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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Tra
druks zurüke lassen. Daher wir den Verlust so vie-
ler hundert griechischer Trauerspiehle sehr bedauren.
Denn die Griechen haben eine große Menge tragi-
scher Dichter gehabt, deren Verzeichniß beym Fa-
bricius (*) zu finden. Die Anzahl der Stüke, de-
ren die Alten erwähnen, beläuft sich weit über tau-
send, davon kaum noch dreyßig übrig sind, welche
den Aeschylus, den Sophokles und den Euripides
zu Verfassern haben.

Die Römer waren, wie es scheint, auch in die-
sem Stük weit hinter den Griechen zurük geblieben.
Die einzigen römischen Trauerspiehle, die wir unter
dem Namen des Seneka noch haben, sind noch wei-
ter hinter der Vollkommenheit der griechischen Stüke
zurük, als die guten Stüke der Neuern. Doch
scheint es, daß sie auch gute Trauerspiehle gehabt,
in deren Vorstellung man sich mit großer Gewalt
gedrängt hat. "Suche reich zu werden, sagt Ho-
raz; es sey mit Recht oder Unrecht, damit du nur
die Trauerspiehle des Pupius in der Nähe sehen kön-
nest.
(+)" Es scheinet, daß unter den Neuern die
Spanier zuerst das Trauerspiehl wieder nach der gu-
ten Art der Alten einzuführen gesucht haben. Ein
spanischer Schriftsteller (++) versichert, daß schon im
Jahr 1533 Fernand Peres de Oliva zwey gute
Trauerspiele, die Rache des Agamemnon und die
betrübte Hekuba
geschrieben habe. Jn Frankreich
sind die ersten guten Trauerspiehle von P. Corneille
auf die Bühne gebracht worden, und gleich nach ihm
hat Racine sie zu der Vollkommenheit gebracht, die
sie nachher in diesem Lande nicht scheinen überschrit-
ten zu haben; wie wol noch nach ihm viele, beson-
ders aber Crebillon und Voltaire viel gute Stüke ge-
liefert haben, die, wenigstens in einzelen Scenen,
selbst gegen die griechischen nicht zu verwerfen sind.

Das größte tragische Genie unter den Neuern,
vielleicht auch überhaupt, haben die Engländer an
dem bewundrungswürdigen Shakespear gehabt,
dem es aber bey diesem großen Genie an gerei-
nigten Geschmak gefehlt hat. Jn seinen besten
Stüken kommen neben Scenen von der höchsten
tragischen Vollkommenheit, solche die ins Aben-
theuerliche fallen. Jn Deutschland scheinet eine
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Tri
schon ziemlich helle Dämmerung diesem Theile der
Kunst bald einen vollen Tag zu versprechen.

Trio.
(Musik.)

Ein Jnstrumentalstük von drey obligaten Stimmen,
z. E. einer Flöte, Violin und Violoncell. Es be-
steht insgemein, wie die Sonate, aus drey Stü-
ken von verschiedenem Charakter, und wird auch oft
Sonata a tre genennet. Es giebt aber auch drey-
stimmige Sonaten, die aus zwey Hauptstimmen
und einem begleitenden Baß bestehen, und oft blos
Trios genennet werden. Beyde Gattungen sind in
Ansehung des Sazes sehr von einander unterschieden,
und sollten daher in der Benennung nicht mit ein-
ander verwechselt werden.

Das eigentliche Trio hat drey Hauptstimmen, die
gegen einander concertiren, und gleichsam ein Ge-
spräch in Tönen unterhalten. Jede Stimme muß
dabey intereßirt seyn, und indem sie die Harmonie
ausfüllt, zugleich eine Melodie hören lassen, die in
dem Charakter des Ganzen einstimmt, und den Aus-
druk befördert. Dies ist eine der schweersien Gat-
tungen der Composition. Nicht diejenigen, die den
dreystimmigen Saz (*) allein verstehen, sondern
die zugleich alles, was zur Fuge und dem doxpelten
Contrapunkt gehöret, völlig inne, und daneben ei-
nen fließenden und ausdruksvollen Gesang in ihrer
Gewalt haben, können darin glüklich seyn.

