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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Tan
tralische Tänze gearbeitet. Man giebt durchgehends
den Beauchamp, der unter Ludwig dem XIV der
erste Directeur de l'Academie de Danse gewesen,
für den ersten großen Meister der Kunst aus. Wir
haben aber schon anderswo angemerkt (*), daß die
ganze Kunst des theatralischen Tanzes der Neuern
bis auf die izige Zeit, für Personen von Geschmak
eben nichts sehr schäzbares gehabt habe. Man hat
erst seit wenig Jahren angefangen ihr eine Gestalt
zu geben, in welcher sie sich mit Ehren neben den
andern schönen Künsten zeigen kann, und dazu hat
der berühmte Noverre sowol durch seine Briefe über
den Tanz, als durch die von ihm erfundenen und
auf die Schaubühne gebrachten Ballete nicht wenig
beygetragen. Ein Mann von feinem Geschmak und
viel Erfahrung in allem, was zur Schaubühne ge-
hört, hält dafür, daß Hilverding in Wien den er-
sten Schritt zur wahren Vervollkommnung des thea-
tralischen Tanzes gemacht habe (+). Man kann
demnach hoffen, da nun ein so guter Grund zur Ver-
besserung der theatralischen Tanzkunst gelegt worden,
daß sie sich endlich in einer Gestalt zeigen werde, die
dem edlen Zwek und der Würde der schönen Künste
gemäß sey.

Tanzstük.
(Musik.)

Jeder Tanz, der ein Ganzes vorstellen soll, ver-
langt ein Geräusch neben sich, das in rhythmische
Glieder getheilt ist, nach denen der Tänzer seine
Schritte einrichtet, und wodurch die Regelmäßigkeit
und Ordnung des Tanzes sinnlich wird. Hiezu
wäre ein Jnstrument hinlänglich, das weiter nichts
musikalisches hätte, als daß es rhythmische Schläge
hören ließe, z. B. die Trommel, wodurch eine große
Anzahl Tänzer in gleichem Schritt erhalten werden
könnten; auch lehret uns die Geschichte, daß einige
wilde Nationen blos nach solchen lärmenden Trom-
melschlägen tanzen. Jndessen so vollständig der
Tanz auch bey einer solchen Vereinigung ungesitteter
Nationen seyn mag, so ist doch dieses nur der nie-
[Spaltenumbruch]

Tan
drigste Grad des Vergnügens, den die Tanzkunst
gewähren kann. Der Geschmak hat einen Ekel an
einem blos einförmigen Schalle, der das Ohr rüh-
ret, ohne es zu vergnügen; daher muß der Gesang,
oder etwas dem Gesang ähnliches, das mit dem
Charakter des Tanzes übereinstimmt, noch dazu
kommen, und indem das Aug an der Bewegung
des Tänzers Vergnügen findt, zugleich dem Ohre
Belustigung geben, damit der Tanz von beyden
Seiten interessant werde.

Der Gesang ist allen Menschen bey jeder Hand-
lung, die die Fröhlichkeit erzeugt, so natürlich, und
an sich selbst aller Arten von Rhythmus so fähig,
daß man Mühe hat, sich eine Nation, oder eine Ver-
sammlung von tanzenden Personen vorzustellen, die
nicht Tanz und Gesang mit einander vereinigen sollte.
Bey allen gesitteten Nationen älterer Zeit hatte der
Geschmak diesen Künsten noch die Poesie zugesellet,
und man tanzte nach Liedern, die gesungen wurden.
Es sey nun, daß man nach der Zeit mehr Tänze
als Lieder erfand, oder daß man bey den mannich-
faltigeren und schweereren Tanzfiguren, der Be-
schweerlichkeit des Singens wegen, sich begnügte, die
Lieder blos von Jnstrumenten spielen zu lassen, und
es hernach überdrüßig wurde, immer dieselben Me-
lodien zu hören, und andere an ihre Stelle sezte;
so ist doch gewiß, daß die mehresten Tanzstüke heu-
tiger Zeit blos Jnstrumentalstüke sind, und daß der-
selbe Tanz oft nach vielerley Tanzmelodien, die aber
alle dieselbe innere Einrichtung haben müssen, ge-
tanzt wird.

