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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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im Menschen.
nicht mehr erwarten, als daß die Eine, welche gegen-
wärtig ist, die Anwandlungen zu der zwoten hervor-
bringe. Und dieß lehret die Erfahrung. Wer sich an-
gewöhnet hat, gewisse Handlungen mit einem Theile
des Körpers mit gewissen Bewegungen anderer Theile
zu begleiten, wird die letztern nicht leicht wiederholen,
ohne ein Bestreben zu empfinden, auch die erstern vor-
zunehmen, ohnerachtet diese vor jenen vorhergegangen
sind. Der Organist hat anfangs mit den Fingern auf
dem Klavier spielen gelernet, und nachher auf der Or-
gel die Bewegungen mit den Füßen damit verbunden.
Sobald er sich auf eine Bank setzet, und die Füße so
beweget, als wenn er aufs Pedal tritt, so wird seine Ge-
wohnheit ihn auch reizen, mit den Fingern so zu schla-
gen, als wenn er die Klaves der Orgel vor sich hätte.

6.

Gehen wir wiederum zurück zu den organischen
Reihen,
die als eine eigene Gattung hier angenom-
men worden sind, so finden wir bey ihnen einen zweyfa-
chen Charakter. Einmal sollen sie ihren Grund allein
in den Kräften des organischen Körpers haben,
und durch diese bey der Lage, worinnen sich der Körper
befindet, völlig bestimmt werden, ohne daß die Seele
zur Verbindung der Wirkung mit ihrer Ursache etwas
beytrage; oder doch so daß, wenn sie auch dabey thä-
tig ist, sie doch keinen weitern Einfluß darinn hat, als
insofern sie durch ihre Aktion die wirksame organische
Kraft in dem Körper überhaupt in Thätigkeit erhält.
Wenn die Arzney in dem Körper wirket, oder das Kind,
durch einen starken Knall erschüttert, zusammenfährt
und ängstlich thut: so sind dieß darum und insoferne or-
ganische Veränderungsreihen, weil die Seele entweder
gar keinen Antheil daran hat, und höchstens nicht mehr
als Zuschauerin derselben ist, oder wenn sie auch als ein

Glied
II Theil. X

im Menſchen.
nicht mehr erwarten, als daß die Eine, welche gegen-
waͤrtig iſt, die Anwandlungen zu der zwoten hervor-
bringe. Und dieß lehret die Erfahrung. Wer ſich an-
gewoͤhnet hat, gewiſſe Handlungen mit einem Theile
des Koͤrpers mit gewiſſen Bewegungen anderer Theile
zu begleiten, wird die letztern nicht leicht wiederholen,
ohne ein Beſtreben zu empfinden, auch die erſtern vor-
zunehmen, ohnerachtet dieſe vor jenen vorhergegangen
ſind. Der Organiſt hat anfangs mit den Fingern auf
dem Klavier ſpielen gelernet, und nachher auf der Or-
gel die Bewegungen mit den Fuͤßen damit verbunden.
Sobald er ſich auf eine Bank ſetzet, und die Fuͤße ſo
beweget, als wenn er aufs Pedal tritt, ſo wird ſeine Ge-
wohnheit ihn auch reizen, mit den Fingern ſo zu ſchla-
gen, als wenn er die Klaves der Orgel vor ſich haͤtte.

6.

Gehen wir wiederum zuruͤck zu den organiſchen
Reihen,
die als eine eigene Gattung hier angenom-
men worden ſind, ſo finden wir bey ihnen einen zweyfa-
chen Charakter. Einmal ſollen ſie ihren Grund allein
in den Kraͤften des organiſchen Koͤrpers haben,
und durch dieſe bey der Lage, worinnen ſich der Koͤrper
befindet, voͤllig beſtimmt werden, ohne daß die Seele
zur Verbindung der Wirkung mit ihrer Urſache etwas
beytrage; oder doch ſo daß, wenn ſie auch dabey thaͤ-
tig iſt, ſie doch keinen weitern Einfluß darinn hat, als
inſofern ſie durch ihre Aktion die wirkſame organiſche
Kraft in dem Koͤrper uͤberhaupt in Thaͤtigkeit erhaͤlt.
Wenn die Arzney in dem Koͤrper wirket, oder das Kind,
durch einen ſtarken Knall erſchuͤttert, zuſammenfaͤhrt
und aͤngſtlich thut: ſo ſind dieß darum und inſoferne or-
ganiſche Veraͤnderungsreihen, weil die Seele entweder
gar keinen Antheil daran hat, und hoͤchſtens nicht mehr
als Zuſchauerin derſelben iſt, oder wenn ſie auch als ein

Glied
II Theil. X
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[321/0351] im Menſchen. nicht mehr erwarten, als daß die Eine, welche gegen- waͤrtig iſt, die Anwandlungen zu der zwoten hervor- bringe. Und dieß lehret die Erfahrung. Wer ſich an- gewoͤhnet hat, gewiſſe Handlungen mit einem Theile des Koͤrpers mit gewiſſen Bewegungen anderer Theile zu begleiten, wird die letztern nicht leicht wiederholen, ohne ein Beſtreben zu empfinden, auch die erſtern vor- zunehmen, ohnerachtet dieſe vor jenen vorhergegangen ſind. Der Organiſt hat anfangs mit den Fingern auf dem Klavier ſpielen gelernet, und nachher auf der Or- gel die Bewegungen mit den Fuͤßen damit verbunden. Sobald er ſich auf eine Bank ſetzet, und die Fuͤße ſo beweget, als wenn er aufs Pedal tritt, ſo wird ſeine Ge- wohnheit ihn auch reizen, mit den Fingern ſo zu ſchla- gen, als wenn er die Klaves der Orgel vor ſich haͤtte. 6. Gehen wir wiederum zuruͤck zu den organiſchen Reihen, die als eine eigene Gattung hier angenom- men worden ſind, ſo finden wir bey ihnen einen zweyfa- chen Charakter. Einmal ſollen ſie ihren Grund allein in den Kraͤften des organiſchen Koͤrpers haben, und durch dieſe bey der Lage, worinnen ſich der Koͤrper befindet, voͤllig beſtimmt werden, ohne daß die Seele zur Verbindung der Wirkung mit ihrer Urſache etwas beytrage; oder doch ſo daß, wenn ſie auch dabey thaͤ- tig iſt, ſie doch keinen weitern Einfluß darinn hat, als inſofern ſie durch ihre Aktion die wirkſame organiſche Kraft in dem Koͤrper uͤberhaupt in Thaͤtigkeit erhaͤlt. Wenn die Arzney in dem Koͤrper wirket, oder das Kind, durch einen ſtarken Knall erſchuͤttert, zuſammenfaͤhrt und aͤngſtlich thut: ſo ſind dieß darum und inſoferne or- ganiſche Veraͤnderungsreihen, weil die Seele entweder gar keinen Antheil daran hat, und hoͤchſtens nicht mehr als Zuſchauerin derſelben iſt, oder wenn ſie auch als ein Glied II Theil. X

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/351>, abgerufen am 30.04.2024.