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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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[Spaltenumbruch]
Pra
Pracht.
(Schöne Künste.)

Man lobt gewisse Werke der schönen Künste, we-
gen der sich darin zeigenden Pracht. Deswegen
scheinet das Prächtige eine ästhetische Eigenschaft
gewisser Werke zu seyn, und wir wollen versuchen,
den Begriff und den Werth desselben hier zu bestim-
men. Ursprünglich bedeutet das Wort ein starkes
Geräusch; deswegen man in dem eigentlichsten
Sinn dem Donner einer sehr stark besezten und
feyerlichen Musik, Pracht zuschreiben würde. Her-
nach hat man es auch auf sichtbare und andere Ge-
genstände, die sich mit Größe und Reichthum an-
kündigen, angewendet; daher man einen Garten,
ein Gebäude, Ausfichten auf Landschaften, Verzieh-
rungen, prächtig nennt, wenn das Mannigfaltige da-
rin groß, reich, und die Vorstellungskraft stark rührend
ist. Es scheinet also, daß man izt überhaupt durch
Pracht mannigfaltigen Reichthum mit Größe ver-
stehe, in so fern sie in einem einzigen Gegenstand
vereiniget sind; eine Mannigfaltigkeit solcher Dinge,
die die Sinnen, oder die Einbildungskraft durch
ihre Größe stark einnehmen.

Wahre Größe mit mannigfaltigem Reichthum
verbunden, findet man nirgend mehr, als in der
leblosen Natur, in den erstaunlichen Aussichten der
Länder, wo hohe und große Gebürge sind. Daher
nennt auch jedermann diese Aussichten vorzüglich
prächtig. So nennt man auch den Himmel, wenn
die untergehende Sonne verschiedene große Par-
thien von Wolken mit hellen und mannigfaltigen
Farben bemahlt. Gegenstände des Gesichts sind
überhaupt durch die Menge großer Formen, und
großer Massen, darin aber Mannigfaltigkeit herrscht,
prächtig. Gemählde sind es, wenn sie aus großen,
mit kleinern untermengten Gruppen, und eben sol-
chen Massen von Hellem und Dunkelen bestehen,
die dabey dem Aug einen Reichthum von Farben dar-
biethen. Ein Gebände fällt von außen mit Pracht
in das Aug, wenn nicht nur das Ganze in Höhe
und Weite die gewöhnlichen Maaße überschreitet;
sondern zugleich eine Menge großer Haupttheile ins
Auge fällt. Denn es scheinet, daß zu einer solchen
Pracht etwas mehr, als die stille, einfache Größe
solcher Massen, wie die ägyptischen Pyramiden sind,
erfodert werde.

Jn der Musik scheinet die Pracht, sowol bey ge-
schwinder, als bey langsamer Bewegung statt zu
[Spaltenumbruch]

Pra
haben; aber ein gerader Takt von oder scheinet
dazu am schiklichsten, und kleinere Schritte des Tak-
tes scheinen der Pracht entgegen. Dabey müssen
die Stimmen sehr stark besezt seyn, und besonders
die Bäße sich gut ausnehmen. Die Glieder der
Melodie, die Ein- und Abschnitte müssen eine ge-
wisse Größe haben, und die Harmonie muß nicht zu
schnell abwechselnd seyn.

Jn den Künsten der Rede scheinet eine Pracht
statt zu haben, die nicht blos aus der Größe und
dem Reichthum des Jnhalts entsteht, sondern auch
von der Schreibart, oder der Art, die Sachen vor-
zutragen, herkommt. Prächtige Gegenstände kön-
nen gemein und armseelig beschrieben werden. Die
Pracht hat immer etwas feyerlich veranstaltetes,
und es scheinet, daß ohne einen wol periodirten und
volltönenden Vortrag, einen hohen Ton, vergrößernde
Worte, keine Rede prächtig seyn könne. Vornehm-
lich aber trägt die Feyerlichkeit des Tones, und der
Gebrauch solcher Verbindungs- und Beziehungs-
wörter, wodurch die Aufmerksamkeit immer aufs
neue gereizt wird, das meiste zur Pracht bey. Also,
sagt er -- Jzt erhebt er sich -- Nun beginnt das
Getümmel
-- u. d. gl.