Es bleibt für die mehresten Tonsezer ein Geheim-
nis, gute Tanzstüke zu sezen, weil sie nicht genug
in allen Arten des Rhythmus geübt sind, die in den
Tänzen so mannichfaltig und oft so fremd und unge-
wöhnlich sind, und die hauptsächlich jeden Tanz cha-
rakterisiren. Die mehresten Tanzstüke enthalten gleich
in den ersten zwey oder vier Takten alle rhythmische
Schläge, die durchs ganze Stük vom Anfang bis
zu Ende wiederholet werden. Hierüber muß ein
leichter und variirter Gesang zusammengesezt wer-

den,
(*) Art.
Ballet.
(+) On peut assurer hardiment que nous n'avons connu
(jusqu'au tems de Hilverding) que le simple Alphabet de
la Danse. -- Des Spectateurs sroids & tranquilles ont ad-
mire nos pas, nos attitudes, nos mouvemens, notre ca-
dence, notre a. plomb, avec la meme indifference qu'on
admire des youx, des bouches, des nez, des mains, arti-
[Spaltenumbruch] stement crayonnes.
S. Festin de Pierre Ballet-Pantomime
compose par Mr. Angiolini & represente a Vienne en Octob.

1761. Die angeführte Stelle ist aus der Vorrede dieses
kleinen Werks, die Hn. Calzabigi zum Verfasser hat, ob-
gleich der Balletmeister Angiolini darin spricht.

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Tan
traliſche Taͤnze gearbeitet. Man giebt durchgehends
den Beauchamp, der unter Ludwig dem XIV der
erſte Directeur de l’Academie de Danſe geweſen,
fuͤr den erſten großen Meiſter der Kunſt aus. Wir
haben aber ſchon anderswo angemerkt (*), daß die
ganze Kunſt des theatraliſchen Tanzes der Neuern
bis auf die izige Zeit, fuͤr Perſonen von Geſchmak
eben nichts ſehr ſchaͤzbares gehabt habe. Man hat
erſt ſeit wenig Jahren angefangen ihr eine Geſtalt
zu geben, in welcher ſie ſich mit Ehren neben den
andern ſchoͤnen Kuͤnſten zeigen kann, und dazu hat
der beruͤhmte Noverre ſowol durch ſeine Briefe uͤber
den Tanz, als durch die von ihm erfundenen und
auf die Schaubuͤhne gebrachten Ballete nicht wenig
beygetragen. Ein Mann von feinem Geſchmak und
viel Erfahrung in allem, was zur Schaubuͤhne ge-
hoͤrt, haͤlt dafuͤr, daß Hilverding in Wien den er-
ſten Schritt zur wahren Vervollkommnung des thea-
traliſchen Tanzes gemacht habe (†). Man kann
demnach hoffen, da nun ein ſo guter Grund zur Ver-
beſſerung der theatraliſchen Tanzkunſt gelegt worden,
daß ſie ſich endlich in einer Geſtalt zeigen werde, die
dem edlen Zwek und der Wuͤrde der ſchoͤnen Kuͤnſte
gemaͤß ſey.

Tanzſtuͤk.
(Muſik.)

Jeder Tanz, der ein Ganzes vorſtellen ſoll, ver-
langt ein Geraͤuſch neben ſich, das in rhythmiſche
Glieder getheilt iſt, nach denen der Taͤnzer ſeine
Schritte einrichtet, und wodurch die Regelmaͤßigkeit
und Ordnung des Tanzes ſinnlich wird. Hiezu
waͤre ein Jnſtrument hinlaͤnglich, das weiter nichts
muſikaliſches haͤtte, als daß es rhythmiſche Schlaͤge
hoͤren ließe, z. B. die Trommel, wodurch eine große
Anzahl Taͤnzer in gleichem Schritt erhalten werden
koͤnnten; auch lehret uns die Geſchichte, daß einige
wilde Nationen blos nach ſolchen laͤrmenden Trom-
melſchlaͤgen tanzen. Jndeſſen ſo vollſtaͤndig der
Tanz auch bey einer ſolchen Vereinigung ungeſitteter
Nationen ſeyn mag, ſo iſt doch dieſes nur der nie-
[Spaltenumbruch]

Tan
drigſte Grad des Vergnuͤgens, den die Tanzkunſt
gewaͤhren kann. Der Geſchmak hat einen Ekel an
einem blos einfoͤrmigen Schalle, der das Ohr ruͤh-
ret, ohne es zu vergnuͤgen; daher muß der Geſang,
oder etwas dem Geſang aͤhnliches, das mit dem
Charakter des Tanzes uͤbereinſtimmt, noch dazu
kommen, und indem das Aug an der Bewegung
des Taͤnzers Vergnuͤgen findt, zugleich dem Ohre
Beluſtigung geben, damit der Tanz von beyden
Seiten intereſſant werde.

