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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Freyheit.
Vergleichung meiner gegenwärtigen Gefühle von mei-
nem innern Zustande mit den vergangenen es wissen,
daß ich jetzo so modificiret sey, als ich es sonsten gewe-
sen bin, wo ich mir eine Kraft oder ein Vermögen zu-
geschrieben habe.*)

Das Vermögen zu vollbringen erfodert noch meh-
rere Dispositionen in der Seele und in dem Körper, de-
ren Daseyn wir aus dem, was unmittelbar empfunden
wird, mittelbar durch die Jdeenassociation erkennen.
Die Jdeen von Thätigkeiten, so wie wir solche in uns
haben, sind oft das Kennzeichen gewesen, daß auch die
übrigen in der Seele und in dem Körper dazu gehörigen
Vermögen vorhanden sind, und zwar ein so zuverläßi-
ges, daß wir an diesem letztern so wenig zweifeln, wenn
uns jene Merkmale vorschweben, als ein Reuter daran
zweifelt, daß er mit dem Anziehen von dem Zaume,
den er unmittelbar mit der Hand anfasset, das Gebiß in
dem Maul des Pferdes ziehen und regieren werde. Diese
Erkenntniß ist von der Art, wie andere Empfindungs-
kenntnisse. Der Reuter könnte sich doch irren, wenn
Jemand den Zaum in der Mitte durchschnitten, und
die Enden nur mit Wachs zusammen gebacken hätte.

8.

Kein selbstthätiges Vermögen erstreckt sich in-
dessen weiter, als auf Handlungen, die wir einzeln ehe-
dem schon unternommen haben, oder die aus solchen
zusammengesetzet sind. Unsere Selbstthätigkeit wirkt
durch die Wiedererweckung der Vorstellungen
und der Vorstellungsreihen, die wir von Thätigkeiten
in uns haben. Diese Vorstellungsreihen sind die Ner-
ven der thätigen Kraft und des Willens, so wie die von
den Objekten es bey dem Verstande sind. Daher ist

unsere
*) Zweeter Versuch I. 5. Vierter Versuch VII. 6.
Fünfter Versuch VII.
H 2

und Freyheit.
Vergleichung meiner gegenwaͤrtigen Gefuͤhle von mei-
nem innern Zuſtande mit den vergangenen es wiſſen,
daß ich jetzo ſo modificiret ſey, als ich es ſonſten gewe-
ſen bin, wo ich mir eine Kraft oder ein Vermoͤgen zu-
geſchrieben habe.*)

Das Vermoͤgen zu vollbringen erfodert noch meh-
rere Diſpoſitionen in der Seele und in dem Koͤrper, de-
ren Daſeyn wir aus dem, was unmittelbar empfunden
wird, mittelbar durch die Jdeenaſſociation erkennen.
Die Jdeen von Thaͤtigkeiten, ſo wie wir ſolche in uns
haben, ſind oft das Kennzeichen geweſen, daß auch die
uͤbrigen in der Seele und in dem Koͤrper dazu gehoͤrigen
Vermoͤgen vorhanden ſind, und zwar ein ſo zuverlaͤßi-
ges, daß wir an dieſem letztern ſo wenig zweifeln, wenn
uns jene Merkmale vorſchweben, als ein Reuter daran
zweifelt, daß er mit dem Anziehen von dem Zaume,
den er unmittelbar mit der Hand anfaſſet, das Gebiß in
dem Maul des Pferdes ziehen und regieren werde. Dieſe
Erkenntniß iſt von der Art, wie andere Empfindungs-
kenntniſſe. Der Reuter koͤnnte ſich doch irren, wenn
Jemand den Zaum in der Mitte durchſchnitten, und
die Enden nur mit Wachs zuſammen gebacken haͤtte.

8.

Kein ſelbſtthaͤtiges Vermoͤgen erſtreckt ſich in-
deſſen weiter, als auf Handlungen, die wir einzeln ehe-
dem ſchon unternommen haben, oder die aus ſolchen
zuſammengeſetzet ſind. Unſere Selbſtthaͤtigkeit wirkt
durch die Wiedererweckung der Vorſtellungen
und der Vorſtellungsreihen, die wir von Thaͤtigkeiten
in uns haben. Dieſe Vorſtellungsreihen ſind die Ner-
ven der thaͤtigen Kraft und des Willens, ſo wie die von
den Objekten es bey dem Verſtande ſind. Daher iſt

unſere
*) Zweeter Verſuch I. 5. Vierter Verſuch VII. 6.
Fuͤnfter Verſuch VII.
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[115/0145] und Freyheit. Vergleichung meiner gegenwaͤrtigen Gefuͤhle von mei- nem innern Zuſtande mit den vergangenen es wiſſen, daß ich jetzo ſo modificiret ſey, als ich es ſonſten gewe- ſen bin, wo ich mir eine Kraft oder ein Vermoͤgen zu- geſchrieben habe. *) Das Vermoͤgen zu vollbringen erfodert noch meh- rere Diſpoſitionen in der Seele und in dem Koͤrper, de- ren Daſeyn wir aus dem, was unmittelbar empfunden wird, mittelbar durch die Jdeenaſſociation erkennen. Die Jdeen von Thaͤtigkeiten, ſo wie wir ſolche in uns haben, ſind oft das Kennzeichen geweſen, daß auch die uͤbrigen in der Seele und in dem Koͤrper dazu gehoͤrigen Vermoͤgen vorhanden ſind, und zwar ein ſo zuverlaͤßi- ges, daß wir an dieſem letztern ſo wenig zweifeln, wenn uns jene Merkmale vorſchweben, als ein Reuter daran zweifelt, daß er mit dem Anziehen von dem Zaume, den er unmittelbar mit der Hand anfaſſet, das Gebiß in dem Maul des Pferdes ziehen und regieren werde. Dieſe Erkenntniß iſt von der Art, wie andere Empfindungs- kenntniſſe. Der Reuter koͤnnte ſich doch irren, wenn Jemand den Zaum in der Mitte durchſchnitten, und die Enden nur mit Wachs zuſammen gebacken haͤtte. 8. Kein ſelbſtthaͤtiges Vermoͤgen erſtreckt ſich in- deſſen weiter, als auf Handlungen, die wir einzeln ehe- dem ſchon unternommen haben, oder die aus ſolchen zuſammengeſetzet ſind. Unſere Selbſtthaͤtigkeit wirkt durch die Wiedererweckung der Vorſtellungen und der Vorſtellungsreihen, die wir von Thaͤtigkeiten in uns haben. Dieſe Vorſtellungsreihen ſind die Ner- ven der thaͤtigen Kraft und des Willens, ſo wie die von den Objekten es bey dem Verſtande ſind. Daher iſt unſere *) Zweeter Verſuch I. 5. Vierter Verſuch VII. 6. Fuͤnfter Verſuch VII. H 2

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/145>, abgerufen am 30.04.2024.