunter, auf den mehresten Jnstrumen-
ten; mit sechs solchen auswendig gelernten Solos
erregt ein Solospieler oft die Bewunderung der gan-
zen Welt. Fehlet ihm gleich dabey das Vermögen,
einen einzigen Takt aus den Ripienstimmen, wie es
sich gehört, mitspielen zu können; so wird ihm doch
nur von Wenigen, die es verstehen, der Name
eines Virtuosen versagt.

So sind die schlechten und die mehresten Solos
und Solospiehler beschaffen. Ein guter Solospieh-
ler ist zugleich ein guter Ripienist, und hat er den
Vortrag in seiner Gewalt, so sucht er Ausdruk da-
rein zu bringen, und nicht sowol durch seine Fertig-
keit zu frappiren, als durch die leidenschaftlichen Tö-
ne, die er seinem Jnstrument erpreßt, auf das Herz
seiner Zuhörer zu würken. Ein gutes Solo ist eben
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Son
das, was wir eine gute Sonate nennen; hievon
wird im folgenden Artikel umständlicher gesprochen
werden. Zur Uebung der Fertigkeit und des guten
Vortrages sind die Solos von mannichfaltiger
Art, jedem Jnstrumentspiehler die unentbehrlichsten
Stüke.

Jn Concerten heißen die Theile der Hauptstimme,
wo die übrigen Jnstrumenten blos accompagniren
oder pausiren, Solo. (*)

Jn vielstimmigen Stüken, wo jede Stimme mehr
als einfach besezt ist, bedient man sich, fürnehmlich
in den Singstimmen, des Solo oft statt des Piano:
alsdenn singt nur einer von der Stimme, und die
übrigen schweigen so lange, bis das Wort Tutti ih-
nen anzeigt, das sie wieder eintreten sollen.

Sonate.
(Musik)

Ein Jnstrumentalstük von zwey, drey oder vier auf
einander folgenden Theilen von verschiedenem Cha-
rakter, das entweder nur eine oder mehrere Haupt-
stimmen hat, die aber nur einfach besezt sind: nach-
dem es aus einer oder mehreren gegen einander
concertirenden Hauptstimmen besteht, wird es So-
nata a solo, a due, a tre &c.
genennet.

Die Jnstrumentalmusik hat in keiner Form be-
quemere Gelegenheit, ihr Vermögen, ohne Worte
Empfindungen zu schildern, an den Tag zu legen,
als in der Sonate. Die Symphonie, die Ouver-
türe, haben einen näher bestimmten Charakter; die
Form eines Concertes scheint mehr zur Absicht zu
haben, einem geschikten Spieler Gelegenheit zu ge-
ben, sich in Begleitung vieler Jnstrumente hören zu
lassen, als zur Schilderung der Leidenschaften ange-
wendet zu werden. Außer diesen und den Tän-
zen, die auch ihren eigenen Charakter haben, giebt
es in der Jnstrumentalmusik nur noch die Form der
Sonate, die alle Charaktere und jeden Ausdruk an-
nihmt. Der Tonsezer kann bey einer Sonate
die Absicht haben, in Tönen der Traurigkeit, des
Jammers, des Schmerzens, oder der Zärtlichkeit,
oder des Vergnügens und der Fröhlichkeit ein Mo-
nolog auszudrüken; oder ein empfindsames Ge-
spräch in blos leidenschaftlichen Tönen unter glei-
chen, oder von einander abstechenden Charakteren zu
unterhalten; oder blos heftige, stürmende, oder
contrastirende, oder leicht und sanft fortfließende er-
gözende Gemüthsbewegungen zu schildern. Freylich

haben
(*) S.
Sonate.
(*) S.
Concert.

