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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Wie
eines bösen Zeichens die Fortsezung des Streits ab-
rathet, durch zwey Worte: Das beste Zeichen für
uns ist, daß wir für das Vaterland streiten.
(*)
Zu dieser Art der Wiederlegung sind die Macht-
sprüche fürtreflich; (*) die mehr würken, als weit-
läuftige Gegenbeweise. Was Cicero von der guten
Würkung des Scherzes anmerkt, bezieht sich haupt-
sächlich auf diese Art der Wiederlegung. Denn
wenn man eine Meinung lächerlich machen kann,
so getraut sich nicht leicht jemand, ihr beyzupflich-
ten. Als ein gutes Beyspiehl hievon kann die Ant-
wort angeführt werden, die Hannibal dem Gisko
gegeben, der eine fürchterliche Beschreibung von
dem römischen Heer gemacht hatte. "Das ist frey-
lich merkwürdig,
sagte der Heerführer; aber das
sonderbareste dabey ist dieses, daß unter so viel tau-
send Römern keiner Gisko heißt!
" Freylich macht
der Spott oder Scherz allein keine Wiederlegung,
und muß auch nirgend gebraucht werden, als wo
völlig ungegründete zugleich ungereimte Meinun-
gen, oder Behauptungen, die schädliche Würkun-
gen haben könnten, abzuweisen sind.

Bey jeder Wiederlegung hat man sorgfältig zu
bedenken, worauf eigentlich die Wahrscheinlichkeit,
oder Glaubwürdigkeit dessen, was man wiederlegen
will, beruhe. Denn dieses ist der eigentliche Punkt,
worauf es bey der Wiederlegung ankommt. Man
ist geneigt etwas falsches für wahr, oder etwas un-
wichtiges für wichtig zu halten, entweder; weil
scheinbare Gründe dafür vorhanden sind; oder weil
die Sache mit unsern Vorurtheilen, oder Neigun-
gen übereinstimmt; oder endlich, weil man für die
Person, die die Sache behauptet, eingenommen ist.
Hat man entdeket, aus welcher dieser drey Quellen
die Glaubwürdigkeit entspringt; so weiß man auch
wogegen man bey der Wiederlegung zu arbeiten hat.

Wiederschein.
(Mahlerey.)

Ein Schein, oder eine Farbe, die nicht von dem
allgemeinen eine Scene erleuchtenden Lichte, wie
das Sonnenlicht, oder das Tageslicht ist, sondern
von der hellen Farbe eines in der Nähe liegenden
Körpers, verursachet wird. Wer das, was wir
von dem Licht überhaupt angemerkt haben, (*) ge-
faßt hat, weiß, daß die Farben der Körper nichts
anders sind, als das von ihnen zurükprallende Licht,
das in unserm Auge das Gefühl ihrer Farben verur-
[Spaltenumbruch]

Wie
sachet. Nun kann die Farb eines Körpers so helle
seyn, daß sie nicht blos auf unser Aug, sondern auch
auf die Farbe der nahe gelegenen Körper ihre Wür-
kung thut, und diese in etwas verändert.

Man kann nämlich jede helle Farbe als ein Licht
ansehen, das auf andere, ohnedem schon sichtbare
Körper fällt, und auf deren Farben mehr oder weniger
Einflus hat. Dasselbige Kleid, verändert seine Farb
um etwas, wenn die Wände des Zimmers, darin
wir sind, sehr weiß, oder sehr gelb, oder sehr roth
sind; weil die helle Farbe der Wand als ein Licht
auf das Kleid fällt, und also nothwendig eine Aen-
derung darauf verursachet.

