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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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die gleichsam das Alphabet der Kupferstecherkunst
ausmachen, verbunden werden.

Ein höchstwichtiger Vortheil zur Erlernung der
Kunst wär es, wenn man eine von einem guten
Meister oder Kenner gemachte Sammlung der besten
Kupferstiche derjenigen Künstler bey der Hand hätte,
durch welche die Kunst würklich eine Vermehrung,
oder Vervollkommnung erhalten hat. Diese Samm-
lung müßte so gemacht seyn, daß jedes Blatt etwas
Neues enthielte, das bey der gegenwärtigen Voll-
kommenheit der Kunst durchgehends angenommen
worden. Diese Stüke müßten dem Schüler erklärt
werden, damit er begreifen lernte, daß z. E. diese
Behandlung am besten sey das Nakende in Figuren;
die, das Glänzende der Metalle und seidenen Stoffe;
diese eine leichte und warme, jene eine schweere und
kalte Luft auszudrüken, u. s. f. So bald die Hand
des Schülers durch Führung des Grabstichels, Aug
und Hand aber durch fleißiges Zeichnen eine gewisse
Fertigkeit erlanget haben; alsdann kann er anfan-
gen nach erwähnten Kupferstichen zu arbeiten.

Wenn man bedenkt, daß der Kupferstecher zur
Vorstellung der unendlichen Verschiedenheit natür-
licher Dinge kein ander Mittel hat, als schwarze
Striche oder Punkte auf einem weißen Grunde; so
wird man begreifen, was für erstaunliche Schwie-
rigkeiten die Kunst hat, und was für Genie ist er-
fodert worden, die mannigfaltigen Mittel auszu-
denken, wodurch es den Erfindern gelungen ist,
jede Sache natürlich darzustellen, und beynahe die
Farben der Gegenstände errathen zu lassen.

Jn diesen großen Schwierigkeiten liegt der Grund,
warum selten ein Kupferstecher in allen Theilen der
Kunst zugleich groß seyn kann, und warum es gut
ist, daß sich jeder auf einen Zweyg derselben; dieser
auf das Portrait; ein andrer anf das historische
Gemähld; ein dritter auf Landschaften, einschränke.
Denn es wäre würklich zu viel gefodert, daß ein
Mensch in allen Arten stark seyn sollte.

Man kann aus dem angeführten auch erkennen,
daß der große Kupferstecher, in welcher Art er sich
hervorthut, weder in Ansehung des Genies und der
Talente, noch in Absicht auf die durch Uebung er-
worbenen Geschiklichkeiten, dem Mahler, oder einem
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andern Künstler könne nachgesetzt werden. Wer
wird z. B. sich unterstehen zu leugnen, daß zu einem
Kupferstich, wie Massons Jünger zu Emaus nach
Titian, (+) weniger Genie und Kunst erforderlich
gewesen seyen, als zur Verfertigung des Gemähldes
selbst? Ein kühner Stich und zierliche Schrafirun-
gen machen so wenig den guten Kupferstecher aus,
als es zum guten Poeten hinlänglich ist, einen wol-
klingenden Vers zu machen.

Kupferstecherkunst.

Ob man gleich unter diesem Namen auch die Ra-
dierkunst und die sogenannte schwarze Kunst begreift,
so wird er hier in der Einschränkung genommen,
daß nur das eigentliche Kupferstechen mit dem Grab-
stichel darunter verstanden wird; weil von den bey-
den andern Zweygen der Kupferstecherkunst unter
ihren besondern Namen gesprochen wird.

Es ist unnöthig das allgemeine Verfahren dieser
Kunst hier weitläuftig zu beschreiben; denn es ist
bekannt genug, daß der Kupferstecher auf eine
unter ihrem Artikel bereits beschriebene Kupferplatte
vermittelst der, mehr oder wenigen stumpflaufen-
den, aber sehr schneidenden Spitze eines gehärte-
ten Sahls, dem man den Namen Grabstichel gege-
ben, die Striche eingräbt, die zur Zeichnung und
Schattirung sichtbarer Gegenstände nöthig sind,
und daß dieses in der Absicht geschehe, die auf die
Platte gestochene Zeichnung, so ofte man will, auf
Papier abzudruken. Ohne uns bey dem mechani-
schen der Kunst aufzuhalten, wollen wir ihre Kraft,
ihren Nuzen, und die Hauptpunkte ihrer Geschichte
betrachten.

