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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Vor
kann das Wenigste, was das Aug dabey entdekt,
nur genennt werden. Man kann also dem Redner
nichts sagen, als: er solle sich die verschiedenen
Kräfte der Stellungen, Gebehrden und der verän-
derten Gesichtszüge bekannt machen; sich fleißig
üben, sie mit Leichtigkeit nachzuahmen, und denn,
wo er zu reden hat, sie am rechten Orte anbringen.
Aber Stellung, Gebehrden und Mine können sehr
verständlich und nachdrüklich, und dessen ungeachtet
schlecht und dem Redner unanständig seyn. Sie
müssen nicht blos wahr, oder natürlich, sondern
auch so, wie es einem wolerzogenen, gesezten und
wolgesitteten Menschen anständig ist, das ist, von
Anstand und Geschmak begleitet seyn. Denn die
natürlichen Aeußerungen der Empfindungen, durch
das Sichtbare des Körpers, sind zwar bey al-
len Menschen verständlich; aber bey vielen haben
sie etwas ungesittetes, übertriebenes, oder grobes,
oder gar zu rohes, das Menschen von feinern Ge-
schmak anstößig ist. Ueberhaupt ist eine gewisse
Mäßigung der Leidenschaften, und ein gewisser An-
stand in allen Bewegungen der Gliedmaaßen und
veränderten Gesichtszügen, Menschen von ausgebil-
detem Geist und Herzen, eigen. Die Freude würkt
bey kleinem, kindischen Gemüthern ein Hüpfen,
Springen und Gebehrden, das geseztern Menschen
lächerlich ist. So kann jeder andere sichtbare Aus-
druk der Empfindung zwar verständlich, aber auf
mancherley Weise dem guten Geschmak und feinern
Sitten anstößig seyn. Wollte man dem Redner al-
les sagen, was hierüber zu sagen ist, so müßte man
sich in umständliche Ausführung dessen, was Lebens-
art, Sitten, Nachdenken, Kenntnis und angebaute
Vernunft in den Bewegungen und Gebehrden der
Menschen ändern, einlassen.

Ueberhaupt aber merke man sich, daß bey gesit-
teten Menschen, alle Gebehrden, Bewegungen und
Minen, weit gemäßigter und weniger auffallend
sind, als bey rohen und ungesitteten. Diese haben
weniger Nachdenken, und bilden sich ein, daß an-
dere, so wie sie selbst den Sinn ihrer Reden nicht
genugsam fassen, wenn sie nicht alles durch sichtbare
Zeichen unterstüzen. Daher reden sie mit Händen
und Füßen selbst da, wo sie nicht im Affekt sind, son-
dern blos unterrichten wollen. Dies ist eigentlich
das, was man Gestikuliren nennt, und ist der un-
angenehmste Fehler der Action. Man muß dem
Zuhörer zutrauen, daß er den Sinn der Worte,
[Spaltenumbruch]

Vor
ohne andere Bezeichnung verstehe. Nur da, wo
das Herz empfindet, würkt der innere Sinn auch
auf die äußern Gliedmaaßen, deren Bewegung die
Stärke der Empfindung anzeiget. Da ist also Action
nothwendig; doch nur so weit, als sie auch einem
gesezten Manne von der Empfindung gleichsam ab-
gezwungen wird. Verschiedene noch hieher gehörige
Anmerkungen sind bereits in andern Artikeln ange-
geführt worden. (*)

Vortrag.
(Musik.)

Jst das, wodurch ein Tonstük hörbar wird. Von
dem Vortrage hängt größtentheils die gute oder
schlechte Würkung ab, die ein Stük auf den Zuhö-
rer macht. Ein mittelmäßiges Stük kann durch
einen guten Vortrag sehr erhoben werden; hinge-
gen kann ein schlechter Vortrag auch das vortreflichste
Stük so verunstalten, daß es unkenntlich, ja unaus-
stehlich wird.

Da die Musik überhaupt nur durch die Auffüh-
rung oder den Vortrag dem Ohre mitgetheilt wer-
den kann, und der Tonsezer bey Verfertigung eines
Stüks allezeit auf den Vortrag desselben Rüksicht
nimmt, und dann voraussezt, daß es gerade so,
als er es gedacht und empfunden hat, vorgetra-
gen werde, so ist die Lehre vom Vortrage die aller-
wichtigste in der praktischen Musik, aber auch die
allerschweereste, weil sie gar viele Fertigkeiten vor-
aussezt, und die höchste Bildung des Virtuosen zum
Endzwek hat.

