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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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U.


[Spaltenumbruch]
Uebereinanderstellung; Ueberstellung.
(Baukunst.)

Jn großen und hohen Gebäuden, hauptsächlich bey
Thürmen geschieht es bisweilen, daß jedes der über-
einanderstehenden Geschosse seine eigene Säulen hat.
Jn diesen Fällen hat der Baumeister verschiedenes
zu bedenken, um nicht gegen die Regeln anzustoßen.

Was zuerst hiebey in die Augen fällt, sind die
zwey Grundsäze, auf welche das Wesentliche in der
Uebereinanderstellung ankommt. Daß die schwä-
chere Ordnung oben, und die stärkere unten komme,
und daß die Säulen gerade übereinanderstehen, so
daß die Axen der übereinanderstehenden Säulen in eine
einzige senkrechte Linie fallen. Beydes sind noth-
wendige Regeln, deren Verabsäumung den Geschmak
und das Auge beleidigen würde.

Jnsgemein wird die dorische Ordnung zu unterst
gesezt, darüber die jonische, und wo drey Geschosse
sind, über dieser die Corinthische oder Römische.
Auf diese Weise ist die gehörige Abstufung der Stärke
und Festigkeit von unten bis oben wol beobachtet.

Die starke Ausladung der Gebälke könnte ver-
hindern, daß man die Füße der darüberstehenden
Säulen nicht mehr sehen könnte. Diesem wird
entweder dadurch abgeholfen, daß die untern Ge-
bälke weniger Ausladung über den Fries haben,
als ihnen zukäme, oder daß die obern Säulen auf
eine über dem untern Gebälke weglaufende Plinthe
gesezt werden. Einige Baumeister sezen sie aus eben
diesem Grunde auf Säulenstühle. Allein, zu ge-
schweigen, daß sie, weil man die Füße dieser Säu-
lenstühle nicht sehen kann, verstümmelt aussehen,
so haben sie noch dieses Nachtheilige, daß dadurch
die edle Einfalt zu sehr aufgehoben wird.

Aus der andern Regel folget auch nothwendig,
daß die untere Dike des Stammes der Säule, die
auf einer andern steht, nicht größer seyn könne, als
die obere Dike des Stammes an der darunterste-
henden. Daher bekommt nothwendig jedes Ge-
schoß seinen Model, der aus dem Model der unter-
sten Ordnung und der Regel der Verdünnung der
Stämme bestimmt werden muß. Wenn also der
untere Säulenstamm um 1/5 verdünnet oder einge-
zogen wird, so ist der Model der zweyten Ordnung 4/5
[Spaltenumbruch] dessen, wonach die untere abgemessen ist. Jst noch
eine dritte Ordnung über der zweyten, so ist deren
Model 4/5 dessen, der in der zweyten gebraucht wor-
den, oder dessen, der zu unterst angenommen
worden. (*) Dieses ist schlechterdings nothwendig.
Sollte es sich finden, daß dadurch eine der obern
Ordnungen in andern Absichten zu niedrig würde,
so weiß ein verständiger Baumeister sich durch an-
dre Mittel, als durch Uebertretung einer so wesent-
lichen Regel zu helfen. Er kann die Plinthe höher
machen, oder anstatt der Plinthe einen hohen ge-
rade durch das ganze Geschoß laufenden Fuß anbrin-
gen, um die Höhe zu erreichen.

Ein Hauptumstand ist hier noch zu bedenken.
Weil die Axen der Säulen nothwendig auf einander
treffen müssen, die Model aber in der Höhe immer
kleiner werden, so wird auch die Säulenweite in je-
dem Geschoß anders. Wenn sie z. B. unten 8 Mo-
del ist, so ist sie in der nächsten Ordnung 10 und in der
dritten 121/2 Model. Dieses kann in den Fällen,
wo jede Ordnung Balken- oder Sparrenköpfe oder
Zahnschnitte hat, den Baumeister in große Verle-
genheit sezen; weil auch die Mitte dieser Theile durch
alle Geschosse auf einander, und allemal eine auf die
Axe der Säulen treffen muß. Daher kommt es,
daß auch von guten Baumeistern häufige Fehler,
die daher entstehen, nicht vermieden worden sind.
Um so viel mehr hat man Ursache, wegen der Aus-
messung dieser Theile, die Goldmannische Regeln
anzunehmen, welche allen diesen Schwierigkeiten
am sichersten abhelfen. (*)

Ueberflus.
(Schöne Künste.)

