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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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hält, welches die harmonischen Bewegungen nur allein
aufnimmt, ohne sie in sich bestehen zu lassen, oder eine
Spur davon zu behalten? Allein wie sich auch der Har-
monist, oder der Vertheidiger der Assistenz darüber er-
klären mag, so hat er doch über den wesentlichen Punkt,
nämlich über die Existenz der intellektuellen Jdee in
der Seele, schon entschieden. Zum mindesten ist es so
bey der Leibnitzischen Harmonie. Denn die Cartesische
und Malebranchische Hypothese könnte noch so raffinirt
werden, daß sie den unterschiedenen Meinungen über
den Sitz der Vorstellungen angepaßt würde.

Allein wenn das System der ursachlichen Verknü-
pfung zwischen dem immateriellen Jch, und zwischen
dem Körper vorausgesetzet wird: so ist allerdings die
letzte Frage über den Sitz der Vorstellungen als eine der
Hauptfragen anzusehen, wenn man über die Natur der
Seele philosophiren will. Da nun der Jnstinkt den
Philosophen sowohl als den Nichtphilosophen unauf hör-
lich anlieget, sich für diese Meinung zu erklären, und
die Vernunft nach der schärfsten Auflösung der Begriffe
nichts dagegen zu sagen hat, sondern vielmehr beystim-
met, so ist es endlich unter den neuern Philosophen so
gut als ausgemacht angenommen, daß sie die wahre
Vorstellung von der Union sey, und dadurch ist zugleich
die Untersuchung über das Subjekt der Vorstellungen
außerordentlich interessant geworden. Glücklich, wenn
es, wie mans glaubet, wahr ist, daß hier eine Stelle
gefunden sey, wo sich der Schleyer der Natur auf he-
ben läßt; ich fürchte, unter dem Schleyer sey sie noch
mit einem dichten Mantel bedecket.

2.

Jch sehe den Mond und empfinde ihn. Es ist ei-
ne Modifikation in der Seele vorhanden, und eine
gleichzeitige Veränderung im Gehirn.

Jch
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im Menſchen.
haͤlt, welches die harmoniſchen Bewegungen nur allein
aufnimmt, ohne ſie in ſich beſtehen zu laſſen, oder eine
Spur davon zu behalten? Allein wie ſich auch der Har-
moniſt, oder der Vertheidiger der Aſſiſtenz daruͤber er-
klaͤren mag, ſo hat er doch uͤber den weſentlichen Punkt,
naͤmlich uͤber die Exiſtenz der intellektuellen Jdee in
der Seele, ſchon entſchieden. Zum mindeſten iſt es ſo
bey der Leibnitziſchen Harmonie. Denn die Carteſiſche
und Malebranchiſche Hypotheſe koͤnnte noch ſo raffinirt
werden, daß ſie den unterſchiedenen Meinungen uͤber
den Sitz der Vorſtellungen angepaßt wuͤrde.

Allein wenn das Syſtem der urſachlichen Verknuͤ-
pfung zwiſchen dem immateriellen Jch, und zwiſchen
dem Koͤrper vorausgeſetzet wird: ſo iſt allerdings die
letzte Frage uͤber den Sitz der Vorſtellungen als eine der
Hauptfragen anzuſehen, wenn man uͤber die Natur der
Seele philoſophiren will. Da nun der Jnſtinkt den
Philoſophen ſowohl als den Nichtphiloſophen unauf hoͤr-
lich anlieget, ſich fuͤr dieſe Meinung zu erklaͤren, und
die Vernunft nach der ſchaͤrfſten Aufloͤſung der Begriffe
nichts dagegen zu ſagen hat, ſondern vielmehr beyſtim-
met, ſo iſt es endlich unter den neuern Philoſophen ſo
gut als ausgemacht angenommen, daß ſie die wahre
Vorſtellung von der Union ſey, und dadurch iſt zugleich
die Unterſuchung uͤber das Subjekt der Vorſtellungen
außerordentlich intereſſant geworden. Gluͤcklich, wenn
es, wie mans glaubet, wahr iſt, daß hier eine Stelle
gefunden ſey, wo ſich der Schleyer der Natur auf he-
ben laͤßt; ich fuͤrchte, unter dem Schleyer ſey ſie noch
mit einem dichten Mantel bedecket.

2.

Jch ſehe den Mond und empfinde ihn. Es iſt ei-
ne Modifikation in der Seele vorhanden, und eine
gleichzeitige Veraͤnderung im Gehirn.

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[217/0247] im Menſchen. haͤlt, welches die harmoniſchen Bewegungen nur allein aufnimmt, ohne ſie in ſich beſtehen zu laſſen, oder eine Spur davon zu behalten? Allein wie ſich auch der Har- moniſt, oder der Vertheidiger der Aſſiſtenz daruͤber er- klaͤren mag, ſo hat er doch uͤber den weſentlichen Punkt, naͤmlich uͤber die Exiſtenz der intellektuellen Jdee in der Seele, ſchon entſchieden. Zum mindeſten iſt es ſo bey der Leibnitziſchen Harmonie. Denn die Carteſiſche und Malebranchiſche Hypotheſe koͤnnte noch ſo raffinirt werden, daß ſie den unterſchiedenen Meinungen uͤber den Sitz der Vorſtellungen angepaßt wuͤrde. Allein wenn das Syſtem der urſachlichen Verknuͤ- pfung zwiſchen dem immateriellen Jch, und zwiſchen dem Koͤrper vorausgeſetzet wird: ſo iſt allerdings die letzte Frage uͤber den Sitz der Vorſtellungen als eine der Hauptfragen anzuſehen, wenn man uͤber die Natur der Seele philoſophiren will. Da nun der Jnſtinkt den Philoſophen ſowohl als den Nichtphiloſophen unauf hoͤr- lich anlieget, ſich fuͤr dieſe Meinung zu erklaͤren, und die Vernunft nach der ſchaͤrfſten Aufloͤſung der Begriffe nichts dagegen zu ſagen hat, ſondern vielmehr beyſtim- met, ſo iſt es endlich unter den neuern Philoſophen ſo gut als ausgemacht angenommen, daß ſie die wahre Vorſtellung von der Union ſey, und dadurch iſt zugleich die Unterſuchung uͤber das Subjekt der Vorſtellungen außerordentlich intereſſant geworden. Gluͤcklich, wenn es, wie mans glaubet, wahr iſt, daß hier eine Stelle gefunden ſey, wo ſich der Schleyer der Natur auf he- ben laͤßt; ich fuͤrchte, unter dem Schleyer ſey ſie noch mit einem dichten Mantel bedecket. 2. Jch ſehe den Mond und empfinde ihn. Es iſt ei- ne Modifikation in der Seele vorhanden, und eine gleichzeitige Veraͤnderung im Gehirn. Jch O 5

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/247>, abgerufen am 30.04.2024.