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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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Rhy
was aus den guten Verhältnissen in Gebäuden und
Formen entsteht, Eurythmie genennt worden; so
läßt sich daraus abnehmen, daß die Griechen dem
Ebenmaaß der Formen nicht eigentlich den Rhyth-
mus, sondern etwas dem Rhythmus ähnliches zu-
geschrieben haben, und daß das Wort die Ordnung
und das Abgemessene in Dingen, die auf einander
folgen, ausgedrükt habe.

Jndessen erkläre man das griechische Wort, wie
man wolle; so nehmen wir es hier blos von der
Ordnung in Ton und Bewegung,
und zwar vor-
nehmlich in so fern sie in der Musik und in dem Tanz
vorkommt. Wir werden nachher die Anwendung
davon auf die Dichtkunst leichte machen können. Von
dem Rhythmus der prosaischen Rede, haben wir
schon unter seinem lateinischen Namen Numerus ge-
sprochen. Damit der über diese Materie noch un-
unterrichtete Leser auf einmal einen allgemeinen, und
richtigen Begriff vom Rhythmus in der Musik be-
komme, merken wir vorläufig an, daß in der Musik
der Rhythmus gerade das ist, was in der Poesie
die Versart.

Da nicht nur die Alten dem Rhythmus große
ästhetische Kraft zuschreiben, sondern auch izt Jeder-
mann gesteht, daß im Gesang und Tanz alles, was
man eigentlich Schönheit nennt, vom Rhythmus
herkommt; so gehört die Untersuchung über die ei-
gentliche Natur und die Würkung desselben unmit-
telbar hieher, und ist um so viel nöthiger, da sie, so
viel mir bekannt ist, von keinem Kunstrichter un-
ternommen worden; daher die Tonsezer selbst ofte
ziemlich verworrene Begriffe von dem Rhythmus
haben, dessen Nothwendigkeit sie empfinden, ohne
den geringsten Grund davon angeben zu können.

Jch habe gesagt, man schreibe das, was die Musik
und der Tanz im eigentlichen Sinne schönes haben,
dem Rhythmus zu. Hier muß ich, um die Materie
meiner Untersuchung genauer zu bestimmen, noth-
wendig anmerken, daß Gesang und Tanz ihre ästhe-
tische Kraft aus zwey ganz verschiedenen Quellen
schöpfen. Die Töne der Musik, die Bewegungen
und Gebehrden des Tanzes können eine natürliche
Bedeutung haben, wobey der Rhythmus nicht in
Betrachtung kommt. Man höret Töne und sieht
Bewegungen die an sich fröhlich, freudig, zärtlich,
traurig und schmerzhaft sind. Diese haben, ohne
allen Einflus der Kunst, Kraft uns zu rühren, und
man nennet oft auch diese Dinge schön. Die Schön-
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Rhy
heit, die aus dem Rhythmus entsteht, ist etwas
ganz anderes; nämlich, sie liegt in Dingen, die an
sich völlig gleichgültig sind; die gar keine natürliche
Bedeutung, keinen Ausdruk der Freude, oder des
Schmerzens haben.

Damit wir alles Fremde, von der Untersuchung
über den Ursprung, die Natur und Würkung des
Rhythmus ausschließen, wollen wir blos völlig gleich-
gültige Elemente voraussezen, dergleichen die Schläge
einer Trummel oder die Töne einer Sayte sind;
Töne ohne andere Kraft, als die, die sie durch den
Rhythmus erhalten. Es wird hernach leicht seyn,
die Theorie auch auf andere Elemente anzuwenden.

Man stelle sich also einzele Schläge einer Trum-
mel, oder einzele Töne einer Sayte vor, und ma-
che sich die Frage, wodurch kann eine Folge solcher
Schläge angenehm werden, und einen sittlichen,
oder leidenschaftlichen Charakter bekommen?
so ste-
het man gerade auf dem Punkt, von dem die Unter-
suchung über den Rhythmus anfängt. Nun zur
Sache.