Der Reichthum in Werken der Kunst, der ihrer
Würkung schadet. Es ist eine bekannte Anmerkung,
daß man auch des Guten zu viel thun könne. Wir
wollen dieses besonders auf die Werke der Kunst an-
wenden, und einigen Künstlern, denen dieses nüzlich
seyn kann, begreiflich machen, daß man auch zu
viel Schönes zusammen häufen könne. Die Künste
haben hierin mit den Veranstaltungen des gemeinen
Lebens nichts voraus, noch der Geschmak am Schö-
nen, vor dem gröbern Geschmak, der auf die Be-

friedi-
(*) S.
Model.
(*) S.
Ordnung.
U.


[Spaltenumbruch]
Uebereinanderſtellung; Ueberſtellung.
(Baukunſt.)

Jn großen und hohen Gebaͤuden, hauptſaͤchlich bey
Thuͤrmen geſchieht es bisweilen, daß jedes der uͤber-
einanderſtehenden Geſchoſſe ſeine eigene Saͤulen hat.
Jn dieſen Faͤllen hat der Baumeiſter verſchiedenes
zu bedenken, um nicht gegen die Regeln anzuſtoßen.

Was zuerſt hiebey in die Augen faͤllt, ſind die
zwey Grundſaͤze, auf welche das Weſentliche in der
Uebereinanderſtellung ankommt. Daß die ſchwaͤ-
chere Ordnung oben, und die ſtaͤrkere unten komme,
und daß die Saͤulen gerade uͤbereinanderſtehen, ſo
daß die Axen der uͤbereinanderſtehenden Saͤulen in eine
einzige ſenkrechte Linie fallen. Beydes ſind noth-
wendige Regeln, deren Verabſaͤumung den Geſchmak
und das Auge beleidigen wuͤrde.

Jnsgemein wird die doriſche Ordnung zu unterſt
geſezt, daruͤber die joniſche, und wo drey Geſchoſſe
ſind, uͤber dieſer die Corinthiſche oder Roͤmiſche.
Auf dieſe Weiſe iſt die gehoͤrige Abſtufung der Staͤrke
und Feſtigkeit von unten bis oben wol beobachtet.

Die ſtarke Ausladung der Gebaͤlke koͤnnte ver-
hindern, daß man die Fuͤße der daruͤberſtehenden
Saͤulen nicht mehr ſehen koͤnnte. Dieſem wird
entweder dadurch abgeholfen, daß die untern Ge-
baͤlke weniger Ausladung uͤber den Fries haben,
als ihnen zukaͤme, oder daß die obern Saͤulen auf
eine uͤber dem untern Gebaͤlke weglaufende Plinthe
geſezt werden. Einige Baumeiſter ſezen ſie aus eben
dieſem Grunde auf Saͤulenſtuͤhle. Allein, zu ge-
ſchweigen, daß ſie, weil man die Fuͤße dieſer Saͤu-
lenſtuͤhle nicht ſehen kann, verſtuͤmmelt ausſehen,
ſo haben ſie noch dieſes Nachtheilige, daß dadurch
die edle Einfalt zu ſehr aufgehoben wird.

Aus der andern Regel folget auch nothwendig,
daß die untere Dike des Stammes der Saͤule, die
auf einer andern ſteht, nicht groͤßer ſeyn koͤnne, als
die obere Dike des Stammes an der darunterſte-
henden. Daher bekommt nothwendig jedes Ge-
ſchoß ſeinen Model, der aus dem Model der unter-
ſten Ordnung und der Regel der Verduͤnnung der
Staͤmme beſtimmt werden muß. Wenn alſo der
untere Saͤulenſtamm um ⅕ verduͤnnet oder einge-
zogen wird, ſo iſt der Model der zweyten Ordnung ⅘
[Spaltenumbruch] deſſen, wonach die untere abgemeſſen iſt. Jſt noch
eine dritte Ordnung uͤber der zweyten, ſo iſt deren
Model ⅘ deſſen, der in der zweyten gebraucht wor-
den, oder deſſen, der zu unterſt angenommen
worden. (*) Dieſes iſt ſchlechterdings nothwendig.
Sollte es ſich finden, daß dadurch eine der obern
Ordnungen in andern Abſichten zu niedrig wuͤrde,
ſo weiß ein verſtaͤndiger Baumeiſter ſich durch an-
dre Mittel, als durch Uebertretung einer ſo weſent-
lichen Regel zu helfen. Er kann die Plinthe hoͤher
machen, oder anſtatt der Plinthe einen hohen ge-
rade durch das ganze Geſchoß laufenden Fuß anbrin-
gen, um die Hoͤhe zu erreichen.