Außerdem bekommt die Rede Pracht, wenn die
Hauptgegenstände, von denen die Größe herrühret,
erst jeder besonders mit einigem Gepränge vors Ge-
sicht gebracht worden, ehe man uns die vereinigte
Würkung davon sehen läßt. So ist Homers Erzäh-
lung von dem Streit des Diomedes gegen die Söhne
des Dares im Anfange des V Buchs der Jlias.
Ein gemeiner Erzähler würde ohngefehr so angefan-
gen haben. "Darauf trat Diomedes voll Muth
und mit glänzenden Waffen gegen die Söhne des
Dares heraus; sie auf Wagen, er zu Fuße" u. s. f.
Aber der Dichter, um die Erzählung prächtig zu
machen, und uns Zeit zu lassen, die Helden, ehe
der Streit angeht, recht ins Gesicht zu fassen, und
uns in große Erwartung zu sezen, beschreibet erst
umständlich und mit merklicher Veranstaltung den
Diomedes. "Aber dem Diomedes, des Tydens
Sohn gab izt Pallas Athene Kühnheit und Muth,
u. s. w." Nachdem wir diesen Helden wol ins
Auge gefaßt haben und seinethalber in große Erwar-
tung gesezt worden, läßt er nun seine Gegner eben-
falls feyerlich auftreten. "Aber unter den Troja-
nern war ein gewisser Dares -- Dieser hatte zwey
Söhne u. s. w."

Von
Zweyter Theil. Y y y y y
[Spaltenumbruch]
Pra
Pracht.
(Schoͤne Kuͤnſte.)

Man lobt gewiſſe Werke der ſchoͤnen Kuͤnſte, we-
gen der ſich darin zeigenden Pracht. Deswegen
ſcheinet das Praͤchtige eine aͤſthetiſche Eigenſchaft
gewiſſer Werke zu ſeyn, und wir wollen verſuchen,
den Begriff und den Werth deſſelben hier zu beſtim-
men. Urſpruͤnglich bedeutet das Wort ein ſtarkes
Geraͤuſch; deswegen man in dem eigentlichſten
Sinn dem Donner einer ſehr ſtark beſezten und
feyerlichen Muſik, Pracht zuſchreiben wuͤrde. Her-
nach hat man es auch auf ſichtbare und andere Ge-
genſtaͤnde, die ſich mit Groͤße und Reichthum an-
kuͤndigen, angewendet; daher man einen Garten,
ein Gebaͤude, Ausfichten auf Landſchaften, Verzieh-
rungen, praͤchtig nennt, wenn das Mannigfaltige da-
rin groß, reich, und die Vorſtellungskraft ſtark ruͤhrend
iſt. Es ſcheinet alſo, daß man izt uͤberhaupt durch
Pracht mannigfaltigen Reichthum mit Groͤße ver-
ſtehe, in ſo fern ſie in einem einzigen Gegenſtand
vereiniget ſind; eine Mannigfaltigkeit ſolcher Dinge,
die die Sinnen, oder die Einbildungskraft durch
ihre Groͤße ſtark einnehmen.

Wahre Groͤße mit mannigfaltigem Reichthum
verbunden, findet man nirgend mehr, als in der
lebloſen Natur, in den erſtaunlichen Ausſichten der
Laͤnder, wo hohe und große Gebuͤrge ſind. Daher
nennt auch jedermann dieſe Ausſichten vorzuͤglich
praͤchtig. So nennt man auch den Himmel, wenn
die untergehende Sonne verſchiedene große Par-
thien von Wolken mit hellen und mannigfaltigen
Farben bemahlt. Gegenſtaͤnde des Geſichts ſind
uͤberhaupt durch die Menge großer Formen, und
großer Maſſen, darin aber Mannigfaltigkeit herrſcht,
praͤchtig. Gemaͤhlde ſind es, wenn ſie aus großen,
mit kleinern untermengten Gruppen, und eben ſol-
chen Maſſen von Hellem und Dunkelen beſtehen,
die dabey dem Aug einen Reichthum von Farben dar-
biethen. Ein Gebaͤnde faͤllt von außen mit Pracht
in das Aug, wenn nicht nur das Ganze in Hoͤhe
und Weite die gewoͤhnlichen Maaße uͤberſchreitet;
ſondern zugleich eine Menge großer Haupttheile ins
Auge faͤllt. Denn es ſcheinet, daß zu einer ſolchen
Pracht etwas mehr, als die ſtille, einfache Groͤße
ſolcher Maſſen, wie die aͤgyptiſchen Pyramiden ſind,
erfodert werde.

Jn der Muſik ſcheinet die Pracht, ſowol bey ge-
ſchwinder, als bey langſamer Bewegung ſtatt zu
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Pra
haben; aber ein gerader Takt von oder ſcheinet
dazu am ſchiklichſten, und kleinere Schritte des Tak-
tes ſcheinen der Pracht entgegen. Dabey muͤſſen
die Stimmen ſehr ſtark beſezt ſeyn, und beſonders
die Baͤße ſich gut ausnehmen. Die Glieder der
Melodie, die Ein- und Abſchnitte muͤſſen eine ge-
wiſſe Groͤße haben, und die Harmonie muß nicht zu
ſchnell abwechſelnd ſeyn.