Wenn also Gegenstände von mancherley Farben
neben einander liegen, so bekommt jeder nicht blos
das allgemeine Licht des Tages, oder der Sonne, das
auf alle zugleich fällt, sondern einige empfangen auch
das besondere Licht der Farben, der neben ihm liegen-
den Körper, oder Wiederscheine. Deswegen ist die
Kenntnis der Wiederscheine ein wichtiger Theil der
Theorie des Mahlers. Zwar möchte mancher denken,
der Mahler, der nach der Natur mahlt, und seiner
Kunst gewiß ist, hätte keine Theorie des Lichts und
des Wiederscheines nöthig; er dürfte nur mahlen,
was er sieht. Aber die Sache verhält sich ganz an-
ders. Wenn wir den Landschaftmahler ausnehmen,
so wird kein Gegenstand gerade so gemahlt, wie
der Zufall in der Natur ihn den Augen des Mah-
lers darstellt. Er wählt Stellung, Anordnung,
Einfallen des Lichts, und auch die Dinge, die als
Nebensachen zu Hebung der Hauptgegenstände, ins
Gemählde kommen. Je richtiger seine Kenntnis
des Wiederscheines ist, je besser wählt er jeden Um-
stand zur Verschönerung des Colorits. Auch da,
wo der Künstler sich ganz an die Natur hält, kann
er ohne theoretische Kenntnis des Lichts, und der
Wiederscheine nicht einmal alles, was zur Farbe
der Körper gehört, sehen; wenigstens bemerkt er
es nicht so, daß er im Stande wäre die Natur
genau nachzumachen. Also ist schon zu völlig ge-
nauer Beurtheilung der Farben, die man in der
Natur vor sich sieht, eine Kenntnis des Lichts
und der Wiederscheine nothwendig. Sehr richtig
hat Cicero bemerkt, daß die Mahler in den Schat-
ten und in den hervorstehenden Theilen der Körper
vielmehr sehen, als andere. (*) Da es aber unnö-
thig ist, die Wichtigkeit der Lehre von den Wieder-

schei-
(*) Il. XII.
vs.
243.
(*) S.
Macht-
sp ruch.
(*) Jm
Art. Licht.
(*) Quam
multa vi-
dent picto-
res in um-
bris et in
eminentia,
quae nos
non vide-
mus?
Quaest.
Acad. L.
IV.
T t t t t t t 3

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Wie
eines boͤſen Zeichens die Fortſezung des Streits ab-
rathet, durch zwey Worte: Das beſte Zeichen fuͤr
uns iſt, daß wir fuͤr das Vaterland ſtreiten.
(*)
Zu dieſer Art der Wiederlegung ſind die Macht-
ſpruͤche fuͤrtreflich; (*) die mehr wuͤrken, als weit-
laͤuftige Gegenbeweiſe. Was Cicero von der guten
Wuͤrkung des Scherzes anmerkt, bezieht ſich haupt-
ſaͤchlich auf dieſe Art der Wiederlegung. Denn
wenn man eine Meinung laͤcherlich machen kann,
ſo getraut ſich nicht leicht jemand, ihr beyzupflich-
ten. Als ein gutes Beyſpiehl hievon kann die Ant-
wort angefuͤhrt werden, die Hannibal dem Gisko
gegeben, der eine fuͤrchterliche Beſchreibung von
dem roͤmiſchen Heer gemacht hatte. „Das iſt frey-
lich merkwuͤrdig,
ſagte der Heerfuͤhrer; aber das
ſonderbareſte dabey iſt dieſes, daß unter ſo viel tau-
ſend Roͤmern keiner Gisko heißt!
“ Freylich macht
der Spott oder Scherz allein keine Wiederlegung,
und muß auch nirgend gebraucht werden, als wo
voͤllig ungegruͤndete zugleich ungereimte Meinun-
gen, oder Behauptungen, die ſchaͤdliche Wuͤrkun-
gen haben koͤnnten, abzuweiſen ſind.