Es giebt Trios, die im strengen und gebundenen
Kirchenstyl gesezt sind, und förmliche Fugen in sich
enthalten: Sie bestehen insgemein aus zwey Violin-
und einer Baßstimme, und werden auch Kirchen-
trios genennet. Diese müssen mehr wie einfach be-
sezt seyn, ohnedem sind sie von keiner Kraft. Die
strenge Fuge, die bey feyerlichen Gelegenheiten und
stark besezten Musiken, durch das Volltönige, Fey-
erliche und Einförmige ihrer Fortschreitung alle
Menschen rührt, hat in einem Kammertrio, wo jede
Stimme nur einfach besezt ist, außer auf den
Kenner, dem die Kunst allenthalben willkommen
ist, keine Kraft auf den Liebhaber von Gefühl; weil
er durch keine Veranstaltung zu großen Empfindun-

gen
(*) Bibl.
Gr. L. II.
c.
19.
(+) Hor. Ep. I. 1, 65.
-- -- Rem facias, rem,
Si possis recte; si non, quocunque modo rem,
Ut propius spectes lacrimosa poemata Pupei.
(++) Dom Augustin de Montianoy Luyando, dessen
Schrift unter dem Titel: Dissertation sur les tragedies
espagnoles,
ins Französische übersezt worden.
(*) S.
Dreystim-
mig.

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Tra
druks zuruͤke laſſen. Daher wir den Verluſt ſo vie-
ler hundert griechiſcher Trauerſpiehle ſehr bedauren.
Denn die Griechen haben eine große Menge tragi-
ſcher Dichter gehabt, deren Verzeichniß beym Fa-
bricius (*) zu finden. Die Anzahl der Stuͤke, de-
ren die Alten erwaͤhnen, belaͤuft ſich weit uͤber tau-
ſend, davon kaum noch dreyßig uͤbrig ſind, welche
den Aeſchylus, den Sophokles und den Euripides
zu Verfaſſern haben.

Die Roͤmer waren, wie es ſcheint, auch in die-
ſem Stuͤk weit hinter den Griechen zuruͤk geblieben.
Die einzigen roͤmiſchen Trauerſpiehle, die wir unter
dem Namen des Seneka noch haben, ſind noch wei-
ter hinter der Vollkommenheit der griechiſchen Stuͤke
zuruͤk, als die guten Stuͤke der Neuern. Doch
ſcheint es, daß ſie auch gute Trauerſpiehle gehabt,
in deren Vorſtellung man ſich mit großer Gewalt
gedraͤngt hat. „Suche reich zu werden, ſagt Ho-
raz; es ſey mit Recht oder Unrecht, damit du nur
die Trauerſpiehle des Pupius in der Naͤhe ſehen koͤn-
neſt.
(†)„ Es ſcheinet, daß unter den Neuern die
Spanier zuerſt das Trauerſpiehl wieder nach der gu-
ten Art der Alten einzufuͤhren geſucht haben. Ein
ſpaniſcher Schriftſteller (††) verſichert, daß ſchon im
Jahr 1533 Fernand Peres de Oliva zwey gute
Trauerſpiele, die Rache des Agamemnon und die
betruͤbte Hekuba
geſchrieben habe. Jn Frankreich
ſind die erſten guten Trauerſpiehle von P. Corneille
auf die Buͤhne gebracht worden, und gleich nach ihm
hat Racine ſie zu der Vollkommenheit gebracht, die
ſie nachher in dieſem Lande nicht ſcheinen uͤberſchrit-
ten zu haben; wie wol noch nach ihm viele, beſon-
ders aber Crebillon und Voltaire viel gute Stuͤke ge-
liefert haben, die, wenigſtens in einzelen Scenen,
ſelbſt gegen die griechiſchen nicht zu verwerfen ſind.

Das groͤßte tragiſche Genie unter den Neuern,
vielleicht auch uͤberhaupt, haben die Englaͤnder an
dem bewundrungswuͤrdigen Shakespear gehabt,
dem es aber bey dieſem großen Genie an gerei-
nigten Geſchmak gefehlt hat. Jn ſeinen beſten
Stuͤken kommen neben Scenen von der hoͤchſten
tragiſchen Vollkommenheit, ſolche die ins Aben-
theuerliche fallen. Jn Deutſchland ſcheinet eine
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Tri
ſchon ziemlich helle Daͤmmerung dieſem Theile der
Kunſt bald einen vollen Tag zu verſprechen.

Trio.
(Muſik.)

