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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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XIV. Vers. Ueber die Perfektibilität
bey so weit auf die besondern Gefühle herunter geht,
als Home es gethan hat, so muß man auch wohl ge-
stehen, daß es wenige oder gar kein Jndividuum ge-
be, bey dem nicht irgend Eines oder das andere von
den feinern Gefühlen zurückbliebe, das doch bey an-
dern sich stark entwickelt.

4.

Nach der Hypothese des Herrn Bonnets von der
Natur unsers Seelenwesens hat jeder sämmtliche Ein-
druck von den einzelnen Gegenständen seine eigene Fi-
ber, die ihn aufnimmt und eine materielle Vorstel-
lung davon in sich behält, und nur allein das Affici-
rende bey jeder Vorstellung hat seinen Grund in der
Art und Weise, in der Stärke und Schwäche, wie
die Fiber von dem Eindruck gerührt wird. Der
Grund, warum die hellrothe Farbe angenehm ist,
liegt darinnen, weil die Fiber, welche die rothen
Strahlen aufnimmt, eine Modifikabilität besitzet, auf
eine schickliche Art von ihnen sinnlich erschüttert zu
werden. Eine andre Fiber ist die, welche eine solche
Anlage in Hinsicht einer andern Farbe hat. Auf
gleiche Weise verhält sichs bey den Tönen. Die Dis-
position einer Fiber ist der Grund von dem Gefallen
an den Tönen der Trompete; die Disposition einer an-
dern die Ursache von dem Gefallen an dem Schall der
Trommel und so ferner. So viele angenehme und
widrige Empfindungen, so viele Fibern, auf deren
Anlagen die Dispositionen beruhen, von diesen Ge-
genständen afficirt zu werden. Es ist also die Zahl
der Empfindnisse in der Seele, als Anlagen und Ver-
mögen betrachtet, so groß, als die Zahl der afficirenden
Vorstellungen selbst. Nun ist ferner nach dem Evo-
lutionssystem eben dieses Philosophen, jede Fiber im
Kleinen schon in dem ersten Keim des Menschen ent-

halten,

XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt
bey ſo weit auf die beſondern Gefuͤhle herunter geht,
als Home es gethan hat, ſo muß man auch wohl ge-
ſtehen, daß es wenige oder gar kein Jndividuum ge-
be, bey dem nicht irgend Eines oder das andere von
den feinern Gefuͤhlen zuruͤckbliebe, das doch bey an-
dern ſich ſtark entwickelt.

4.

Nach der Hypotheſe des Herrn Bonnets von der
Natur unſers Seelenweſens hat jeder ſaͤmmtliche Ein-
druck von den einzelnen Gegenſtaͤnden ſeine eigene Fi-
ber, die ihn aufnimmt und eine materielle Vorſtel-
lung davon in ſich behaͤlt, und nur allein das Affici-
rende bey jeder Vorſtellung hat ſeinen Grund in der
Art und Weiſe, in der Staͤrke und Schwaͤche, wie
die Fiber von dem Eindruck geruͤhrt wird. Der
Grund, warum die hellrothe Farbe angenehm iſt,
liegt darinnen, weil die Fiber, welche die rothen
Strahlen aufnimmt, eine Modifikabilitaͤt beſitzet, auf
eine ſchickliche Art von ihnen ſinnlich erſchuͤttert zu
werden. Eine andre Fiber iſt die, welche eine ſolche
Anlage in Hinſicht einer andern Farbe hat. Auf
gleiche Weiſe verhaͤlt ſichs bey den Toͤnen. Die Diſ-
poſition einer Fiber iſt der Grund von dem Gefallen
an den Toͤnen der Trompete; die Diſpoſition einer an-
dern die Urſache von dem Gefallen an dem Schall der
Trommel und ſo ferner. So viele angenehme und
widrige Empfindungen, ſo viele Fibern, auf deren
Anlagen die Diſpoſitionen beruhen, von dieſen Ge-
genſtaͤnden afficirt zu werden. Es iſt alſo die Zahl
der Empfindniſſe in der Seele, als Anlagen und Ver-
moͤgen betrachtet, ſo groß, als die Zahl der afficirenden
Vorſtellungen ſelbſt. Nun iſt ferner nach dem Evo-
lutionsſyſtem eben dieſes Philoſophen, jede Fiber im
Kleinen ſchon in dem erſten Keim des Menſchen ent-

halten,
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[436/0466] XIV. Verſ. Ueber die Perfektibilitaͤt bey ſo weit auf die beſondern Gefuͤhle herunter geht, als Home es gethan hat, ſo muß man auch wohl ge- ſtehen, daß es wenige oder gar kein Jndividuum ge- be, bey dem nicht irgend Eines oder das andere von den feinern Gefuͤhlen zuruͤckbliebe, das doch bey an- dern ſich ſtark entwickelt. 4. Nach der Hypotheſe des Herrn Bonnets von der Natur unſers Seelenweſens hat jeder ſaͤmmtliche Ein- druck von den einzelnen Gegenſtaͤnden ſeine eigene Fi- ber, die ihn aufnimmt und eine materielle Vorſtel- lung davon in ſich behaͤlt, und nur allein das Affici- rende bey jeder Vorſtellung hat ſeinen Grund in der Art und Weiſe, in der Staͤrke und Schwaͤche, wie die Fiber von dem Eindruck geruͤhrt wird. Der Grund, warum die hellrothe Farbe angenehm iſt, liegt darinnen, weil die Fiber, welche die rothen Strahlen aufnimmt, eine Modifikabilitaͤt beſitzet, auf eine ſchickliche Art von ihnen ſinnlich erſchuͤttert zu werden. Eine andre Fiber iſt die, welche eine ſolche Anlage in Hinſicht einer andern Farbe hat. Auf gleiche Weiſe verhaͤlt ſichs bey den Toͤnen. Die Diſ- poſition einer Fiber iſt der Grund von dem Gefallen an den Toͤnen der Trompete; die Diſpoſition einer an- dern die Urſache von dem Gefallen an dem Schall der Trommel und ſo ferner. So viele angenehme und widrige Empfindungen, ſo viele Fibern, auf deren Anlagen die Diſpoſitionen beruhen, von dieſen Ge- genſtaͤnden afficirt zu werden. Es iſt alſo die Zahl der Empfindniſſe in der Seele, als Anlagen und Ver- moͤgen betrachtet, ſo groß, als die Zahl der afficirenden Vorſtellungen ſelbſt. Nun iſt ferner nach dem Evo- lutionsſyſtem eben dieſes Philoſophen, jede Fiber im Kleinen ſchon in dem erſten Keim des Menſchen ent- halten,

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/466>, abgerufen am 30.04.2024.