Ein Hauptumſtand iſt hier noch zu bedenken.
Weil die Axen der Saͤulen nothwendig auf einander
treffen muͤſſen, die Model aber in der Hoͤhe immer
kleiner werden, ſo wird auch die Saͤulenweite in je-
dem Geſchoß anders. Wenn ſie z. B. unten 8 Mo-
del iſt, ſo iſt ſie in der naͤchſten Ordnung 10 und in der
dritten 12½ Model. Dieſes kann in den Faͤllen,
wo jede Ordnung Balken- oder Sparrenkoͤpfe oder
Zahnſchnitte hat, den Baumeiſter in große Verle-
genheit ſezen; weil auch die Mitte dieſer Theile durch
alle Geſchoſſe auf einander, und allemal eine auf die
Axe der Saͤulen treffen muß. Daher kommt es,
daß auch von guten Baumeiſtern haͤufige Fehler,
die daher entſtehen, nicht vermieden worden ſind.
Um ſo viel mehr hat man Urſache, wegen der Aus-
meſſung dieſer Theile, die Goldmanniſche Regeln
anzunehmen, welche allen dieſen Schwierigkeiten
am ſicherſten abhelfen. (*)

Ueberflus.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Der Reichthum in Werken der Kunſt, der ihrer
Wuͤrkung ſchadet. Es iſt eine bekannte Anmerkung,
daß man auch des Guten zu viel thun koͤnne. Wir
wollen dieſes beſonders auf die Werke der Kunſt an-
wenden, und einigen Kuͤnſtlern, denen dieſes nuͤzlich
ſeyn kann, begreiflich machen, daß man auch zu
viel Schoͤnes zuſammen haͤufen koͤnne. Die Kuͤnſte
haben hierin mit den Veranſtaltungen des gemeinen
Lebens nichts voraus, noch der Geſchmak am Schoͤ-
nen, vor dem groͤbern Geſchmak, der auf die Be-