Bey jeder Wiederlegung hat man ſorgfaͤltig zu
bedenken, worauf eigentlich die Wahrſcheinlichkeit,
oder Glaubwuͤrdigkeit deſſen, was man wiederlegen
will, beruhe. Denn dieſes iſt der eigentliche Punkt,
worauf es bey der Wiederlegung ankommt. Man
iſt geneigt etwas falſches fuͤr wahr, oder etwas un-
wichtiges fuͤr wichtig zu halten, entweder; weil
ſcheinbare Gruͤnde dafuͤr vorhanden ſind; oder weil
die Sache mit unſern Vorurtheilen, oder Neigun-
gen uͤbereinſtimmt; oder endlich, weil man fuͤr die
Perſon, die die Sache behauptet, eingenommen iſt.
Hat man entdeket, aus welcher dieſer drey Quellen
die Glaubwuͤrdigkeit entſpringt; ſo weiß man auch
wogegen man bey der Wiederlegung zu arbeiten hat.

Wiederſchein.
(Mahlerey.)

Ein Schein, oder eine Farbe, die nicht von dem
allgemeinen eine Scene erleuchtenden Lichte, wie
das Sonnenlicht, oder das Tageslicht iſt, ſondern
von der hellen Farbe eines in der Naͤhe liegenden
Koͤrpers, verurſachet wird. Wer das, was wir
von dem Licht uͤberhaupt angemerkt haben, (*) ge-
faßt hat, weiß, daß die Farben der Koͤrper nichts
anders ſind, als das von ihnen zuruͤkprallende Licht,
das in unſerm Auge das Gefuͤhl ihrer Farben verur-
[Spaltenumbruch]

Wie
ſachet. Nun kann die Farb eines Koͤrpers ſo helle
ſeyn, daß ſie nicht blos auf unſer Aug, ſondern auch
auf die Farbe der nahe gelegenen Koͤrper ihre Wuͤr-
kung thut, und dieſe in etwas veraͤndert.

Man kann naͤmlich jede helle Farbe als ein Licht
anſehen, das auf andere, ohnedem ſchon ſichtbare
Koͤrper faͤllt, und auf deren Farben mehr oder weniger
Einflus hat. Daſſelbige Kleid, veraͤndert ſeine Farb
um etwas, wenn die Waͤnde des Zimmers, darin
wir ſind, ſehr weiß, oder ſehr gelb, oder ſehr roth
ſind; weil die helle Farbe der Wand als ein Licht
auf das Kleid faͤllt, und alſo nothwendig eine Aen-
derung darauf verurſachet.

Wenn alſo Gegenſtaͤnde von mancherley Farben
neben einander liegen, ſo bekommt jeder nicht blos
das allgemeine Licht des Tages, oder der Sonne, das
auf alle zugleich faͤllt, ſondern einige empfangen auch
das beſondere Licht der Farben, der neben ihm liegen-
den Koͤrper, oder Wiederſcheine. Deswegen iſt die
Kenntnis der Wiederſcheine ein wichtiger Theil der
Theorie des Mahlers. Zwar moͤchte mancher denken,
der Mahler, der nach der Natur mahlt, und ſeiner
Kunſt gewiß iſt, haͤtte keine Theorie des Lichts und
des Wiederſcheines noͤthig; er duͤrfte nur mahlen,
was er ſieht. Aber die Sache verhaͤlt ſich ganz an-
ders. Wenn wir den Landſchaftmahler ausnehmen,
ſo wird kein Gegenſtand gerade ſo gemahlt, wie
der Zufall in der Natur ihn den Augen des Mah-
lers darſtellt. Er waͤhlt Stellung, Anordnung,
Einfallen des Lichts, und auch die Dinge, die als
Nebenſachen zu Hebung der Hauptgegenſtaͤnde, ins
Gemaͤhlde kommen. Je richtiger ſeine Kenntnis
des Wiederſcheines iſt, je beſſer waͤhlt er jeden Um-
ſtand zur Verſchoͤnerung des Colorits. Auch da,
wo der Kuͤnſtler ſich ganz an die Natur haͤlt, kann
er ohne theoretiſche Kenntnis des Lichts, und der
Wiederſcheine nicht einmal alles, was zur Farbe
der Koͤrper gehoͤrt, ſehen; wenigſtens bemerkt er
es nicht ſo, daß er im Stande waͤre die Natur
genau nachzumachen. Alſo iſt ſchon zu voͤllig ge-
nauer Beurtheilung der Farben, die man in der
Natur vor ſich ſieht, eine Kenntnis des Lichts
und der Wiederſcheine nothwendig. Sehr richtig
hat Cicero bemerkt, daß die Mahler in den Schat-
ten und in den hervorſtehenden Theilen der Koͤrper
vielmehr ſehen, als andere. (*) Da es aber unnoͤ-
thig iſt, die Wichtigkeit der Lehre von den Wieder-

