Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
55. Die Bauern zu Conerow.

In dem Kreise Greifswald liegt ein kleines Dörfchen, Namens Conerow, das schon seit vielen Jahren nur von drei Bauern bewohnt wird. Die drei Bauern in Conerow hatten einst gehört, wie schlecht es ihrem Könige, Karl dem Zwölften, in Rußland ergangen war, und wie er hatte zu den Türken flüchten müssen, und dort gar große Noth und Elend erleide. Das that ihnen in der Seele weh, und sie brachten Alles an Gelde und Geldeswerth zusammen, was sie nur eben nothdürftig entbehren konnten. Das setzten sie zu Wolgast in blankes Gold um, und nun nahm Einer von ihnen ein Pferd, und ritt mit dem Golde nach Bender hin, um es dem Könige zu bringen; der hieß Hans Müsebeck.

Der König war damals wirklich in arger Noth. Er hatte keinen Pfennig Geld mehr, und er wußte nicht, wie er sich und die paar Getreuen, die um ihn waren, vor dem Hungertode erretten solle. Alle seine und der Seinigen Pferde hatte er schon erschossen, um die allgemeine Noth zu erleichtern. Nur seinen besten Rappen, der ihn durch so manche Lebensgefahr getragen, hatte er noch verschont. Aber auch diesen konnte er nicht mehr halten. Schweigend nahm der König daher eines Tages selbst das Pistol, und setzte es dem treuen Thiere hinter das Ohr, und schoß es also nieder. Dann setzte er sich auf dem Bauch des Rosses, und gedachte seines Unglücks. Da hörte er auf einmal unweit von sich, auf gut Pommersch die Worte: Helf Gott, wo finde ich meinen König? - Und wie er aufblickt, da sieht er einen Bauern, der ganz allein daher geritten kommt. Der wird zu ihm geführt. Es war der Bauer aus Conerow. Er stieg von seinem Pferde, und kniete vor dem König, und zog aus seinen Stiefeln zwei große Rollen mit Gold hervor. Die überreichte er dem König, und bat ihn, sie anzunehmen,

55. Die Bauern zu Conerow.

In dem Kreise Greifswald liegt ein kleines Dörfchen, Namens Conerow, das schon seit vielen Jahren nur von drei Bauern bewohnt wird. Die drei Bauern in Conerow hatten einst gehört, wie schlecht es ihrem Könige, Karl dem Zwölften, in Rußland ergangen war, und wie er hatte zu den Türken flüchten müssen, und dort gar große Noth und Elend erleide. Das that ihnen in der Seele weh, und sie brachten Alles an Gelde und Geldeswerth zusammen, was sie nur eben nothdürftig entbehren konnten. Das setzten sie zu Wolgast in blankes Gold um, und nun nahm Einer von ihnen ein Pferd, und ritt mit dem Golde nach Bender hin, um es dem Könige zu bringen; der hieß Hans Müsebeck.