Erstlich ist offenbar, daß solche Schläge, die ohne
die geringste Ordnung, oder regelmäßige Abmessung
der Zeit auf einander folgen, gar nichts an sich ha-
ben, das die Aufmerksamkeit reizen könnte; man
höret sie, ohne darauf zu achten. Cicero vergleicht
irgendwo den Numerus der Rede mit einen gewissen
regelmäßig abgewechselten Herunterfallen der Regen-
tropfen. Das Beyspiehl kann uns auch hier dienen.
So lange man ein völlig unordentliches Geräusch
der Tropfen höret, denkt man weiter an nichts, als
daß es regnet. Sobald man aber unter dem Ge-
räusche das Auffallen einzeler Tropfen unterscheidet,
und wahrnihmt, daß diese immer in gleicher Zeit
wiederkommen, oder daß nach gleichem Zeitraum
immer zwey, drey, oder mehr Tropfen nach einer
gewissen Ordnung auf einander folgen, und so etwas
Periodisches bilden, wie die Hammerschläge von drey
oder vier Schmieden; so wird die Aufmerksamkeit
zu Beobachtung dieser Ordnung angeloket. Da
entstehet nun schon etwas vom Rhythmus, nämlich
eine regelmäßige Wiederkehr von einerley Schlägen.

Wenn wir uns also, um wieder auf die Schläge der
Trummel zu kommen, eine Folge von gleichen Schlä-
gen nach gleichen Zeittheilen auf einander kommend,
unter dem Bilde gleichgroßer und in gleicher Entfernung
von einander gesezter Punkte vorstellen; * * * * *,
so haben wir einen Begriff von der einfachesten Ord-

nung

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Rhy
was aus den guten Verhaͤltniſſen in Gebaͤuden und
Formen entſteht, Eurythmie genennt worden; ſo
laͤßt ſich daraus abnehmen, daß die Griechen dem
Ebenmaaß der Formen nicht eigentlich den Rhyth-
mus, ſondern etwas dem Rhythmus aͤhnliches zu-
geſchrieben haben, und daß das Wort die Ordnung
und das Abgemeſſene in Dingen, die auf einander
folgen, ausgedruͤkt habe.

Jndeſſen erklaͤre man das griechiſche Wort, wie
man wolle; ſo nehmen wir es hier blos von der
Ordnung in Ton und Bewegung,
und zwar vor-
nehmlich in ſo fern ſie in der Muſik und in dem Tanz
vorkommt. Wir werden nachher die Anwendung
davon auf die Dichtkunſt leichte machen koͤnnen. Von
dem Rhythmus der proſaiſchen Rede, haben wir
ſchon unter ſeinem lateiniſchen Namen Numerus ge-
ſprochen. Damit der uͤber dieſe Materie noch un-
unterrichtete Leſer auf einmal einen allgemeinen, und
richtigen Begriff vom Rhythmus in der Muſik be-
komme, merken wir vorlaͤufig an, daß in der Muſik
der Rhythmus gerade das iſt, was in der Poeſie
die Versart.

Da nicht nur die Alten dem Rhythmus große
aͤſthetiſche Kraft zuſchreiben, ſondern auch izt Jeder-
mann geſteht, daß im Geſang und Tanz alles, was
man eigentlich Schoͤnheit nennt, vom Rhythmus
herkommt; ſo gehoͤrt die Unterſuchung uͤber die ei-
gentliche Natur und die Wuͤrkung deſſelben unmit-
telbar hieher, und iſt um ſo viel noͤthiger, da ſie, ſo
viel mir bekannt iſt, von keinem Kunſtrichter un-
ternommen worden; daher die Tonſezer ſelbſt ofte
ziemlich verworrene Begriffe von dem Rhythmus
haben, deſſen Nothwendigkeit ſie empfinden, ohne
den geringſten Grund davon angeben zu koͤnnen.

Jch habe geſagt, man ſchreibe das, was die Muſik
und der Tanz im eigentlichen Sinne ſchoͤnes haben,
dem Rhythmus zu. Hier muß ich, um die Materie
meiner Unterſuchung genauer zu beſtimmen, noth-
wendig anmerken, daß Geſang und Tanz ihre aͤſthe-
tiſche Kraft aus zwey ganz verſchiedenen Quellen
ſchoͤpfen. Die Toͤne der Muſik, die Bewegungen
und Gebehrden des Tanzes koͤnnen eine natuͤrliche
Bedeutung haben, wobey der Rhythmus nicht in
Betrachtung kommt. Man hoͤret Toͤne und ſieht
Bewegungen die an ſich froͤhlich, freudig, zaͤrtlich,
traurig und ſchmerzhaft ſind. Dieſe haben, ohne
allen Einflus der Kunſt, Kraft uns zu ruͤhren, und
man nennet oft auch dieſe Dinge ſchoͤn. Die Schoͤn-
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Rhy
heit, die aus dem Rhythmus entſteht, iſt etwas
ganz anderes; naͤmlich, ſie liegt in Dingen, die an
ſich voͤllig gleichguͤltig ſind; die gar keine natuͤrliche
Bedeutung, keinen Ausdruk der Freude, oder des
Schmerzens haben.