Seitdem diese Kunst zu der Höhe gekommen ist,
die ihrer gänzlichen Vollkommenheit nahe liegt, kann
man sagen, daß sie eine Art Mahlerey sey, wodurch
alle Gattungen sichtbarer Gegenstände in ihren ei-
gentlichen Formen, und nach ihren Charakteren so
genau, als in der Natur selbst, wenn man die
Farben ausnihmt, dem Auge dargestellt werden.
Das Helle und Dunkele der Farben, die Harmonie
in Licht und Schatten, woraus die Haltung ent-
steht, so gar das Duftige, oder Härtere in dem Ton
der Luft, und einigermaaßen die Wärme des Le-

bens
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Jn der Sammlung der Kupferstiche, die der fran-
zösische Hof unter Ludwig den XIV, nach den in dem
Königl. Cabinet befindlichen Gemählden hat versertigen
[Spaltenumbruch] lassen. Cabinet des estampes du Roy de France. Diese
Sammlung ist selten zu haben, weil der Hof sie blos zu
Geschenken bestimmt hatte.
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die gleichſam das Alphabet der Kupferſtecherkunſt
ausmachen, verbunden werden.

Ein hoͤchſtwichtiger Vortheil zur Erlernung der
Kunſt waͤr es, wenn man eine von einem guten
Meiſter oder Kenner gemachte Sammlung der beſten
Kupferſtiche derjenigen Kuͤnſtler bey der Hand haͤtte,
durch welche die Kunſt wuͤrklich eine Vermehrung,
oder Vervollkommnung erhalten hat. Dieſe Samm-
lung muͤßte ſo gemacht ſeyn, daß jedes Blatt etwas
Neues enthielte, das bey der gegenwaͤrtigen Voll-
kommenheit der Kunſt durchgehends angenommen
worden. Dieſe Stuͤke muͤßten dem Schuͤler erklaͤrt
werden, damit er begreifen lernte, daß z. E. dieſe
Behandlung am beſten ſey das Nakende in Figuren;
die, das Glaͤnzende der Metalle und ſeidenen Stoffe;
dieſe eine leichte und warme, jene eine ſchweere und
kalte Luft auszudruͤken, u. ſ. f. So bald die Hand
des Schuͤlers durch Fuͤhrung des Grabſtichels, Aug
und Hand aber durch fleißiges Zeichnen eine gewiſſe
Fertigkeit erlanget haben; alsdann kann er anfan-
gen nach erwaͤhnten Kupferſtichen zu arbeiten.

Wenn man bedenkt, daß der Kupferſtecher zur
Vorſtellung der unendlichen Verſchiedenheit natuͤr-
licher Dinge kein ander Mittel hat, als ſchwarze
Striche oder Punkte auf einem weißen Grunde; ſo
wird man begreifen, was fuͤr erſtaunliche Schwie-
rigkeiten die Kunſt hat, und was fuͤr Genie iſt er-
fodert worden, die mannigfaltigen Mittel auszu-
denken, wodurch es den Erfindern gelungen iſt,
jede Sache natuͤrlich darzuſtellen, und beynahe die
Farben der Gegenſtaͤnde errathen zu laſſen.

Jn dieſen großen Schwierigkeiten liegt der Grund,
warum ſelten ein Kupferſtecher in allen Theilen der
Kunſt zugleich groß ſeyn kann, und warum es gut
iſt, daß ſich jeder auf einen Zweyg derſelben; dieſer
auf das Portrait; ein andrer anf das hiſtoriſche
Gemaͤhld; ein dritter auf Landſchaften, einſchraͤnke.
Denn es waͤre wuͤrklich zu viel gefodert, daß ein
Menſch in allen Arten ſtark ſeyn ſollte.

Man kann aus dem angefuͤhrten auch erkennen,
daß der große Kupferſtecher, in welcher Art er ſich
hervorthut, weder in Anſehung des Genies und der
Talente, noch in Abſicht auf die durch Uebung er-
worbenen Geſchiklichkeiten, dem Mahler, oder einem
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andern Kuͤnſtler koͤnne nachgeſetzt werden. Wer
wird z. B. ſich unterſtehen zu leugnen, daß zu einem
Kupferſtich, wie Maſſons Juͤnger zu Emaus nach
Titian, (†) weniger Genie und Kunſt erforderlich
geweſen ſeyen, als zur Verfertigung des Gemaͤhldes
ſelbſt? Ein kuͤhner Stich und zierliche Schrafirun-
gen machen ſo wenig den guten Kupferſtecher aus,
als es zum guten Poeten hinlaͤnglich iſt, einen wol-
klingenden Vers zu machen.