Jede Gattung von Tonstüken verlanget eine ihr ei-
gene Art des Vortrags, die wieder in Ansehung des
Vortrags der Hauptstimme und der Begleitungsstim-
men unterschieden ist. Da von dem, was bey den
lezteren zu beobachten ist, hinlänglich an einem an-
dern Ort gesprochen worden (*), so haben wir es
hier blos mit dem erstern zu thun, und zwar nur
in so fern unsere Anmerkungen, die das Wichtigste
was bey dem guten Vortrag einer Hauptstimme zu
beobachten ist, enthalten werden, auf alle und jede
Jnstrumente und die Singestimme angewendet wer-
den können, ohne uns in dem, was bey jedem Jn-
strument in Ansehung des Mechanischen, als der
Führung des Bogens bey der Violine, des Anschlags
auf dem Clavier, des Windes und Zungenstoßes bey
der Flöte etc. besonders zu beobachten ist, einzulassen;
weil davon allein ein großes Buch geschrieben wer-

den
(*) S.
Ausdruk in
der Schau-
spielkunst.
S 107. Ge-
behrd n,
Anstand,
Stellung.
(*) S.
Beglei-
tung.
Q q q q q q q 3

[Spaltenumbruch]

Vor
kann das Wenigſte, was das Aug dabey entdekt,
nur genennt werden. Man kann alſo dem Redner
nichts ſagen, als: er ſolle ſich die verſchiedenen
Kraͤfte der Stellungen, Gebehrden und der veraͤn-
derten Geſichtszuͤge bekannt machen; ſich fleißig
uͤben, ſie mit Leichtigkeit nachzuahmen, und denn,
wo er zu reden hat, ſie am rechten Orte anbringen.
Aber Stellung, Gebehrden und Mine koͤnnen ſehr
verſtaͤndlich und nachdruͤklich, und deſſen ungeachtet
ſchlecht und dem Redner unanſtaͤndig ſeyn. Sie
muͤſſen nicht blos wahr, oder natuͤrlich, ſondern
auch ſo, wie es einem wolerzogenen, geſezten und
wolgeſitteten Menſchen anſtaͤndig iſt, das iſt, von
Anſtand und Geſchmak begleitet ſeyn. Denn die
natuͤrlichen Aeußerungen der Empfindungen, durch
das Sichtbare des Koͤrpers, ſind zwar bey al-
len Menſchen verſtaͤndlich; aber bey vielen haben
ſie etwas ungeſittetes, uͤbertriebenes, oder grobes,
oder gar zu rohes, das Menſchen von feinern Ge-
ſchmak anſtoͤßig iſt. Ueberhaupt iſt eine gewiſſe
Maͤßigung der Leidenſchaften, und ein gewiſſer An-
ſtand in allen Bewegungen der Gliedmaaßen und
veraͤnderten Geſichtszuͤgen, Menſchen von ausgebil-
detem Geiſt und Herzen, eigen. Die Freude wuͤrkt
bey kleinem, kindiſchen Gemuͤthern ein Huͤpfen,
Springen und Gebehrden, das geſeztern Menſchen
laͤcherlich iſt. So kann jeder andere ſichtbare Aus-
druk der Empfindung zwar verſtaͤndlich, aber auf
mancherley Weiſe dem guten Geſchmak und feinern
Sitten anſtoͤßig ſeyn. Wollte man dem Redner al-
les ſagen, was hieruͤber zu ſagen iſt, ſo muͤßte man
ſich in umſtaͤndliche Ausfuͤhrung deſſen, was Lebens-
art, Sitten, Nachdenken, Kenntnis und angebaute
Vernunft in den Bewegungen und Gebehrden der
Menſchen aͤndern, einlaſſen.

Ueberhaupt aber merke man ſich, daß bey geſit-
teten Menſchen, alle Gebehrden, Bewegungen und
Minen, weit gemaͤßigter und weniger auffallend
ſind, als bey rohen und ungeſitteten. Dieſe haben
weniger Nachdenken, und bilden ſich ein, daß an-
dere, ſo wie ſie ſelbſt den Sinn ihrer Reden nicht
genugſam faſſen, wenn ſie nicht alles durch ſichtbare
Zeichen unterſtuͤzen. Daher reden ſie mit Haͤnden
und Fuͤßen ſelbſt da, wo ſie nicht im Affekt ſind, ſon-
dern blos unterrichten wollen. Dies iſt eigentlich
das, was man Geſtikuliren nennt, und iſt der un-
angenehmſte Fehler der Action. Man muß dem
Zuhoͤrer zutrauen, daß er den Sinn der Worte,
[Spaltenumbruch]

Vor
ohne andere Bezeichnung verſtehe. Nur da, wo
das Herz empfindet, wuͤrkt der innere Sinn auch
auf die aͤußern Gliedmaaßen, deren Bewegung die
Staͤrke der Empfindung anzeiget. Da iſt alſo Action
nothwendig; doch nur ſo weit, als ſie auch einem
geſezten Manne von der Empfindung gleichſam ab-
gezwungen wird. Verſchiedene noch hieher gehoͤrige
Anmerkungen ſind bereits in andern Artikeln ange-
gefuͤhrt worden. (*)

Vortrag.
(Muſik.)

