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Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840.

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253. Der Kalfater oder Klabatermann.

In Pommern erzählt man sich Folgendes: Sobald ein neues Schiff fertig und von seiner Mannschaft in Besitz genommen ist, zieht in dasselbe auch ein kleiner Geist ein. Die Schiffer nennen ihn den Kalfater oder Klabatermann. Er ist ein guter Geist, sowohl für das Schiff als für die Mannschaft. Gesehen haben ihn nur Wenige, denn es ist ein Unglück für den, der ihn sieht. Die ihn gesehen haben, sagen, er sey kaum zwei Fuß groß; er soll eine rothe Jacke, weite Schifferhosen und einen runden Hut tragen. Andere aber sagen, daß er ganz nackt sey. Je weniger man ihn sieht, desto öfter kann man ihn im Schiffe hören. Denn für dieses sorgt und mühet er sich ohne Unterlaß. Er hilft im Raum die Ballen nachstauchen, er kalfatert das Schiff da, wo kein Mensch zukommen kann, woher er auch den Namen hat. Wenn der Schiffer in der Kajüte eingeschlafen ist, das Schiff aber von Gefahr bedrohet wird, dann fühlt er sich plötzlich vom kleinen Klabatermann angestoßen, daß er erwacht und auffährt, und nun geschwinde anordnet, was zur Abwendung der Gefahr nöthig ist. Die Schiffsleute wissen recht gut, daß dies alles der kleine Kalfater thut. Sie sagen auch nicht anders als: Hörst du wohl, da ist er wieder! wenn sie ihn unten im Raume oder draußen an den Planken handthieren hören.

Die Matrosen suchen sich gut mit ihm zu halten; denn den flinken Matrosen hilft er, wo sie irgend eine Arbeit haben, daß sie frisch und gut von der Hand geht. Er sorgt dafür, daß die Taue beim Einrahmen der Segel auch beim schärfsten Winde nicht schlenkern; er erleichtert ihnen die halbe Arbeit beim Aufhissen der Anker. Und wenn ein flinker Bursch von einem Schiffe auf ein anderes abgeht, dann giebt ihm der Klabatermann ein Zeichen mit,

253. Der Kalfater oder Klabatermann.

In Pommern erzählt man sich Folgendes: Sobald ein neues Schiff fertig und von seiner Mannschaft in Besitz genommen ist, zieht in dasselbe auch ein kleiner Geist ein. Die Schiffer nennen ihn den Kalfater oder Klabatermann. Er ist ein guter Geist, sowohl für das Schiff als für die Mannschaft. Gesehen haben ihn nur Wenige, denn es ist ein Unglück für den, der ihn sieht. Die ihn gesehen haben, sagen, er sey kaum zwei Fuß groß; er soll eine rothe Jacke, weite Schifferhosen und einen runden Hut tragen. Andere aber sagen, daß er ganz nackt sey. Je weniger man ihn sieht, desto öfter kann man ihn im Schiffe hören. Denn für dieses sorgt und mühet er sich ohne Unterlaß. Er hilft im Raum die Ballen nachstauchen, er kalfatert das Schiff da, wo kein Mensch zukommen kann, woher er auch den Namen hat. Wenn der Schiffer in der Kajüte eingeschlafen ist, das Schiff aber von Gefahr bedrohet wird, dann fühlt er sich plötzlich vom kleinen Klabatermann angestoßen, daß er erwacht und auffährt, und nun geschwinde anordnet, was zur Abwendung der Gefahr nöthig ist. Die Schiffsleute wissen recht gut, daß dies alles der kleine Kalfater thut. Sie sagen auch nicht anders als: Hörst du wohl, da ist er wieder! wenn sie ihn unten im Raume oder draußen an den Planken handthieren hören.

Die Matrosen suchen sich gut mit ihm zu halten; denn den flinken Matrosen hilft er, wo sie irgend eine Arbeit haben, daß sie frisch und gut von der Hand geht. Er sorgt dafür, daß die Taue beim Einrahmen der Segel auch beim schärfsten Winde nicht schlenkern; er erleichtert ihnen die halbe Arbeit beim Aufhissen der Anker. Und wenn ein flinker Bursch von einem Schiffe auf ein anderes abgeht, dann giebt ihm der Klabatermann ein Zeichen mit,

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[300/0332] 253. Der Kalfater oder Klabatermann. In Pommern erzählt man sich Folgendes: Sobald ein neues Schiff fertig und von seiner Mannschaft in Besitz genommen ist, zieht in dasselbe auch ein kleiner Geist ein. Die Schiffer nennen ihn den Kalfater oder Klabatermann. Er ist ein guter Geist, sowohl für das Schiff als für die Mannschaft. Gesehen haben ihn nur Wenige, denn es ist ein Unglück für den, der ihn sieht. Die ihn gesehen haben, sagen, er sey kaum zwei Fuß groß; er soll eine rothe Jacke, weite Schifferhosen und einen runden Hut tragen. Andere aber sagen, daß er ganz nackt sey. Je weniger man ihn sieht, desto öfter kann man ihn im Schiffe hören. Denn für dieses sorgt und mühet er sich ohne Unterlaß. Er hilft im Raum die Ballen nachstauchen, er kalfatert das Schiff da, wo kein Mensch zukommen kann, woher er auch den Namen hat. Wenn der Schiffer in der Kajüte eingeschlafen ist, das Schiff aber von Gefahr bedrohet wird, dann fühlt er sich plötzlich vom kleinen Klabatermann angestoßen, daß er erwacht und auffährt, und nun geschwinde anordnet, was zur Abwendung der Gefahr nöthig ist. Die Schiffsleute wissen recht gut, daß dies alles der kleine Kalfater thut. Sie sagen auch nicht anders als: Hörst du wohl, da ist er wieder! wenn sie ihn unten im Raume oder draußen an den Planken handthieren hören. Die Matrosen suchen sich gut mit ihm zu halten; denn den flinken Matrosen hilft er, wo sie irgend eine Arbeit haben, daß sie frisch und gut von der Hand geht. Er sorgt dafür, daß die Taue beim Einrahmen der Segel auch beim schärfsten Winde nicht schlenkern; er erleichtert ihnen die halbe Arbeit beim Aufhissen der Anker. Und wenn ein flinker Bursch von einem Schiffe auf ein anderes abgeht, dann giebt ihm der Klabatermann ein Zeichen mit,

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Zitationshilfe: Temme, Jodocus Donatus Hubertus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Berlin, 1840, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/temme_volkssagen_1840/332>, abgerufen am 28.04.2024.