Damit wir alles Fremde, von der Unterſuchung
uͤber den Urſprung, die Natur und Wuͤrkung des
Rhythmus ausſchließen, wollen wir blos voͤllig gleich-
guͤltige Elemente vorausſezen, dergleichen die Schlaͤge
einer Trummel oder die Toͤne einer Sayte ſind;
Toͤne ohne andere Kraft, als die, die ſie durch den
Rhythmus erhalten. Es wird hernach leicht ſeyn,
die Theorie auch auf andere Elemente anzuwenden.

Man ſtelle ſich alſo einzele Schlaͤge einer Trum-
mel, oder einzele Toͤne einer Sayte vor, und ma-
che ſich die Frage, wodurch kann eine Folge ſolcher
Schlaͤge angenehm werden, und einen ſittlichen,
oder leidenſchaftlichen Charakter bekommen?
ſo ſte-
het man gerade auf dem Punkt, von dem die Unter-
ſuchung uͤber den Rhythmus anfaͤngt. Nun zur
Sache.

Erſtlich iſt offenbar, daß ſolche Schlaͤge, die ohne
die geringſte Ordnung, oder regelmaͤßige Abmeſſung
der Zeit auf einander folgen, gar nichts an ſich ha-
ben, das die Aufmerkſamkeit reizen koͤnnte; man
hoͤret ſie, ohne darauf zu achten. Cicero vergleicht
irgendwo den Numerus der Rede mit einen gewiſſen
regelmaͤßig abgewechſelten Herunterfallen der Regen-
tropfen. Das Beyſpiehl kann uns auch hier dienen.
So lange man ein voͤllig unordentliches Geraͤuſch
der Tropfen hoͤret, denkt man weiter an nichts, als
daß es regnet. Sobald man aber unter dem Ge-
raͤuſche das Auffallen einzeler Tropfen unterſcheidet,
und wahrnihmt, daß dieſe immer in gleicher Zeit
wiederkommen, oder daß nach gleichem Zeitraum
immer zwey, drey, oder mehr Tropfen nach einer
gewiſſen Ordnung auf einander folgen, und ſo etwas
Periodiſches bilden, wie die Hammerſchlaͤge von drey
oder vier Schmieden; ſo wird die Aufmerkſamkeit
zu Beobachtung dieſer Ordnung angeloket. Da
entſtehet nun ſchon etwas vom Rhythmus, naͤmlich
eine regelmaͤßige Wiederkehr von einerley Schlaͤgen.

Wenn wir uns alſo, um wieder auf die Schlaͤge der
Trummel zu kommen, eine Folge von gleichen Schlaͤ-
gen nach gleichen Zeittheilen auf einander kommend,
unter dem Bilde gleichgroßer und in gleicher Entfernung
von einander geſezter Punkte vorſtellen; ● ● ● ● ●,
ſo haben wir einen Begriff von der einfacheſten Ord-