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Sol
Stuͤken von verſchiedener Bewegung (*) und hat
gemeiniglich blos die Geſchiklichkeit des Soloſpielers
Schwierigkeiten vorzutragen, und die Annehmlich-
keit des Jnſtruments zu zeigen, zum Endzwek.
Daher wird bey der Compoſition deſſelben insgemein
weniger auf einen reinen Saz und ſangbare Melodie,
noch auf Charakter und Ausdruk, ſondern oft blos
auf unerwartete Fortſchreitungen, fremde und
ſchweere Paſſagen, uͤbernatuͤrliche hohe Toͤne, Spruͤn-
ge, Laͤufer, Doppeltriller und dergleichen Schwie-
rigkeiten, die auf das geſchikteſte vorgetragen wer-
den muͤſſen, wenn ſie gefaßt werden ſollen, geſehen;
und die Ausfuͤhrung hat weniger den Zwek, zu ruͤh-
ren, als Bewundrung zu erregen. Wenn ein Solo-
ſpiehler die geringſte Anlage zur Compoſition bey ſich
fuͤhlet, und es ſo weit gebracht hat, daß er das, was
er auf ſeinem Jnſtrument herausklaubt, zu Papier
bringen kann, ſo ſezt er ſich ſeine Solos ſelbſt, weil
Niemand ihm ſie zu Dank machen kann, und weil
Niemand, als er ſelbſt, beſſer wiſſen kann, was er
auf ſeinem Jnſtrument herauszubringen faͤhig iſt.
Er ſezt das Adagio oft in ganz ſimpeln Noten, die,
wenn man ſie ſingt, ohne Rhythmus, ohne Geſang
und ohne Geſchmak ſind; aber ſeine Phantaſie weiß
ſie im Vortrag mit ſo vielen Feinheiten und Colora-
turen zu verbraͤmen, daß es in Wahrheit eine Luſt
iſt, zu ſehen wie andere ihm zuhoͤren. Oft enthaͤlt
ein Solo auch blos anſcheinende Hauptſchwierigkei-
ten, dergleichen iſt das Flageolet oder das Pizzicato
waͤhrend dem Spielen auf der Violine, das Har-
peggio, oder das Haͤndeuͤberſchlagen auf dem Clavier,
und lange Triller, oder Laͤufer durch die Tonleiter
herauf und herunter, auf den mehreſten Jnſtrumen-
ten; mit ſechs ſolchen auswendig gelernten Solos
erregt ein Soloſpieler oft die Bewunderung der gan-
zen Welt. Fehlet ihm gleich dabey das Vermoͤgen,
einen einzigen Takt aus den Ripienſtimmen, wie es
ſich gehoͤrt, mitſpielen zu koͤnnen; ſo wird ihm doch
nur von Wenigen, die es verſtehen, der Name
eines Virtuoſen verſagt.

So ſind die ſchlechten und die mehreſten Solos
und Soloſpiehler beſchaffen. Ein guter Soloſpieh-
ler iſt zugleich ein guter Ripieniſt, und hat er den
Vortrag in ſeiner Gewalt, ſo ſucht er Ausdruk da-
rein zu bringen, und nicht ſowol durch ſeine Fertig-
keit zu frappiren, als durch die leidenſchaftlichen Toͤ-
ne, die er ſeinem Jnſtrument erpreßt, auf das Herz
ſeiner Zuhoͤrer zu wuͤrken. Ein gutes Solo iſt eben
[Spaltenumbruch]

Son
das, was wir eine gute Sonate nennen; hievon
wird im folgenden Artikel umſtaͤndlicher geſprochen
werden. Zur Uebung der Fertigkeit und des guten
Vortrages ſind die Solos von mannichfaltiger
Art, jedem Jnſtrumentſpiehler die unentbehrlichſten
Stuͤke.

Jn Concerten heißen die Theile der Hauptſtimme,
wo die uͤbrigen Jnſtrumenten blos accompagniren
oder pauſiren, Solo. (*)

Jn vielſtimmigen Stuͤken, wo jede Stimme mehr
als einfach beſezt iſt, bedient man ſich, fuͤrnehmlich
in den Singſtimmen, des Solo oft ſtatt des Piano:
alsdenn ſingt nur einer von der Stimme, und die
uͤbrigen ſchweigen ſo lange, bis das Wort Tutti ih-
nen anzeigt, das ſie wieder eintreten ſollen.