ſchei-
(*) Il. XII.
vs.
243.
(*) S.
Macht-
ſp ruch.
(*) Jm
Art. Licht.
(*) Quam
multa vi-
dent picto-
res in um-
bris et in
eminentia,
quæ nos
non vide-
mus?
Quæſt.
Acad. L.
IV.
T t t t t t t 3
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[1271[1253]/0700] Wie Wie eines boͤſen Zeichens die Fortſezung des Streits ab- rathet, durch zwey Worte: Das beſte Zeichen fuͤr uns iſt, daß wir fuͤr das Vaterland ſtreiten. (*) Zu dieſer Art der Wiederlegung ſind die Macht- ſpruͤche fuͤrtreflich; (*) die mehr wuͤrken, als weit- laͤuftige Gegenbeweiſe. Was Cicero von der guten Wuͤrkung des Scherzes anmerkt, bezieht ſich haupt- ſaͤchlich auf dieſe Art der Wiederlegung. Denn wenn man eine Meinung laͤcherlich machen kann, ſo getraut ſich nicht leicht jemand, ihr beyzupflich- ten. Als ein gutes Beyſpiehl hievon kann die Ant- wort angefuͤhrt werden, die Hannibal dem Gisko gegeben, der eine fuͤrchterliche Beſchreibung von dem roͤmiſchen Heer gemacht hatte. „Das iſt frey- lich merkwuͤrdig, ſagte der Heerfuͤhrer; aber das ſonderbareſte dabey iſt dieſes, daß unter ſo viel tau- ſend Roͤmern keiner Gisko heißt!“ Freylich macht der Spott oder Scherz allein keine Wiederlegung, und muß auch nirgend gebraucht werden, als wo voͤllig ungegruͤndete zugleich ungereimte Meinun- gen, oder Behauptungen, die ſchaͤdliche Wuͤrkun- gen haben koͤnnten, abzuweiſen ſind. Bey jeder Wiederlegung hat man ſorgfaͤltig zu bedenken, worauf eigentlich die Wahrſcheinlichkeit, oder Glaubwuͤrdigkeit deſſen, was man wiederlegen will, beruhe. Denn dieſes iſt der eigentliche Punkt, worauf es bey der Wiederlegung ankommt. Man iſt geneigt etwas falſches fuͤr wahr, oder etwas un- wichtiges fuͤr wichtig zu halten, entweder; weil ſcheinbare Gruͤnde dafuͤr vorhanden ſind; oder weil die Sache mit unſern Vorurtheilen, oder Neigun- gen uͤbereinſtimmt; oder endlich, weil man fuͤr die Perſon, die die Sache behauptet, eingenommen iſt. Hat man entdeket, aus welcher dieſer drey Quellen die Glaubwuͤrdigkeit entſpringt; ſo weiß man auch wogegen man bey der Wiederlegung zu arbeiten hat. Wiederſchein. (Mahlerey.) Ein Schein, oder eine Farbe, die nicht von dem allgemeinen eine Scene erleuchtenden Lichte, wie das Sonnenlicht, oder das Tageslicht iſt, ſondern von der hellen Farbe eines in der Naͤhe liegenden Koͤrpers, verurſachet wird. Wer das, was wir von dem Licht uͤberhaupt angemerkt haben, (*) ge- faßt hat, weiß, daß die Farben der Koͤrper nichts anders ſind, als das von ihnen zuruͤkprallende Licht, das in unſerm Auge das Gefuͤhl ihrer Farben verur- ſachet. Nun kann die Farb eines Koͤrpers ſo helle ſeyn, daß ſie