Jn den Kuͤnſten der Rede ſcheinet eine Pracht
ſtatt zu haben, die nicht blos aus der Groͤße und
dem Reichthum des Jnhalts entſteht, ſondern auch
von der Schreibart, oder der Art, die Sachen vor-
zutragen, herkommt. Praͤchtige Gegenſtaͤnde koͤn-
nen gemein und armſeelig beſchrieben werden. Die
Pracht hat immer etwas feyerlich veranſtaltetes,
und es ſcheinet, daß ohne einen wol periodirten und
volltoͤnenden Vortrag, einen hohen Ton, vergroͤßernde
Worte, keine Rede praͤchtig ſeyn koͤnne. Vornehm-
lich aber traͤgt die Feyerlichkeit des Tones, und der
Gebrauch ſolcher Verbindungs- und Beziehungs-
woͤrter, wodurch die Aufmerkſamkeit immer aufs
neue gereizt wird, das meiſte zur Pracht bey. Alſo,
ſagt er — Jzt erhebt er ſich — Nun beginnt das
Getuͤmmel
— u. d. gl.

Außerdem bekommt die Rede Pracht, wenn die
Hauptgegenſtaͤnde, von denen die Groͤße herruͤhret,
erſt jeder beſonders mit einigem Gepraͤnge vors Ge-
ſicht gebracht worden, ehe man uns die vereinigte
Wuͤrkung davon ſehen laͤßt. So iſt Homers Erzaͤh-
lung von dem Streit des Diomedes gegen die Soͤhne
des Dares im Anfange des V Buchs der Jlias.
Ein gemeiner Erzaͤhler wuͤrde ohngefehr ſo angefan-
gen haben. „Darauf trat Diomedes voll Muth
und mit glaͤnzenden Waffen gegen die Soͤhne des
Dares heraus; ſie auf Wagen, er zu Fuße“ u. ſ. f.
Aber der Dichter, um die Erzaͤhlung praͤchtig zu
machen, und uns Zeit zu laſſen, die Helden, ehe
der Streit angeht, recht ins Geſicht zu faſſen, und
uns in große Erwartung zu ſezen, beſchreibet erſt
umſtaͤndlich und mit merklicher Veranſtaltung den
Diomedes. „Aber dem Diomedes, des Tydens
Sohn gab izt Pallas Athene Kuͤhnheit und Muth,
u. ſ. w.“ Nachdem wir dieſen Helden wol ins
Auge gefaßt haben und ſeinethalber in große Erwar-
tung geſezt worden, laͤßt er nun ſeine Gegner eben-
falls feyerlich auftreten. „Aber unter den Troja-
nern war ein gewiſſer Dares — Dieſer hatte zwey
Soͤhne u. ſ. w.“