Jſt das, wodurch ein Tonſtuͤk hoͤrbar wird. Von
dem Vortrage haͤngt groͤßtentheils die gute oder
ſchlechte Wuͤrkung ab, die ein Stuͤk auf den Zuhoͤ-
rer macht. Ein mittelmaͤßiges Stuͤk kann durch
einen guten Vortrag ſehr erhoben werden; hinge-
gen kann ein ſchlechter Vortrag auch das vortreflichſte
Stuͤk ſo verunſtalten, daß es unkenntlich, ja unaus-
ſtehlich wird.

Da die Muſik uͤberhaupt nur durch die Auffuͤh-
rung oder den Vortrag dem Ohre mitgetheilt wer-
den kann, und der Tonſezer bey Verfertigung eines
Stuͤks allezeit auf den Vortrag deſſelben Ruͤkſicht
nimmt, und dann vorausſezt, daß es gerade ſo,
als er es gedacht und empfunden hat, vorgetra-
gen werde, ſo iſt die Lehre vom Vortrage die aller-
wichtigſte in der praktiſchen Muſik, aber auch die
allerſchweereſte, weil ſie gar viele Fertigkeiten vor-
ausſezt, und die hoͤchſte Bildung des Virtuoſen zum
Endzwek hat.

Jede Gattung von Tonſtuͤken verlanget eine ihr ei-
gene Art des Vortrags, die wieder in Anſehung des
Vortrags der Hauptſtimme und der Begleitungsſtim-
men unterſchieden iſt. Da von dem, was bey den
lezteren zu beobachten iſt, hinlaͤnglich an einem an-
dern Ort geſprochen worden (*), ſo haben wir es
hier blos mit dem erſtern zu thun, und zwar nur
in ſo fern unſere Anmerkungen, die das Wichtigſte
was bey dem guten Vortrag einer Hauptſtimme zu
beobachten iſt, enthalten werden, auf alle und jede
Jnſtrumente und die Singeſtimme angewendet wer-
den koͤnnen, ohne uns in dem, was bey jedem Jn-
ſtrument in Anſehung des Mechaniſchen, als der
Fuͤhrung des Bogens bey der Violine, des Anſchlags
auf dem Clavier, des Windes und Zungenſtoßes bey
der Floͤte ꝛc. beſonders zu beobachten iſt, einzulaſſen;
weil davon allein ein großes Buch geſchrieben wer-