nicht blos auf unſer Aug, ſondern auch auf die Farbe der nahe gelegenen Koͤrper ihre Wuͤr- kung thut, und dieſe in etwas veraͤndert. Man kann naͤmlich jede helle Farbe als ein Licht anſehen, das auf andere, ohnedem ſchon ſichtbare Koͤrper faͤllt, und auf deren Farben mehr oder weniger Einflus hat. Daſſelbige Kleid, veraͤndert ſeine Farb um etwas, wenn die Waͤnde des Zimmers, darin wir ſind, ſehr weiß, oder ſehr gelb, oder ſehr roth ſind; weil die helle Farbe der Wand als ein Licht auf das Kleid faͤllt, und alſo nothwendig eine Aen- derung darauf verurſachet. Wenn alſo Gegenſtaͤnde von mancherley Farben neben einander liegen, ſo bekommt jeder nicht blos das allgemeine Licht des Tages, oder der Sonne, das auf alle zugleich faͤllt, ſondern einige empfangen auch das beſondere Licht der Farben, der neben ihm liegen- den Koͤrper, oder Wiederſcheine. Deswegen iſt die Kenntnis der Wiederſcheine ein wichtiger Theil der Theorie des Mahlers. Zwar moͤchte mancher denken, der Mahler, der nach der Natur mahlt, und ſeiner Kunſt gewiß iſt, haͤtte keine Theorie des Lichts und des Wiederſcheines noͤthig; er duͤrfte nur mahlen, was er ſieht. Aber die Sache verhaͤlt ſich ganz an- ders. Wenn wir den Landſchaftmahler ausnehmen, ſo wird kein Gegenſtand gerade ſo gemahlt, wie der Zufall in der Natur ihn den Augen des Mah- lers darſtellt. Er waͤhlt Stellung, Anordnung, Einfallen des Lichts, und auch die Dinge, die als Nebenſachen zu Hebung der Hauptgegenſtaͤnde, ins Gemaͤhlde kommen. Je richtiger ſeine Kenntnis des Wiederſcheines iſt, je beſſer waͤhlt er jeden Um- ſtand zur Verſchoͤnerung des Colorits. Auch da, wo der Kuͤnſtler ſich ganz an die Natur haͤlt, kann er ohne theoretiſche Kenntnis des Lichts, und der Wiederſcheine nicht einmal alles, was zur Farbe der Koͤrper gehoͤrt, ſehen; wenigſtens bemerkt er es nicht ſo, daß er im Stande waͤre die Natur genau nachzumachen. Alſo iſt ſchon zu voͤllig ge- nauer Beurtheilung der Farben, die man in der Natur vor ſich ſieht, eine Kenntnis des Lichts und der Wiederſcheine nothwendig. Sehr richtig hat Cicero bemerkt, daß die Mahler in den Schat- ten und in den hervorſtehenden Theilen der Koͤrper vielmehr ſehen, als andere. (*) Da es aber unnoͤ- thig iſt, die Wichtigkeit der Lehre von den Wieder- ſchei- (*) Il. XII. vs. 243. (*) S. Macht- ſp ruch. (*) Jm Art. Licht. (*) Quam multa vi- dent picto- res in um- bris et in eminentia, quæ nos non vide- mus? Quæſt. Acad. L. IV. T t t t t t t 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1271[1253]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/700>, abgerufen am 29.04.2024.