Der König war damals wirklich in arger Noth. Er hatte keinen Pfennig Geld mehr, und er wußte nicht, wie er sich und die paar Getreuen, die um ihn waren, vor dem Hungertode erretten solle. Alle seine und der Seinigen Pferde hatte er schon erschossen, um die allgemeine Noth zu erleichtern. Nur seinen besten Rappen, der ihn durch so manche Lebensgefahr getragen, hatte er noch verschont. Aber auch diesen konnte er nicht mehr halten. Schweigend nahm der König daher eines Tages selbst das Pistol, und setzte es dem treuen Thiere hinter das Ohr, und schoß es also nieder. Dann setzte er sich auf dem Bauch des Rosses, und gedachte seines Unglücks. Da hörte er auf einmal unweit von sich, auf gut Pommersch die Worte: Helf Gott, wo finde ich meinen König? – Und wie er aufblickt, da sieht er einen Bauern, der ganz allein daher geritten kommt. Der wird zu ihm geführt. Es war der Bauer aus Conerow. Er stieg von seinem Pferde, und kniete vor dem König, und zog aus seinen Stiefeln zwei große Rollen mit Gold hervor. Die überreichte er dem König, und bat ihn, sie anzunehmen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0124" n="92"/>
        <div n="2">
          <head>55. Die Bauern zu Conerow.</head><lb/>
          <p>In dem Kreise Greifswald liegt ein kleines Dörfchen, Namens Conerow, das schon seit vielen Jahren nur von drei Bauern bewohnt wird. Die drei Bauern in Conerow hatten einst gehört, wie schlecht es ihrem Könige, Karl dem Zwölften, in Rußland ergangen war, und wie er hatte zu den Türken flüchten müssen, und dort gar große Noth und Elend erleide. Das that ihnen in der Seele weh, und sie brachten Alles an Gelde und Geldeswerth zusammen, was sie nur eben nothdürftig entbehren konnten. Das setzten sie zu Wolgast in blankes Gold um, und nun nahm Einer von ihnen ein Pferd, und ritt mit dem Golde nach Bender hin, um es dem Könige zu bringen; der hieß Hans Müsebeck.</p>
          <p>Der König war damals wirklich in arger Noth. Er hatte keinen Pfennig Geld mehr, und er wußte nicht, wie er sich und die paar Getreuen, die um ihn waren, vor dem Hungertode erretten solle. Alle seine und der Seinigen Pferde hatte er schon erschossen, um die allgemeine Noth zu erleichtern. Nur seinen besten Rappen, der ihn durch so manche Lebensgefahr getragen, hatte er noch verschont. Aber auch diesen konnte er nicht mehr halten. Schweigend nahm der König daher eines Tages selbst das Pistol, und setzte es dem treuen Thiere hinter das Ohr, und schoß es also nieder. Dann setzte er sich auf dem Bauch des Rosses, und gedachte seines Unglücks. Da hörte er auf einmal unweit von sich, auf gut Pommersch die Worte: Helf Gott, wo finde ich meinen König? &#x2013; Und wie er aufblickt, da sieht er einen Bauern, der ganz allein daher geritten kommt. Der wird zu ihm geführt. Es war der Bauer aus Conerow. Er stieg von seinem Pferde, und kniete vor dem König, und zog aus seinen Stiefeln zwei große Rollen mit Gold hervor. Die überreichte er dem König, und bat ihn, sie anzunehmen,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[92/0124] 55. Die Bauern zu Conerow. In dem Kreise Greifswald liegt ein kleines Dörfchen, Namens Conerow, das schon seit vielen Jahren nur von drei Bauern bewohnt wird. Die drei Bauern in Conerow hatten einst gehört, wie schlecht es ihrem Könige, Karl dem Zwölften, in Rußland ergangen war, und wie er hatte zu den Türken flüchten müssen, und dort gar große Noth und Elend erleide. Das that ihnen in der Seele weh, und sie brachten Alles an Gelde und Geldeswerth zusammen, was sie nur eben nothdürftig entbehren konnten. Das setzten sie zu Wolgast in blankes Gold um, und nun nahm Einer von ihnen ein Pferd, und ritt mit dem Golde nach Bender hin, um es dem Könige zu bringen; der hieß Hans Müsebeck. Der König war damals wirklich in arger Noth. Er hatte keinen Pfennig Geld mehr, und er wußte nicht, wie er sich und die paar Getreuen, die um ihn waren, vor dem Hungertode erretten solle. Alle seine und der Seinigen Pferde hatte er schon erschossen, um die allgemeine Noth zu erleichtern. Nur seinen besten Rappen, der ihn durch so manche Lebensgefahr getragen, hatte er noch verschont. Aber auch diesen konnte er nicht mehr halten. Schweigend nahm der König daher eines Tages selbst das Pistol, und setzte es dem treuen Thiere hinter das Ohr, und schoß es also nieder. Dann setzte er sich auf dem Bauch des Rosses, und gedachte seines Unglücks. Da hörte er auf einmal unweit von sich, auf gut Pommersch die Worte: Helf Gott, wo finde ich meinen König? – Und wie er aufblickt, da sieht er einen Bauern, der ganz allein daher geritten kommt. Der wird zu ihm geführt. Es war der Bauer aus Conerow. Er stieg von seinem Pferde, und kniete vor dem König, und zog aus seinen Stiefeln zwei große Rollen mit Gold hervor. Die überreichte er dem König, und bat ihn, sie anzunehmen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • als Grundlage dienen die Editionsrichtlinien von Wikisource.
  • Überschriebene „e“ über den Vokalen „a“, „o“ und „u“ werden als moderne Umlaute transkribiert.
  • Gesperrter Text wird kursiv
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Einzüge werden nicht übernommen
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Fußnoten der Vorlage sind fortlaufend nummeriert und folgen jeweils am Schluß des Textes.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/124
Zitationshilfe: Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/124>, abgerufen am 28.04.2024.