Sonate.
(Muſik)

Ein Jnſtrumentalſtuͤk von zwey, drey oder vier auf
einander folgenden Theilen von verſchiedenem Cha-
rakter, das entweder nur eine oder mehrere Haupt-
ſtimmen hat, die aber nur einfach beſezt ſind: nach-
dem es aus einer oder mehreren gegen einander
concertirenden Hauptſtimmen beſteht, wird es So-
nata a ſolo, a due, a tré &c.
genennet.

Die Jnſtrumentalmuſik hat in keiner Form be-
quemere Gelegenheit, ihr Vermoͤgen, ohne Worte
Empfindungen zu ſchildern, an den Tag zu legen,
als in der Sonate. Die Symphonie, die Ouver-
tuͤre, haben einen naͤher beſtimmten Charakter; die
Form eines Concertes ſcheint mehr zur Abſicht zu
haben, einem geſchikten Spieler Gelegenheit zu ge-
ben, ſich in Begleitung vieler Jnſtrumente hoͤren zu
laſſen, als zur Schilderung der Leidenſchaften ange-
wendet zu werden. Außer dieſen und den Taͤn-
zen, die auch ihren eigenen Charakter haben, giebt
es in der Jnſtrumentalmuſik nur noch die Form der
Sonate, die alle Charaktere und jeden Ausdruk an-
nihmt. Der Tonſezer kann bey einer Sonate
die Abſicht haben, in Toͤnen der Traurigkeit, des
Jammers, des Schmerzens, oder der Zaͤrtlichkeit,
oder des Vergnuͤgens und der Froͤhlichkeit ein Mo-
nolog auszudruͤken; oder ein empfindſames Ge-
ſpraͤch in blos leidenſchaftlichen Toͤnen unter glei-
chen, oder von einander abſtechenden Charakteren zu
unterhalten; oder blos heftige, ſtuͤrmende, oder
contraſtirende, oder leicht und ſanft fortfließende er-
goͤzende Gemuͤthsbewegungen zu ſchildern. Freylich