Kupferſtecherkunſt.

Ob man gleich unter dieſem Namen auch die Ra-
dierkunſt und die ſogenannte ſchwarze Kunſt begreift,
ſo wird er hier in der Einſchraͤnkung genommen,
daß nur das eigentliche Kupferſtechen mit dem Grab-
ſtichel darunter verſtanden wird; weil von den bey-
den andern Zweygen der Kupferſtecherkunſt unter
ihren beſondern Namen geſprochen wird.

Es iſt unnoͤthig das allgemeine Verfahren dieſer
Kunſt hier weitlaͤuftig zu beſchreiben; denn es iſt
bekannt genug, daß der Kupferſtecher auf eine
unter ihrem Artikel bereits beſchriebene Kupferplatte
vermittelſt der, mehr oder wenigen ſtumpflaufen-
den, aber ſehr ſchneidenden Spitze eines gehaͤrte-
ten Sahls, dem man den Namen Grabſtichel gege-
ben, die Striche eingraͤbt, die zur Zeichnung und
Schattirung ſichtbarer Gegenſtaͤnde noͤthig ſind,
und daß dieſes in der Abſicht geſchehe, die auf die
Platte geſtochene Zeichnung, ſo ofte man will, auf
Papier abzudruken. Ohne uns bey dem mechani-
ſchen der Kunſt aufzuhalten, wollen wir ihre Kraft,
ihren Nuzen, und die Hauptpunkte ihrer Geſchichte
betrachten.

Seitdem dieſe Kunſt zu der Hoͤhe gekommen iſt,
die ihrer gaͤnzlichen Vollkommenheit nahe liegt, kann
man ſagen, daß ſie eine Art Mahlerey ſey, wodurch
alle Gattungen ſichtbarer Gegenſtaͤnde in ihren ei-
gentlichen Formen, und nach ihren Charakteren ſo
genau, als in der Natur ſelbſt, wenn man die
Farben ausnihmt, dem Auge dargeſtellt werden.
Das Helle und Dunkele der Farben, die Harmonie
in Licht und Schatten, woraus die Haltung ent-
ſteht, ſo gar das Duftige, oder Haͤrtere in dem Ton
der Luft, und einigermaaßen die Waͤrme des Le-