den
(*) S.
Ausdruk in
der Schau-
ſpielkunſt.
S 107. Ge-
behrd n,
Anſtand,
Stellung.
(*) S.
Beglei-
tung.
Q q q q q q q 3
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[1247[1229]/0676] Vor Vor kann das Wenigſte, was das Aug dabey entdekt, nur genennt werden. Man kann alſo dem Redner nichts ſagen, als: er ſolle ſich die verſchiedenen Kraͤfte der Stellungen, Gebehrden und der veraͤn- derten Geſichtszuͤge bekannt machen; ſich fleißig uͤben, ſie mit Leichtigkeit nachzuahmen, und denn, wo er zu reden hat, ſie am rechten Orte anbringen. Aber Stellung, Gebehrden und Mine koͤnnen ſehr verſtaͤndlich und nachdruͤklich, und deſſen ungeachtet ſchlecht und dem Redner unanſtaͤndig ſeyn. Sie muͤſſen nicht blos wahr, oder natuͤrlich, ſondern auch ſo, wie es einem wolerzogenen, geſezten und wolgeſitteten Menſchen anſtaͤndig iſt, das iſt, von Anſtand und Geſchmak begleitet ſeyn. Denn die natuͤrlichen Aeußerungen der Empfindungen, durch das Sichtbare des Koͤrpers, ſind zwar bey al- len Menſchen verſtaͤndlich; aber bey vielen haben ſie etwas ungeſittetes, uͤbertriebenes, oder grobes, oder gar zu rohes, das Menſchen von feinern Ge- ſchmak anſtoͤßig iſt. Ueberhaupt iſt eine gewiſſe Maͤßigung der Leidenſchaften, und ein gewiſſer An- ſtand in allen Bewegungen der Gliedmaaßen und veraͤnderten Geſichtszuͤgen, Menſchen von ausgebil- detem Geiſt und Herzen, eigen. Die Freude wuͤrkt bey kleinem, kindiſchen Gemuͤthern ein Huͤpfen, Springen und Gebehrden, das geſeztern Menſchen laͤcherlich iſt. So kann jeder andere ſichtbare Aus- druk der Empfindung zwar verſtaͤndlich, aber auf mancherley Weiſe dem guten Geſchmak und feinern Sitten anſtoͤßig ſeyn. Wollte man dem Redner al- les ſagen, was hieruͤber zu ſagen iſt, ſo muͤßte man ſich in umſtaͤndliche Ausfuͤhrung deſſen, was Lebens- art, Sitten, Nachdenken, Kenntnis und angebaute Vernunft in den Bewegungen und Gebehrden der Menſchen aͤndern, einlaſſen. Ueberhaupt aber merke man ſich, daß bey geſit- teten Menſchen, alle Gebehrden, Bewegungen und Minen, weit gemaͤßigter und weniger auffallend ſind, als bey rohen und ungeſitteten. Dieſe haben weniger Nachdenken, und bilden ſich ein, daß an- dere, ſo wie ſie ſelbſt den Sinn ihrer Reden nicht genugſam faſſen, wenn ſie nicht alles durch ſichtbare Zeichen unterſtuͤzen. Daher reden ſie mit Haͤnden und Fuͤßen ſelbſt da, wo ſie nicht im Affekt ſind, ſon- dern blos unterrichten wollen. Dies iſt eigentlich das, was man Geſtikuliren nennt, und iſt der un- angenehmſte Fehler der Action. Man muß dem Zuhoͤrer zutrauen, daß er den Sinn der Worte, ohne andere Bezeichnung verſtehe. Nur da, wo das Herz empfindet, wuͤrkt der innere Sinn auch auf die aͤußern Gliedmaaßen, deren Bewegung die Staͤrke der Empfindung anzeiget. Da iſt alſo Action nothwendig; doch nur ſo weit, als ſie auch einem geſezten Manne von der Empfindung gleichſam ab- gezwungen wird. Verſchiedene noch hieher gehoͤrige Anmerkungen ſind bereits in andern Artikeln ange- gefuͤhrt worden. (*) Vortrag. (Muſik.) Jſt das, wodurch ein Tonſtuͤk hoͤrbar wird. Von dem Vortrage haͤngt groͤßtentheils die gute oder ſchlechte Wuͤrkung ab, die ein Stuͤk auf den Zuhoͤ- rer macht. Ein mittelmaͤßiges Stuͤk kann durch einen guten Vortrag ſehr erhoben werden; hinge- gen kann ein ſchlechter Vortrag auch das vortreflichſte Stuͤk ſo verunſtalten, daß es unkenntlich, ja unaus- ſtehlich wird. Da die Muſik uͤberhaupt nur durch die Auffuͤh- rung oder den Vortrag dem Ohre mitgetheilt wer- den kann, und der Tonſezer bey Verfertigung eines Stuͤks allezeit auf den Vortrag deſſelben Ruͤkſicht nimmt, und dann vorausſezt, daß es gerade ſo, als er es gedacht und empfunden hat, vorgetra- gen werde, ſo iſt die Lehre vom Vortrage die aller- wichtigſte in der praktiſchen Muſik, aber auch die allerſchweereſte, weil ſie gar viele Fertigkeiten vor- ausſezt, und die hoͤchſte Bildung des Virtuoſen zum Endzwek hat. Jede Gattung von Tonſtuͤken verlanget eine ihr ei- gene Art des Vortrags, die wieder in Anſehung des Vortrags der Hauptſtimme und der Begleitungsſtim- men unterſchieden iſt. Da von dem, was bey den lezteren zu beobachten iſt, hinlaͤnglich an einem an- dern Ort geſprochen worden (*), ſo haben wir es hier blos mit dem erſtern zu thun, und zwar nur in ſo fern unſere Anmerkungen, die das Wichtigſte was bey dem guten Vortrag einer Hauptſtimme zu beobachten iſt, enthalten werden, auf alle und jede Jnſtrumente und die Singeſtimme angewendet wer- den koͤnnen, ohne uns in dem, was bey jedem Jn- ſtrument in Anſehung des Mechaniſchen, als der Fuͤhrung des Bogens bey der Violine, des Anſchlags auf dem Clavier, des Windes und Zungenſtoßes bey der Floͤte ꝛc. beſonders zu beobachten iſt, einzulaſſen; weil davon allein ein großes Buch geſchrieben wer- den (*) S. Ausdruk in der Schau- ſpielkunſt. S 107. Ge- behrd n, Anſtand, Stellung. (*) S. Beglei- tung. Q q q q q q q 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1247[1229]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/676>, abgerufen am 29.04.2024.