nung
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[976[958]/0405] Rhy Rhy was aus den guten Verhaͤltniſſen in Gebaͤuden und Formen entſteht, Eurythmie genennt worden; ſo laͤßt ſich daraus abnehmen, daß die Griechen dem Ebenmaaß der Formen nicht eigentlich den Rhyth- mus, ſondern etwas dem Rhythmus aͤhnliches zu- geſchrieben haben, und daß das Wort die Ordnung und das Abgemeſſene in Dingen, die auf einander folgen, ausgedruͤkt habe. Jndeſſen erklaͤre man das griechiſche Wort, wie man wolle; ſo nehmen wir es hier blos von der Ordnung in Ton und Bewegung, und zwar vor- nehmlich in ſo fern ſie in der Muſik und in dem Tanz vorkommt. Wir werden nachher die Anwendung davon auf die Dichtkunſt leichte machen koͤnnen. Von dem Rhythmus der proſaiſchen Rede, haben wir ſchon unter ſeinem lateiniſchen Namen Numerus ge- ſprochen. Damit der uͤber dieſe Materie noch un- unterrichtete Leſer auf einmal einen allgemeinen, und richtigen Begriff vom Rhythmus in der Muſik be- komme, merken wir vorlaͤufig an, daß in der Muſik der Rhythmus gerade das iſt, was in der Poeſie die Versart. Da nicht nur die Alten dem Rhythmus große aͤſthetiſche Kraft zuſchreiben, ſondern auch izt Jeder- mann geſteht, daß im Geſang und Tanz alles, was man eigentlich Schoͤnheit nennt, vom Rhythmus herkommt; ſo gehoͤrt die Unterſuchung uͤber die ei- gentliche Natur und die Wuͤrkung deſſelben unmit- telbar hieher, und iſt um ſo viel noͤthiger, da ſie, ſo viel mir bekannt iſt, von keinem Kunſtrichter un- ternommen worden; daher die Tonſezer ſelbſt ofte ziemlich verworrene Begriffe von dem Rhythmus haben, deſſen Nothwendigkeit ſie empfinden, ohne den geringſten Grund davon angeben zu koͤnnen. Jch habe geſagt, man ſchreibe das, was die Muſik und der Tanz im eigentlichen Sinne ſchoͤnes haben, dem Rhythmus zu. Hier muß ich, um die Materie meiner Unterſuchung genauer zu beſtimmen, noth- wendig anmerken, daß Geſang und Tanz ihre aͤſthe- tiſche Kraft aus zwey ganz verſchiedenen Quellen ſchoͤpfen. Die Toͤne der Muſik, die Bewegungen und Gebehrden des Tanzes koͤnnen eine natuͤrliche Bedeutung haben, wobey der Rhythmus nicht in Betrachtung kommt. Man hoͤret Toͤne und ſieht Bewegungen die an ſich froͤhlich, freudig, zaͤrtlich, traurig und ſchmerzhaft ſind. Dieſe haben, ohne allen Einflus der Kunſt, Kraft uns zu ruͤhren, und man nennet oft auch dieſe Dinge ſchoͤn. Die Schoͤn- heit, die aus dem Rhythmus entſteht, iſt etwas ganz anderes; naͤmlich, ſie liegt in Dingen, die an ſich voͤllig gleichguͤltig ſind; die gar keine natuͤrliche Bedeutung, keinen Ausdruk der Freude, oder des Schmerzens haben. Damit wir alles Fremde, von der Unterſuchung uͤber den Urſprung, die Natur und Wuͤrkung des Rhythmus ausſchließen, wollen wir blos voͤllig gleich- guͤltige Elemente vorausſezen, dergleichen die Schlaͤge einer Trummel oder die Toͤne einer Sayte ſind; Toͤne ohne andere Kraft, als die, die ſie durch den Rhythmus erhalten. Es wird hernach leicht ſeyn, die Theorie auch auf andere Elemente anzuwenden. Man ſtelle ſich alſo einzele Schlaͤge einer Trum- mel, oder einzele Toͤne einer Sayte vor, und ma- che ſich die Frage, wodurch kann eine Folge ſolcher Schlaͤge angenehm werden, und einen ſittlichen, oder leidenſchaftlichen Charakter bekommen? ſo ſte- het man gerade auf dem Punkt, von dem die Unter- ſuchung uͤber den Rhythmus anfaͤngt. Nun zur Sache. Erſtlich iſt offenbar, daß ſolche Schlaͤge, die ohne die geringſte Ordnung, oder regelmaͤßige Abmeſſung der Zeit auf einander folgen, gar nichts an ſich ha- ben, das die Aufmerkſamkeit reizen koͤnnte; man hoͤret ſie, ohne darauf zu achten. Cicero vergleicht irgendwo den Numerus der Rede mit einen gewiſſen regelmaͤßig abgewechſelten Herunterfallen der Regen- tropfen. Das Beyſpiehl kann uns auch hier dienen. So lange man ein voͤllig unordentliches Geraͤuſch der Tropfen hoͤret, denkt man weiter an nichts, als daß es regnet. Sobald man aber unter dem Ge- raͤuſche das Auffallen einzeler Tropfen unterſcheidet, und wahrnihmt, daß dieſe immer in gleicher Zeit wiederkommen, oder daß nach gleichem Zeitraum immer zwey, drey, oder mehr Tropfen nach einer gewiſſen Ordnung auf einander folgen, und ſo etwas Periodiſches bilden, wie die Hammerſchlaͤge von drey oder vier Schmieden; ſo wird die Aufmerkſamkeit zu Beobachtung dieſer Ordnung angeloket. Da entſtehet nun ſchon etwas vom Rhythmus, naͤmlich eine regelmaͤßige Wiederkehr von einerley Schlaͤgen. Wenn wir uns alſo, um wieder auf die Schlaͤge der Trummel zu kommen, eine Folge von gleichen Schlaͤ- gen nach gleichen Zeittheilen auf einander kommend, unter dem Bilde gleichgroßer und in gleicher Entfernung von einander geſezter Punkte vorſtellen; ● ● ● ● ●, ſo haben wir einen Begriff von der einfacheſten Ord- nung

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 976[958]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/405>, abgerufen am 26.04.2024.