bens
(†) [Spaltenumbruch]
Jn der Sammlung der Kupferſtiche, die der fran-
zoͤſiſche Hof unter Ludwig den XIV, nach den in dem
Koͤnigl. Cabinet befindlichen Gemaͤhlden hat verſertigen
[Spaltenumbruch] laſſen. Cabinet des eſtampes du Roy de France. Dieſe
Sammlung iſt ſelten zu haben, weil der Hof ſie blos zu
Geſchenken beſtimmt hatte.
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[637/0072] Kup Kup die gleichſam das Alphabet der Kupferſtecherkunſt ausmachen, verbunden werden. Ein hoͤchſtwichtiger Vortheil zur Erlernung der Kunſt waͤr es, wenn man eine von einem guten Meiſter oder Kenner gemachte Sammlung der beſten Kupferſtiche derjenigen Kuͤnſtler bey der Hand haͤtte, durch welche die Kunſt wuͤrklich eine Vermehrung, oder Vervollkommnung erhalten hat. Dieſe Samm- lung muͤßte ſo gemacht ſeyn, daß jedes Blatt etwas Neues enthielte, das bey der gegenwaͤrtigen Voll- kommenheit der Kunſt durchgehends angenommen worden. Dieſe Stuͤke muͤßten dem Schuͤler erklaͤrt werden, damit er begreifen lernte, daß z. E. dieſe Behandlung am beſten ſey das Nakende in Figuren; die, das Glaͤnzende der Metalle und ſeidenen Stoffe; dieſe eine leichte und warme, jene eine ſchweere und kalte Luft auszudruͤken, u. ſ. f. So bald die Hand des Schuͤlers durch Fuͤhrung des Grabſtichels, Aug und Hand aber durch fleißiges Zeichnen eine gewiſſe Fertigkeit erlanget haben; alsdann kann er anfan- gen nach erwaͤhnten Kupferſtichen zu arbeiten. Wenn man bedenkt, daß der Kupferſtecher zur Vorſtellung der unendlichen Verſchiedenheit natuͤr- licher Dinge kein ander Mittel hat, als ſchwarze Striche oder Punkte auf einem weißen Grunde; ſo wird man begreifen, was fuͤr erſtaunliche Schwie- rigkeiten die Kunſt hat, und was fuͤr Genie iſt er- fodert worden, die mannigfaltigen Mittel auszu- denken, wodurch es den Erfindern gelungen iſt, jede Sache natuͤrlich darzuſtellen, und beynahe die Farben der Gegenſtaͤnde errathen zu laſſen. Jn dieſen großen Schwierigkeiten liegt der Grund, warum ſelten ein Kupferſtecher in allen Theilen der Kunſt zugleich groß ſeyn kann, und warum es gut iſt, daß ſich jeder auf einen Zweyg derſelben; dieſer auf das Portrait; ein andrer anf das hiſtoriſche Gemaͤhld; ein dritter auf Landſchaften, einſchraͤnke. Denn es waͤre wuͤrklich zu viel gefodert, daß ein Menſch in allen Arten ſtark ſeyn ſollte. Man kann aus dem angefuͤhrten auch erkennen, daß der große Kupferſtecher, in welcher Art er ſich hervorthut, weder in Anſehung des Genies und der Talente, noch in Abſicht auf die durch Uebung er- worbenen Geſchiklichkeiten, dem Mahler, oder einem andern Kuͤnſtler koͤnne nachgeſetzt werden. Wer wird z. B. ſich unterſtehen zu leugnen, daß zu einem Kupferſtich, wie Maſſons Juͤnger zu Emaus nach Titian, (†) weniger Genie und Kunſt erforderlich geweſen ſeyen, als zur Verfertigung des Gemaͤhldes ſelbſt? Ein kuͤhner Stich und zierliche Schrafirun- gen machen ſo wenig den guten Kupferſtecher aus, als es zum guten Poeten hinlaͤnglich iſt, einen wol- klingenden Vers zu machen. Kupferſtecherkunſt. Ob man gleich unter dieſem Namen auch die Ra- dierkunſt und die ſogenannte ſchwarze Kunſt begreift, ſo wird er hier in der Einſchraͤnkung genommen, daß nur das eigentliche Kupferſtechen mit dem Grab- ſtichel darunter verſtanden wird; weil von den bey- den andern Zweygen der Kupferſtecherkunſt unter ihren beſondern Namen geſprochen wird. Es iſt unnoͤthig das allgemeine Verfahren dieſer Kunſt hier weitlaͤuftig zu beſchreiben; denn es iſt bekannt genug, daß der Kupferſtecher auf eine unter ihrem Artikel bereits beſchriebene Kupferplatte vermittelſt der, mehr oder wenigen ſtumpflaufen- den, aber ſehr ſchneidenden Spitze eines gehaͤrte- ten Sahls, dem man den Namen Grabſtichel gege- ben, die Striche eingraͤbt, die zur Zeichnung und Schattirung ſichtbarer Gegenſtaͤnde noͤthig ſind, und daß dieſes in der Abſicht geſchehe, die auf die Platte geſtochene Zeichnung, ſo ofte man will, auf Papier abzudruken. Ohne uns bey dem mechani- ſchen der Kunſt aufzuhalten, wollen wir ihre Kraft, ihren Nuzen, und die Hauptpunkte ihrer Geſchichte betrachten. Seitdem dieſe Kunſt zu der Hoͤhe gekommen iſt, die ihrer gaͤnzlichen Vollkommenheit nahe liegt, kann man ſagen, daß ſie eine Art Mahlerey ſey, wodurch alle Gattungen ſichtbarer Gegenſtaͤnde in ihren ei- gentlichen Formen, und nach ihren Charakteren ſo genau, als in der Natur ſelbſt, wenn man die Farben ausnihmt, dem Auge dargeſtellt werden. Das Helle und Dunkele der Farben, die Harmonie in Licht und Schatten, woraus die Haltung ent- ſteht, ſo gar das Duftige, oder Haͤrtere in dem Ton der Luft, und einigermaaßen die Waͤrme des Le- bens (†) Jn der Sammlung der Kupferſtiche, die der fran- zoͤſiſche Hof unter Ludwig den XIV, nach den in dem Koͤnigl. Cabinet befindlichen Gemaͤhlden hat verſertigen laſſen. Cabinet des eſtampes du Roy de France. Dieſe Sammlung iſt ſelten zu haben, weil der Hof ſie blos zu Geſchenken beſtimmt hatte. L l l l 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/72>, abgerufen am 29.04.2024.