Ein Jnſtrumentalſtuͤk von drey obligaten Stimmen,
z. E. einer Floͤte, Violin und Violoncell. Es be-
ſteht insgemein, wie die Sonate, aus drey Stuͤ-
ken von verſchiedenem Charakter, und wird auch oft
Sonata a tré genennet. Es giebt aber auch drey-
ſtimmige Sonaten, die aus zwey Hauptſtimmen
und einem begleitenden Baß beſtehen, und oft blos
Trios genennet werden. Beyde Gattungen ſind in
Anſehung des Sazes ſehr von einander unterſchieden,
und ſollten daher in der Benennung nicht mit ein-
ander verwechſelt werden.

Das eigentliche Trio hat drey Hauptſtimmen, die
gegen einander concertiren, und gleichſam ein Ge-
ſpraͤch in Toͤnen unterhalten. Jede Stimme muß
dabey intereßirt ſeyn, und indem ſie die Harmonie
ausfuͤllt, zugleich eine Melodie hoͤren laſſen, die in
dem Charakter des Ganzen einſtimmt, und den Aus-
druk befoͤrdert. Dies iſt eine der ſchweerſien Gat-
tungen der Compoſition. Nicht diejenigen, die den
dreyſtimmigen Saz (*) allein verſtehen, ſondern
die zugleich alles, was zur Fuge und dem doxpelten
Contrapunkt gehoͤret, voͤllig inne, und daneben ei-
nen fließenden und ausdruksvollen Geſang in ihrer
Gewalt haben, koͤnnen darin gluͤklich ſeyn.

Es giebt Trios, die im ſtrengen und gebundenen
Kirchenſtyl geſezt ſind, und foͤrmliche Fugen in ſich
enthalten: Sie beſtehen insgemein aus zwey Violin-
und einer Baßſtimme, und werden auch Kirchen-
trios genennet. Dieſe muͤſſen mehr wie einfach be-
ſezt ſeyn, ohnedem ſind ſie von keiner Kraft. Die
ſtrenge Fuge, die bey feyerlichen Gelegenheiten und
ſtark beſezten Muſiken, durch das Volltoͤnige, Fey-
erliche und Einfoͤrmige ihrer Fortſchreitung alle
Menſchen ruͤhrt, hat in einem Kammertrio, wo jede
Stimme nur einfach beſezt iſt, außer auf den
Kenner, dem die Kunſt allenthalben willkommen
iſt, keine Kraft auf den Liebhaber von Gefuͤhl; weil
er durch keine Veranſtaltung zu großen Empfindun-

