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Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.

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46. Bogislav X. und Hans Lange.

Der Herzog Erich von Pommern starb im Jahre 1474, vor Gram und Sorge, auf dem Schlosse zu Wolgast, und wurde begraben im Kloster Eldena bei Greifswald. Er hinterließ sein Gemahl Sophia mit acht Kindern, nämlich fünf Töchtern und drei Söhnen, unter den letzteren als jüngsten den Herzog Bogislav, der nachher der Zehnte genannt wurde. Dieser Herzog Bogislav ist der berühmteste Herzog der Pommern geworden, und er hat so viel Großes und Gutes gethan, daß er noch jetzt bei Jedermann im rühmlichsten Andenken ist. In seiner Jugend aber hat es ihm schlecht und traurig ergangen und ohne den guten Hans Lange wäre er wohl nicht ein so großer und berühmter Herr geworden.

Herzog Erich hatte nämlich mit seinem Gemahl in unversöhnlichem Unfrieden gelebt, weil sie sich nicht betrug, wie es einer fürstlichen Frau geziemt. Er hatte sie daher, getrennt von ihm, nach Rügenwalde geschickt, wo sie mit ihrem Buhlen, dem Hofmeister Hans Massow, eine fürstliche Hofhaltung hatte. Sie hatte auch ihre beiden jüngsten Prinzen Casimir und Bogislav bei sich, allein sie kümmerte sich um dieselben nicht, und sie war ihnen sogar todfeind um ihres Vaters des Herzogs willen. Sie ließ sie mit den Bürgerkindern in die Schule zu Rügenwalde gehen und gab ihnen nicht einmal die nothdürftigste Kleidung, also daß die armen Herrlein gleich den ärmsten Schülern mit zerrissenen Kleidern gingen, und die Zehen ihnen aus den Schuhen hervorsahen, und Jedermann nicht anders vermeinte, als daß sie es gern gesehen hätte, wenn sie gar umgekommen wären.

Es wohnte zu damaliger Zeit nicht weit von Rügenwalde in dem Dorfe Lantzke oder Lanzig ein Bauer, Hans

46. Bogislav X. und Hans Lange.

Der Herzog Erich von Pommern starb im Jahre 1474, vor Gram und Sorge, auf dem Schlosse zu Wolgast, und wurde begraben im Kloster Eldena bei Greifswald. Er hinterließ sein Gemahl Sophia mit acht Kindern, nämlich fünf Töchtern und drei Söhnen, unter den letzteren als jüngsten den Herzog Bogislav, der nachher der Zehnte genannt wurde. Dieser Herzog Bogislav ist der berühmteste Herzog der Pommern geworden, und er hat so viel Großes und Gutes gethan, daß er noch jetzt bei Jedermann im rühmlichsten Andenken ist. In seiner Jugend aber hat es ihm schlecht und traurig ergangen und ohne den guten Hans Lange wäre er wohl nicht ein so großer und berühmter Herr geworden.

Herzog Erich hatte nämlich mit seinem Gemahl in unversöhnlichem Unfrieden gelebt, weil sie sich nicht betrug, wie es einer fürstlichen Frau geziemt. Er hatte sie daher, getrennt von ihm, nach Rügenwalde geschickt, wo sie mit ihrem Buhlen, dem Hofmeister Hans Massow, eine fürstliche Hofhaltung hatte. Sie hatte auch ihre beiden jüngsten Prinzen Casimir und Bogislav bei sich, allein sie kümmerte sich um dieselben nicht, und sie war ihnen sogar todfeind um ihres Vaters des Herzogs willen. Sie ließ sie mit den Bürgerkindern in die Schule zu Rügenwalde gehen und gab ihnen nicht einmal die nothdürftigste Kleidung, also daß die armen Herrlein gleich den ärmsten Schülern mit zerrissenen Kleidern gingen, und die Zehen ihnen aus den Schuhen hervorsahen, und Jedermann nicht anders vermeinte, als daß sie es gern gesehen hätte, wenn sie gar umgekommen wären.

Es wohnte zu damaliger Zeit nicht weit von Rügenwalde in dem Dorfe Lantzke oder Lanzig ein Bauer, Hans

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[76/0108] 46. Bogislav X. und Hans Lange. Der Herzog Erich von Pommern starb im Jahre 1474, vor Gram und Sorge, auf dem Schlosse zu Wolgast, und wurde begraben im Kloster Eldena bei Greifswald. Er hinterließ sein Gemahl Sophia mit acht Kindern, nämlich fünf Töchtern und drei Söhnen, unter den letzteren als jüngsten den Herzog Bogislav, der nachher der Zehnte genannt wurde. Dieser Herzog Bogislav ist der berühmteste Herzog der Pommern geworden, und er hat so viel Großes und Gutes gethan, daß er noch jetzt bei Jedermann im rühmlichsten Andenken ist. In seiner Jugend aber hat es ihm schlecht und traurig ergangen und ohne den guten Hans Lange wäre er wohl nicht ein so großer und berühmter Herr geworden. Herzog Erich hatte nämlich mit seinem Gemahl in unversöhnlichem Unfrieden gelebt, weil sie sich nicht betrug, wie es einer fürstlichen Frau geziemt. Er hatte sie daher, getrennt von ihm, nach Rügenwalde geschickt, wo sie mit ihrem Buhlen, dem Hofmeister Hans Massow, eine fürstliche Hofhaltung hatte. Sie hatte auch ihre beiden jüngsten Prinzen Casimir und Bogislav bei sich, allein sie kümmerte sich um dieselben nicht, und sie war ihnen sogar todfeind um ihres Vaters des Herzogs willen. Sie ließ sie mit den Bürgerkindern in die Schule zu Rügenwalde gehen und gab ihnen nicht einmal die nothdürftigste Kleidung, also daß die armen Herrlein gleich den ärmsten Schülern mit zerrissenen Kleidern gingen, und die Zehen ihnen aus den Schuhen hervorsahen, und Jedermann nicht anders vermeinte, als daß sie es gern gesehen hätte, wenn sie gar umgekommen wären. Es wohnte zu damaliger Zeit nicht weit von Rügenwalde in dem Dorfe Lantzke oder Lanzig ein Bauer, Hans

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Zitationshilfe: Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/108>, abgerufen am 28.04.2024.