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Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.

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95. Treue Liebe.

Im Jahre 1644 wurde Samuel Heinrich Sommerfeld, ein Mecklenburger, Pastor zu Gustow auf Rügen. Die Gemeinde hatte ihn nur unter der Bedingung gewählt, daß er entweder die Wittwe des verstorbenen Predigers oder dessen Tochter, die auch schon erwachsen war, heirathe, und er hatte solches zugesagt. Die Wittwe selbst erklärte nun anfangs, daß sie, weil sie schon sehr bei Jahren war, selbst nicht mehr heirathen wolle, und sie bestimmte ihre Tochter Margaretha zu der Frau des künftigen Predigers, machte auch ihrer Seits schon Anstalt, den Wittwensitz zu beziehen. Nachdem sie aber den jungen Candidaten durchs Fenster gesehen hatte, wie er eben seine erste Predigt abgelegt, da verspürte sie plötzlich in ihrem Herzen eine starke Liebesregung zu demselben, und sie änderte ihren Sinn, und als der Candidat darauf zu ihr kam, um die Hand ihrer Tochter anzuhalten, so erwiederte sie ihm nur die Worte: Ick will den Heeren sülvest (Ich will den Herrn selbst)! Der arme Candidat, wollte er die Pfarre nicht verlieren, mußte er auch die alte Quarre mitnehmen, und er ließ sich, anstatt mit der Tochter, mit der Mutter trauen. Allein das that er nur mit schwerem Herzen, und wenn er hernachmals zuweilen mit ihr bei fröhlichen Zusammenkünften gescherzet, hat er oft zu ihr gesprochen: Mütterchen, Mütterchen, Gott gebe Euch das ewige Leben. Worauf ihm aber die Alte jedesmal geantwortet: Und Euch auch, hinzusetzend, daß sie auch im Tode nicht von ihm lassen werde, was auch also geschah.

Denn als nun fünf und zwanzig Jahre verflossen waren, da geschah es einmal, daß dieses Mütterchen etwas unvorsichtig mit dem Brauwerk umging, und dem kochenden Kessel mit dem Arm zu nahe kam. Hieraus entstand

95. Treue Liebe.

Im Jahre 1644 wurde Samuel Heinrich Sommerfeld, ein Mecklenburger, Pastor zu Gustow auf Rügen. Die Gemeinde hatte ihn nur unter der Bedingung gewählt, daß er entweder die Wittwe des verstorbenen Predigers oder dessen Tochter, die auch schon erwachsen war, heirathe, und er hatte solches zugesagt. Die Wittwe selbst erklärte nun anfangs, daß sie, weil sie schon sehr bei Jahren war, selbst nicht mehr heirathen wolle, und sie bestimmte ihre Tochter Margaretha zu der Frau des künftigen Predigers, machte auch ihrer Seits schon Anstalt, den Wittwensitz zu beziehen. Nachdem sie aber den jungen Candidaten durchs Fenster gesehen hatte, wie er eben seine erste Predigt abgelegt, da verspürte sie plötzlich in ihrem Herzen eine starke Liebesregung zu demselben, und sie änderte ihren Sinn, und als der Candidat darauf zu ihr kam, um die Hand ihrer Tochter anzuhalten, so erwiederte sie ihm nur die Worte: Ick will den Heeren sülvest (Ich will den Herrn selbst)! Der arme Candidat, wollte er die Pfarre nicht verlieren, mußte er auch die alte Quarre mitnehmen, und er ließ sich, anstatt mit der Tochter, mit der Mutter trauen. Allein das that er nur mit schwerem Herzen, und wenn er hernachmals zuweilen mit ihr bei fröhlichen Zusammenkünften gescherzet, hat er oft zu ihr gesprochen: Mütterchen, Mütterchen, Gott gebe Euch das ewige Leben. Worauf ihm aber die Alte jedesmal geantwortet: Und Euch auch, hinzusetzend, daß sie auch im Tode nicht von ihm lassen werde, was auch also geschah.

Denn als nun fünf und zwanzig Jahre verflossen waren, da geschah es einmal, daß dieses Mütterchen etwas unvorsichtig mit dem Brauwerk umging, und dem kochenden Kessel mit dem Arm zu nahe kam. Hieraus entstand

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[131/0163] 95. Treue Liebe. Im Jahre 1644 wurde Samuel Heinrich Sommerfeld, ein Mecklenburger, Pastor zu Gustow auf Rügen. Die Gemeinde hatte ihn nur unter der Bedingung gewählt, daß er entweder die Wittwe des verstorbenen Predigers oder dessen Tochter, die auch schon erwachsen war, heirathe, und er hatte solches zugesagt. Die Wittwe selbst erklärte nun anfangs, daß sie, weil sie schon sehr bei Jahren war, selbst nicht mehr heirathen wolle, und sie bestimmte ihre Tochter Margaretha zu der Frau des künftigen Predigers, machte auch ihrer Seits schon Anstalt, den Wittwensitz zu beziehen. Nachdem sie aber den jungen Candidaten durchs Fenster gesehen hatte, wie er eben seine erste Predigt abgelegt, da verspürte sie plötzlich in ihrem Herzen eine starke Liebesregung zu demselben, und sie änderte ihren Sinn, und als der Candidat darauf zu ihr kam, um die Hand ihrer Tochter anzuhalten, so erwiederte sie ihm nur die Worte: Ick will den Heeren sülvest (Ich will den Herrn selbst)! Der arme Candidat, wollte er die Pfarre nicht verlieren, mußte er auch die alte Quarre mitnehmen, und er ließ sich, anstatt mit der Tochter, mit der Mutter trauen. Allein das that er nur mit schwerem Herzen, und wenn er hernachmals zuweilen mit ihr bei fröhlichen Zusammenkünften gescherzet, hat er oft zu ihr gesprochen: Mütterchen, Mütterchen, Gott gebe Euch das ewige Leben. Worauf ihm aber die Alte jedesmal geantwortet: Und Euch auch, hinzusetzend, daß sie auch im Tode nicht von ihm lassen werde, was auch also geschah. Denn als nun fünf und zwanzig Jahre verflossen waren, da geschah es einmal, daß dieses Mütterchen etwas unvorsichtig mit dem Brauwerk umging, und dem kochenden Kessel mit dem Arm zu nahe kam. Hieraus entstand

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Zitationshilfe: Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/163>, abgerufen am 28.04.2024.