Der Geſang iſt allen Menſchen bey jeder Hand-
lung, die die Froͤhlichkeit erzeugt, ſo natuͤrlich, und
an ſich ſelbſt aller Arten von Rhythmus ſo faͤhig,
daß man Muͤhe hat, ſich eine Nation, oder eine Ver-
ſammlung von tanzenden Perſonen vorzuſtellen, die
nicht Tanz und Geſang mit einander vereinigen ſollte.
Bey allen geſitteten Nationen aͤlterer Zeit hatte der
Geſchmak dieſen Kuͤnſten noch die Poeſie zugeſellet,
und man tanzte nach Liedern, die geſungen wurden.
Es ſey nun, daß man nach der Zeit mehr Taͤnze
als Lieder erfand, oder daß man bey den mannich-
faltigeren und ſchweereren Tanzfiguren, der Be-
ſchweerlichkeit des Singens wegen, ſich begnuͤgte, die
Lieder blos von Jnſtrumenten ſpielen zu laſſen, und
es hernach uͤberdruͤßig wurde, immer dieſelben Me-
lodien zu hoͤren, und andere an ihre Stelle ſezte;
ſo iſt doch gewiß, daß die mehreſten Tanzſtuͤke heu-
tiger Zeit blos Jnſtrumentalſtuͤke ſind, und daß der-
ſelbe Tanz oft nach vielerley Tanzmelodien, die aber
alle dieſelbe innere Einrichtung haben muͤſſen, ge-
tanzt wird.

Es bleibt fuͤr die mehreſten Tonſezer ein Geheim-
nis, gute Tanzſtuͤke zu ſezen, weil ſie nicht genug
in allen Arten des Rhythmus geuͤbt ſind, die in den
Taͤnzen ſo mannichfaltig und oft ſo fremd und unge-
woͤhnlich ſind, und die hauptſaͤchlich jeden Tanz cha-
rakteriſiren. Die mehreſten Tanzſtuͤke enthalten gleich
in den erſten zwey oder vier Takten alle rhythmiſche
Schlaͤge, die durchs ganze Stuͤk vom Anfang bis
zu Ende wiederholet werden. Hieruͤber muß ein
leichter und variirter Geſang zuſammengeſezt wer-

den,
(*) Art.
Ballet.
(†) On peut aſſurer hardiment que nous n’avons connu
(jusqu’au tems de Hilverding) que le ſimple Alphabet de
la Danſe. — Des Spectateurs ſroids & tranquilles ont ad-
miré nos pas, nos attitudes, nos mouvemens, notre ca-
dence, notre à. plomb, avec la même indifference qu’on
admire des youx, des bouches, des nez, des mains, arti-
[Spaltenumbruch] ſtement crayonnés.
S. Feſtin de Pierre Ballet-Pantomime
compoſé par Mr. Angiolini & repréſenté à Vienne en Octob.

