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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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im Menschen.
jene, ob sie gleich überhaupt vorhanden ist, dennoch so
eingeschränkt seyn, daß sie so gut, als gar nicht vor-
handen angesehen werden müßte. Wer die Unzersche
Physiologie studirt hat, wird auf diese Fragen die
Antworten für viele Fälle darinnen angetroffen haben.
Da ich solche aber selbst aus den Beobachtungen für
mich aufgesucht, so sey es mir auch erlaubt, sie auf
meine eigene Art herzusetzen.

4.

Es werden gemeiniglich die körperlichen Bewe-
gungen in zwo Klassen gebracht; in die unwillkürli-
chen,
mechanischen, und in die willkürlichen. Aber
sobald man nur ein wenig auf die große Mannichfaltig-
keit von beiden aufmerksam ist, muß man bemerken,
daß die mehresten von ihnen, sowohl von denen, die zu
den unwillkürlichen, als von denen, die zu den willkür-
lichen gerechnet werden, beides, dem Einflusse des Wil-
lens, und den Gesetzen der Organisation unterworfen,
und nur darinn von einander unterschieden sind, daß
bey der Einen Gattung die Seele, bey der andern der
Mechanismus des Körpers, die vornehmste und meist
bestimmende
Ursache sey. Jhr Unterschied beruhet
also auf dem Mehr oder Minder in dem Verhältnisse,
worinnen die Seelenkräfte und Körperkräfte in ihrer
Vereinigung gegen einander stehen. Daher giebt es
zwischen denen, die am meisten unwillkürlich, und de-
nen die am meisten willkürlich sind, unzählige Mittel-
arten, die zwischen den beiden äußersten stehen, und bald
der Einen, bald der andern Gattung näher sind. Das
nämliche kann von unsern Reihen von Veränderungen
in dem Körper gesagt werden. Aber wenn man die
beiden Gattungen untersucht, welche die äußersten sind,
und die am weitesten von einander abstehen, so ist es
leichter die Natur der mittlern Arten zu begreifen.

Die

im Menſchen.
jene, ob ſie gleich uͤberhaupt vorhanden iſt, dennoch ſo
eingeſchraͤnkt ſeyn, daß ſie ſo gut, als gar nicht vor-
handen angeſehen werden muͤßte. Wer die Unzerſche
Phyſiologie ſtudirt hat, wird auf dieſe Fragen die
Antworten fuͤr viele Faͤlle darinnen angetroffen haben.
Da ich ſolche aber ſelbſt aus den Beobachtungen fuͤr
mich aufgeſucht, ſo ſey es mir auch erlaubt, ſie auf
meine eigene Art herzuſetzen.

4.

Es werden gemeiniglich die koͤrperlichen Bewe-
gungen in zwo Klaſſen gebracht; in die unwillkuͤrli-
chen,
mechaniſchen, und in die willkuͤrlichen. Aber
ſobald man nur ein wenig auf die große Mannichfaltig-
keit von beiden aufmerkſam iſt, muß man bemerken,
daß die mehreſten von ihnen, ſowohl von denen, die zu
den unwillkuͤrlichen, als von denen, die zu den willkuͤr-
lichen gerechnet werden, beides, dem Einfluſſe des Wil-
lens, und den Geſetzen der Organiſation unterworfen,
und nur darinn von einander unterſchieden ſind, daß
bey der Einen Gattung die Seele, bey der andern der
Mechanismus des Koͤrpers, die vornehmſte und meiſt
beſtimmende
Urſache ſey. Jhr Unterſchied beruhet
alſo auf dem Mehr oder Minder in dem Verhaͤltniſſe,
worinnen die Seelenkraͤfte und Koͤrperkraͤfte in ihrer
Vereinigung gegen einander ſtehen. Daher giebt es
zwiſchen denen, die am meiſten unwillkuͤrlich, und de-
nen die am meiſten willkuͤrlich ſind, unzaͤhlige Mittel-
arten, die zwiſchen den beiden aͤußerſten ſtehen, und bald
der Einen, bald der andern Gattung naͤher ſind. Das
naͤmliche kann von unſern Reihen von Veraͤnderungen
in dem Koͤrper geſagt werden. Aber wenn man die
beiden Gattungen unterſucht, welche die aͤußerſten ſind,
und die am weiteſten von einander abſtehen, ſo iſt es
leichter die Natur der mittlern Arten zu begreifen.

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[315/0345] im Menſchen. jene, ob ſie gleich uͤberhaupt vorhanden iſt, dennoch ſo eingeſchraͤnkt ſeyn, daß ſie ſo gut, als gar nicht vor- handen angeſehen werden muͤßte. Wer die Unzerſche Phyſiologie ſtudirt hat, wird auf dieſe Fragen die Antworten fuͤr viele Faͤlle darinnen angetroffen haben. Da ich ſolche aber ſelbſt aus den Beobachtungen fuͤr mich aufgeſucht, ſo ſey es mir auch erlaubt, ſie auf meine eigene Art herzuſetzen. 4. Es werden gemeiniglich die koͤrperlichen Bewe- gungen in zwo Klaſſen gebracht; in die unwillkuͤrli- chen, mechaniſchen, und in die willkuͤrlichen. Aber ſobald man nur ein wenig auf die große Mannichfaltig- keit von beiden aufmerkſam iſt, muß man bemerken, daß die mehreſten von ihnen, ſowohl von denen, die zu den unwillkuͤrlichen, als von denen, die zu den willkuͤr- lichen gerechnet werden, beides, dem Einfluſſe des Wil- lens, und den Geſetzen der Organiſation unterworfen, und nur darinn von einander unterſchieden ſind, daß bey der Einen Gattung die Seele, bey der andern der Mechanismus des Koͤrpers, die vornehmſte und meiſt beſtimmende Urſache ſey. Jhr Unterſchied beruhet alſo auf dem Mehr oder Minder in dem Verhaͤltniſſe, worinnen die Seelenkraͤfte und Koͤrperkraͤfte in ihrer Vereinigung gegen einander ſtehen. Daher giebt es zwiſchen denen, die am meiſten unwillkuͤrlich, und de- nen die am meiſten willkuͤrlich ſind, unzaͤhlige Mittel- arten, die zwiſchen den beiden aͤußerſten ſtehen, und bald der Einen, bald der andern Gattung naͤher ſind. Das naͤmliche kann von unſern Reihen von Veraͤnderungen in dem Koͤrper geſagt werden. Aber wenn man die beiden Gattungen unterſucht, welche die aͤußerſten ſind, und die am weiteſten von einander abſtehen, ſo iſt es leichter die Natur der mittlern Arten zu begreifen. Die

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/345>, abgerufen am 30.04.2024.