haben
(*) S.
Sonate.
(*) S.
Concert.
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[1094[1076]/0523] Sol Son Stuͤken von verſchiedener Bewegung (*) und hat gemeiniglich blos die Geſchiklichkeit des Soloſpielers Schwierigkeiten vorzutragen, und die Annehmlich- keit des Jnſtruments zu zeigen, zum Endzwek. Daher wird bey der Compoſition deſſelben insgemein weniger auf einen reinen Saz und ſangbare Melodie, noch auf Charakter und Ausdruk, ſondern oft blos auf unerwartete Fortſchreitungen, fremde und ſchweere Paſſagen, uͤbernatuͤrliche hohe Toͤne, Spruͤn- ge, Laͤufer, Doppeltriller und dergleichen Schwie- rigkeiten, die auf das geſchikteſte vorgetragen wer- den muͤſſen, wenn ſie gefaßt werden ſollen, geſehen; und die Ausfuͤhrung hat weniger den Zwek, zu ruͤh- ren, als Bewundrung zu erregen. Wenn ein Solo- ſpiehler die geringſte Anlage zur Compoſition bey ſich fuͤhlet, und es ſo weit gebracht hat, daß er das, was er auf ſeinem Jnſtrument herausklaubt, zu Papier bringen kann, ſo ſezt er ſich ſeine Solos ſelbſt, weil Niemand ihm ſie zu Dank machen kann, und weil Niemand, als er ſelbſt, beſſer wiſſen kann, was er auf ſeinem Jnſtrument herauszubringen faͤhig iſt. Er ſezt das Adagio oft in ganz ſimpeln Noten, die, wenn man ſie ſingt, ohne Rhythmus, ohne Geſang und ohne Geſchmak ſind; aber ſeine Phantaſie weiß ſie im Vortrag mit ſo vielen Feinheiten und Colora- turen zu verbraͤmen, daß es in Wahrheit eine Luſt iſt, zu ſehen wie andere ihm zuhoͤren. Oft enthaͤlt ein Solo auch blos anſcheinende Hauptſchwierigkei- ten, dergleichen iſt das Flageolet oder das Pizzicato waͤhrend dem Spielen auf der Violine, das Har- peggio, oder das Haͤndeuͤberſchlagen auf dem Clavier, und lange Triller, oder Laͤufer durch die Tonleiter herauf und herunter, auf den mehreſten Jnſtrumen- ten; mit ſechs ſolchen auswendig gelernten Solos erregt ein Soloſpieler oft die Bewunderung der gan- zen Welt. Fehlet ihm gleich dabey das Vermoͤgen, einen einzigen Takt aus den Ripienſtimmen, wie es ſich gehoͤrt, mitſpielen zu koͤnnen; ſo wird ihm doch nur von Wenigen, die es verſtehen, der Name eines Virtuoſen verſagt. So ſind die ſchlechten und die mehreſten Solos und Soloſpiehler beſchaffen. Ein guter Soloſpieh- ler iſt zugleich ein guter Ripieniſt, und hat er den Vortrag in ſeiner Gewalt, ſo ſucht er Ausdruk da- rein zu bringen, und nicht ſowol durch ſeine Fertig- keit zu frappiren, als durch die leidenſchaftlichen Toͤ- ne, die er ſeinem Jnſtrument erpreßt, auf das Herz ſeiner Zuhoͤrer zu wuͤrken. Ein gutes Solo iſt eben das, was wir eine gute Sonate nennen; hievon wird im folgenden Artikel umſtaͤndlicher geſprochen werden. Zur Uebung der Fertigkeit und des guten Vortrages ſind die Solos von mannichfaltiger Art, jedem Jnſtrumentſpiehler die unentbehrlichſten Stuͤke. Jn Concerten heißen die Theile der Hauptſtimme, wo die uͤbrigen Jnſtrumenten blos accompagniren oder pauſiren, Solo. (*) Jn vielſtimmigen Stuͤken, wo jede Stimme mehr als einfach beſezt iſt, bedient man ſich, fuͤrnehmlich in den Singſtimmen, des Solo oft ſtatt des Piano: alsdenn ſingt nur einer von der Stimme, und die uͤbrigen ſchweigen ſo lange, bis das Wort Tutti ih- nen anzeigt, das ſie wieder eintreten ſollen. Sonate. (Muſik) Ein Jnſtrumentalſtuͤk von zwey, drey oder vier auf einander folgenden Theilen von verſchiedenem Cha- rakter, das entweder nur eine oder mehrere Haupt- ſtimmen hat, die aber nur einfach beſezt ſind: nach- dem es aus einer oder mehreren gegen einander concertirenden Hauptſtimmen beſteht, wird es So- nata a ſolo, a due, a tré &c. genennet. Die Jnſtrumentalmuſik hat in keiner Form be- quemere Gelegenheit, ihr Vermoͤgen, ohne Worte Empfindungen zu ſchildern, an den Tag zu legen, als in der Sonate. Die Symphonie, die Ouver- tuͤre, haben einen naͤher beſtimmten Charakter; die Form eines Concertes ſcheint mehr zur Abſicht zu haben, einem geſchikten Spieler Gelegenheit zu ge- ben, ſich in Begleitung vieler Jnſtrumente hoͤren zu laſſen, als zur Schilderung der Leidenſchaften ange- wendet zu werden. Außer dieſen und den Taͤn- zen, die auch ihren eigenen Charakter haben, giebt es in der Jnſtrumentalmuſik nur noch die Form der Sonate, die alle Charaktere und jeden Ausdruk an- nihmt. Der Tonſezer kann bey einer Sonate die Abſicht haben, in Toͤnen der Traurigkeit, des Jammers, des Schmerzens, oder der Zaͤrtlichkeit, oder des Vergnuͤgens und der Froͤhlichkeit ein Mo- nolog auszudruͤken; oder ein empfindſames Ge- ſpraͤch in blos leidenſchaftlichen Toͤnen unter glei- chen, oder von einander abſtechenden Charakteren zu unterhalten; oder blos heftige, ſtuͤrmende, oder contraſtirende, oder leicht und ſanft fortfließende er- goͤzende Gemuͤthsbewegungen zu ſchildern. Freylich haben (*) S. Sonate. (*) S. Concert.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1094[1076]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/523>, abgerufen am 29.04.2024.