1761. Die angefuͤhrte Stelle iſt aus der Vorrede dieſes
kleinen Werks, die Hn. Calzabigi zum Verfaſſer hat, ob-
gleich der Balletmeiſter Angiolini darin ſpricht.
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[1144[1126]/0573] Tan Tan traliſche Taͤnze gearbeitet. Man giebt durchgehends den Beauchamp, der unter Ludwig dem XIV der erſte Directeur de l’Academie de Danſe geweſen, fuͤr den erſten großen Meiſter der Kunſt aus. Wir haben aber ſchon anderswo angemerkt (*), daß die ganze Kunſt des theatraliſchen Tanzes der Neuern bis auf die izige Zeit, fuͤr Perſonen von Geſchmak eben nichts ſehr ſchaͤzbares gehabt habe. Man hat erſt ſeit wenig Jahren angefangen ihr eine Geſtalt zu geben, in welcher ſie ſich mit Ehren neben den andern ſchoͤnen Kuͤnſten zeigen kann, und dazu hat der beruͤhmte Noverre ſowol durch ſeine Briefe uͤber den Tanz, als durch die von ihm erfundenen und auf die Schaubuͤhne gebrachten Ballete nicht wenig beygetragen. Ein Mann von feinem Geſchmak und viel Erfahrung in allem, was zur Schaubuͤhne ge- hoͤrt, haͤlt dafuͤr, daß Hilverding in Wien den er- ſten Schritt zur wahren Vervollkommnung des thea- traliſchen Tanzes gemacht habe (†). Man kann demnach hoffen, da nun ein ſo guter Grund zur Ver- beſſerung der theatraliſchen Tanzkunſt gelegt worden, daß ſie ſich endlich in einer Geſtalt zeigen werde, die dem edlen Zwek und der Wuͤrde der ſchoͤnen Kuͤnſte gemaͤß ſey. Tanzſtuͤk. (Muſik.) Jeder Tanz, der ein Ganzes vorſtellen ſoll, ver- langt ein Geraͤuſch neben ſich, das in rhythmiſche Glieder getheilt iſt, nach denen der Taͤnzer ſeine Schritte einrichtet, und wodurch die Regelmaͤßigkeit und Ordnung des Tanzes ſinnlich wird. Hiezu waͤre ein Jnſtrument hinlaͤnglich, das weiter nichts muſikaliſches haͤtte, als daß es rhythmiſche Schlaͤge hoͤren ließe, z. B. die Trommel, wodurch eine große Anzahl Taͤnzer in gleichem Schritt erhalten werden koͤnnten; auch lehret uns die Geſchichte, daß einige wilde Nationen blos nach ſolchen laͤrmenden Trom- melſchlaͤgen tanzen. Jndeſſen ſo vollſtaͤndig der Tanz auch bey einer ſolchen Vereinigung ungeſitteter Nationen ſeyn mag, ſo iſt doch dieſes nur der nie- drigſte Grad des Vergnuͤgens, den die Tanzkunſt gewaͤhren kann. Der Geſchmak hat einen Ekel an einem blos einfoͤrmigen Schalle, der das Ohr ruͤh- ret, ohne es zu vergnuͤgen; daher muß der Geſang, oder etwas dem Geſang aͤhnliches, das mit dem Charakter des Tanzes uͤbereinſtimmt, noch dazu kommen, und indem das Aug an der Bewegung des Taͤnzers Vergnuͤgen findt, zugleich dem Ohre Beluſtigung geben, damit der Tanz von beyden Seiten intereſſant werde. Der Geſang iſt allen Menſchen bey jeder Hand- lung, die die Froͤhlichkeit erzeugt, ſo natuͤrlich, und an ſich ſelbſt aller Arten von Rhythmus ſo faͤhig, daß man Muͤhe hat, ſich eine Nation, oder eine Ver- ſammlung von tanzenden Perſonen vorzuſtellen, die nicht Tanz und Geſang mit einander vereinigen ſollte. Bey allen geſitteten Nationen aͤlterer Zeit hatte der Geſchmak dieſen Kuͤnſten noch die Poeſie zugeſellet, und man tanzte nach Liedern, die geſungen wurden. Es ſey nun, daß man nach der Zeit mehr Taͤnze als Lieder erfand, oder daß man bey den mannich- faltigeren und ſchweereren Tanzfiguren, der Be- ſchweerlichkeit des Singens wegen, ſich begnuͤgte, die Lieder blos von Jnſtrumenten ſpielen zu laſſen, und es hernach uͤberdruͤßig wurde, immer dieſelben Me- lodien zu hoͤren, und andere an ihre Stelle ſezte; ſo iſt doch gewiß, daß die mehreſten Tanzſtuͤke heu- tiger Zeit blos Jnſtrumentalſtuͤke ſind, und daß der- ſelbe Tanz oft nach vielerley Tanzmelodien, die aber alle dieſelbe innere Einrichtung haben muͤſſen, ge- tanzt wird. Es bleibt fuͤr die mehreſten Tonſezer ein Geheim- nis, gute Tanzſtuͤke zu ſezen, weil ſie nicht genug in allen Arten des Rhythmus geuͤbt ſind, die in den Taͤnzen ſo mannichfaltig und oft ſo fremd und unge- woͤhnlich ſind, und die hauptſaͤchlich jeden Tanz cha- rakteriſiren. Die mehreſten Tanzſtuͤke enthalten gleich in den erſten zwey oder vier Takten alle rhythmiſche Schlaͤge, die durchs ganze Stuͤk vom Anfang bis zu Ende wiederholet werden. Hieruͤber muß ein leichter und variirter Geſang zuſammengeſezt wer- den, (*) Art. Ballet. (†) On peut aſſurer hardiment que nous n’avons connu (jusqu’au tems de Hilverding) que le ſimple Alphabet de la Danſe. — Des Spectateurs ſroids & tranquilles ont ad- miré nos pas, nos attitudes, nos mouvemens, notre ca- dence, notre à. plomb, avec la même indifference qu’on admire des youx, des bouches, des nez, des mains, arti- ſtement crayonnés. S. Feſtin de Pierre Ballet-Pantomime compoſé par Mr. Angiolini & repréſenté à Vienne en Octob. 1761. Die angefuͤhrte Stelle iſt aus der Vorrede dieſes kleinen Werks, die Hn. Calzabigi zum Verfaſſer hat, ob- gleich der Balletmeiſter Angiolini darin ſpricht.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1144[1126]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/573>, abgerufen am 29.04.2024.