friedi-
(*) S.
Model.
(*) S.
Ordnung.
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[1188[1170]/0617] U. Uebereinanderſtellung; Ueberſtellung. (Baukunſt.) Jn großen und hohen Gebaͤuden, hauptſaͤchlich bey Thuͤrmen geſchieht es bisweilen, daß jedes der uͤber- einanderſtehenden Geſchoſſe ſeine eigene Saͤulen hat. Jn dieſen Faͤllen hat der Baumeiſter verſchiedenes zu bedenken, um nicht gegen die Regeln anzuſtoßen. Was zuerſt hiebey in die Augen faͤllt, ſind die zwey Grundſaͤze, auf welche das Weſentliche in der Uebereinanderſtellung ankommt. Daß die ſchwaͤ- chere Ordnung oben, und die ſtaͤrkere unten komme, und daß die Saͤulen gerade uͤbereinanderſtehen, ſo daß die Axen der uͤbereinanderſtehenden Saͤulen in eine einzige ſenkrechte Linie fallen. Beydes ſind noth- wendige Regeln, deren Verabſaͤumung den Geſchmak und das Auge beleidigen wuͤrde. Jnsgemein wird die doriſche Ordnung zu unterſt geſezt, daruͤber die joniſche, und wo drey Geſchoſſe ſind, uͤber dieſer die Corinthiſche oder Roͤmiſche. Auf dieſe Weiſe iſt die gehoͤrige Abſtufung der Staͤrke und Feſtigkeit von unten bis oben wol beobachtet. Die ſtarke Ausladung der Gebaͤlke koͤnnte ver- hindern, daß man die Fuͤße der daruͤberſtehenden Saͤulen nicht mehr ſehen koͤnnte. Dieſem wird entweder dadurch abgeholfen, daß die untern Ge- baͤlke weniger Ausladung uͤber den Fries haben, als ihnen zukaͤme, oder daß die obern Saͤulen auf eine uͤber dem untern Gebaͤlke weglaufende Plinthe geſezt werden. Einige Baumeiſter ſezen ſie aus eben dieſem Grunde auf Saͤulenſtuͤhle. Allein, zu ge- ſchweigen, daß ſie, weil man die Fuͤße dieſer Saͤu- lenſtuͤhle nicht ſehen kann, verſtuͤmmelt ausſehen, ſo haben ſie noch dieſes Nachtheilige, daß dadurch die edle Einfalt zu ſehr aufgehoben wird. Aus der andern Regel folget auch nothwendig, daß die untere Dike des Stammes der Saͤule, die auf einer andern ſteht, nicht groͤßer ſeyn koͤnne, als die obere Dike des Stammes an der darunterſte- henden. Daher bekommt nothwendig jedes Ge- ſchoß ſeinen Model, der aus dem Model der unter- ſten Ordnung und der Regel der Verduͤnnung der Staͤmme beſtimmt werden muß. Wenn alſo der untere Saͤulenſtamm um ⅕ verduͤnnet oder einge- zogen wird, ſo iſt der Model der zweyten Ordnung ⅘ deſſen, wonach die untere abgemeſſen iſt. Jſt noch eine dritte Ordnung uͤber der zweyten, ſo iſt deren Model ⅘ deſſen, der in der zweyten gebraucht wor- den, oder [FORMEL] deſſen, der zu unterſt angenommen worden. (*) Dieſes iſt ſchlechterdings nothwendig. Sollte es ſich finden, daß dadurch eine der obern Ordnungen in andern Abſichten zu niedrig wuͤrde, ſo weiß ein verſtaͤndiger Baumeiſter ſich durch an- dre Mittel, als durch Uebertretung einer ſo weſent- lichen Regel zu helfen. Er kann die Plinthe hoͤher machen, oder anſtatt der Plinthe einen hohen ge- rade durch das ganze Geſchoß laufenden Fuß anbrin- gen, um die Hoͤhe zu erreichen. Ein Hauptumſtand iſt hier noch zu bedenken. Weil die Axen der Saͤulen nothwendig auf einander treffen muͤſſen, die Model aber in der Hoͤhe immer kleiner werden, ſo wird auch die Saͤulenweite in je- dem Geſchoß anders. Wenn ſie z. B. unten 8 Mo- del iſt, ſo iſt ſie in der naͤchſten Ordnung 10 und in der dritten 12½ Model. Dieſes kann in den Faͤllen, wo jede Ordnung Balken- oder Sparrenkoͤpfe oder Zahnſchnitte hat, den Baumeiſter in große Verle- genheit ſezen; weil auch die Mitte dieſer Theile durch alle Geſchoſſe auf einander, und allemal eine auf die Axe der Saͤulen treffen muß. Daher kommt es, daß auch von guten Baumeiſtern haͤufige Fehler, die daher entſtehen, nicht vermieden worden ſind. Um ſo viel mehr hat man Urſache, wegen der Aus- meſſung dieſer Theile, die Goldmanniſche Regeln anzunehmen, welche allen dieſen Schwierigkeiten am ſicherſten abhelfen. (*) Ueberflus. (Schoͤne Kuͤnſte.) Der Reichthum in Werken der Kunſt, der ihrer Wuͤrkung ſchadet. Es iſt eine bekannte Anmerkung, daß man auch des Guten zu viel thun koͤnne. Wir wollen dieſes beſonders auf die Werke der Kunſt an- wenden, und einigen Kuͤnſtlern, denen dieſes nuͤzlich ſeyn kann, begreiflich machen, daß man auch zu viel Schoͤnes zuſammen haͤufen koͤnne. Die Kuͤnſte haben hierin mit den Veranſtaltungen des gemeinen Lebens nichts voraus, noch der Geſchmak am Schoͤ- nen, vor dem groͤbern Geſchmak, der auf die Be- friedi- (*) S. Model. (*) S. Ordnung.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1188[1170]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/617>, abgerufen am 29.04.2024.