gen
(*) Bibl.
Gr. L. II.
c.
19.
(†) Hor. Ep. I. 1, 65.
— — Rem facias, rem,
Si poſſis recte; ſi non, quocunque modo rem,
Ut propius ſpectes lacrimoſa poëmata Pupî.
(††) Dom Auguſtin de Montianoy Luyando, deſſen
Schrift unter dem Titel: Diſſertation ſur les tragedies
eſpagnoles,
ins Franzoͤſiſche uͤberſezt worden.
(*) S.
Dreyſtim-
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[1180[1162]/0609] Tra Tri druks zuruͤke laſſen. Daher wir den Verluſt ſo vie- ler hundert griechiſcher Trauerſpiehle ſehr bedauren. Denn die Griechen haben eine große Menge tragi- ſcher Dichter gehabt, deren Verzeichniß beym Fa- bricius (*) zu finden. Die Anzahl der Stuͤke, de- ren die Alten erwaͤhnen, belaͤuft ſich weit uͤber tau- ſend, davon kaum noch dreyßig uͤbrig ſind, welche den Aeſchylus, den Sophokles und den Euripides zu Verfaſſern haben. Die Roͤmer waren, wie es ſcheint, auch in die- ſem Stuͤk weit hinter den Griechen zuruͤk geblieben. Die einzigen roͤmiſchen Trauerſpiehle, die wir unter dem Namen des Seneka noch haben, ſind noch wei- ter hinter der Vollkommenheit der griechiſchen Stuͤke zuruͤk, als die guten Stuͤke der Neuern. Doch ſcheint es, daß ſie auch gute Trauerſpiehle gehabt, in deren Vorſtellung man ſich mit großer Gewalt gedraͤngt hat. „Suche reich zu werden, ſagt Ho- raz; es ſey mit Recht oder Unrecht, damit du nur die Trauerſpiehle des Pupius in der Naͤhe ſehen koͤn- neſt. (†)„ Es ſcheinet, daß unter den Neuern die Spanier zuerſt das Trauerſpiehl wieder nach der gu- ten Art der Alten einzufuͤhren geſucht haben. Ein ſpaniſcher Schriftſteller (††) verſichert, daß ſchon im Jahr 1533 Fernand Peres de Oliva zwey gute Trauerſpiele, die Rache des Agamemnon und die betruͤbte Hekuba geſchrieben habe. Jn Frankreich ſind die erſten guten Trauerſpiehle von P. Corneille auf die Buͤhne gebracht worden, und gleich nach ihm hat Racine ſie zu der Vollkommenheit gebracht, die ſie nachher in dieſem Lande nicht ſcheinen uͤberſchrit- ten zu haben; wie wol noch nach ihm viele, beſon- ders aber Crebillon und Voltaire viel gute Stuͤke ge- liefert haben, die, wenigſtens in einzelen Scenen, ſelbſt gegen die griechiſchen nicht zu verwerfen ſind. Das groͤßte tragiſche Genie unter den Neuern, vielleicht auch uͤberhaupt, haben die Englaͤnder an dem bewundrungswuͤrdigen Shakespear gehabt, dem es aber bey dieſem großen Genie an gerei- nigten Geſchmak gefehlt hat. Jn ſeinen beſten Stuͤken kommen neben Scenen von der hoͤchſten tragiſchen Vollkommenheit, ſolche die ins Aben- theuerliche fallen. Jn Deutſchland ſcheinet eine ſchon ziemlich helle Daͤmmerung dieſem Theile der Kunſt bald einen vollen Tag zu verſprechen. Trio. (Muſik.) Ein Jnſtrumentalſtuͤk von drey obligaten Stimmen, z. E. einer Floͤte, Violin und Violoncell. Es be- ſteht insgemein, wie die Sonate, aus drey Stuͤ- ken von verſchiedenem Charakter, und wird auch oft Sonata a tré genennet. Es giebt aber auch drey- ſtimmige Sonaten, die aus zwey Hauptſtimmen und einem begleitenden Baß beſtehen, und oft blos Trios genennet werden. Beyde Gattungen ſind in Anſehung des Sazes ſehr von einander unterſchieden, und ſollten daher in der Benennung nicht mit ein- ander verwechſelt werden. Das eigentliche Trio hat drey Hauptſtimmen, die gegen einander concertiren, und gleichſam ein Ge- ſpraͤch in Toͤnen unterhalten. Jede Stimme muß dabey intereßirt ſeyn, und indem ſie die Harmonie ausfuͤllt, zugleich eine Melodie hoͤren laſſen, die in dem Charakter des Ganzen einſtimmt, und den Aus- druk befoͤrdert. Dies iſt eine der ſchweerſien Gat- tungen der Compoſition. Nicht diejenigen, die den dreyſtimmigen Saz (*) allein verſtehen, ſondern die zugleich alles, was zur Fuge und dem doxpelten Contrapunkt gehoͤret, voͤllig inne, und daneben ei- nen fließenden und ausdruksvollen Geſang in ihrer Gewalt haben, koͤnnen darin gluͤklich ſeyn. Es giebt Trios, die im ſtrengen und gebundenen Kirchenſtyl geſezt ſind, und foͤrmliche Fugen in ſich enthalten: Sie beſtehen insgemein aus zwey Violin- und einer Baßſtimme, und werden auch Kirchen- trios genennet. Dieſe muͤſſen mehr wie einfach be- ſezt ſeyn, ohnedem ſind ſie von keiner Kraft. Die ſtrenge Fuge, die bey feyerlichen Gelegenheiten und ſtark beſezten Muſiken, durch das Volltoͤnige, Fey- erliche und Einfoͤrmige ihrer Fortſchreitung alle Menſchen ruͤhrt, hat in einem Kammertrio, wo jede Stimme nur einfach beſezt iſt, außer auf den Kenner, dem die Kunſt allenthalben willkommen iſt, keine Kraft auf den Liebhaber von Gefuͤhl; weil er durch keine Veranſtaltung zu großen Empfindun- gen (*) Bibl. Gr. L. II. c. 19. (†) Hor. Ep. I. 1, 65. — — Rem facias, rem, Si poſſis recte; ſi non, quocunque modo rem, Ut propius ſpectes lacrimoſa poëmata Pupî. (††) Dom Auguſtin de Montianoy Luyando, deſſen Schrift unter dem Titel: Diſſertation ſur les tragedies eſpagnoles, ins Franzoͤſiſche uͤberſezt worden. (*) S. Dreyſtim- mig.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1180[1162]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/609>, abgerufen am 29.04.2024.