Von
Zweyter Theil. Y y y y y
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[923[905]/0341] Pra Pra Pracht. (Schoͤne Kuͤnſte.) Man lobt gewiſſe Werke der ſchoͤnen Kuͤnſte, we- gen der ſich darin zeigenden Pracht. Deswegen ſcheinet das Praͤchtige eine aͤſthetiſche Eigenſchaft gewiſſer Werke zu ſeyn, und wir wollen verſuchen, den Begriff und den Werth deſſelben hier zu beſtim- men. Urſpruͤnglich bedeutet das Wort ein ſtarkes Geraͤuſch; deswegen man in dem eigentlichſten Sinn dem Donner einer ſehr ſtark beſezten und feyerlichen Muſik, Pracht zuſchreiben wuͤrde. Her- nach hat man es auch auf ſichtbare und andere Ge- genſtaͤnde, die ſich mit Groͤße und Reichthum an- kuͤndigen, angewendet; daher man einen Garten, ein Gebaͤude, Ausfichten auf Landſchaften, Verzieh- rungen, praͤchtig nennt, wenn das Mannigfaltige da- rin groß, reich, und die Vorſtellungskraft ſtark ruͤhrend iſt. Es ſcheinet alſo, daß man izt uͤberhaupt durch Pracht mannigfaltigen Reichthum mit Groͤße ver- ſtehe, in ſo fern ſie in einem einzigen Gegenſtand vereiniget ſind; eine Mannigfaltigkeit ſolcher Dinge, die die Sinnen, oder die Einbildungskraft durch ihre Groͤße ſtark einnehmen. Wahre Groͤße mit mannigfaltigem Reichthum verbunden, findet man nirgend mehr, als in der lebloſen Natur, in den erſtaunlichen Ausſichten der Laͤnder, wo hohe und große Gebuͤrge ſind. Daher nennt auch jedermann dieſe Ausſichten vorzuͤglich praͤchtig. So nennt man auch den Himmel, wenn die untergehende Sonne verſchiedene große Par- thien von Wolken mit hellen und mannigfaltigen Farben bemahlt. Gegenſtaͤnde des Geſichts ſind uͤberhaupt durch die Menge großer Formen, und großer Maſſen, darin aber Mannigfaltigkeit herrſcht, praͤchtig. Gemaͤhlde ſind es, wenn ſie aus großen, mit kleinern untermengten Gruppen, und eben ſol- chen Maſſen von Hellem und Dunkelen beſtehen, die dabey dem Aug einen Reichthum von Farben dar- biethen. Ein Gebaͤnde faͤllt von außen mit Pracht in das Aug, wenn nicht nur das Ganze in Hoͤhe und Weite die gewoͤhnlichen Maaße uͤberſchreitet; ſondern zugleich eine Menge großer Haupttheile ins Auge faͤllt. Denn es ſcheinet, daß zu einer ſolchen Pracht etwas mehr, als die ſtille, einfache Groͤße ſolcher Maſſen, wie die aͤgyptiſchen Pyramiden ſind, erfodert werde. Jn der Muſik ſcheinet die Pracht, ſowol bey ge- ſchwinder, als bey langſamer Bewegung ſtatt zu haben; aber ein gerader Takt von [FORMEL] oder [FORMEL] ſcheinet dazu am ſchiklichſten, und kleinere Schritte des Tak- tes ſcheinen der Pracht entgegen. Dabey muͤſſen die Stimmen ſehr ſtark beſezt ſeyn, und beſonders die Baͤße ſich gut ausnehmen. Die Glieder der Melodie, die Ein- und Abſchnitte muͤſſen eine ge- wiſſe Groͤße haben, und die Harmonie muß nicht zu ſchnell abwechſelnd ſeyn. Jn den Kuͤnſten der Rede ſcheinet eine Pracht ſtatt zu haben, die nicht blos aus der Groͤße und dem Reichthum des Jnhalts entſteht, ſondern auch von der Schreibart, oder der Art, die Sachen vor- zutragen, herkommt. Praͤchtige Gegenſtaͤnde koͤn- nen gemein und armſeelig beſchrieben werden. Die Pracht hat immer etwas feyerlich veranſtaltetes, und es ſcheinet, daß ohne einen wol periodirten und volltoͤnenden Vortrag, einen hohen Ton, vergroͤßernde Worte, keine Rede praͤchtig ſeyn koͤnne. Vornehm- lich aber traͤgt die Feyerlichkeit des Tones, und der Gebrauch ſolcher Verbindungs- und Beziehungs- woͤrter, wodurch die Aufmerkſamkeit immer aufs neue gereizt wird, das meiſte zur Pracht bey. Alſo, ſagt er — Jzt erhebt er ſich — Nun beginnt das Getuͤmmel — u. d. gl. Außerdem bekommt die Rede Pracht, wenn die Hauptgegenſtaͤnde, von denen die Groͤße herruͤhret, erſt jeder beſonders mit einigem Gepraͤnge vors Ge- ſicht gebracht worden, ehe man uns die vereinigte Wuͤrkung davon ſehen laͤßt. So iſt Homers Erzaͤh- lung von dem Streit des Diomedes gegen die Soͤhne des Dares im Anfange des V Buchs der Jlias. Ein gemeiner Erzaͤhler wuͤrde ohngefehr ſo angefan- gen haben. „Darauf trat Diomedes voll Muth und mit glaͤnzenden Waffen gegen die Soͤhne des Dares heraus; ſie auf Wagen, er zu Fuße“ u. ſ. f. Aber der Dichter, um die Erzaͤhlung praͤchtig zu machen, und uns Zeit zu laſſen, die Helden, ehe der Streit angeht, recht ins Geſicht zu faſſen, und uns in große Erwartung zu ſezen, beſchreibet erſt umſtaͤndlich und mit merklicher Veranſtaltung den Diomedes. „Aber dem Diomedes, des Tydens Sohn gab izt Pallas Athene Kuͤhnheit und Muth, u. ſ. w.“ Nachdem wir dieſen Helden wol ins Auge gefaßt haben und ſeinethalber in große Erwar- tung geſezt worden, laͤßt er nun ſeine Gegner eben- falls feyerlich auftreten. „Aber unter den Troja- nern war ein gewiſſer Dares — Dieſer hatte zwey Soͤhne u. ſ. w.“ Von Zweyter Theil. Y y y y y

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 923[905]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/341>, abgerufen am 27.04.2024.